08.08.2015

Live Nation: Markteintritt in D

Nun ist es also soweit, und der weltgrößte Livemusik-Konzern, Live
Nation, eröffnet eine Deutschland-Dependance. Und geleitet wird sie von Marek
Lieberberg und seinem Sohn André Lieberberg, die das Unternehmen Marek
Lieberberg Konzertagentur, das zu 100% CTS gehört, zum Jahresende verlassen
werden.Ich will ja nicht angeben, aber genau das habe ich bereits vor Jahren
vorausgesagt, auch öffentlich: Daß sich der größte Konzertkonzern der Welt,
Live Nation, auf Dauer einen der wichtigsten Konzertmärkte der Welt nicht
entgehen lassen und über kurz oder lang in den deutschen Markt einsteigen wird.
Und außerdem habe ich seinerzeit vorausgesagt, daß es nur eine Lösung für den
Markteintritt gebe, die Sinn macht, nämlich die Kooperation mit Marek
Lieberberg, dem größten deutschen Konzertveranstalter.

Was bedeutet dies alles nun?

Vereinfacht
gesagt: Für die Branche weitere Konzentrationsprozesse. „Dieser Schritt bildet die Fortsetzung der globalen Expansion unseres
Unternehmens und bietet unseren Sponsoren Zugang zu den Fans in einem wichtigen
europäischen Markt, während gleichzeitig das Inventar von Ticketmaster um
mehrere Millionen Tickets wächst“, sagte Live Nation-CEO Michael Rapino.
Interessant ist, daß Rapino in diesem Zusammenhang von Marktzugang der
Sponsoren spricht und vom Ticketing – also den beiden Bereichen, in denen
heutzutage in der Live-Industrie das große Geld gemacht wird. Konzerte? Pah.
Und Marek Lieberberg äußert sich in die gleiche Richtung: „Der Zugang zur Plattform von Live Nation und dem Sponsorship-Team wird
unser Business auf die nächste Ebene heben.“ "Unser Business", nicht die deutsche Konzertlandschaft...Live Nation unterhält
Partnerschaften mit der Creme de la creme der Großkonzerne: Von Apple über
Coca-Cola bis UPS reicht die Riege. Klar ist: Im Bereich der Großkonzerte wird
Live Nation Concerts Germany ab 2016 den deutschen Markt komplett dominieren,
Tourneen der Künstler, die Live Nation exklusiv unter Vertrag hat oder mit
denen man weltweit seit jeher zusammenarbeitet, werden nicht mehr „auf dem
Markt“ sein, sondern von Live Nation selbst veranstaltet werden- also Madonna
oder U2 (deren Managementfirmen zum Live Nation-Konzern gehören) und wie sie
alle heißen. Diese Marktdominanz wird natürlich auch auf den mittleren
Konzertbereich (Hallenkonzerte ab 2.000 Zuschauer) ausstrahlen – an Live Nation
Germany wird kein Weg mehr vorbeiführen. Und daß Live Nation Germany zuschauen
wird, wie Marek Lieberbergs traditionsreiche Großfestivals, die mit Abstand erfolgreichsten
hierzulande, künftig von MLK bzw. CTS fortgeführt werden, darf bezweifelt werden. Egal,
wer die Markenrechte haben wird: Der, der die Künstler hat, wird die
Großfestivals dominieren. Also Live Nation. Das wird auch mittelfristig eine
Gefahr für alle anderen Festivals darstellen, ob die in den letzten Jahren klug
aufgebaute Festival-Szene von FKP Scorpio (auch an FKP Scorpio hält CTS Eventim
eine Beteiligung, man darf also davon ausgehen, daß in der Vergangenheit
zwischen den CTS-Firmen MLK und FKP Scorpio, den beiden deutschen Festival-Dominatoren, keine harte
Konkurrenz-Situation bestanden haben dürfte – diese Idylle wird nun der
Vergangenheit angehören...), oder ob es unabhängige Festivals sind, die auf die
Bestückung mit Headlinern angewiesen sind.

Keine Frage: Die
kulturelle Vielfalt in der Popmusik-Szene ist durch den Markteintritt des Live
Nation-Konzerns noch mehr in Gefahr als auch schon. Für unabhängige,
mittelständische Konzertagenturen und Tourneeveranstalter wird die Luft dünner
werden.

Und da kann CTS
Eventim-Boß Schulenberg noch so munter vor sich hinpfeifen, natürlich wird der
Markteintritt von Live Nation gerade für das Ticketing von CTS massive
Auswirkungen haben, der Gelddruckmaschine von CTS Eventim, wie unlängst die zum
Teil über 50%igen Gebührenaufschläge auf die AC/DC-Tickets gezeigt haben. „Unser Expansionsschwerpunkt liegt weiterhin
im Ticketing“, postuliert Schulenberg – nur, wenn Live Nations Rapino sich
über den „Zuwachs von mehreren Millionen
Tickets“ bei Ticketmaster freut, müssen diese „mehreren Millionen Tickets“
ja andernorts fehlen. Und das wird bei CTS Eventim sein.

