21.09.2014

Wahlbeteiligung, Quorum, Nichtwähler - ein Vorschlag zur Güte

Die Wahlbeteiligung bei den jüngsten Landtagswahlen: Sachsen 49,2%.
Thüringen 52,7%. Brandenburg 47,9%. Man fragt sich, ob so etwas noch Gültigkeit
haben sollte – bei jedem Bürgerbegehren muß es ein Mindestquorum von
abgegebenen Stimmen geben, warum gilt das nicht bei Landtagswahlen? Sagen wir
fünfzig Prozent? Wenn nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten nicht mehr bereit
ist, überhaupt ihre Stimme abzugeben, dann stimmt doch wohl etwas nicht mit der
Narration von der Demokratie.Der Bundeswahlleiter stellte sich nun hinter den Vorschlag der
SPD-Generalsekretärin, Wahlen sollten an mehreren Tagen der Woche stattfinden,
und Wahllokale sollten auch in Einkaufszentren eingerichtet werden. Soll es
dann für diejenigen, die dann wählen gehen, auch Rabattmarken an der
Supermarktkasse geben?Niedlich, wie hier die WählerInnen wieder einmal nicht ernst genommen
werden – als ob man den WählerInnen nur Bonuspunkte im Supermarkt versprechen
müsse...Vielleicht würde ein besseres politisches Programm helfen? Die Leute
sind es in der Postdemokratie einfach leid, nur zwischen sich angleichenden
politischen Programmen auswählen zu müssen, also eben keine Wahl zu haben, und sie sind es leid, immer nur das kleinere
Übel oder eine Protestpartei wählen zu sollen. Und von den Marginalisierten,
für die man ständig verschärfte Hartz-IV-Gesetze als moderne Arbeitshäuser
errichtet hat, kann man nicht ernsthaft erwarten, daß sie bereitwillig wählen
gehen, um sich erneut denen zu unterwerfen, die für die neoliberalen Gesetze
zuständig sind.Aber wie wäre es denn, wenn man begönne, die Nichtwähler als politisch
handelnde Subjekte ernst zu nehmen? Wenn man also die Sitze in den Parlamenten
im Verhältnis zu den nicht abgegebenen Stimmen unbesetzt ließe und damit dokumentierte,
daß das Wahlvolk mit den Politikern nicht einverstanden ist? Klar, in Sachsen
oder Thüringen würde die SPD dann hart an der 5%-Klausel entlangschrammen, und
die so stolze Wahlsiegerin CDU käme in Thüringen auch nur auf etwa 17 und selbst
in Sachsen nicht einmal mehr auf 20 Prozent. Das ist nämlich die eigentliche
Realität – diejenigen, die da so tun, als ob sie 39% oder 28% oder 12% der
Wählerstimmen erhalten hätten, haben zwar aufgrund des derzeitigen Wahlgesetzes
einen entsprechenden Anteil der Sitze in den Parlamenten, aber eben in Sachsen
oder Thüringen nicht einmal die Hälfte der entsprechenden Wählerstimmen – alles
andere ist eine Mogelpackung.

21.09.2014

Die Entdeckung Deutschlands im Internet

Gibt man auf Amazon „Die Entdeckung Deutschlands“ ein, nicht nur, um das
bei Verbrecher erscheinende neue Buch von Britta Lange über einen
Propagandafilm aus dem Ersten Weltkrieg, der zugleich einer der ersten
deutschen Science-Fiction-Filme ist, zu suchen (denn das Buch kauft man
natürlich im Buchhandel...), sondern vor allem um den nämlichen Film von 1916
„Die Entdeckung Deutschlands durch die Marsbewohner“ zu finden, bekommt man
weder das eine noch den anderen angezeigt, wohl aber, auf Platz 2 von 1.112
Ergebnissen, „The Vampire Diaries – Staffel 4“, und ebenfalls auf der Topseite
der Suchergebnisse noch „Dexter – Staffel 2“, und einen „Riesling, Rheinhessen,
trocken, von 2010, das 6er Pack zu EUR 43,95“.Alles klar, was die Entdeckung Deutschlands angeht, oder? Eben alles ein
Pack – aber was für eins! Manchmal auch ein 6er Pack...(wenn man den Link in der entsprechenden Rundmail des
Verbrecher-Verlages anklickt, gelangt man allerdings ebenfalls nicht zu dem
beworbenen Buch, sondern, Stand 5.9. 12:09 Uhr, zu einem Roman über einen
Vater-Sohn-Konflikt, mit einem „SED-Funktionär,
der nach mehreren Schlaganfällen sein Sprachvermögen verloren hat“. Es ist
eben ein Kreuz, wenn Deutsche über Propaganda informieren wollen...)

