03.03.2015

Religiöse Gefühle

„’Religiöse
Gefühle’ sind ein Missverständnis. Gefühle
als solche können peinlich oder angenehm, erhebend oder bedrückend, stark oder
schwach sein, aber nicht religiös oder profan. Man mag zwar bestimmte
Erlebnisse als derart durchdringend, erschütternd oder erhebend empfinden, dass
man folgert: Das war mehr als bloß profan; da muss mich eine höhere Macht
angerührt haben. Doch niemand fühlt Gott oder das Heilige direkt, sondern allenfalls
etwas, was er für Gott oder heilig hält. Gerade weil es religiöse Gefühle an
sich nicht gibt, ist das, was dafür gehalten wird, so angreifbar. Zur
psychologischen und militärischen Kriegführung hat denn auch stets gehört, die
Heiligtümer der Besiegten zu schänden und ihre Rituale zu verhöhnen. Erst spät,
im Europa der Neuzeit, hat sich Blasphemie mit Freigeisterei und Zivilcourage
verbunden. Was langen Beweisgängen oft versagt bleibt, schafft bisweilen ein
einziger Witz, eine Satire, eine Karikatur: das Eitle und Aufgeblasene
geltender Autoritäten bloßzustellen. Kritik ohne Spott ist zahnlos. Daher hat
aufklärerische Religionskritik, namentlich in Frankreich, religiöse Autoritäten
und die von ihnen gehegten Gefühle ab und zu beleidigt. Aber eher beiläufig.
Ihr Hauptziel war, dem Christentum die Wahrheit streitig zu machen.“Christoph Türcke in „NZZ“ (Hervorhebung BS)