09.01.2010

Und Ansonsten 2010-01-09

Kleines
Ratespiel zu Beginn - wer hat dies gesagt:
"Das Abholzen von
Wäldern ist mit Massenmorden im Krieg vergleichbar. Dabei führt der Pilot des
Bombers und der Pilot des Vernichtungsprozesses im Wald kaum bewußt, gefühllos,
die Befehle zum Massenmord aus."
War es der Präsident der Islamischen Republik Iran, Mahmud Ahmadinejad, oder
war es der Staatssekretär der "Grünen" im saarländischen
Umweltministerium, Klaus Borger?
Und nun Frage Nummer zwei zu diesem Thema - wer hat dies hier gesagt:
"Wenn jemand einen Baum
fällt, dann ist das, als wenn er einem Engel die Flügel abschnitte. Wer die
Umwelt verschmutzt, begeht eine Erzsünde."
War es der Staatssekretär der "Grünen" im saarländischen
Umweltministerium, Klaus Borger, oder war es der Präsident der Islamischen
Republik Iran, Mahmud Ahmadinejad?
(wer an einer verschärften Version des Ratespiels teilnehmen möchte, beantworte
die Frage: welches der beiden Zitate fand sich in der "taz", welches
in der "Jungle World"?)

* * *

Im Fernsehsender "Arte" wird am 21.12.2009 die chinesische
Skulpturengruppe "Hof für die Pachteinnahme", eines der wichtigsten
Werke der modernen chinesischen Kunstgeschichte und derzeit in der Frankfurter
"Schirn" zu sehen, mit diesem merk-würdigen Satz vorgestellt: "Kunst für den Klassenkampf - und
dennoch Kunst"... Und "dennoch" Kunst also.
Über keine bürgerliche Kunst gleich welcher Epoche würde so berichterstattet.
Man stelle sich vor - Haydns Symphonien, komponiert für einen Feudalherren -
und dennoch Kunst... Bachs Weihnachtsoratorium - komponiert für seinen
Arbeitgeber, die evangelische Kirche, und "dennoch" Kunst.
Der Kultursender mit einer "anspruchsvollen" Form des allseits
beliebten China-Bashings...

* * *

Wendelin Franz Egon Luitwinus Maria von Boch-Galhau, ehedem WG-Genosse von
Andreas Baader (RAF) und heute Aufsichtsrat seines Familienunternehmens
Villeroy & Boch und Vorsitzender des "Saarländischen
Privatwaldbesitzerverbandes", hatte mit der Verlagerung des
Unternehmenssitzes von Villeroy & Boch nach Luxemburg für den Fall gedroht,
daß im Saarland eine Regierung von SPD, Linken und Grünen zustande komme.
Wie singt Stefan Stoppok so schön?
"Und das Klo, zu dem ich kroch,
war von Villeroy und Boch."

* * *

"Lecker ist ein
Fernsehkochwort geworden; es klingt nach Porno mit Lebensmitteln. Falls jemand
noch einen Grund gegen das Berufskochen braucht: Einer heißt Johann Lafer. Im
Verein mit der Porzellanfirma Villeroy & Boch heckte Lafer das Wortspiel
"Essthetik" aus - mit "E" und Doppel-s -
"Essthetik". Allein dafür wird er dereinst in der Wortspielhölle
schmoren und köcheln, langsam und qualvoll, versteht sich."
Wiglaf Droste in "Häuptling Eigener Herd"

* * *

Die "Musikwoche" meldet: "Der
Veranstaltungsriese Live Nation und der Getränkehersteller Coca-Cola haben eine
mehrjährige strategische Sponsoring- und Marketingkooperation geschlossen.
Coca-Cola firmiert künftig als "offizieller Softdrink" von Live
Nation."
Alles braune Brause also.
(Das offizielle Getränk bei Konzerten dieser Agentur ist bis auf Weiteres der
2007er Pinot Noir von Holger Koch. Ersatzweise auch ein Marc de Bourgogne von
Joseph Drouhin. Nun wird Karl Bruckmaier über Rotweintrinkermusik lästern,
nehme ich an.)