31.08.2014

Albumcharts USA

Noch nie wurden in den USA pro Woche so wenig Alben verkauft wie Ende
August – in der vorletzten Augustwoche wurden nur noch 3,97 Alben verkauft, ein
historischer Tiefstand. Und dabei sind die Downloads bereits eingerechnet. Mit
nur 90.000 verkauften Alben konnte man Platz 1 der US-Charts erobern. It’s
called STREAMING, baby!Interessant wäre es natürlich, wieviele Alben in Deutschland pro Woche
verkauft werden. Die deutsche Musikindustrie hüllt sich bekanntlich in
omertahaftes Schweigen und gibt keinerlei Zahlen bekannt – obwohl (oder gerade
weil) es doch längst die Spatzen von den Dächern pfeifen: Wenn alle
AbonnentInnen dieses Rundbriefes in der gleichen Woche das gleiche Album kaufen
würden, wäre diesem Album ein Einstieg mindestens in die TOP 15 der deutschen
Album-Charts sicher...Hinzufügung 21.9.2014:Und dazu paßt die Nachricht, daß Apple das neue U2-Album verschenkt, als
kostenlosen Download in seinem iTunes-Store – klar, gekauft hätte das Teil eben auch praktisch niemand... Im Gegenteil,
im Netz wird hauptsächlich die Frage diskutiert, wie man die ungeliebten und
unerwünschten Tracks der Combo des irischen Steuerflüchtlings, den Bono-Spam
also wieder loswird. “Even if you don't
download the album, it's sitting there in your purchases, pissing you off.“
(Bob Lefsetz)Mit ausgesprochen gewählten Worten kritisierte übrigens der US-Rapper
Tyler the Creator, regelmäßiger Gast auf den Playlists dieses Hauses, die
verzweifelte Apple-U2-Marketingkampagne auf Twitter, nämlich, parental advisor
– explicite content! bitte erschrecken Sie nicht!, so: „Fuck you Bono you old fuck I don’t want you on my phone nigga bitch
stupid glasses fuck Bono!“ Besser hätte ich das jetzt auch nicht ausdrücken
können.All dies hinderte Teile des deutschen Popfeuilletons allerdings nicht,
den Werbegag des kalifornischen Unternehmens so zu rezensieren, als ob eine
neue Mozart-Sinfonie entdeckt worden sei – embedded journalism eben, „wir
wollen Teil einer Kulturindustrie und ihres Vermarktungsprozesses sein“,
unbedingt und allzeit bereit.

31.08.2014

E-Books dürfen nicht weiter verkauft werden

Ein deutsches Gericht hat gesprochen, und was konnte man anderes
erwarten, als daß, hugh!, eine Nutzer-feindliche, die digitale Realität des 21.
Jahrhunderts außer Acht lassende Entscheidung herauskommen würde:Anbieter von E-Books und Hörbuch-Downloads dürfen den Weiterverkauf
ihrer Dateien untersagen – damit ist höchstrichterlich entschieden, daß für
Deutschland und für diese digitalen Inhalte das Urteil des Europäischen Gerichtshofs
zum Handel mit gebrauchter Software nicht
gilt, sondern die Richtlinie zum Urheberrecht der Europäischen Union.Für die Käufer von E-Books bedeutet dies:

