02.03.2012

Und Ansonsten Newsletter 03/2012

Eines ist klar: Wenn man sich betrachtet, mit welchem Eifer
und Ernst hierzulande wochen-, wenn nicht monatelang eine Scheindebatte um den
Posten des amtlichen Grußonkels, also des Bundespräsidenten geführt wurde, dann
kann man nur zu einem Schluß kommen: Politik, Wirtschaft und die ihnen
verbundenen Medien können sich die Hände reiben – Ablenkungsgefecht gelungen!
Niemand redet mehr von den Banken, die die Politik diktieren, niemand redet
mehr von den Rechten der Immigranten hierzulande, keiner diskutiert
Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien oder die soziale Situation der Unterschicht
– nein, es wird so getan, als ob wir nichts Wesentlicheres zu bedenken hätten
als die Frage, welcher Pope im Schloß Bellevue Platz nimmt (als ob es nicht
ausreichen würde, daß „wir“ schon längst Papst sind...). Aber wenn man sich auf
die Logik des Politik- und Medienbetriebes einlassen möchte, fällt doch eines
auf: Jetzt wird also ein veritabler Konservativer, innerhalb des konservativen
Spektrums am rechten Rand anzusiedelnder Ex-Pastor Bundespräsident. Einer, der
den sozialdemokratischen Salon-Nazi und Bestsellerautoren „mutig“ nennt, einer,
der die Einzigartigkeit des Holocausts anzweifelt und wie die „neuen Rechten“
etwa der „Jungen Freiheit“ von der Ersatzreligion Auschwitz brabbelt und den
Nationalsozialismus mit dem Kommunismus der DDR gleichsetzt (und bekanntlich
hat ja auch die DDR sechs Millionen 
Juden vergast und einen Weltkrieg angezettelt, der 20 Millionen
Todesopfer forderte...). Einer, der die Finanzmarkt- und Antikapitalismus-Debatte
für „unsäglich albern“ hält und den Hartz IV-Empfängern mehr Engagement
empfiehlt. O.k., das alles scheint mir ein relativ realistisches Gesicht der
aktuellen Bundesrepublik zu sein, also könnte man mit Peaches und Joan Jett  sagen (diese Idee hatte Christian Y.
Schmidt):Aber wenn man sich mal einen Moment lang auf die Logik des
herrschenden Diskurses einläßt, kommt man auf dieses hübsche
Bäumchen-Wechsel-dich-Spiel: Auf die Idee, den ausgewiesenen
Rechtskonservativen zum Bundespräsidenten zu machen, kam der linke Grüne Trittin.
In seinem Schlepptau der Sozialdemokrat Gabriel. Dem konservativen
Bundespräsidenten-Kandidat verweigerte sich die konservative Bundeskanzlerin.
Die Witzfigur im ganzen Spiel, also Philipp Rösler (hätte man gedacht, daß man
sich jemals Guido Westerwelle zurückwünschen würde?!?), geriert sich dann
wiederum als Präsidentenmacher, indem er darauf insistiert, den Konservativen
zu wählen, den er und seine Parteifreunde vor zwei Jahren hätten haben können,
als sie aber lieber gewulfft haben. Rösler: „Man kann Ämter verlieren, aber
eben nicht seine Überzeugung.“ Weil ein Clown wie Rösler so etwas eben nie in
seinem Kleiderschrank hängen hatte: eine „Überzeugung“... Nun wird in der
Grünen-freundlichen „taz“ die Präsidentenkür mit guten Gründen kritisiert, und
der linke Grüne Trittin, Fan des erzkonservativen Pastoren, wirft seiner
Hauszeitung „Schweinejournalismus“ vor, den er „nur von der Bild-Zeitung“
kenne.

Wenn man ihn unter vier Augen fragen würde (und ihm vorher
ein Wahrheitsserum eingeflößt hätte), würde Trittin sofort zugeben, daß sein
und Gabriels Vorschlag, Gauck zum Präsidenten zu machen, ein strategischer
Schachzug war, mit dem sie Merkel in die Bredouille treiben wollten. Und das
können sie nun, wo ihr Kandidat zwei Jahre später „Bürgerpräsident“ wird, nicht
zugeben, sondern müssen wie die Honigkuchenpferdlein um die Wette strahlen, um
den Coup nicht dem Rösler zu überlassen.

