20.10.2007

Und Ansonsten 2007-10-20

Jeder
blamiert sich, so gut er kann.
Die Bundesrepublik Deutschland hält sich für Blamagen im Ausland das
Goethe-Institut.
Wie die "Musikwoche" meldet, werden im Oktober auf Einladung des
Goethe-Instituts deutsche Bands wie Juli, 2raumwohnung, Tele, Mia, Die Prinzen
oder Dr. Motte bei einem chinesisch-deutschen Popfestival in Nanjing auftreten.
Das Festival ist Teil einer "Deutschland-Promenade" und geht im
Rahmen des dreijährigen Projekts "Deutschland und China - gemeinsam in
Bewegung" über die Bühne, einer gemeinsamen Initiative des
Goethe-Instituts und des Auswärtigen Amts. Damit will sich Deutschland als
"Wirtschaftspartner, Kulturland sowie als wichtiger Standort für Bildung,
Forschung und Investitionen" in verschiedenen Regionen Chinas
präsentieren.
Na, wenigstens braucht man sich, solange Goethe-Institut und Auswärtiges Amt
nur einige der deppertsten deutschen Bands nach China exportieren, keine Sorgen
darum machen, daß die Chinesen diese drittklassige deutsche Popmusik kopieren
und als Klone selbst auf den Weltmarkt werfen…
Aber das Finstere ist: dies ist nur ein erster Stapellauf, das Goethe-Institut
will, daß Deutschland auch bei der Olympiade in Peking von Deutschpop a la Mia
oder 2raumwohnung kulturell repräsentiert wird. Mal abgesehen davon, daß ich
als Bürger und Steuerzahler gar nicht im Ausland repräsentiert werden möchte -
aber wenn es denn schon sein muß, darf ich erwarten, daß eine Institution wie
das Goethe-Institut wenigstens den Hauch eines kulturellen Auswahlkriteriums
walten läßt und wenigstens Gruppen wie sagen wir F.S.K., Blumfeld, Kraftwerk
oder Manuel Göttsching einlädt, die Bundesrepublik bei Olympia darzustellen.
Von deutscher Kulturpolitik ist nicht viel zu erwarten, klar, aber selbst die
deutsche Kulturpolitik sollte nicht unter ein gewisses Mindestniveau gehen. Wer
wählt eigentlich die ahnungslosen Kulturfunktionäre im Goethe-Institut aus? Ich
verlange Rechenschaft - wozu zahlt unsereiner seine Steuern?

* * *

Al Gore, US-Politiker, selbsternannter Umweltschützer und neuerdings
Friedensnobelpreisträger, soll lt. "Spiegel" Ende Oktober auf einem
Klimakongreß des Karlsruher Energiekonzerns EnBW auftreten - daß Al Gore damit
eine Menge Geld machen will (die Gage soll bei 180.000 Dollar liegen), ist das
eine. Der ehemalige US-Vizepräsident soll aber, und das ist nun wirklich
peinlich, den Strom aus Kernkraftwerken bei EnBW als eine notwendige Energie
loben, heißt es lt. "Spiegel". Der Stromkonzern hält seine Marke
"Yello Strom" bekanntlich mit einem hohen Atomstromanteil billig. So
bleibt Gore in gewisser Weise konsequent, denn auch als Vizepräsident der USA
hat er sich ja nicht wirklich als Umweltpolitiker hervorgetan.

* * *

"I don't worry about
Greenland if the ice melts; I worry about the Netherlands and Venice."

Anda
Uldum, Bandleader von "DDR" aus Nuuk/Grönland

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"Dort, wo die Kultur
von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus
und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte."
So spricht Joachim Kardinal Meisner, Köln, nicht 1938, sondern 2007.
Was weiß ein Erzreaktionär wie Meisner, der gezielt mit Nazi-Terminologie
arbeitet, von "Mitte"? Wie wäre es, der Herr Kardinal hielte einfach
seinen Rand? Damit wäre uns allen gedient.