Sie dürfen
hierzulande weiterhin drastisch überteuerte Preise für E-Books bezahlen
(wozu nicht zuletzt der erhöhte Mehrwertsteuersatz von 19% für E-Books im
Gegensatz zu 7% für gedruckte Bücher beiträgt – förderungswürdiges
„Kulturgut“ ist für die deutsche Politik eben nicht der Inhalt eines
Buches, sondern einzig seine Drucklegung...).Sie sind
weiterhin den kleingedruckten Geschäftsbedingungen der E-Book-Händler
unterworfen, die in der Regel wie z.B. Amazon festlegen, daß die Käufer
ihre E-Books nur ausleihen, nicht kaufen, weswegen die Händler die E-Books
auch löschen, wenn die Geschäftsbeziehungen mit den Online-Händlern
beendet werden...Die Daten,
die die LeserInnen von E-Books beim Lesen ihrer Bücher anhäufen, werden
weiterhin von den E-Book-Konzernen unter kompletter Mißachtung des
Datenschutzes ausgelesen und weiter verwertet, ohne daß die LeserInnen an
irgendeiner Stelle widersprechen könnten.Aber weiterverkaufen
dürfen E-Book-LeserInnen ihre E-Books nicht, wenn die E-Book-Konzerne das
nicht wollen. Verbraucherschutz wird nicht nur kleingeschrieben, er ist an
dieser Stelle schlicht nicht vorhanden. Da kann die Bundesregierung noch
so sehr von einer digitalen Agenda plappern, an solchen Tatsachen zeigt
sich, daß dieses Land, was die digitale Realität angeht, immer noch in der
Steinzeit lebt.

Der Lobbyistenverband der deutschen Verlage und des Buchhandels, der
„Börsenverein des Deutschen Buchhandels“, begrüßte diese Entscheidung als
„wichtiges und positives Signal“, und schob die eigenwillige Begründung
hinterher, schließlich würde der „Primärmarkt zusammenbrechen“, wenn sich ein
„Gebrauchtmarkt“ für E-Books und Hörbücher etablieren würde. Ganz so, wie ja
bisher schon der Primärmarkt des Buchhandels zusammengebrochen ist, seitdem die
im guten alten Gutenberg-Stil gedruckten Bücher in Antiquariaten gehandelt
werden, wie wir alle wissen.

22.08.2014

Xavier Naidoo hat nicht alle am Christbaum

Daß der Sakropop-Schnulzensänger Xavier Naidoo nicht alle am Christbaum
hat, wissen Sie als aufmerksame LeserInnen dieses Blogs natürlich schon
lange. Jetzt tritt der hierzulande als „Soulsänger“ durchgehende Xavier Naidoo
auf Demos der Neuen Rechten auf, wie Georg Diez auf „SPON“ berichtet:

„Xavier Naidoo ist
ein Erweckungs-Säusler mit einem gläubig-treuen Millionenpublikum; er ist auch,
wie sich jetzt herausgestellt hat, ein politischer Irrläufer, der für neue
rechte Überzeugungen steht.Hinter all dem
Schmuse-Schmarrn, der seine Musik schon immer schwer erträglich gemacht hat,
hinter all dem Gottes-Gewimmer, das in atheistischen Zeiten schon als Glauben
durchgeht, hinter all dem Ich-singe-wie-Deutsche-sich-Soul-vorstellen-Klimbim
steckt ein Mensch, der sich aus seinen Ressentiments eine Weltanschauung
gezimmert hat. Bei dieser werden Verschwörungstheorien, Demokratiefeindlichkeit,
Nationalismus, Antiamerikanismus, Antikapitalismus und Friedensgeraune zu einer
dunklen Suppe verrührt, wie sie auf den neurechts-gekaperten
Montagsdemonstrationen seit Monaten serviert wird.“

Musik zur Zeit also.

22.08.2014

Frei ist das Netz noch lange nicht...

„Frei ist das Netz
schon lang nicht mehr“, kritisiert Sandro Gaycken in der „Süddeutschen
Zeitung“ sehr zurecht die sogenannte Digitale Agenda der Bundesregierung. Im
Netz ist sein Artikel allerdings, frei ist das Netz noch lange nicht, am
Erscheinungstag bei Süddeutsche.de nicht zu finden...