Für uns alle
dagegen gibt es hier natürlich noch ganz andere Fragenstellungen, die sich
durch den Markteintritt von Live Nation in Deutschland verschärfen: Wollen wir,
daß unsere Kultur immer weiter von Profitinteressen dominiert wird? Oder wäre
es nicht an der Zeit, wieder moralische Kategorien in die Diskussion
einzuführen – etwa, daß nicht alles, was legal ist, auch legitim ist. Es ist
zwar derzeit legal, haarsträubende Zusatzgebühren auf die Ticketpreise
draufzuschlagen und entsprechende Profite zu machen (und nochmal: die
Tickethändler betreiben ein reines Provisionsgeschäft, von den Zusatzgebühren
sehen Konzert- und Tourneeveranstalter und Künstler, also diejenigen, die die
Arbeit machen, keinen Cent!) – des ist aber gleichzeitig ohne jeden Zweifel moralisch illegitim
und höchst verwerflich. Der amerikanische Philosoph Michael Sandel sagt im
Interview mit der „Berliner Zeitung“: „Wer
die guten Dinge des Lebens käuflich macht, fügt ihnen Schaden zu. Wenn Märkte
in diese Bereiche vordringen und ihren Abdruck hinterlassen, verändern sie die
gesellschaftlichen Normen und Güter.“Ich bin fest davon
überzeugt, daß auch die Kultur zu den existentiellen Gütern gehört, die unser
Leben erst ermöglichen, wie die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir
trinken, wie Nahrung, Energie und Wohnraum. Die Unterordnung dieser
Grundkonstanten unseres Daseins unter Marktgesetze fügt uns Schaden zu. Diese
Diskussion müssen wir verstärkt führen. Warum nicht anläßlich des
Markteintritts des weltgrößten Konzertkonzerns?

08.08.2015

Wieviel verdienen Musiker bei Spotify und im deutschen Rundfunk?

Wieviel verdienen Künstler bei Spotify? Die unendliche Geschichte.Eine besondere Note gibt diesem Thema eine Reportage bei 1Live (WDR).
Dort werden munter Äpfel und Birnen verglichen: 1Live behauptet unter der
investigativen Überschrift „Das verdienen Künstler“, daß Musiker (wenn sie
„Interpret, Texter sowie Komponist“ eines Stückes sind), „für einmal bei 1LIVE
gespielt“ 24 Euro verdienen würden. Das steht in einem sehr großen, ähem,
Schwein. In einem viel kleineren Schwein steht, daß die Künstler für eine
verkaufte CD 1,50 € verdienen. Und das allerkleinste Schwein ist Spotify: für
einen Stream bei Spotify würden Künstler nur 0,003 € erhalten. 

       Quelle: Einlive.de, abgerufen August 2015

Mal abgesehen davon, daß ich die einzelnen Zahlen anzweifle – aber wenn
man die Zahlen für eine verkaufte
CD, die von einem Menschen gekauft
wird (und dann beliebig häufig angehört werden kann, ohne daß der Künstler noch
etwas verdienen würde), und die Zahlen für einen
Stream, den also ein Mensch
mindestens 30 Sekunden laufen läßt, mit den Einnahmen aus dem einmaligen
Airplay eines Stückes im Radio vergleichen will, wird man ja wohl, wenn man
seriös arbeitet, beim Radio-Airplay den Auszahlungsbetrag durch die Zahl der
Menschen dividieren müssen, die den Track hören. Und da wird es interessant:
Laut Medienanalyse 2014 hat 1LIVE vom WDR durchschnittlich 1.041.000 HörerInnen
pro Stunde (lt. MEEDIA 15.7.2014; Hörer zwischen 6 und 18 Uhr). Pro Hörer
erhalten die Musiker für einen bei 1LIVE gespielten Track also im vom WDR
gewählten Fallbeispiel ganze 0.000023 Euro. Ganz schön wenig. Oder, um im
1LIVE-Bild zu bleiben: ein verdammt winziges Schweinderl.

Und dennoch, klar, wird sich jeder Musiker und jede Musikerin über das
Airplay bei 1LIVE freuen. Auch wenn damit verdammt wenig Geld zu verdienen ist
(und all die MusikerInnen, die darüber jammern, wie selten ihre Stücke bei
Spotify angeklickt werden, sollten uns mal erzählen, wie häufig ihre Stücke
z.B. bei 1LIVE gesendet werden...). Wir lernen: es kommt nicht immer nur aufs
Geldverdienen an, sondern vor allem darauf, daß Musik verbreitet wird. Ob im
Radio oder auf der Abspielplattform, für die sich das Gros der MusikhörerInnen
weltweit nun einmal entschieden hat...

08.08.2015

Griechenland-Splitter

Griechenland.

Nur ein paar Denkanstöße und Gedanken- und Zitatfetzen, ausführliche
Analysen können Sie andernorts lesen. Wenn Sie aber nur einen Artikel lesen
können, möchte ich Sie sehr bitten, diesen Artikel des
Handelsblatt-Kommentators Norbert Häring zum Scheitern der Verhandlungen und
die Politik Wolfgang Schäubles zu lesen: „Warum Varoufakis so erbittert bekämpft
wurde und warum er sich auf Tim Geithner berufen kann“.Bitte bis zum Schluß lesen – dort nämlich zitiert Häring aus dem 2014
erschienenen Buch des früheren US-Finanzministers Tim Geithner, der über einen
Besuch bei Schäuble auf Sylt im Sommer 2012 berichtet:

„Er sagte mir, es gäbe immer noch viele in Europa, die
dachten, die Griechen aus der Währungsunion zu werfen, sei eine plausible – ja
sogar wünschenswerte – Strategie. Die Idee war, dass, wenn Griechenland draußen
wäre, Deutschland eher bereit wäre, die finanzielle Unterstützung zu leisten,
die der Euroraum brauchte, weil die Deutschen dann nicht länger Hilfen für
Europa als Herauspauken der Griechen interpretieren würden. Gleichzeitig wäre
ein Grexit traumatisch genug, um dem Rest Europas die nötige Furcht
einzuflößen, damit es mehr Souveränität für eine stärkere Bankenunion und
Fiskalunion aufgibt. Griechenland brennen zu lassen, so das Argument, würde es
leichter machen, ein stärkeres Europa mit glaubwürdigeren Brandschutzmauern zu
errichten. Ich war schockiert von dieser Argumentation.“(zitiert aus: Tim Geithner, „Stress Test“)

Es fällt ja auf, daß es durchaus nicht nur linke Stimmen sind, die die
brutale Austeritätspolitik Schäubles und Merkels kritisieren, sondern weltweit
ein beeindruckender Chor aus eher liberalen und sozialdemokratischen
Politikern, Wirtschaftsexperten und Nobelpreisträgern. „Deutschland (und einige andere nördliche Hardliner) erwarten die
bedingungslosen Kapitulation Griechenlands und die Beseitigung der griechischen
Regierung bzw. setzen auf eine Panikreaktion in Athen, die in einen Austritt
aus der Eurozone mündet.
Diese Haltung des Bundesfinanzministers, der sich nun offensichtlich die
Bundeskanzlerin angeschlossen hat, richtet ungeheuren Schaden in Europa, in
Deutschland und in der ganzen Welt an. Man beharrt auf einer unsinnigen Politik
(siehe den Brief der fünf Ökonomen) und demonstriert der ganzen Welt, dass man
die Macht und die Chuzpe hat, sie gegen jede Vernunft durchzusetzen.“
(Heiner Flassbeck)
„Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman
spricht in einem neuen Beitrag davon, daß die
Bezeichnung ‚This is a coup’ völlig korrekt sei. Er prangert eine ‚verrückte
Forderungsliste’ an. Seine Einschätzung ist klar: ‚Das geht über pure Rache
noch hinaus, es ist die völlig Zerstörung der nationalen Souveränität und das
Fehlen der Hoffnung auf Besserung.’ Er meint, dass es wohl ein Angebot war, das
Griechenland ablehnen sollte und nennt es ‚grotesken Verrat an allem, was das
europäische Projekt vorgab zu repräsentieren’.
Daß er die Fratze des hässlichen Deutschlands hinter den Vorgängen sieht,
daraus macht er keinen Hehl. Berlin gehe es um Erniedrigung, nicht einmal die
vollständige Kapitulation habe zur Genugtuung ausgereicht. Deutschland wolle
nicht nur ‚einen Regimewechsel’, sondern ‚die totale Demütigung’. (...) ‚Das
europäische Projekt - ein Projekt, das ich immer gelobt und unterstützt habe -
hat gerade einen furchtbaren, vielleicht sogar tödlichen Schlag erhalten. Und
was immer man von Syriza oder Griechenland hält - die Griechen haben es nicht
verbockt.’
Der Wirtschaftsexperte macht auch deutlich, daß der ganze Vorgang mit Ökonomie
praktisch nichts mehr zu tun hat. ‚Laßt uns darüber im Klaren sein: In den
vergangenen Wochen haben wir gelernt, dass Mitglied der Eurozone zu sein
bedeutet, daß die Gläubiger deine Wirtschaft vernichten können, wenn du aus der
Reihe tanzt.’ Er unterstreicht noch einmal, daß auch die härtesten
Sparprogramme ohne den unausweichlichen Schuldenschnitt ‚eine zum Scheitern
verurteilte Politik ist’.“ (Telepolis)

„Was ist der Unterschied zwischen der Mafia und der
gegenwärtigen europäischen Führung? Die Mafia macht dir ein Angebot, das du
nicht ausschlagen kannst. Die Führer der Europäischen Union machen dir ein
Angebot, das du weder ausschlagen noch annehmen kannst, ohne dicht dabei selbst
zu vernichten.“ (Irish Times)

„Das macht auch die Härte deutlich, die von
Schäuble ausgeht. Er will ein Exempel statuieren, ein neoliberales Exempel. Wer
in einem Euroland unter die Räder gerät, egal aus welchen Gründen, der wird zu
einer solchen Politik gezwungen. Dann werden die Regeln definiert, und die sind
neoliberal. Wer die nicht einhält, muss künftig wissen, dass er dann kein Geld
mehr bekommt. Egal ist dabei auch, ob eine Fehlkonstruktion des Euro dafür
verantwortlich ist. Das richtet sich klar gegen Spanien und Portugal, die ja
auch schon zu Kreuze gekrochen sind, aber auch an die Krisenländer wie Italien
und Frankreich. Es ist natürlich ein Signal an die gesamte EU, wo diese
Spardoktrin insgesamt durchgesetzt werden soll. (...) Die Marschrichtung ist
klar. Ich habe mir die Euro-Erklärung vom 12. Juli nochmal durchgelesen. Da
steht klipp und klar drin, dass kein Gesetz mehr gemacht werden darf, ohne die
vorherige Kontrolle durch die Institutionen (ehemals Troika). Da steht auch,
dass nicht mal darüber öffentlich debattiert werden darf, bevor die nicht ihre Meinung
zu dem Gesetz vorgetragen haben. Das ist ein total organisierter
Souveränitätsverlust.“ (Rudolf Hickel)

