06.12.2008

Und Ansonsten 2008-12-06

Ausgerechnet der Mann, der sich nach einem Fruchtbonbon benannt hat und sich als "Punkrocker" bezeichnet, ausgerechnet Andreas Frege alias "Campino" also, dessen Band "Die Toten Hosen" eine Musik macht, die sich von der Musik sagen wir der "Zillertaler Schürzenjäger" dadurch unterscheidet, daß Letztgenannte besser singen und besser ihre Instrumente spielen können und wahrscheinlich sogar origineller sind, ausgerechnet Campino also, der seit Jahren in jeden bereitstehenden bürgerlichen Hintern kriecht, sei es der von Brandauer, sei es der von Wenders, sei es neuerdings sogar der von Uli Hoeneß, ausgerechnet Campino also, der ein
Fan von Angela Merkel ist und beteuert, "eigentlich konservativ" zu sein - ich bitte, neu ansetzen zu dürfen: Ausgerechnet Campino also trötet in einem "taz"-Interview: "Lafontaine ist ein Brechmittel". Ausgerechnet Campino.
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Als eifriger Konzertgänger, der unsereiner auch ohne berufliche Verpflichtung
wäre, wird man in den kommenden Jahren geschätzte dreieinhalb Stunden
Lebenszeit pro Jahr einsparen, weil man sich keine Bühnenansagen von Pop- und
Rockmusikern gegen George W. Bush mehr anhören muß… Wobei die Frage ist, wer
das neue Feindbild der "Pop-Linken" und "Alternativen" sein
wird, an dem sie ihren dumpfen Antiamerikanismus pflegen werden…

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Sogar die bieder-brave "Zeit" befindet:
"Der Schutzpatron der
Villenviertel heißt Horst Seehofer. Der CSU-Vorsitzende und bayerische
Ministerpräsident hat in Berlin durchgesetzt, daß künftig nicht mehr nur Oma
ihr klein Häuschen steuerfrei auf die Erben übertragen werden kann, sondern
auch Opa sein groß Schlößchen. In der Vergangenheit hat sich Seehofer als der
Anwalt der kleinen Leute profiliert, nun erweist er sich als Advokat der Erben
großer Häuser. Dem Christsozialen ist es zu verdanken, daß vom kommenden Jahr
an Immobilien jeder Größe an hinterbliebene Ehepartner übertragen werden
können, ohne daß der Fiskus von den Vermögen einen Euro abschöpft. Das ist vor
dem Hintergrund der sozialen Entwicklung in diesem Land ohne Zweifel die
falsche Politik."
Hübsch gesagt. Wobei man daran erinnern sollte, daß in Berlin eine
Bundesregierung aus CDU, SPD und CSU regiert…

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Eine Regierung, die auch sonst jeden Blödsinn mitmacht. Etwa die schwachsinnige
Idee, zur Förderung der Automobilindustrie ein Jahr lang (neuerdings eventuell
auch nur ein halbes Jahr lang, manchmal erkennen sie ihren Scheiß und machen
einen halben Scheiß daraus) Neuwagenkäufern die KFZ-Steuer zu erlassen. Aktive
Sozial- und Umweltpolitik fürwahr, wenn man Käufern von umweltfeindlichen und
protzigen Geländewagen etwa von Porsche oder Mercedes knapp 3000 Euro
Steuernachlaß hinterherwirft, während der Käufer eines umweltfreundlichen
Hybridautos weniger als 100 Euro bekommt…