30.07.2014

Sommerloch 2014

Bleibt das Sommerloch.
Mit den üblichen schönen, kleinen Nichtigkeiten. Ein Musiker namens Adam Levine
hat zum Beispiel ein „namibisches Unterwäschemodell“ geehelicht. Finden Sie das auch so
einen schönen Begriff? Namibisches Unterwäschemodell. Was für ein Berufsziel!

Deutschlands bekanntester Abmahnanwalt Thomas Urmann, dessen Kanzlei
„Urmann und Collegen“ letztes Jahr Schlagzeilen machte mit Massenabmahnungen
wegen angeblich rechtswidriger Nutzung des Streaminganbieters RedTube zulasten
von Urmanns Mandanten, die „mal in einem
Schweizer Briefkasten und mal in Afrika wohnten“ (Markus Kompa auf
„Telepolis“), dieser Abmahnanwalt muß sich derzeit vor Augsburger Gerichten
selbst wegen Insolvenzverschleppung, Untreue und Betrug in Zusammenhang mit
einer Gundelfinger Wurstfabrik verantworten. Sind halt alles topseriöse Leute,
die einen wie die anderen, und ein unbedingt und jederzeit topseriöses Geschäft,
die ganze Abmahnerei.

Ebenfalls topseriös ist auf alle Fälle Boris Becker, ob er nun gerade
auf einem Buddha sitzt oder sonstwo daneben. Was ich mich allerdings frage – es
gibt Menschen, die sich im Internet Fotos anschauen, die Boris Becker dort einstellt?
Im Ernst?!?

Unterdessen erzählt Lana Del Rey den Medien, sie habe versucht, sich im
Pop-Geschäft nach oben zu schlafen – laut „SPON“ hat sie in einem Interview
berichtet, sie habe schon „mit vielen
Männern aus dem Musikbusiness geschlafen“, allein, die hätten ihr aber „nicht bei der Karriere geholfen“, was
das Popsternchen als „nervig“ bezeichnet.
Tschah, was soll ich sagen: es ist eben nichts mehr, wie es nie war. Die einen
Musiker barmen heutzutage, daß sie von Streamingdiensten zu wenig Geld bekommen
und deshalb weniger verdienen als ihre Zahnärzte. Die anderen Musikerinnen
wollen unser Mitleid, weil es nicht geholfen hat, mit „vielen Männern aus dem
Musikbusiness geschlafen“ zu haben. Was für eine Welt.

Letzten Endes am besten gefallen hat mir allerdings die Schlagzeile auf
der Titelseite des kurz „Österreich“ genannten Umsonst-Blättchens unseres
Nachbarlandes: „Wurst attackiert
Gabalier“ (denn: „Er trifft keinen
Ton richtig.“) heißt es da. Und wenn es nicht so völlig Wurst und
sommerlochig wäre, würde ich feststellen, daß man das kaum besser, schöner
& wahrer sagen kann: „Wurst attackiert Gabalier“! Man stelle sich vor.
Herrlich.

30.07.2014

Bobby Womack: Soul - Musik für Menschen, die um ihr Überleben kämpfen

„Ich stehe
nun mal für Soul, die großartigste Musik überhaupt, und wissen Sie, warum? Weil
sie dich mit deiner Seele verbindet. Es ist eine Sache, eine gute Show
abzuliefern. Da siehst du akrobatische Tänzer, grelle Kostüme, Menschen, die in
den Himmel fliegen – aber das ist nicht Musik, das ist Entertainment. Ich aber
singe über eine innere Wirklichkeit. Über die Hölle am Tag und die Hölle in der
Nacht, dann, wenn alles still wird und du nicht mehr davonlaufen kannst. Ich
singe das nicht nur für mich. Sondern für alle Menschen, die um ihr Überleben
kämpfen.“Bobby Womack, R.I.P.!

30.07.2014

Frankfurt Summer in the City eingestellt - Spielort für Weltmusik und Jazz verloren!

