05.12.2005

Und Anonsten 2005-12-05

Wir
erinnern uns - Ende September hat die deutsche Plattenindustrie den Freitag als
"Musiktag" eingeführt mit Riesentrara - dadurch würden mehr CDs
verkauft, alles werde, wenn nicht gut, dann doch mindestens besser.
Am ersten Charts-Freitag war dementsprechend der Jubel groß, und man vermeldete
steigende Umsätze - was aber bei genauerem Hinsehen eher etlichen
Neuerscheinungen zu verdanken war, die die Musikindustrie kurz vor Quartalsende
aus Bilanzgründen auf den Markt preßte.
Nun aber liegen die Umsatzzahlen von Oktober vor, dem ersten Monat nach
Einführung des "Freitag ist Musiktag"-Schwachsinns. "Selbst die sich glänzend
verkaufenden neuen Alben von Superstars wie Robbie Williams oder Coldplay
konnten nicht verhindern, daß allein im Oktober das CD-Geschäft um knapp sieben
Prozent einbrach", meldete der "Spiegel".
Ach ja, der Kaiser war wieder einmal nackt. Da haben auch die großen Töne der
üblichen Branchen-Wichtigtuer nicht drüber wegtäuschen können.

* * *

Manchmal weiß man nicht, wen man mehr bedauern soll. Zum Beispiel die Sängerin
von "Wir sind Helden", daß sie japanisch radebrechen muß, damit
deutscher Pop auch international Furore machen darf. Oder die armen Japaner,
die sich den Schmarrn dann anhören müssen.
Zum neuen Selbstbewußtsein Deutschlands in der Welt gehört nämlich nicht nur,
daß deutsche Bomben auf Serbien geworfen werden (diesmal mit einem
"Peace"-Aufkleber namens "Nie wieder", man ist ja
schließlich gelernter Realzyniker…), sondern auch, daß die Welt am deutschen
Pop genesen soll. Der, von Haus aus eher etwas dürftig anzuhören, wird mit
vielen hehren Worten aufgepeppt.
Den semantischen Überbau verschafft Beate Geibel vom Mischkonzern Universal
Music: "Man registriert
im Ausland inzwischen, daß aus Deutschland gut gemachte, qualitativ hochwertige
Pop- und Rockmusik kommt.", stellt die Dame fest und verweist
- auf Rammstein, natürlich, die fast zehn Millionen Alben in 40 Ländern
verkauft haben, und auf Schnappi, das Krokodil, von dem in 30 Ländern 1,4
Millionen Singles und 420 000 Alben verkauft wurden.
Das ist in etwa die Bandbreite deutschen popmusikalischen Schaffens, es geht
von Rammstein bis Schnappi. Aber immer "qualitativ hochwertig", gar
keine Frage.

* * *

"Ich wüßte jetzt nicht,
was mich bei Franz Ferdinand vom Hocker reißen sollte."
Harald Schmidt

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Noch vor kurzem machte sich die "Berliner Zeitung" im Kampf gegen
Schleichwerbung bei ARD und ZDF wichtig. Das tägliche Geschäft der
"Berliner Zeitung" geht dagegen viel direkter: Auf Seite 9 der
Ausgabe vom 10.November 2005 hat der Bekleidungskonzern "H & M"
eine ganzseitige Anzeige geschaltet für seine neue "Kollektion" von
Stella McCartney.
Gleich auf der folgenden Seite 10 der gleichen Ausgabe ergänzt die
"Redaktion" (man sollte wohl besser sagen: das ausführende Textorgan
der Anzeigenkundschaft) auf einer halben "redaktionellen" Seite: "Mix aus Mutters Kleiderschrank -
Die Mode-Designerin Stella McCartney hat für die Firma H&M eine
Damen-Kollektion entworfen". "H & M" haben es in
ihrer Anzeige gar nicht mehr nötig, auf die Filialen hinzuweisen, in denen es
die neue Kollektion gibt, das übernimmt die Redaktion der "Berliner
Zeitung", die detailliert die Filialen inklusive genauer Adressen
auflistet, die Website der Firma abdruckt etc. pp.
Was ich mich dabei nur frage - warum schaltet "H & M" denn noch
Anzeigen? Das Geld könnten sie sich doch glatt sparen.