Der französische Demograf Emmanuel Todd im Interview mit dem belgischen Soir über das
„von Deutschland und seinen baltischen, polnischen etc. Satelliten
kontrollierte Europa, das zu einem hierarchischen, autoritären, 'austeritären' System geworden ist": „Für
François Hollande ist das die
Minute der Wahrheit. Wenn er die Griechen fallenlässt, dann stellt er sich in
die Tradition jener Sozialisten die seinerzeit dem Maréchal Pétain unbeschränkte Vollmacht erteilten... Die reale
Tragik der Situation ist, dass Europa ein Kontinent ist, der sich im 20.
Jahrhundert in zyklischer Weise unter
deutscher Führung umbringt." (Perlentaucher)

„Wenn man Druck
macht auf ein Volk, dann steht es irgendwann auf. Das sei an die Adresse jener
gerichtet, die uns hier jeden Tag an die Wand stellen wollen. Das vom Geld
dirigierte Europa erscheint mir inzwischen wie eine riesige Spinne, und jeder,
der in ihr Netz gerät, ist verloren.“ (Mikis Theodorakis in der FAZ)

„Europa war und ist ein Konglomerat konkurrierender
Nationalstaaten, die ihre Ressentiments als Kultur verbrämen, die unbedingt
erhabener sein soll als die amerikanische und auch als die der Nachbarn – plus
Binnenmarkt und tödliche Außengrenze. Da der Kapitalismus fortwährend
Disparitäten schafft, weil Kapital dahin strömt, wo Profit winkt, zerfällt
Europa in Sieger und Verlierer, Gläubiger und Schuldner, Hegemon und
Peripherie, in der antieuropäische und antideutsche Stimmungen blühen und jede
Volkstanzgruppe eine eigene Nation begehrt. (...) Die Ursache der deutschen
Härte ist eine Mixtur aus deutscher Ideologie, ökonomischen Zwängen und
politischem Kalkül. Der Süden war im Bewußtsein der Deutschen stets gleichzeitig
ein Paradies und eine Bedrohung – früher seiner Moral, heute seiner
Ersparnisse. Der immer strebend sich bemühende Zwangscharakter kommt mit sich
eher ins Reine, wenn er die abartig findet, die dem Kapitalismus Leben
abtrotzen und einen entspannten Eindruck machen.“ (Rainer Trampert
in Jungle World)

Ach ja, und zum in deutschen Medien so gern verbreiteten Märchen über
die „faulen Griechen“: Laut Statistik der OECD betrug die mittlere
Jahresarbeitszeit 2014 in Griechenland 2042 Stunden. In Deutschland wurde
dagegen im gleichen Jahr im Durchschnitt 1371 Stunden gearbeitet. Fleißige
Griechen! Faule Deutsche?

08.08.2015

Facebook verunreinigt mich

„Facebook
verunreinigt mich." (Lars Eidinger)Ach ja, falls Sie dieser kleinen Klitsche auf der Fressenkladde folgen
wollen, wählen Sie bitte nicht mehr „Konzertagentur Berthold Seliger“, sondern
„Berthold Seliger – Büro für Musik, Texte & Strategien“. Hier.

31.07.2015

Generalbundesanwalt ermittelt gegen Netzpolitik.org

Und es wird alles immer noch schlimmer:Der bundesdeutsche Generalbundesanwalt, der gegen befreundete
Geheimdienste nicht vorgehen will, wenn diese Bürger und Politiker
ausspionieren, ermittelt gegen zwei Journalisten, die von ihrem Grundrecht auf
Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht und über geheime Pläne des Geheimdienstes
berichtet haben, die Internetüberwachung hierzulande drastisch auszuweiten mit
einer neuen, separaten Verfassungsschutz-Einheit.Der bundesdeutsche Verfassungsschutz, also die Organisation, gegen die
der Vorwurf kursiert , die Fahndung gegen den rechtsradikalen terroristischen
Untergrund, gegen den NSU also, (ich füge hinzu: mindestens!) „gezielt sabotiert
zu haben“ („Zeit Online“), fühlt sich bedroht. Die Journalisten von
netzpolitik.org sollen „Landesverrat“ begangen haben.Ich schließe mich dem „Perlentaucher“ gerne an und bitte um
Unterstützung für die Kollegen von „Netzpolitik“:„Netzpolitik hatte über Pläne zur "Massendatenauswertung von
Internetinhalten" berichtet
und eine Verfassungsschutz-Einheit zum Ausbau der Internet-Überwachung enthüllt.
(Die Texte sind wegen Überlastung von netzpolitik.org auch auf landesverrat.org gespiegelt.) Mehr
auch bei arstechnica.com. Spenden
für Netzpolitik sind hier
möglich.“Es geht darum, unsere Grundrechte und unsere Verfassung zu schützen –
gegen die sogenannten Verfassungsschützer, gegen den Generalbundesanwalt.

Und: wo ist eigentlich der Generalbundesanwalt, wo ist die Polizei, wo
ist der sogenannte Verfassungsschutz, wenn man sie braucht? Die „taz“ enthüllt
heute, daß Deutsche dieses Jahr bereits mehr als zweihundertmal
Flüchtlingsunterkünfte angegriffen, Asylbewerber bedroht oder geschlagen und
rechtsradikale Parolen gebrüllt haben. Die Karte des häßlichen Deutschlands,
die Karte des rechten Terrors...