Wieder ein
schöner Spielort für Jazz und Weltmusik weniger in Deutschland: Der Frankfurter
Kulturdezernent hat den Etatposten für „Summer in the City“ (unter diesem Titel
wurden die beiden Reihen jahrzehntelang betrieben) aus dem Haushaltsplan der
Stadt gestrichen. Daraufhin hat der Mousonturm, der in den letzten Jahren diese
Reihen veranstaltet hat, die Konsequenzen gezogen.Besonders
tragisch: es fehlten laut Veranstaltern gerade einmal 20.000 Euro. Die Fans der
Musikreihen protestierten, es wurden über 5.000 Unterschriften gesammelt,
leider vergebens.

Mal
jenseits dessen, daß die Ignoranz der kommunalen Kulturpolitik gegenüber Jazz
und Weltmusik für Frankfurt ausgesprochen peinlich ist – aber daß die
Mousonturm-Betreiber die renommierten und beim Publikum zum Teil extrem erfolgreichen
Reihen in einem der schönsten Spielorte Deutschlands sang- und klanglos
streichen, ist auch etwas merkwürdig, um es mal vorsichtig zu formulieren. Es
fällt schwer zu glauben, daß es an den fehlenden 20.000 Euro Zuschuß gelegen
hat – das ist für subventionierte Kulturveranstalter eher eine
vernachlässigenswerte Summe. Und so fällt auf, daß der Mousonturm-Intendant
gerade froh zu sein scheint, endlich Jazz und Weltmusik los zu sein – in der
„FAZ“ wurde Intendant Matthias Pees jedenfalls zitiert, daß die „stilistische Erweiterung“ von „Summer
in the City“ jetzt das reflektiere, „was
im Lauf des Jahres im Mousonturm stattfindet“. Nur war die Idee von „Summer
in the City“ ja gerade, daß dort im Palmengarten etwas Besonderes stattfindet, etwas, das die Frankfurter Kulturlandschaft
bereichert. Die Open Air-Konzerte,
die diesen Sommer im Palmengarten stattfinden, bieten, unabhängig von ihrer
Qualität, bloß die üblichen Verdächtigen des Pop-Zirkus, wie sie landauf landab
allüberall spielen, und die, anders als Jazz und Weltmusik, eigentlich nicht
auf die Subventionen der Repräsentationskultur angewiesen sind (wenn man mal
von Rocko Schamoni und Blixa Bargeld absieht...). Der Palmengarten Frankfurt
ist jetzt lediglich noch eine weitere Abspielstation für Popmusik mit ihren
immer berechenbaren Strukturen und jederzeit eingelösten Erwartungen.Ein
hessisches Trauerspiel.

13.07.2014

Morrisey, Hosen und andere reaktionäre Pop- und Schlagermusik

Der
unverbesserliche Rassist Morrisey, der gern gegen Einwanderung generell und gegen
Schwarze speziell wettert und Chinesen als eine „Unterart“ („subspecies“), also
als Untermenschen bezeichnet, hat ein neues Album aufgenommen. Das zwar, wenn
ich die großen Artikel allüberall richtig quergelesen habe, fürchterlich langweilig
sein muß, das aber eben vom Popjournalismus ausführlichst rezensiert werden
mußte.Es geht
darin unter anderem um den „kleinen Mann“, der mundtot gemacht wird – eine
typische Narration der Neuen europäischen Rechten. Die Lyrics sind ein rechter
Schmarrn: „Brazil and Bahrein / Oh Egypt, Ukraine / So many people in pain.“ „Was würde man wohl zu solcher Lyrik sagen,
wenn sie nicht mit dem Nimbus des großen Morrisey versehen wäre? Das wäre das
wohl einfach Reimkäse“, schreibt Jan Wiele in der „FAZ“. Nur – es ist eben Reimkäse, um es freundlich zu
formulieren. Ein rechter Scheiß eben. Das ist Thilo Sarrazin, wenn der Popmusik
machen würde. Einfach ekelhaft und verabscheuenswürdig.

Warum aber
sagt das keiner?