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Die Bundesrepublik Deutschland verkauft 298 Leopard 2-Kampfpanzer an die
Türkei. Die Parteivorsitzende der "Grünen", Gurke Roth, bezeichnet
das Geschäft als "politisch kurzsichtig", es sei "umstritten wegen der
zweifelhaften Menschenrechtssituation in der Türkei, insbesondere in den
kurdischen Gebieten".
Wenn die Dame wenigstens gesagt hätte, daß sie dagegen sei, dann hätte sie wenigstens
eine Meinung. Aber immer diese Politikersprache, die einen gruseln läßt, immer
dieses "zweifelhaft" und "umstritten", immer diese
Andeutungs- und Einschränkungspseudomoral.
Wirklich hübsch an der Geschichte ist aber: 1999 fragte die Türkei zuletzt nach
den deutschen Leopard 2-Panzern an, es wurde zwar ein Probeexemplar geliefert,
danach verzichtete die Türkei jedoch auf den Kauf, und hierzulande hatte sich
die rot-grüne Regierung auf verschärfte Waffenexportrichtlinien geeinigt (die
die bundesdeutschen Waffenhersteller nicht daran hinderten, seither in jedem
rot-grünen Regierungsjahr deutlich mehr Waffen zu verkaufen als zuvor).
Vor einem Jahr äußerte der "Grünen"-Außenminister Joschka Fischer
dann, die Chancen der Türkei auf eine Panzerlieferung hätten sich durch deren
"inneren Wandel" erhöht. Fischer sagte im Oktober 2004, die Türkei
werde jetzt Kandidat für einen EU-Beitritt. Wenn sich also "die
Realitäten" der Türkei grundsätzlich "zum Positiven"
veränderten, dann werde das "zu berücksichtigen sein".
Aber was kümmert die "Grünen"-Gurke Roth das Geschwätz ihres
Außenministers - hat sie doch wieder eine Gelegenheit gefunden, sich moralisch
aufzuplustern.

* * *

"Dieses Land braucht
eine neue Grundmelodie: fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen
lassen. Und nicht mehr: o weh, o weh, o wie, o wie, herrjemine."

SPD-Politikerin Andrea Nahles.
Ich wüßte einen Weg, wie Frau Nahles dazu beitragen könnte, daß zumindest ich
ein klein wenig fröhlicher würde…

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"Um Geschmack geht es in
der Politik nur in einem weiteren Sinne. Wer Geschmack hat, wird nicht Mitglied
der CDU." Diedrich Diederichsen

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Im Berliner "Tagesspiegel" stellt ein Harald Schumann einige Fragen:
"Warum verdreifachte
sich der Preis für Rohöl binnen vier Jahren? Warum stagnieren in den
Wohlstandsländern die Löhne, obwohl Produktivität und Unternehmensgewinne
steigen? Warum wächst die Auslandsverschuldung der USA jeden Tag um 1,8
Milliarden Dollar?"
Ja, warum nur dies alles, Harald Schumann? Es gäbe eine so einfache wie
korrekte Antwort auf all diese Fragen.
Der Harald Schumann hat aber seine ganz eigene Antwort: Der Chinese hat Schuld!
"Tatsächlich lassen
sich alle (Fragen, BS) mit dem gleichen Satz beantworten: Die Ursachen liegen
in China."
Und zur Begründung raunt Herr Schumann mit allem auf der Theo Sommer-Uni
angelernten Journalistenlatein von Chinas "Energiehunger", von der
"rasanten Integration" des "Reichs der Mitte" in die
Weltökonomie. Das Angebot an "billiger Arbeitskraft" ist da natürlich
ein "Überangebot" und obendrein noch "unerschöpflich" und
wirkt, ganz ohne Masochismus tuns solche Herren bekanntlich nicht, als
"globale Lohnpeitsche".
Der Handelsüberschuß der USA ist "überbordend", die Chinesen gewinnen
daraus einen "Dollarschatz". Und dann kommt, man hat ihn förmlich
herbeigesehnt, der "Atem des chinesischen Drachens" ins Spiel, und so
holpert es in einem fort, und man hofft inständig, daß die Bildungsreformen,
die angesichts der hiesigen Pisa-Misere vonnöten wären, dazu führen, die
Nutzung standardisierter Adjektive für sagen wir mal zwanzig Jahre bei
Androhung eines "Tagesspiegel"-Abonnements zu verbieten.

