05.05.2005

Und Ansonsten 2005-05-05

Hübsch
ist es, die aktuellen Erfolgsgeschichten der sogenannten
"Musikindustrie" zu verfolgen (wir erinnern uns: das ist der von den
Medien, auch den Branchenmagazinen, gern so bezeichnete kleinere Teil der
Musikwirtschaft, nämlich die Plattenkonzerne). Waren bis vor wenigen Monaten
noch die Downloads Ursache für den Niedergang der "Musikindustrie",
so ist davon jetzt nicht mehr die Rede. Was kümmert mich mein Geschwätz von
gestern…
Aber da die Plattenkonzerne jetzt wieder fette Gewinne schreiben, liegt dies
natürlich nicht mehr, wie bei den Verlusten, an der bösen Umwelt, an der
Politik, die endlich Quoten liefern muß, an den Downloads, nein: erfolgreiche
Manager haben jetzt plötzlich in die Hände gespuckt und durch pure Leistung den
Karren aus dem Dreck gezogen.
Böswillig ist, wer meinen würde, die Musikmanager hätten eventuell auch Schuld
an dem Desaster der Plattenindustrie während der letzten Jahre, schließlich
kann nicht sein, was nicht sein darf…

* * *

Am 10.April gaben die Berliner Symphoniker ihr letztes Konzert. Gescheitert ist
dieses traditionsreiche Berliner Orchester daran, daß die Berliner
Landesregierung unter dem Druck des Regierenden Spaßbürgermeisters Wowereit und
mit tätiger Mithilfe des Kultursenators ein Ende der Förderung beschlossen
hatte - gegen ein älteres Votum des Parlaments, und gegen den Protest vieler
Bürger.
"Was das Ende der
Symphoniker für das Gemeinwesen bedeutet, das wurde in dieser Zeitung im
letzten Jahr ausführlich erklärt: Anspruchsvolle Musik ist hier für ein
Publikum zugänglich gemacht worden, das die Schwelle zu den glanzvolleren
Konzerten bürgerlicher Selbstrepräsentation nicht einfach überschreitet. Diesem
Publikum hat die Entscheidung der Landesregierung die klassische Musik
weitgehend genommen. Und auch im Bereich der musikalischen Jugendarbeit ist
eine Lücke gerissen. Wie kein anderes Orchester haben die Symphoniker in den
Schulen und in eigenen Familienkonzerten Kinder und Familien für die Musik gewonnen.
Die Basisarbeit der Symphoniker bleibt jetzt unerledigt liegen, und das in
einer Stadt, in der dem Musikunterricht an den Schulen ohnehin nur ein
mangelhaft gegeben werden kann." (Berliner Zeitung)
Man könnte das vielleicht noch deutlicher sagen: Dem Berliner Senat, den
Genossen Wowereit oder Flierl (der sich nicht entblödete, ausgerechnet an dem
Tag, an dem das letzte Konzert der von ihm mitbeerdigten Symphoniker stattfand,
ein "Sozialticket" für klassische Musik zu fordern, was angesichts
der Faktenlage wirklich nur noch als Unverschämtheit bezeichnet werden kann…)
ist es völlig wurscht, ob das genannte Publikum und die Jugend an klassische
Musik herangeführt wird. Solange Wowereit zu den Philharmonikern kann oder
Desiree Nick knutschen darf, ist er glücklich und zufrieden, solange Flierl
Freikarten bei der Berlinale schnorren kann, fehlt dem nichts. Widerlich.
Irgendwann kann die Berliner Landesregierung ja dann alle Leute mit einem Handy
in die Konzertsäle einladen. Da können dann die Klingeltöne miteinander Musik
machen. Und Typen wie Flierl dürfen das dann dirigieren.

* * *

Die "Zeit" bietet in ihrem Sonderheft zur "Stunde Null", zu
1945, eine "Zeit-Musikedition: Musik der Stunde Null" an. Aus dem
Werbetext des "Zeit"-Shop: "Diese
exklusive CD-Edition führt zurück in die Zeit, als Deutschland endlich wieder
hören durfte, was es hören wollte. Von "Lilly Marleen" bis hin zu den
"Capri-Fischern" sind alle Hits von 1938 bis 1946
zusammengefaßt."
In der Tat, daran erinnern wir uns, dem "Untergang" sei Dank, ja ganz
genau: 1938 bis 1945, das war wirklich ganz genau die Zeit, zu der
"Deutschland (!) endlich wieder hören durfte, was es hören wollte"…
Entartete Musik hat der Hitler jedenfalls in der Zeit nicht zugelassen.