* * *

Im letzten Rundbrief hatte ich geklagt, daß Journalisten sich doch mal was
Anderes einfallen lassen sollten, als die sogenannte "Weltmusik" als
irgendwie ewig gestrig, selbstgestrickt, multikulti-eitatei usw.
abzuqualifizieren - und das mit dem Stoßseufzer verbunden, es wäre doch schön,
wenn der Unsinn, Popmusik wie BeatlesMadonnaM.I.A. sei die eigentliche
"Weltmusik", mal nicht weiter verbreitet würde.
Die Hoffnung war vergebens. Prompt blaberte ein Jan Freitag in des deutschen
Studienrats Zentralorgan, der "Zeit": "Weltmusik ist ein altbackener Begriff, beladen mit
dem schwülen Duft von Patschuli, ausgefranst an den Juterändern, überfrachtet
mit Folklore und stets gefährlich nahe am Panflötenpop."
Merke: wer in der "Zeit" Musikkritiken schreiben darf, darf nicht nur
keine Ahnung haben, nein, er muß gleichzeitig beweisen, daß er vor keinem
schiefen Sprachbild, das er andernorts aufgeschnappt hat, halt macht. Aber
natürlich schlägt, um im Bild zu bleiben, Freitag die Blechtrommel der Stunde,
Disco macht derzeit jeden Balkan-7/8-Takt zum Vierviertel-Bumbum und läßt das
Partyfolk (haha) austicken: "Ein
triftiger Grund, die viel gescholtene Dominanz technoider (sic! B.S.) Musik zu
begrüßen - ist es doch das Elektronische an neueren Soundmixturen, das aus
Weltmusik etwas jetztzeitigeren Ethno-Pop macht. Dabei wären wir auch schon bei
M.I.A."
Ah ja. Und dann ergeht sich der Schreiberling in aber auch jeder Sprachhülse,
die Popjournalisten in ihrem Dilettantismus so gerne verwenden: die Sängerin
ist mal "bezaubernd",
mal "rotzig",
sie "stülpt die Stile
ihrer südasiatischen Wurzeln über jede Strophe, jede Note, jeden Satz"
- da möchte man gerne dabei sein, wie die Stile der Wurzeln über die Strophen
gestülpt werden, ganz anders, als Jute über … nun ja. Mit sowas bekommt man
Zeilenhonorar - erstaunlich.
Drums sind bei "Zeit"'s Freitag "ekstatisch"
und "fegen durch die
Harmonien", ständig "streichen
orientalische Geigen (sic! B.S.) hinein",
und "flächige Gesänge
schwirren wie Mantras umher". Ich weiß, wenn man das vorlesen
würde, glaubt einem keiner, daß so ein Scheiß im deutschen Feuilleton
veröffentlicht und bezahlt wird.
Die Künstlerin ist erstaunlicherweise "spielfreudig",
ihre Performance ist "aufgekratzt
mädchenhaft", nein, M.I.A. "kocht
über". Das Album enthält "Musik,
die vor den Gedanken den Körper erreicht" und bis heute nicht im
Kopf des Rezensenten angekommen zu sein scheint. Der Dancepop ist "zappelig", und
dann kommt das berüchtigte "zwischen", in diesem Fall nämlich "zwischen Bollywood,
Achtzigerjahre-Disco, Panjabi MC und dem Ethnojazz einer Neneh Cherry"
(wußte gar nicht, daß man deren HipHop bei der "Zeit" jetzt als
"Ethnojazz" bezeichnet…).
Es wird versucht, "Ethnopop
vom Ballast des Politischen (sic! B.S.) zu befreien, um andere Perspektiven aufs Leben in der
Migration zuzulassen". Und so weiter und so fort. Ich bitte,
den Text des Schreiberlings Jan Freitag aus der altehrwürdigen "Zeit"
bei der nächsten "Open Mic"-Veranstaltung als Satire vorlesen zu
dürfen, oder wo auch immer in der Popkultur-Debatte mal ein Brechmittel
benötigt wird.
(und damit wir uns nicht mißverstehen: Klasse Album das, M.I.A.s
"Kala" - ich würd das nur gerne sprachlich und inhaltlich ein bißchen
anders begründet sehen)

* * *

Als Oppositionspolitikerin und CDU-Parteichefin hatte Angela Merkel 2003 die
Übernahme der Berliner Staatsoper durch den Bund als "nationales
Projekt" gefordert.
Als Kanzlerin hält Merkel von dieser Idee nichts mehr. "Wendehals"
nannte man sowas mal…

* * *

Die Künstlersozialabgabe hat der Gesetzgeber für 2008 von 5,1% auf 4,9%
reduziert. Wie Verbände wie der Deutsche Kulturrat oder der VDKD dies als
"Erfolg" feiern können, bleibt ein Rätsel - 2003 betrug der
Abgabesatz noch 3,8%, die Erhöhung wurde durch die von rot-grün vorgenommene
drastische Reduzierung des Bundeszuschusses der Künstlersozialkasse notwendig.