31.07.2015

Bundeswehrkapelle auf Wacken-Festival

Die Bundeswehr im Out-of-area-Einsatz, nämlich beim Heavy-Metal-Festival
in Wacken.(Bild: Roland Alpers / Presse- und Informationszentrum der Streikräftebasis)Der Mann, der rechts auf diesem Bild so verkrampft den Metal-Gruß zur
Schau stellt, also den Teufelsgruß (oder doch eher eine Pommes-Gabel), ist
Flottillenadmiral Michael Busse, der in Siegburg anläßlich der Vorpremiere des
„einmaligen Crossover-Projekts“ der Band U.D.O. mit dem Musikkorps der
Bundeswehr laut „Musikwoche“ tief befriedigt feststellte: „Ich bin begeistert von dem, was diese beiden musikalischen Formationen
zusammen auf die Bühne bringen.“Udo Dirkschneider (die Pommesgabel links auf dem Bild) erhielt als „Anerkennung für die hervorragende
Zusammenarbeit das Verbandsabzeichen des Musikkorps zum Anstecken“.Und so spielte das Bundeswehrmusikkorps also beim Wacken-Festival auf,
und „Arte“ überträgt als Teil des Festivalsommers „Summer of Peace“.So weit sind wir also gekommen: Rockfestivals als Propagandashow für
Militarismus.Herbert Marcuse jedenfalls sagte, Teufelsgruß hin, Pommesgabel her: „Nicht
das Bild einer nackten Frau, die ihre Schamhaare entblößt, ist obszön, sondern
das eines Generals in vollem Wichs, der seine in einem Aggressionskrieg
verdienten Orden zur Schau stellt."Da können sie noch so rockig dahermusizieren mit
ihrer Bundeswehrkapelle, ich zitiere Kurt Tucholsky: „Soldaten sind Mörder.“

31.07.2015

Eleonore Büning zur Popkritik

In der „FAS“ schreibt die formidable Klassik-Expertin Eleonore Büning
einen interessanten kleinen Aufsatz zum Thema „Warum schreiben Popkritiker über
alles, nur nicht über die Musik?“ (steht leider nicht online, kann/will die
FAZ/FAS nicht...)Frau Büning weist
darauf hin, daß Popmusik musikalisch sozusagen einfallslos ist, daß sie sich
der musikalischen Bausteine, die seit dem 17. Jahrhundert vorhanden und bekannt
sind, mehr oder minder ohne Verfeinerung oder gar Weiterentwicklung bedient: „Die Bausteine für eine Rockballade oder
einen Schlager unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen für ein Schubertlied
oder eine Gluckarie oder ein Monteverdimadrigal oder ein neapolitanisches
Volkslied oder ein jiddisches Wiegenlied: Kadenzformel, Dreiklang, Terzfall,
Sextsprung, Lamentosekunde, Auftakt und Synkope - was halt die gute, alte
Musikrhetorik so an emotionalen Stimulantien hergibt. Das funktioniert seit
Jahrhunderten tadellos...“Mal abgesehen
davon, daß ich bezweifle, daß die meisten Popmusiker und Popkritiker auch nur
eine Ahnung von Kadenzformeln, Terzfall, Sextsprung oder Lamentosekunden haben
(und damit meine ich nicht, daß sie nicht wissen, wie das heißt, sondern, daß
sie diese Stilmittel weder kennen noch bewußt einsetzen...), hat Frau Büning
völlig Recht, wenn sie sagt: „Das
Wesentliche am Pop ist nicht die Musik, es ist die mit musikalischen Mitteln
geweckte große Emotion, es sind die dadurch transportierten mehrheitsfähigen
Bekenntnisse, Identifikationsmodelle, Lebenswelten,
Selbstdarstellungskonzepte.“Und daß sie von
einem Popkritiker erwartet, daß er uns solche sozialen und politischen Phänomene,
eben: das Gesellschaftliche an der
Popmusik erklärt. In der Realität (und wenn ich über die Musikkritik nöle, dann
immer in dem Wissen, daß es da draußen auch ein paar wirklich hervorragende PopkritikerInnen
gibt, die BalzerBruckmaierWalter und wie sie alle heißen – eben die geliebten
und bewunderten Ausnahmen, die die Regel bestätigen...), in der Realität also
passiert leider das Gegenteil: Endloses Zitieren von Songtexten und das noch
endlosere Name-Dropping sind die Regel. Nochmal Eleonore Büning:„Was nützt es, zu wissen, in welcher inzwischen
aufgelösten Band Y oder Z der Rhythmusgitarrist der Gruppe O, P oder Q schon
mal vorher gespielt hat, wenn schon die Gruppen A oder B nur den Leuten bekannt
sind, die neben dem Kritiker in der Fankurve saßen? Manchmal denke ich, diese
hochnäsigen Kollegen von der Popmusikfraktion, die schon so jung so verknöchert
herumschwadronieren, verstecken sich und ihre Meinung hinter Gebirgen von Namen
aus demselben Grund, aus dem sich die klassischen Musikkritiker früher hinter
Wällen aus Adornozitaten versteckt haben: Es handelt sich um
Verteidigungswälle. Adorno nannte solche sich abkapselnden Gruppen von
Musikliebhabern, die mit ihrem exklusiven Musikgeschmack unter sich bleiben
wollten: ‚Ressentimenthörer’.“

