26.03.2018

Mindestlohn - Ausnahme wird zur Regel

Unternehmen in Deutschland nehmen es nicht so genau mit dem gesetzlichen Mindestlohn. Beschäftigten und Sozialkassen werden jährlich Milliardenbeiträge vorenthalten, wie eine am Freitag vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichte Studie belegt.
2016 summierten sich Lohnausfälle und Mindereinnahmen der Sozialversicherung demnach auf rund 7,6 Milliarden Euro. Wird noch das Umgehen allgemeinverbindlicher Branchenmindestlöhne hinzugerechnet, die es beispielsweise auf dem Bau oder in der Pflege gibt, beläuft sich die Gesamtsumme für 2016 sogar auf fast zehn Milliarden Euro. WSI-Arbeitsmarktforscher Toralf Pusch erklärte, dass die staatlichen Kontrollen endlich verbessert werden müssten.

Frauen und Ostdeutsche werden laut Studie besonders oft um ihren Lohn geprellt. 2016 wurden 11,5 Prozent der weiblichen und 4,6 Prozent der männlichen Beschäftigten der Mindestlohn vorenthalten. In Ostdeutschland waren 12,6 Prozent und in Westdeutschland 7,3 Prozent betroffen. Das WSI erklärt diesen Unterschied mit der geringeren Tarifbindung und weniger Betriebsräten in den neuen Bundesländern. Insgesamt bekamen 2016 rund 2,2 Millionen Beschäftigte in Deutschland weniger als die gesetzlich definierte Gehaltsuntergrenze.
Diejenigen, denen laut Studie im Jahr 2016 der Mindestlohn vorenthalten wurde, haben den Berechnungen zufolge im Schnitt 251 Euro monatlich zuwenig erhalten. Die Brutto-Lohnausfälle beliefen sich damit auf 6,5 Milliarden Euro. Und weil auf die niedrigere Lohnsumme weniger Sozialabgaben anfielen, entgingen auch den Sozialversicherungen rund 2,8 Milliarden Euro, von denen rund 1,1 Milliarden Euro von den Unternehmen zu zahlen gewesen wären.

Die Studie zeigt, dass sich Konzerne mit Tarifvertrag und Betriebsrat weitaus konsequenter ans Mindestlohngesetz halten als Firmen, in denen beides fehlt. Im ersten Fall hätten bei einer Befragung lediglich 1,8 Prozent der Beschäftigten angegeben, weniger als den Mindestlohn erhalten zu haben. Dagegen seien es in Betrieben ohne Tarif und Mitbestimmung 15,6 Prozent, also fast neunmal so viele, gewesen.