* * *

"Vor uns liegt eine
goldene Zukunft, wenn es ausschließlich um Musik und deren Verbreitung geht und
weniger um dieses klassische Produktmanagement mit Herstellung, Lagerhaltung
und Versand. Wir freuen uns darauf und sind bereit (…) Entscheidend ist es, glaube
ich, das Ganze nicht zu ernst zu nehmen. Um in dieser Industrie erfolgreich zu
sein, muß man eine Menge Humor haben und mal ehrlich: Alle, die in der
Musikindustrie arbeiten, sind doch eigentlich Herumlungerer und Taugenichtse,
die da gelandet sind, weil sie zu früh mit ihrer Band aufgegeben oder ihr
Germanistik-Studium abgebrochen haben."
Patrick Wagner, Louisville Records
(diese Agentur legt allerdings Wert auf die Feststellung, daß eine
Mitarbeiterin über ein abgeschlossenes Germanistik-Studium verfügt…)

* * *

Vor einigen Monaten habe ich noch geklagt, daß zwei wunderbare französische
Bücher hierzulande nicht erschienen waren - nämlich Toussaints "Zidanes
Melancholie" und André Gorz's Liebesbrief an seine Frau, "Lettre à
D."
Nun sind dieser Tage beide Texte endlich auf deutsch erschienen - aber so
richtig froh kann unsereiner daran nicht werden, denn Andre Gorz ist gemeinsam
mit seiner Frau aus dem Leben geschieden, und wem das nicht nahegeht, der muß
ein schlechter Mensch sein.
Und wieder ist die Welt um einen Großen ärmer, um einen kritischen und im
besten Sinne radikalen Denker, der einen spätestens seit "Abschied vom
Proletariat" in der intellektuellen "Menschwerdung" begleitet
und inspiriert hat.
So sterben sie dahin, die Andre Gorz, die Max Roach, und es wachsen keine nach,
die sie ersetzen, die nur annähernd sie erreichen könnten im unsäglichen
medialen Geplapper unserer Zeit.
"An ein Jenseits mochte
André Gorz allerdings nicht so recht glauben. Er war kein Romantiker. Und auch
kein religiöser Mensch. Ihm ging es um das Diesseits, um die Verbesserung der
Welt. Er war ein undogmatischer Marxist und philosophischer Materialist. Seine
großen Themen waren die Emanzipation des Menschen - vom Geld und von der Ware -
und seine Freiheit. Er definierte sie als Selbstbestimmung und meinte das
Gegenteil von Entfremdung." (Jürg Altwegg in der "FAZ).

* * *

"Der Joschka Fischer
ist in meinen Augen ein begabter Demagoge, ein glänzender Sprecher. Aber sonst:
bis gestern Friedensbewegung und plötzlich, 1998, ein Bellizist - ob es
Bosnien, Kroatien oder Herzegowina war. Und das dann auch noch im Namen von
Auschwitz, das ist Fischer." Helmut Schmidt

* * *

Unter dem Titel "Stilkritik" darf ein Stefan Kornelius in der
"Süddeutschen Zeitung" über das "Koreanische Gipfeltreffen"
schreiben:
"Das nordkoreanische
Volk ist dem Führer modisch nicht weit voraus: Frauen tragen wadenlange Röcke,
Männer bevorzugen einfache Anzüge, die Farben changieren zwischen Schwarz und
Anthrazit…"
War Stefan Kornelius vor Ort? Sicher nicht, denn dann hätte er festgestellt,
daß zum Beispiel nordkoreanische Frauen durchaus interessante Mode tragen und
alles andere als "wadenlange Röcke".
Hat Stefan Kornelius eine der zurzeit relativ häufig gezeigten Dokumentationen
auf 3sat oder in einem der hiesigen Dritten Programme gesehen? Sicher nicht,
denn dann hätte er ein anderes Bild von der Mode, die nordkoreanische Frauen
tragen, oder hätte vielleicht gar das Interview mit einem nordkoreanischen
Schuhproduzenten und dessen Produkte gesehen.
Aber das ist eben der Stand des Journalismus in unserer Zeit, selbst bei
einigermaßen seriösen (oder zumindest einstmals seriösen) Zeitungen wie der
"SZ": Das Wort "Recherche" ist für diese Journalisten ein
Fremdwort, Hauptsache, sie betreiben Behauptungsjournalismus und radebrechen
und brabbeln ihre Zeilen voll, stimmen muß nichts von dem, was sie sagen, nur
ihre Behauptungen müssen irgendwie in das "Modern Talking" der
Mediengesellschaft passen.