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Daß der "Preis für besondere Leistungen der deutschen
Veranstalterwirtschaft" als "LEA" daherkommt, betrachte ich aus
recht persönlichen Gründen als Unverschämtheit.
Aber hierzulande kann die sogenannte Musikindustrie keinen Schritt tun ohne
großes Getöse: Nicht nur "erstmals
in Deutschland", sondern gleich auch "einzigartig in Europa"
würden durch "LEA" nicht die darbietenden Künstler, sondern die am
Erfolg beteiligten Veranstalter ausgezeichnet.
Diese bleiernen Wichtigtuer sollten einfach mal ins finnische Tampere fahren,
wo jeden Herbst, soeben zum 10.Mal, die finnischen Preise der
Veranstalterwirtschaft verteilt wurden - für die besten Manager, die besten
Konzertagenten, die besten Veranstalter, die besten Clubs, die besten Festivals
und so weiter und so fort.
Wenn man schon zehn Jahre braucht, um von den Finnen abzukupfern (und ich
fordere ja schon länger "Von Finnland lernen, heißt siegen
lernen!"…), dann sollte man doch wenigstens auf das gröbste Eigenlob
verzichten. Kollegen, ihr bleibt auch so einmalig. In welcher Kategorie, will
ich jetzt mal dahingestellt sein lassen…

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"Selbst bei gleicher
Intelligenz und Wissensstand hat ein 15jähriger Schüler aus reichem Elternhaus
eine viermal so große Chance, das Gymnasium zu besuchen und damit das Abitur zu
erlangen, wie ein Gleichaltriger aus einer ärmeren Familie. (...) Bereits der
erste Pisa-Test hatte belegt, daß in keinem anderen Industriestaat der Welt das
Schulsystem bei der Förderung von Arbeiter- und auch Migrantenkindern so sehr
versagt wie in Deutschland. In Bayern ist die Chancenungleichheit auf dem Weg
zum Abitur besonders stark ausgeprägt. Kinder aus der Oberschicht haben dort
eine 6,65mal größere Chance, das Gymnasium zu besuchen und die Reifeprüfung
abzulegen, als Schüler aus einem Facharbeiterhaushalt."
(aus Springers "Welt")

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Daß die dämliche "Du bist Deutschland"-Kampagne der Werbeagentur Jung
von Matt direkt von den Nazis abgekupfert wurde, war in dieser Deutlichkeit
denn doch ein klein wenig überraschend. Der Unterschied in den Kampagnen
Hitlers und Jung von Matts besteht nur in den Gesichtern - das im Buch
"Ludwigshafen - ein Jahrhundert in Bildern" abgedruckte Beweisfoto
einer Nazi-Demsonstration aus 1935 verwendet im Gegensatz zu der Kampagne 70
Jahre später den damals aktuellen Kopf mit dem Schnurrbart über dem
gleichlautenden Slogan "Du bist Deutschland", anstelle der in dieser
Pappnasen-Republik üblichen Verdächtigen.

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Aus der Einladung zu einer "Phono Lounge":
"Der Berliner DJ … aus
dem Hause Shitkatapult wird am Abend ein musikalisches Set von eurocrunk über
techno bis hin zum booty hiphop und dancehall-grime hinlegen, womit er die
Lounge schwer ins Schwitzen bringen wird. Seid dabei wenn der Plattenmaster
roughe und elegante Einflüsse aneinander reiben läßt und tut es ihm
gleich!"
Mir wird vom Lesen schon ganz heiß.

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Gut, daß die neue Koalition aus CDU/CSU und SPD sich so intensiv mit der
Kulturpolitik auseinandersetzt. Im Koalitionsvertrag steht es schwarz auf weiß:

"Im Mittelpunkt der
Kulturpolitik steht die Förderung von Kunst und Künstlern."
Mensch, das mußte mal fixiert werden!

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Es stand in der "FAZ":
Árpád Urbán, Abgeordneter der Sozialisten im ungarischen Parlament, hatte im
Mai 2004 Aufregung hervorgerufen, als er behauptete, "innerfamiliäre Gewalt"
komme "hauptsächlich in
Zigeunerfamilien" vor. Am letzten November-Wochenende 2005 nun
wurde eben dieser Árpád Urbán bei der Wildschweinjagd in Nordungarn vom eigenen
Bruder erschossen…