* * *

Daß der Musikwissenschaftler Hans Heinrich Eggebrecht im Zweiten Weltkrieg der
Feldgendarmerie-Abteilung 683 angehörte, das auf der russischen Halbinsel Krim
Gräueltaten verübte, und wohl selbst an Massenerschießungen von Juden beteiligt
war, wirft ein schlechtes Licht auf die hiesige Musikwissenschaft, die anders
als etwa die Germanistik sich praktisch nicht ihrer Rolle im
Nationalsozialismus gestellt hat. Aber vielleicht sind diese Enthüllungen eines
einzelnen Falles endlich der Auftakt zu einer umfassenden Beleuchtung der
Ideologie, die die deutsche Musikwissenschaft seit Jahrzehnten betreibt, und
die nahtlos aus dem Nationalsozialismus herzuleiten ist: Der auf Deutschland,
auf deutsche Musik beschränkte Blick der meisten Musikwissenschaftler, die etwa
italienische, französische oder russische Musik ignorieren; die Inszenierung
von Beethoven als "Titan" etwa, oder die antisemitischen Vorurteile
gegenüber Mahler (Eggebrecht in seinem als "Standardwerk"
bezeichneten "Musik im Abendland": "...islamische,
osmanische, heidnische, barbarische... extrem materialistische, entseelt
zivilisatorische, zerstörerisch technische Kräfte"...).
Interessant übrigens, daß die "Zeit", die Eggebrechts Verstrickung in
Nazi-Verbrechen nun verdienstvoll veröffentlichte, kein Wort zu ihrem
Feuilletonchef der 50er Jahre verliert, Walter Abendroth, der 1959 eine "weit verbreitete, oft aufgelegte
"Kurze Geschichte der Musik" schrieb, deren Nähe zum NS-Musikdiskurs
kaum auffiel, weil man Ähnliches etwas milder auch bei vielen anderen las (...)
ein Problem, das die Musikwissenschaft im Innersten betrifft: die ungebrochene,
weithin unbewußte Allgegenwart von Vorurteilen, darunter auch deutschnationalen
und rassistischen, im Denken und Sprechen über Musik"
(Friedrich Geiger in der "FAZ").
Vielleicht eine gute Gelegenheit, statt Eggebrecht und Abendroth und Dahlhaus
mal Georg Kneplers "Musikgeschichte des 19.Jahrhunderts" zu lesen?
Die freilich müßte erst einmal wieder aufgelegt werden, sie ist nur noch
antiquarisch zu finden...

* * *

Die geschätzten Sven Hasenjäger und Arne Ghosh haben eine Firma namens
"380grad" gegründet. Wer bietet mehr Rundumbetreuung? Irgendwie dreht
sich halt dann doch alles im Kreis und über diesen hinaus...

* * *

Die Macher des Onlinemusikfernsehsenders "Tape TV" sagen in der
"Musikwoche", warum sie das tun, was sie tun:
"Das Interessante an
tape.tv ist, daß tape.tv nur Innovationen treibt, hinter denen auch ein
Geschäftsmodell steht und die sich mit profitablem Wachstum am Markt behaupten
können", so Gesellschafter Lars Dittrich.
"Als Beispiele für
erlösträchtige Anwendungen nannte Conrad Fritzsch strategische Kooperationen
mit so unterschiedlichen Partnern wie bild.de und spex.de (...) "Durch
diese Kooperationen findet tape.tv zusätzlich auf diesen Plattformen und in den
jeweiligen Zielgruppen statt - und wird damit immer mehr Teil der
Onlinekommunikation. (...) tape.tv ist das Sprungbrett, weil es die
entsprechende Werbefläche, Reichweite und Zielgruppe bietet.""

Vor so viel "strategischen Kooperationen", dem neuen alten Modewort
der Musikindustrie, wird einem ganz schwindlig, nicht?

* * *

Großmäulig wie immer feiert "Spex" den eigenen Niedergang: "Diese Spex markiert das Ende der
Schallplattenkritik, wie wir sie kannten. Es gibt keine Rezensionen mehr in dieser
Zeitschrift." Also nur noch Reklame und von der Musikindustrie
bestellte Artikel?
"Die medialen
Entwicklungen der letzten Jahre im Internet und die damit verbundene Evolution
der Hör- und Lesegewohnheiten haben die klassische Plattenkritik aus der Zeit
fallen lassen und uns zu diesem radikalen Schritt letztendlich geradezu
gezwungen", stellt "Spex" fest.
Dem kann man nur zustimmen - die Schallplattenkritiken der "Spex"
waren in den letzten Jahren zunehmend unwichtig, das Blatt wurde dadurch
zunehmend bedeutungslos, die "Spex" als kritisches und
geschmackssicheres Musikmagazin gehört zweifelsohne schon länger der
Vergangenheit an, da helfen auch einzelne gute Artikel von Gastautoren (die
meistens im Hauptberuf fürs bürgerliche Feuilleton schreiben) nicht weiter. Wo
aber Musikjournalisten, die noch ihren Job begreifen und lieben, dem
post-postmodernen "Anything goes" des Abschreibens von Waschzetteln,
die die Musikindustrie ihnen zuschickt, eine fundierte, dezidierte und gut
geschriebene Musikkritik entgegensetzen, hißt "Spex" die weiße Flagge
und konstatiert die eigene Unfähigkeit - "wir geben auf", heißt das,
"wir sind endgültig überflüssig", bitte lest ausführliche Musikkritik
zukünftig in den Feuilletons der bürgerlichen Zeitungen.
Aber keine Unfähigkeit groß genug, als daß die "Spex"ler um
Maximilian Bauer alias Max Dax sie nicht großmäulig in etwas ganz Neues, ganz
Tolles umformulieren würden. Denn jetzt gibt es ein irgendwie Facebook-artiges
Gequatsche, ein substanzarmes Geplaudere statt substanzhaltiger Musikkritik -
was "Spex" nun als "Neustart" bejubelt. Nun denn, das
nächste Jahrzehnt wird ohne "Spex" auskommen. Niemand wird es
bemerken.
Aber daß die kompetente Auseinandersetzung mit der Popkultur längst schon eher
in zum Beispiel "FAZ", "Berliner Zeitung",
"konkret" oder auf "Byte.FM" stattfindet, während in
anderen Ländern die Musikpresse auf dem Höhenflug ist, darüber sollte man in
einer stillen Stunde doch mal nachdenken bei der Musikzeitschrift, die sich im
Pet Shop Boys-Rhythmus auf dem Gewaltmarsch in die eigene Bedeutungslosigkeit
befindet.