* * *

Wie Journalismus betrieben wird, darüber gibt am gleichen Tag ein Artikel auf
der Medienseite der "Berliner Zeitung" über "Neuland",
einen Ableger des Wirtschaftsmagazins "brand eins", Aufschluß: "Wir gucken uns nur Regionen an,
die uns auch wollen", sagt Risch und spricht damit indirekt die
Finanzierung des Heftes durch Unternehmen an, die es nicht versäumen mögen, bei
der von Art-Director Mike Meiré charmanten Präsentation dabei zu sein."
(das holprige Deutsch findet sich so im Original der "Berliner
Zeitung"). "Schon
bei der ersten Produktion ließen es sich Unternehmer und Landräte nicht nehmen,
die Berichterstatter persönlich zu den schönsten Flecken zu fahren."
Das ist Journalismus im ersten Jahrzehnt des 21.Jahrhunderts: eine
Neudefinition feudaler Hofberichterstattung, man läßt sich von Unternehmern und
Landräten zu schönen Flecken kutschieren und berichtet darüber. "Einen Interessenkonflikt sieht
Chefredakteurin Risch, die sich als "Dienstleisterin" versteht,
nicht, wenn Lobbyisten Chaffeur spielen und ein Heft finanzieren, das deren
Güter und Dienste vorstellt. "Der journalistische Anspruch ist kein
Widerspruch dazu, daß wir auch Unternehmer sind", sagt sie."

"Journalistischer Anspruch"? Der liegt bei null, es geht um Penunze,
die sie von den Unternehmern bekommen wollen, von denen sie sich rumkutschieren
lassen. Früher haben die Hersteller von Werbebroschüren wenigstens nicht getan,
als ob sie Journalisten seien, und hätten es nicht gewagt, dann noch frech von
"Anspruch" zu faseln.

* * *

Eva Herman? Geschenkt. Wer sich darüber ereifert, hat nichts kapiert.
Daß aber ein Dummschwafler wie Johannes B. Kerner ("Manche Sachen gehen nicht und Autobahn geht eben
auch nicht.") sich nach seinem allzu leicht durchschaubaren
"Coup" nun als "Gutdeutscher" selbstdarstellen darf, ist
einfach nur widerlich.

* * *

Die zweitägige Werbeveranstaltung am Brandenburger Tor anläßlich des
"Tages der Einheit" wurde von Coca-Cola finanziert, sowas nennt sich
heutzutage "CocaCola Soundwave! Berlin 07", und die Musikindustrie
läßt sich von der Zuckerbrause ihre Acts finanzieren, von Sportfreunde Stiller
bis 2raumwohnung.

* * *

Ein kluger Kopf der Musikszene ist Rick Rubin, mittlerweile Co-Chef der
ruhmreichen und großen "Columbia Records" im Sony-Konzern. Er
schreibt der Musikindustrie einige Merksätze ins Stammbuch, über die
nachgedacht werden sollte, zum Beispiel:
"Eine Plattenfirma
sollte in erster Linie versuchen, großartige Musik zu verkaufen. (…) Es darf
nur um die Musik gehen. Viel zu viele Entscheidungen bei den großen
Plattenfirmen fallen aus den falschen Gründen. Es sollte aber darum gehen,
zeitlose Musik zu entdecken."
Aber wie lange wird Ruck Rubin noch an der Schaltstelle seines Multis sitzen?
Wie viel wird er bei Columbia und Sony bewegen können? All dies wirkt von außen
betrachtet so sympathisch wie gleichzeitig als eine der vielen
Verzweiflungstaten der Musikindustrie in diesen Tagen…

* * *

Übrigens, am Rande sei es angemerkt: Wenn Rick Rubin sich für Paul Potts
begeistert, den dicken, schüchternen Handy-Verkäufer, der in der britischen
"Superstar"-Sendung mit einer Puccini-Arie Wellen schlug, die ihn
nicht nur zu Rick Rubin, sondern auch auf den Stuhl des unerträglichen Johannes
B. Kerner führten (Rubin: "Niemand
erwartet etwas Besonderes von diesem langweiligen Durchschnittstypen. Jury und
Publikum ärgern sich sogar, als sie erfahren, daß er keinen Popsong singen
wird. Und dann singt er so unglaublich schön."), dann täuscht
sich die Produzentenlegende, denn Paul Potts singt bestenfalls mittelmäßig -
das, was sein Publikum und Rubin bis Kerner begeistert, ist Puccini, nicht Paul
Pott (ist eigentlich schon mal jemandem aufgefallen, was herauskommt, wenn man
Paul Pott englisch ausspricht? Eben - ein Schreckensregime, diesmal allerdings
von der Musikindustrie losgetreten…). In all dem furchtbaren Schund, den
Fernsehsendungen und Plattenindustrie heutzutage auf die Menschheit loslassen,
fällt eine Arie von Puccini wie von selber als große Kunst auf, selbst, wenn
sie nur mit bescheidensten Mitteln gesungen wird.
Und was folgt daraus? Es kann jedenfalls nicht schaden, sich mit sämtlichen
Aufnahmen von Maria Callas zu beschäftigen, beispielsweise.

In diesem Sinne, viel Spaß beim Stöbern in den Archivaufnahmen…