Wir haben
uns daran gewöhnt. Die „Böhsen Onkelz“ spielen vor 200.000 gleichgesinnten in
Hockenheim („Die Banalität der Böhsen“, SPON), und ich erinnere mich, wie mir
vor zig Jahren der damalige Chef der damaligen „Virgin“-Plattenfirma zu
erklären versuchte, daß das eine ganz normale, tolle Rockband sei.Wir haben
uns daran gewöhnt, und manchmal wird sogar so getan, als ob das alles lustig
sei und keine neue reaktionäre Pop-Anmaßung. Heino etwa, der „blonde Barde“,
der „mit schnarrender Stimme
‚Schwarzbraun ist die Haselnuß’ von sich gab, erinnerte an die faschistischen
Urgründe dieser Wirtschaftswunderzeit. Das war nicht bloß Koketterie; Heino gab
sehr gern Konzerte für ein erlesenes Publikum im Apartheidregime Südafrika, dem
er zur großen Begeisterung alle drei Strophen des Deutschlandlieds zum besten
gab“ (Georg Seeßlen), also auch die verbotene Strophe „Deutschland,
Deutschland über alles“, die die Nazis so gerne sangen. Heute darf man nicht
sagen, daß Heino ein Nazi sei, das kostet 20.000 Euro – soviel Schmerzensgeld
mußte Jan Delay dem Schlagerstar dafür bezahlen. Denn heutzutage singt Heino
die Lieder von Schlagerrockbands wie der Ärzte oder der Toten Hosen, und ein
großer Teil der Popkritik findet das, anything goes, ausgesprochen drollig.Zwar sagte
Hosen-Frontmann Andreas Frege im SWR, daß Heino „30 Jahre lang das Aushängeschild der deutschen Hässlichkeit war",
andrerseits und andersherum haben die Toten Hosen Freddy Quinns reaktionäres
60er Jahre-Gammler-Lied „Wir“ gecovert („Wer
will nicht mit Gammlern verwechselt werden? Wir! Wer sorgt sich um den Frieden
auf Erden? Wir! Ihr lungert herum in Parks und Gassen, wer kann eure sinnlose
Faulheit nicht fassen? Wir!“ usw. usf.) und sich damit des gleichen
post-postmodernen Kniffs bedient, den Heino jetzt für sein Comeback nutzt, eben
eine dreiste Umkehrung.Aber mit Songs von „Tagen wie diesen“ drängt eben
auch der Schlagerrock der Hosen längst und mit aller Macht in die sogenannte
Mitte der Gesellschaft. Dort, wo auch Andreas Bourani („Ein Hoch auf uns!“, die Fußballmusik des deutschen Staatsfernsehens,
„Hier geht jeder für jeden durchs Feuer“,
„Wir schwörn uns ewige Treue“...), Thilo Sarrazin, die Onkelz und eben Morrisey
zuhause sind.

13.07.2014

Tortoise & Die Sterne in China II

Weiter unten in diesem Blog habe ich Ihnen von den Konzerten von Tortoise und
der Sterne im Beijinger Musikclub Yu Gong Yi Shan erzählt, und davon, daß der
Eintritt zum Konzert der letzteren umsonst war. Jetzt hat Frank Spilker von den
„Sternen“ versucht, seine chinesischen Tournee-Erlebnisse in einem Text für die
„taz“ festzuhalten – „Der ‚Universal
Tellerwäscher’ live aus China.“Darin schreibt er über das Beijing-Konzert seiner Band: „Ein ausverkauftes Haus...“ Eine schöne
Legende, nur leider eben unwahr. Denn „verkauft“ wurde ja eben gar nichts, das
Goethe-Institut hat aus deutschen Steuergeldern alles bezahlt, und kein Chinese
mußte auch nur einen Yuan für den Auftritt der Sterne in Beijing bezahlen. Und
wo nichts verkauft wird, kann, solange Logik nocheinen Sinn macht, auch nichts
„ausverkauft“ sein.
Und die Lehre aus dieser Geschichte? Um es mit Kanye West zu sagen:
Bitte glauben Sie Popmusikern nichts, aber auch wirklich gar nichts!