31.07.2015

Patti Smith - Qualitätspresse zu Horses

Denn es ist schon erstaunlich, wie viel Blödsinn und Fehlinformationen
unsere Qualitätspresse in ihre Konzertkritiken packen kann – nehmen wir das
Beispiel eines Auftritts von Patti Smith mit ihrem „Horses“-Programm vor 5.000
enthusiastischen Fans beim Münchner Tollwood-Festival: Die Süddeutsche berichtet, daß Patti am Sonntag "in der Oper war", interessant, bis ich das las  dachte ich, daß sie am Sonntag zuvor in
Lörrach auf der Bühne stand, während sie Waltraud Meiers grandiose
Isolde-Interpretation auf YouTube angesehen hat, wie sie dem Publikum
auch erzählte - aber so etwas will die SZ, die das Internet bekanntlich hasst,
wohl nicht schreiben… dafür erfindet die SZ flugs einen Namen für Patti Smiths
Band, die heißt bei der SZ nämlich jetzt "The Horses", also: "mit ihrer Band The Horses",
während die Fans bisher davon ausgingen, daß das Album von Patti
Smith and her band "Horses" heißt, aber wer will sich mit
solchen Kleinigkeiten aufhalten… sind halt echte Experten bei der SZ…  Der Münchner Merkur behauptet dagegen, daß Patti Smith bereits seit 10
Jahren das komplette "Horses"–Album live spielt, obwohl das doch 2015
ein einmaliges Projekt ist.Und die „Stuttgarter Zeitung“ bemäkelt anderntags, daß Patti Smith und
ihre Band in Winterbach nicht ein ganz besonderes Programm spielen würden,
sondern doch tatsächlich wie schon an den Tagen vorher ein ähnliches Set: „Dagegen spricht die Performance, die öder-
und vorhersehbarerweise bis ins Detail den bisherigen Konzerten dieser Tournee
entspricht, deren Verlauf man im Netz nachschmökern kann“, mäkelt ein Jan
Ulrich Welke, so, als ob seine Stuttgarter Zeitung nicht „öder- und
vorhersehbarerweise“ auch die nämlichen Nachrichten verbreiten würde, die man
landauf landab in allen Zeitungen lesen kann. Und als ob das Publikum in jedem
Ort erwarten würde, daß eine Künstlerin speziell an diesem Abend ein gänzlich
anderes, exklusives Programm spielen würde. Oh, Verzeihung, das Publikum ist ja
nicht doof, das erwartet so etwas nicht, das freut sich über die „Horses“-Show
und andere Stücke – mit der Erwartung ist ja der öde und vorhersehbare Herr
Welke ganz allein. Der dann gleich noch eine unwahre Behauptung aufstellt,
kommt ja nicht drauf an: „Because the
Night folgt – so auch in Winterbach – allabendlich nach der Pflichtübung des
Albumdurchspielens“, behauptet Herr Welke, was aber nicht stimmt, „Because
the Night“ spielte Patti Smith bei dieser Tour erstmals in Singen auf dem
Hohentwiel, also alles andere als „allabendlich“. Aber warum sollte ein
Musikjournalist, dem es nur auf öde Pflichterfüllung ankommt, sich mit den
Tatsachen herumschlagen, solange er sein Zeilenhonorar auch für windige und
unwahre Behauptungen erhält...

31.07.2015

NDR bewirbt Festivals

Und wie sogenannte Musikjournalisten ihren sogenannten Musikjournalismus
heutzutage letztlich verstehen, zeigt entlarvend diese Mail, die ich dieser
Tage erhielt und die nur ein Beispiel von vielen ist (Hervorhebung von mir):„Als Reporter für
NDR Info und den NDR Nachtclub bin ich für das Festival XXX akkreditiert.Ich werde von dort
mehrere, teils längere Beiträge absetzen, um
das Festival zu bewerben...“Es geht dem in diesem Fall öffentlich-rechtlichen Journalisten also
darum, das Festival, das er doch eigentlich journalistisch begleiten,
kommentieren, ggfs. auch kritisieren sollte, zu „bewerben“. Nun, genauso hört
sich das dann eben meistens auch an auf den meisten unserer Rundfunksender: ein
einziger endloser und zu weiten Teilen ununterscheidbarer Stream von Dudelei,
bezahlten Werbeeinblendungen, unbezahlten, als journalistische Beiträge
getarnten Werbeeinblendungen, wieder Dudelei usw. usf.Der deutsche Musikjournalismus ist ganz schön auf den Hund gekommen...