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Nochmal zum Erbschaftsrecht: Das Faszinierende ist ja, daß nur zwei Prozent
aller deutschen Erben wirklich beträchtliche Summen oder Sachwerte von mehr als
80.000 Euro kassieren. Zwei Prozent! Während laut Berechnungen des Deutschen
Instituts für Altersvorsorge allein in den Jahren 2001 bis 2010 Erbschaften im
Wert von 1,4 Billionen Euro unters Volk gebracht werden, eine Irrsinnssumme,
etwa fünfmal so groß wie der Haushalt des Bundes!
Wenn man diese beiden Zahlen zusammenbringt, wird rasch klar, daß die
Veränderungen der großen Koalition eine drastische Verbesserung der Situation
der Superreichen darstellt, was nicht nur anhand der aktuellen wirtschaftlichen
Situation vollends absurd ist. Und man versteht vor allem nicht, warum das
Einkommen hierzulande stärker besteuert wird als eine Erbschaft; "man könnte die Erbschaftssteuer
in die Einkommensteuer integrieren. Mit den Mehreinnahmen ließen sich die
Einkommensteuern senken. Dann würde Arbeit tendenziell weniger besteuert, und
das Vermögen, das ohne Leistung erlangt wird, würde genauso stark wie Arbeit
besteuert". (Jens Beckert, Direktor Max-Plack-Institut für
Gesellschaftsforschung)
Eine Idee, die zu logisch und sozial zu gerecht als, als daß sie die Politiker
verschiedenster Coleur, die den bis 1918 hierzulande herrschenden Feudalismus
ins neue Jahrtausend herüberretten, darauf zurückgreifen würden.

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"In Zukunft sollen mehr
Welt- und Europameisterschaften in Deutschland stattfinden. Darauf zielt eine
Änderung des Jahressteuergesetzes 2009 (…) Laut Paragraph 50 (4) verzichtet der
Gesetzgeber künftig auf den bisher notwendigen Nachweis eines volkswirtschaftlichen
Nutzens, um eine Veranstaltung von der Einkommensteuer zu befreien. Künftig
genügt, daß die Veranstaltung im besonderen Interesse der Öffentlichkeit liege.
(…) Die sportpolitische Sprecherin der SPD, Dagmar Freitag, sagte, das besondere
öffentliche Interesse in diesem sportbegeisterten Land liege auf der Hand. Auch
der Staat habe ein Interesse, Deutschland im Ausland zu präsentieren."
(FAZ 26.11.08)
Die Einkommensteuer gemäß § 50 (4), also die sogenannte
"Ausländersteuer", wird dagegen weiterhin für ausländische Künstler,
die hierzulande auftreten, erhoben. Künstlerische Darbietungen liegen im
Gegensatz zum Beispiel zu kommerziellen Fußball-Weltmeisterschaften oder
Endspielen der Champions League also nicht "im besonderen Interesse"
der sogenannten "Kulturnation". Eine Stellungnahme einer
kulturpolitischen Sprecherin der SPD in diesem unseren sportbegeisterten Land
zu dieser ganz offenkundigen Sauerei ist nicht bekannt.

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Dazu paßt, daß der HR nun endgültig beschlossen hat, die legendäre Radiosendung
"Der Ball ist rund" von Klaus Walter, eine der wenigen popkulturellen
Lichtblicke im öffentlich-rechtlichen Einheitsbrei, zum Jahresende
einzustellen. Wir berichteten bereits an dieser Stelle.
Für Popmusik ist Byte.FM, sieht man mal von einigen Inseln etwa in Berlin oder
München ab, längst der bessere öffentlich-rechtliche Sender.
Man sollte nun endgültig mit einem Boykott der Rundfunkgebühren ernst machen!

