02.11.2017

Ligetis "Le Grand Macabre" - nach der Bundestagswahl

Und nun, nach der Bundestagswahl?
Haben Sie auch das Gefühl, daß es beim Wählen „eher um eine zynische taktische Geste“ geht, wie es Geoffrey de Lagasnerie formuliert hat?

Es wird ja nun gerne und häufig behauptet, es würden „zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg Vertreter einer rechten Partei“ beziehungsweise gar „Neonazis“ im Bundestag sitzen. Echt jetzt? Offensichtlich wird gerne vergessen, daß (ehemalige?) Nationalsozialisten den Deutschen Bundestag bis weit in die 1980er Jahre bevölkert haben, ja, sie sogar Regierungsgeschäfte wahrnehmen durften, und es eher eine biologische Frage war, daß es dann für kurze Zeit keine Rechtsradikale mehr im Parlament gab.
Das Problem ist doch auch heute eher, daß ein nicht gerade kleiner Teil der hiesigen Bevölkerung ein geschlossenes rechtsradikales Weltbild hat. Daß sich so etwas auch mal in einem Wahlergebnis niederschlagen kann, und zumal, wenn die Medien alles dafür tun, die Vertreter der rechtsradikalen Partei bekannt zu machen, nimmt doch eigentlich kaum Wunder.
Der wahre Erfolg der AfD bei den Wahlen besteht darin, daß ihre Thesen längst jede andere Partei, die es in den Bundestag geschafft hat, direkt oder indirekt übernommen hat. Die Seehofer-CSU sowieso, die Schulz-SPD, Lindners FDP, die Grünen, die Afghanistan munter als sicheren Abschiebestaat deklarieren, und nicht zuletzt auch die Wagenknecht-Linke: Auf jede drängende gesellschaftliche Frage wurde, wie Karl-Markus Gauss in der „SZ“ schrieb, „eine ethnische Antwort gegeben“. Gauss schreibt über den Wahlerfolg der FPÖ in Österreich, aber es liest sich wie ein Kommentar zur Bundestagswahl: „Das ist der wahre Triumph der FPÖ, daß sie mit der von ihr betriebenen Ethnisierung jedweden gesellschaftlichen Problems die konservative wie die sozialdemokratische Partei (und FDP, Grüne und die „Linken“...) vor sich her treibt.“

Das Theater, das jetzt in den Berliner Sondierungsgesprächen aufgeführt wird, erinnert an Ligetis „Le Grand Macabre“: Wie die beiden zerstrittenen schwarzen und weißen Minister des Fürsten Gogo sich mit einem Alphabet an Schimpfwörtern eindecken; wie die Geheimpolizei-Chefin Gepopo Angst vor einem Volksauflauf hat; wie Nekrotzar die baldige Vernichtung der Welt deklariert und die Protagonisten für sich instrumentalisiert, und wie in der Schlußszene alle Protagonisten intonieren: „Fürchtet euch nicht!“ – das hat eine ungeheure Kraft und Tiefe, und man will es nie mehr anders sehen als in der großartigen Inszenierung von Herbert Fritsch am Theater Luzern. „Das Absurde als das auf den Kopf gestellte Normale“ (Peter Hagmann).
Ein Vorschlag zur Güte: Erspart uns, liebe ARD, liebes ZDF, eure braven Rapporte von all den Berliner Sondierungsgesprächen, all die versammelten Nichtigkeiten, in denen das Berliner Laientheater Politik spielt, und zeigt ein paar Wochen lang in euren Tagesschauen und Heute-Sendungen stattdessen Ausschnitte aus der Herbert Fritsch-Inszenierung von Ligetis „Le Grand Macabre“. Wir können alle viel daraus lernen. Und es wäre ein großes Vergnügen noch dazu!

P.S.: Und bitte bitte, gebt dem Özdemir von der grünen Partei kein Ministeramt! Er ist nicht nur sowieso und grundsätzlich nicht ganz bei Trost, sondern er ist auch zu gebrechlich. Er fährt in Berlin, das ja bekanntlich reichlich flach ist, als mittelalter Mann mit einem E-Bike herum! Er braucht also selbst im Flachen einen Elektromotor, da, wo sein Parteifreund Ströbele noch in hohem Alter einzig mit Muskelkraft durchs Geschehen düst...