08.07.2015

SPON: Diese Bücher werden wir im Sommer lesen

„Spiegel Online“ hat am 2.7.2015 einen großen Beitrag auf der Homepage:
„Reiselektüre: Diese Bücher werden wir im Sommer lesen“. Sechs
SPON-RedakteurInnen und AutorINnen berichten von ihrer geplanten Reiselektüre.
Interessant ist, daß zufällig – denn natürlich kann das nur Zufall sein... – zu
fast allen genannten Reiselektüren mitten im Artikel Anzeigen der Verlage zu
genau den angepriesenen Büchern stehen. Neun Bücher werden vorgestellt, von
sieben gibt es eine Anzeige.Ich schlage ein Sommerrätsel vor: Was meinen Sie war zuerst da? Die
„SPON“-Redaktion, die den Verlagen vorschlug, deren Titel zu besprechen, wenn
sie dafür Anzeigen schalten würden? Oder die Verlage, die „SPON“ vorschlugen,
man könne doch mal...Wie runtergekommen die sogenannte Literaturkritik ist, zeigt dieses
Beispiel perfekt.Ach ja: Auf die Initiative des renommierten Kritikers Wolfram Schütte
für eine Literaturzeitung im Netz ist bisher praktisch kein Verlag
eingestiegen. Denn für die Verlage sind die Zeitungen und Zeitschriften immer
noch die anerkannten Relevanzmaschinen. Mit denen legt man sich nicht an. Bei
denen kauft man sich höchstens ein.

15.06.2015

Berlin Festival zwischen Konsum und Kontrollgesellschaft

Natürlich war beim diesjährigen „Berlin Festival“ alles super, super und
nochmal super, die Festivalchefin verstieg sich gar zu der Behauptung:„Die Stadt Berlin
hat ihr Äquivalent im Berlin Festival gefunden, mit all seinen Facetten, der
Musik, der Kunst, der Kultur, den Geheimnissen und der Menschen aus Berlin und
allen Fans der Stadt.“ Na denn...

Vor allem aber hat das „Berlin Festival“ ein scheußliches
„Cashless-Bezahlsystem“ eingeführt, das dazu führt, daß die
Festivalorganisatoren, also die Konzerne, detaillierte Datensätze – also
Persönlichkeitsprofile – von allen Fans inklusive deren Konsumgewohnheiten
(z.B. welche Shows sie auf dem Festival sehen, welche Getränke sie zu welcher
Show und zu welcher Tageszeit trinken, was sie wann und wo essen) in Verbindung
mit Name, Anschrift, z.T. Kreditkarten und eMail-Adressen erhalten. „Neue Notizen aus der
Kontrollgesellschaft“ hat der geschätzte Jens Balzer in der „Berliner
Zeitung“ einen hervorragenden Artikel über dieses Problem überschrieben –
Pflichtlektüre, würde ich sagen. Zumal das große Spiel mit den Daten der
KonzertbesucherInnen, also Big Concert Data munter weitergeht: Gerade hat FKP
Scorpio bekanntgegeben, auf dem Hurricane dieses Jahr die gleiche Bezahltechnologie
– statt Bargeld tragen die Festivalbesucher einen Bezahlchip auf dem
Festivalbändchen – einführen wird.

Beim „Berlin Festival“ war das bargeldlose Datenschnüffel-System
jedenfalls ein grandioses Fiasko:„Hatte man auf dem
Berlin Festival Durst, mußte man sich zunächst in eine der sehr langen
Schlangen vor einer der wenigen Festivalbändchen-Aufladestationen einreihen, um
nach einer Wartezeit von durchschnittlich einer halben Stunde dazu in die Lage
versetzt zu werden, seinen Festivalbändchen-Computerchip dergestalt aufzuladen,
daß man dem Bändchen-Aufladepersonal einen Geldschein überreichte und das
Handgelenk mit dem Chip fest auf eine große mattgraue Sensorfläche presste.
Woraufhin auf einem kleinen mattgrauen Monitor die Geldsumme erschien, die nun
auf dem Bändchenchip gutgeschrieben war. Alsdann konnte man sich ein weiteres
Mal in eine sehr lange Schlange einreihen, nunmehr vor einem der Tresen, um
dort ein Getränk zu erwerben, welches wiederum durch Auflegen des Handgelenks
mit dem Chip auf eine mattgraue Sensorfläche beglichen wurde.“(Jens Balzer, „Berliner Zeitung“)

„...wären da nicht die Nötigungen des erstmals auf einem deutschen
Festival eingeführten bargeldlosen Bezahlsystems. Es zwingt nicht nur zu
zusätzlichem Schlangestehen und ständigen Abwägungen, wann man wie viel auf den
ins Einlaßbändchen integrierten Chip lädt, sondern dürfte auch zu einer netten
Restbetrags-Geschenksumme für das Festival geführt haben. Denn um die
Pfand-Euros, die auch aufvdem Chip gebucht werden, auszugeben, muß man sein
Konsumverhalten schon sehr genau kalkulieren oder bereit sein, die Erstattung
des Betrages im Netz abzuwickeln, wobei man den Organisatoren unweigerlich ein
Datenpaket inklusiv eTrinkverhalten-Profil auf dem Festival überläßt. Die
Marktforschngsabteilungen der Getränkekonzerne wird es freuen, datenbewußte
Musikfans nicht. Daß am Finaltag um Mitternacht das Pfandsystem in der Arena
ausfiel, spricht ebenfalls gegen den Cashless-Zwang.“(Nadine Lange, „Tagesspiegel“)

Doch wie hört sich das alles in der Presseerklärung des „Berlin
Festival“ an? So:„Zum Jubiläum
wurde außerdem das Cashless-Bezahlsystem erfolgreich eingeführt – als das erste
auf einem Festival in Deutschland – und von Besuchern gut angenommen.“Musikindustrie-Sprech. Alles super. Immer. Und wenns mal nicht super ist? Ist alles super.