13.07.2014

Berliner Polizeipräsident

Nur damit ich das verstehe: „Polizei droht mit Einsatzende“,
titelte die „Berliner Zeitung“, als der Berliner Polizeipräsident der
Bezirksbürgerneisterin von Berlin-Kreuzberg drohte, den Einsatz der Polizei zu
beenden.Habe ich etwas verpaßt? Wurde das Grundgesetz
geändert, ohne daß darüber berichtet worden sei? Denn laut Gesetz ist die
Polizei dazu da, die Aufgaben, die ihnen von den jeweiligen Regierungen auf
Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene übertragen und aufgetragen werden,
bestmöglich umzusetzen. Davon, daß die Polizei nicht ein ausführendes, sondern
ein über die Politik regierendes Organ sei, ist im Grundgesetz nichts zu lesen.Das letzte Mal, daß die Polizei ein derartiges Eigenleben
führte, war während des Nationalsozialismus.Der Berliner Polizeipräsident, der sich über die
Grundprinzipien einer Demokratie hinwegsetzt, sollte entlassen werden.

13.07.2014

Al Qaida, Isis

„Was haben
Al Qaida, Saddam Hussein, Isis gemein?Daß sie
alle von dem Dutzend Länder finanziert, bewaffnet und ausgebildet worden sind,
die sich wahlweise ‚die freie Welt’ oder die ‚internationale
Staatengemeinschaft’ nennt.“Hermann L.
Gremliza, „Konkret“

01.07.2014

Verräterische Sprache

Verräterische Sprache.„Am Ende war es ein
Sieg des Willens.“(Joachim Löw nach dem Spiel gegen Algerien)

Nicht doch eher ein „Triumph des Willens“? Oder ein „Sieg
des Glaubens“?

An gleichen Tag meint Folkert Koopmans, Geschäftsführer von
FKP Scorpio, daß die Möglichkeit, daß im kommenden Jahr zwei Festivals in
zeitlicher und räumlicher Nähe zum bisherigen „Rock am Ring“ stattfinden
könnten, zu einem „Blutbad“ führen
könne, weil sich zwei Wettbewerber „finanziell
überbieten werden bei den Bands“ („SZ“).„Blutbad“?!? Awcmon. Ich dachte, ihr Festivalmoguln zockt
mit Kohle, statt mit Messer und Axt aufeinander loszugehen.Aber der Herr meints ernst, er entlarvt, wie er denkt oder,
falls er das eher nicht tut, wie er tickt:„Und dann fallen
leider auch ein paar Blutspritzer auf uns ab, weil es bestimmt ein paar Bands
geben wird, die wir auch haben wollen, und die dadurch im Preis-Ranking
ziemlich nach oben gehen“, so der potentiell blutverschmierte Koopmans in
der „Süddeutschen Zeitung“.

01.07.2014

Sympathische Nationalisten und ihre Hymnen

Ach, wie herrlich entspannt all die sympathischen Patrioten sind, die da
in schwarz-rot-gold rumlaufen, ob im brasilianischen Militärcamp um die
Nationalmannschaft herum, beim sogenannten Public Viewing vorm Brandenburger Tor, oder all die Leute,
die diese niedlichen schwarz-rot-goldenen Fahnen an ihren Autos herumfahren,
gerne auch schon mal mit dem Reichsadler drauf. Und dazu hören diese
sympathischen Patrioten dann sympathische Patriotenmusik. Wie etwa Stefan Raabs
WM-Song „Wir kommen, um ihn zu holen“:

„Wir werden allen
den Arsch versohlen,denn wir sind
wieder da.Müller, Neuer,
Schweinsteiger ziehen in die Schlacht.“Raab ließ sein Publikum abstimmen, ob es diesen Song lieber in einer
Rammstein-, einer Samba- oder einer Mainstream-Pop-Version hören wollte...

Oder Matze Knops WM-Song „Goldene Generation“:„Wir sind die
goldene Generation,die
schwarz-rot-goldene Generation.Die Zeit ist reif,
denn wir sind stark wie nie.Let’s go Germany.“Mercedes-Benz dagegen sponsert den WM-Song „Das dicke, dicke Ding“ von
Mister Santos:„Der Kader tanzt
Lambadaund ballert jeden
Gegner um.“

Und aus Brasilien erreicht uns dazu via Poldis Instagram-Account dieses
Foto aus dem schwarz-rot-goldenen Baller-Camp, also mitten aus der Schlacht:http://instagram.com/p/pHiH6RuJ4G/

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