* * *

Max Dax, vom Berliner "Tip"-Magazin soeben mit Thilo Sarrazin, Mario
Barth, Hartmut Mehdorn, Rammstein, Ben Becker, Sido, Guido Westerwelle, Dieter
Gorny, 2raumwohnung oder Til Schweiger in die Liste der "peinlichsten
Berliner" gewählt, in seinem Blog "Dissonanz":
"Die Stille in der
kalabresischen, aus einem kleinen Gastraum und einem noch winzigeren Barraum
bestehenden Osteria in der Via Nizza 223 in Turin-Lingotto ist in höchstem Maße
beruhigend."
Wirklich "dissonant". Könnte in jedem dumpfen Brigitte-Reiseführer
stehen. Was wetten wir, daß der Suhrkamp-Verlag Daxens
Westentaschen-Rainald-Goetz-Blog irgendwann als Buch veröffentlichen wird?
Suhrkamp druckt ja heutzutage alles, irgendwie.

* * *

Der Schriftsteller Paulo Coelho betreibt ein eigenes Raubkopie-Portal, auf dem
er Links zu allen internationalen Filesharing-Seiten zur Verfügung stellt, die
seine Bücher im Internet anbieten (selbstverständlich ohne Zustimmung seiner
Verleger). Seine simple Erklärung: "Ich
wies darauf hin, daß Pirate Coelho seit 2005 im Netz stand und daß die
Absatzzahlen stetig angestiegen waren. Daraus folgte, daß die klassische Art
des Vertriebs von der Filesharing-Variante profitierte. Meinen hochverehrten
Verlegern fiel es allerdings schwer, die Sachlage richtig einzuschätzen."
Und weiter berichtet Coelho in der "Berliner Zeitung", wie seine
Verleger ihn für sein "schlechtes Beispiel" schelten: "Wie läßt sich dieser Vorgang
erklären? Der Begriff von "Gier" ist nicht nur in der Finanzwelt ein
problematischer Faktor, sondern in jedem Geschäftsbereich, wo ein Monopol
beansprucht werden soll, sei es auf ein Produkt oder eben auf die Verbreitung
von Information. (...) Und so kann es passieren, daß Buchverlage - genau wie
einst die Plattenfirmen - irgendwann überflüssig werden. (...) Viele sagen, daß
ich mir das nur leisten kann, weil meine Bücher so hohe Auflagen erreichen.
Dabei ist es genau umgekehrt: Meine Bücher erreichen so hohe Auflagen, weil ich
mir Mühe gebe, meine Werke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen."

Und denjenigen, die das Verbot von Filesharing nach dem Sarkozy-Gorny-Modell
fordern, schreibt Bestsellerautor Coelho eine simple Wahrheit ins Stammbuch: "In Ländern, wo Filesharing
verboten werden soll (in Frankreich ist dieses Jahr eine entsprechende
Gesetzesvorlage durchgebracht worden) werden die Autoren einen
Wettbewerbsnachteil haben. Verbote sind selten eine Lösung. Viel klüger wäre
es, die Vorteile der neuen Technologie zu nutzen, um gute Literatur zu
unterstützen und zu verbreiten."

* * *

Der sogenannte Violonist André Rieu hat angekündigt, im Sommer 2010 am Nordpol
mit seinem sogenannten Johann-Strauß-Orchester ein Konzert zu geben, um
"ein Zeichen zu setzen gegen die Zerstörung unseres Planeten".
Aber im Ernst - die schlechte Nachricht ist: Rieu wird leider vom Nordpol
zurückkommen. Dabei ist André Rieu, hierzulande vom öffentlich-rechtlichen
Fernsehen zum Ganzjahresstar geadelt, das, was CO2 für die Polkappen ist: ein
akustischer Umweltverschmutzer allerersten Grades. Gegen den nur ein weltweites
Auftritts- und Sendeverbot helfen würde. Damit ist leider nicht wirklich zu
rechnen, also: Eisbären, übernehmen Sie!

* * *

Anders als Rieu sieht Jan Ullrich die Lage, wenn er an 2010 denkt:
"Meine Frau und ich
beten dafür, daß die Welt ein wenig wärmer wird."
Dem Mann kann geholfen werden. Auch wenn die internationale Politik die
maximale Erderwärmung per Dekret auf zunächst zwei Grad begrenzt hat...

Einen allzeit "gführigen" Schnee in den kommenden Wochen