15.06.2015

Roskilde Festival Non-Profit

Aber es gibt eben auch noch Festivals, die Haltung zeigen und nicht mit
der Konsumindustrie im Bett liegen. Das Roskilde-Festival ist seit 1972 ein
Non-Profit-Festival, die Überschüsse werden an soziale und ökologische
Initiativen verteilt. Dieser Tage erhielt der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein
vom Roskilde Festival 40.000 Euro für seine Arbeit. Der Flüchtlingsrat sichert
Flüchtlingen bessere Bedingungen, berät sie bei rechtlichen Fragen und
finanziert juristische Hilfe.

Seit 1972 hat das Roskilde Festival über 27 Millionen Euro an
gemeinnützige Organisationen gezahlt. Gleich ein Grund mehr, sich aufs
diesjährige Roskilde Festival zu freuen!

15.06.2015

Der Papst und die Hochzeitsnacht

Im monatlich erscheinenden Magazin „Folio“ der „Neuen Zürcher Zeitung“
gibt es eine Serie namens „Wer wohnt da?“ Es werden ein großes und zwei kleine
Fotos einer Wohnung gezeigt, und dann mutmaßen eine Psychologin und ein
Innenarchitekt, wer wohl in dieser Wohnung wohnen mag, und begründen dies. Und
auf der nächsten Seite werden dann die tatsächlichen Bewohner der Wohnung
vorgestellt. Als erfahrener Medienjunkie lese ich mir das immer gerne durch, es
ist nicht uninteressant und mitunter ausgesprochen spaßig.

In der Juni-Ausgabe wurden die Bewohner des „Weidli“, einem Haus
inmitten eines Waldes bei Zug vorgestellt. Und der männliche Bewohner Franz
Hürlimann, Vater eines Schweizergardisten, sagte diese bemerkenswerten Sätze:

„Die Eltern von
Gardisten werden vom Papst in einer Privataudienz empfangen. (...) Für mich als
Geschichtsliebhaber war es ein gewaltiges Gefühl, im apostolischen Palast zu
stehen. Den Franziskus sahen wir aus nächster Nähe, Benedikt aber hat mir
damals sogar zum Geburtstag gratuliert. Ich habe einen Bückling gemacht. Er
wünschte mir Gesundheit und ein langes Leben. Das hat mich tief beeindruckt,
davon werde ich mein ganzes Leben zehren. Die Hochzeitsnacht ist irgendwann
vergessen, das aber nie.“

15.06.2015

Geißler: Deutsche Bank hält Kohl an der Macht

„Die Berliner
Siegessäule würde ich sofort sprengen“, sagte Heiner Geißler im Interview mit dem
„SZ Magazin“ und begründete dies sehr brauchbar, und wie zu erwarten war,
berichtete die Hauptstadtpresse im großen Stil. Unsere Siegessäule! Die
Goldelse! Sprengen!

Dabei ging ein anderer, sehr erstaunlicher Absatz aus diesem Gespräch
unter: Geißler berichtet von der Situation 1989, wie einige führende
CDU-Politiker Helmut Kohl als Parteivorsitzenden stürzen wollten, und warum
dieses Vorhaben in letzter Minute scheiterte.

„Geißler: ...und erst dann kam bei
vielen die Überlegung: So kann es nicht weitergehen, daß er grad macht, was er
will. Kandidieren gegen ihn wollte Lothar Späth. Der hat dann zurückgezogen in
letzter Minute.SZ Magazin: Warum?Geißler: Er ist zur Deutschen
Bank, ich will nicht sagen: zitiert worden, aber jedenfalls war er dort. Die
Banker haben ihm gesagt: Kohl soll bleiben.SZ Magazin: Die Deutsche Bank hat also dafür gesorgt, daß Kohl weiter an
der Macht bleibt?Geißler: Das kann man so sagen.“

Jetzt wird es Sie nicht überraschen, daß mich das Faktum, daß die
Deutsche Bank (oder zum Beispiel Bertelsmann, siehe Frau Merkels Besuch
dortselbst unmittelbar nach ihrer gewonnen Bundestagswahl) hierzulande
politisch das Sagen hat, nicht wirklich überrascht. Überraschend ist
allerdings, daß ein CDU-Politiker das wie selbstverständlich ausplaudert. Die
naiv erstaunten Fragen des „SZ Magazins“ dagegen waren schon wieder weniger
überraschend...Quod erat demonstrandum.

15.06.2015

Meinungsfreiheit macht Erde zur Scheibe

Eine Ursula Weidenfeld durfte sich am 25.5.d.J. im „Tagesspiegel“ entrüsten:„Die
Meinungsfreiheit und die Freiheit der Forschung werden heute nicht mehr von
autoritären Kräften bedroht. (...) Nein: Die Meinungsfreiheit wird von ihren
Freunden beiläufig ausgehöhlt und kaum verschämt abmontiert. (...) Die Sprache
der Professoren soll sich ändern, das Denken auch. (...) Wäre das immer schon
so gewesen, wäre die Erde heute noch eine Scheibe.“

Ob sie uns verraten kann, bis wann genau die Erde eine Scheibe war, und
wann sie denn zur Kugel mutierte? Die wiederum verschämt abmontiert wurde?
Natürlich ahnen wir, was diese Redakteurin der Qualitätspresse zu sagen
beabsichtigte, würde ihr die deutsche Sprache als Arbeitsmittel zur Verfügung
stehen...

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