* * *

Wo die ARD den ganzen Samstag über die Hochzeit irgendeines Thronfolgers mit
irgendeiner Tusnelda live überträgt, und das ZDF direkt im Anschluß daran eine
umfassende Zusammenfassung dieses wichtigen Events bringt, an solch einem Tag
weiß man doch wieder, wofür man gerne seine erhöhten Rundfunkgebühren zahlt.
Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten nehmen endlich wieder ihren
Kulturauftrag wahr. ARD, danke! ZDF, danke! Ohne euch bliebe nur der
Kulturbeutel übrig.

* * *

Hübsch, wie "Grünen"-Parteichef Bütikofer der deutschen Autoindustrie
"jahrelange Boykottstrategie" gegen Rußfilter für Dieselautos
vorwirft, und das als einen "Skandal" bezeichnet. Den Konzernen sei
bekannt gewesen, "daß in Deutschland jährlich 65 000 Menschen wegen der
Feinstaubbelastung sterben". Umweltminister Jürgen Trittin appellierte an
die Länder, endlich ihren Widerstand gegen Kfz-Steuer-Rabatte für Dieselautos
mit Filtern aufzugeben.
Nach neuesten Erkenntnissen ist seit 1998 keine rot-grüne Bundesregierung im
Amt, nach noch neueren Erkenntnissen ist seit 1998 kein "grüner"
Bundesumweltminister namens Jürgen Trittin im Amt, mithin konnte nach
allerneuesten Erkenntnissen die Bundesregierung natürlich kein Gesetz erwirken,
das Rußfilter für Dieselautos verpflichtend zum Standard gemacht hätte. Den armen
Politikern waren die Hände gebunden. Wir recherchieren noch, wer seit 1998 als
Bundesregierung wirkt, und sind für sachdienliche Hinweise dankbar.

* * *

Manchmal wissen auch die Leute von der CSU Bescheid. "Man muß die Einzelschicksale
sehen", sagt der Würzburger Landrat Waldemar Zorn, CSU, und
macht selbigem weiter Luft: "Da
sind über 1000 Menschen betroffen, für die geht doch alles den Bach runter. Und
das nur, um irgendwelchen anonymen Großaktionären ein paar Prozent mehr zu
verschaffen, das sind perverse Verhältnisse."
Findet der CSU-Mann, wenn der Großkonzern Siemens in Würzburg 600 Arbeiter
entlassen will. Das Prinzip, das zu dem einen wie dem anderen führt, würde
natürlich kein CSU-Mann jemals in Frage stellen, und auch Herr Müntefering führt
seine Heuschrecken-Kampagne ja nur im luftleeren Raum, wo das Zirpen der
Zikaden nichts kostet…

* * *

Öffentliche Ausgaben pro Kind im Elementarbereich (drei bis sechs Jahre) im
Jahr 2001 in Euro: Großbritannien 8.115 - Italien 6.468 - Niederlande 5.083 -
Österreich 5.058 - Frankreich 4.629 - usw. usf. Schlußlichter: Deutschland
3.448 und Spanien 3.360.
(Quelle OECD, zitiert nach "Spiegel").

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"…aber wenn du gute
Musik machst, ist es egal, ob du aus Hamburg, Köln oder Bautzen kommst",
sagt Silbermond-Sängerin Stefanie Kloß. Aber wenn die Musik schlecht ist, was
dann?