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"Die Metamorphose des
internationalen Finanzwesens stellt eine der tragenden Tendenzen dieser Epoche
dar. In einem Vierteljahrhundert sind die Kapitalflüsse mächtig und
unberechenbar geworden. Sie werden von einer neuen Spezies von Tradern
kontrolliert, die eine Gruppe von Finanzriesen repräsentieren, konzentriert
wiederum auf einige wenige Länder, Ihre persönlichen Gehälter haben alles
bisher Dagewesene in den Schatten gestellt: Der bestbezahlte Manager eines
Hedgefonds hat 2007 allein drei Milliarden Dollar kassiert. Die
Machtkonzentration ist ins Unmäßige angewachsen. Die 50 wichtigsten
Finanzinstitute kontrollieren 50.000 Milliarden Dollar Aktiva, ein Drittel des
Weltkapitals. Der Machtdruck dieser Eliten geht soweit, daß sie einerseits
vorgeben, die neuen globalen Finanzinstrumente würden sich selbst regulieren.
Andererseits haben diese Helden des Liberismus immer, wenn sich die Krise
einstellte, die Regierungen überzeugt, ihre Wunden zu heilen, während die
Familien der Arbeiter bei der Verpfändung ihrer Wohnungen zusehen mußten. Diese
Eliten verdienen in jedem Fall, ob die Aktienmärkte nun steigen oder fallen.
Die 1.100 reichsten Kapitalisten der Welt kontrollieren einen Reichtum, der das
Gesamtvermögen von 2,5 Milliarden Menschen übersteigt."
Federico Rampini in einer Zusammenfassung des Buches "Superclass: The
Global Power Elite and the World They Are Making" von David Rothkopf,
"Repubblica" vom 21.6.(!)2008

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Bert Rürup, Wirtschaftsweiser der SPD, Protagonist der Privatisierung der
Altersvorsorge und Erfinder des Finanzprodukts "Rürup-Rente", setzt
seine Arbeit für das deutsche Versicherungswesen nun an anderer Stelle fort,
nämlich als Chef-Ökonom des Finanzvertriebs AWD, der u.a. das Produkt
"Rürup-Rente" anbietet.

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"Es ist doch klar, daß
in diesem Medium, das auf die Quote so extrem angewiesen ist, alle konsequent
an der Verblödung der Leute arbeiten."
Die Sopranistin Christine Schäfer zu der Tatsache, daß ihre Dankrede die
einzige war, die bei der "Echo"-Verleihung 2007 herausgeschnitten und
nicht ausgestrahlt wurde.

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"Julien Clerc ist ein
des französischen Liedes Symbol. Er singt die Liebe und die Frauen wie keinen
anderen."
Aus dem Angebotsmail des Managements eines französischen Sängers.

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"Die soziale Realität
der heute 20jährigen ist anders geworden, darin findet sich kein Platz mehr für
Subkultur. Es gibt kein subkulturelles Bewußtsein mehr, also nicht mehr den
Willen, vom Mainstream abzuweichen. (Vielleicht sollte man
hinzufügen: vom kleinen, persönlichen eigenen Mainstream abzuweichen, den sich
jeder auf dem von Murdoch betriebenen Myspace zurechtzimmert… BS) In einer Wahlumfrage hatten 47 Prozent
der 18- bis 20jährigen angegeben, sie würden CDU wählen. Wie willst du solchen
Leuten die Musik von Bands wie Animal Collective nahebringen? Der Zugang zu
sämtlichen Informationen, der heute angeblich gewährleistet ist, nützt gar
nichts, wenn kein Publikum vorhanden ist. In den Achtzigern hatten Labels, die
Bands wie Pussy Galore veröffentlichten, zum Teil nicht einmal ein Faxgerät.
Und trotzdem kannten die Leute Pussy Galore." (Wolfgang Brauneis,
A-Musik, lt. "Konkret")

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"A word 2 you all up
and coming "artists" - the art u create is an extension of u and your
contribution is priceless. Don't sell out. $ is only paper and your picture
ain't on it, but a good song never dies." (Prince, New Power
Generation, New Power Soul, Liner Notes)

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"Genau deshalb, liebe
Internetmenschen, waren die Siebziger so viel besser als dieser ganze
kümmerliche Scheiß da draußen, weil es 1.) damals sogar um was ging, wie
verrückt auch immer, und man 2.) noch keinen Wikipediaquatsch lesen mußte, um
auf dem Laufenden zu sein." (Dietmar Dath)

Bitte: lesen Sie zwischen den Jahren "Für immer in Honig"! Oder doch
zumindest "Die Erziehung der Gefühle" (darin übrigens auch erzählt
wird, daß die Französische Revolution die Erbschaften als solche und komplett
abgeschafft hatte - wir waren also auch schon mal weiter)…
Die allerbesten Wünsche für 2009!