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"Lou Reed, daran läßt
er keinen Zweifel, ist nicht von New York nach Berlin gekommen, um
ganzkörperschlenkernde Faxenköpfe zu ermutigen. Mir ist das sehr recht. In der Kunst
gelten strengere Gesetze als im Leben. Eins davon heißt: Eurythmie, fick dich
ins Knie!"
Wiglaf Droste in einer Konzertrezension

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Deprimierend ist nicht nur der Tod von Hasil Adkins (und ich bin noch heute den
wunderbaren Southern Culture On The Skids dankbar, daß sie mich auf diesen
großen Rock'n'Roller aufmerksam gemacht haben! und Bands wie Yo La Tengo
machten ihm die Vorband…), sondern auch die Tatsache, daß all diejenigen, die
die jeweils aktuellen Rock-Säue goutieren, die die Musikindustrie allmonatlich
durchs mediale Dorf treibt, daß all diejenigen den Namen Hasil Adkins wohl nie
gehört haben dürften. Dabei hat jede Schallplatte von Hasil Adkins, des "Genius des
Pop-Primitivismus" (Karl Bruckmayer), mehr Seele, mehr Energie
als die ganze Jahresproduktion Deutschrocks aller Majors zusammen. Was
zugegebenermaßen jetzt auch wieder kein Kunststück ist, aber ihr wißt schon,
was ich meine. "Will You Miss Me" hat
Adkins auf einem Country-Album gecovert ("To
me, the way I see it, I wouldn't be in music at all if there was no country
music."). Yes, we will miss you, Mister Hasil Adkins, and your
"Happy Guitar"!

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Frankreich, du hast es besser! Wie oft war das an dieser Stelle bereits zu
lesen. Jüngster Beleg: Ein Pariser Gericht hat in Berufungsinstanz entschieden,
daß Kopierschutzsysteme auf DVD generell (!) rechtswidrig sind, da sie den
Verbraucher hindern, sein Recht auf Privatkopie auszuüben. Das Gericht hat die
Produktionsfirma unter Androhung einer Geldstrafe von 100 Euro pro Tag angewiesen,
den Kopierschutz von sämtlichen im Handel befindlichen Exemplaren der DVD zu
entfernen.
Toll!
Allerdings befindet sich eine europäische Richtlinie zum Urheberrecht angeblich
im Entwurfsstadium, und wenn man die industriehörige Haltung zum Beispiel der
Bundesregierung und die rot-grüne Position zur Privatkopie kennt, kann man sich
ausmalen, wie diese Richtlinie am Ende aussehen wird…

* * *

Dafür hat die regierungsnahe "taz" zu ihrem 26.Geburtstag für eine
Woche einen Porsche erhalten. Die Zeitungsleute, merkt die "FAZ"
süffisant an, hätten in halb ironischer, halb hedonistischer Absicht an
Porsche-Chef Wendelin Wiedeking geschrieben, auch sie würden gerne mal mit
einem 911 zur Arbeit fahren. Porsche schickte für eine Woche den Wagen, und
prompt war taz-Chefin Bascha Mika, sich auch sonst für keine Peinlichkeit zu
schade, in dem silbernen Fahrzeug in Berlin unterwegs.

* * *

Ich bin schwach, ich gebe es zu. Wie oft hatte ich schon angekündigt,
Grünen-Chefin Roth sei in diesen Spalten nicht mehr satisfaktionsfähig. Aber
wollt ihr wirklich auf die Meldung verzichten, daß Claudia Roth nun, nach der
Papstwahl, der Öffentlichkeit ihren zweiten Vornamen preisgegeben hat? Eben.
Benedikta heißt sie, die grüne Gurke, und das paßt doch alles so prächtig, daß
man es nicht besser hätte erfinden können, oder?

* * *

Was daran skandalös sein soll, daß der Musikmanager David Brandes mit dem Kauf
von CDs seiner eigenen Künstler deren Position in den Charts zu verbessern
suchte, versteh ich nicht so richtig. "Wenn
keiner den Scheiß kaufen will, den die Musikindustrie produziert, muß sie es
eben selbst tun" (Hollow Skai). What's da problem?

* * *

Der "Spiegel"-Titel vom 2.5.2005, nach Wochen des langen und bangen
Wartens endlich wieder Hitler auf dem Cover: "Albert
Speer und sein Führer". Könnte Goebbels das noch erleben, er
wäre zufrieden mit seinen Propagandaerfolgen. Hat mal jemand die Hitler-Cover
des Spiegel gezählt?
Eine Frage allerdings habe ich - müßte das nicht eigentlich korrekt
"Albert Speer und unser
Führer" heißen?

Komm lieber Mai und mache…