Und nun erzählen Sie uns mal was von Politikverdrossenheit,
gelt? Und schade mit Trittin, der war eigentlich einer der wenigen, die man
noch ein bißchen ernst genommen hatte...

Ansonsten bleibt nur zu sagen, was Friedrich Küppersbusch
festgestellt hat: „Und da ist es schon ein Statement, nach Christian
"Der Islam gehört zu Deutschland" Wulff standrechtlich eine bunte
Auswahl christlicher Pfaffen auszugucken. Wenns nur einer mit ordentlich
Mitgliedern sein sollte, sähe ich DGB-Chef Sommer knapp vor dem
ADAC-Präsidenten. Ich mag nicht glauben, daß dieses Land Parteipolitiker,
Kirchenfürsten und sonst nur Deppen am Start hat.“

Und ansonsten sagen wir mit Alphonse Allais: „Wir können nicht genug Vorsicht jenen unter
unseren Lesern empfehlen, die sich aus diesem oder jenem Grund gezwungen sehen,
Geistliche in ihre Wohnung zu lassen.“ Was nicht minder fürs Schloß
Bellevue gilt...* * *„Ich finde zwar,
daß ein bißchen Musikwissenschaft nie schadet, denn je mehr
Unterscheidungskriterien ich habe, desto mehr Vergleichsmöglichkeiten habe ich.
Aber die Unterscheidung ist kein Wert an sich. Viele Leute finden es toll, wenn
sie viel unterscheiden können. Ich finde es deswegen toll, weil ich dann viel
vergleichen kann. Mich interessiert es immer mehr, Sachen zusammenzubringen,
als Sachen auseinanderzusäbeln. (...) Aber natürlich soll gerade Popmusik von
vornherein auf Leute wirken, die alle keine Noten lesen können, nämlich auf die
sogenannten Massen. Da ist es dann tatsächlich so, daß ich als Kritiker mit
dieser ersten Faszinationsebene anfangen muß."

„Denen (dem bürgerlichen
Feuilleton, BS) war klar, daß man nicht
nur etwas von Luigi Nono verstehen muß, wenn man sein Publikum darüber
unterrichten will, was an dieser Front "Musik" gerade Intelligentes
läuft, sondern man muß auch von Neil Young oder Bob Dylan und allmählich sogar
von HipHop etwas verstehen." (Dietmar Dath)

Wobei mir das Problem im Musikjournalismus heute eher andersherum zu
sein scheint, nämlich, daß man zwar viel von Bob Dylan und (zu) wenig von
HipHop versteht, aber kaum etwas von Luigi Nono gehört hat...* * *Um Wulffs Verfehlungen haben sie so einiges Gewese gemacht.
Daß dieses Land längst eine geschmierte Republik ist und im Korruptionsindex
von „Transparency International“ im europäischen Vergleich bestenfalls im
Mittelfeld landet (weit hinter Dänemark, Finnland,  Schweden, den Niederlanden oder der Schweiz),
beweist die Tatsache, daß sich die Bundesrepublik seit Jahren weigert, die
UN-Konvention gegen Korruption zu ratifizieren. Im Kern geht es darum, daß
Deutschland endlich den Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung
internationalen Standards anpassen, also verschärfen müßte. Bestechung und
Bestechlichkeit von Mandatsträgern müßte ebenso konsequent unter Strafe
gestellt werden wie schon die verwerfliche Beeinflussung eines Abgeordneten bei
der sonstigen Wahrnehmung seines Mandats. Da will Deutschland nicht mitmachen und
hat die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC) bis heute nicht unterzeichnet –
und steht damit in einer Reihe mit Staaten wie Saudi-Arabien, Syrien, Birma und
Sudan...* * *Und während hierzulande jede vermeintliche Beschränkung des
Internets in China von Politik und embedded journalism wortreich verfolgt wird,
hat die Todesstrafe für Twitter-Meldungen in Saudi-Arabien nur für wenig
Aufsehen gesorgt. Der junge saudi-arabische Journalist Hamsa Kaschgari hat auf
Twitter ein logischerweise fiktives, stellen weise kritisches Gespräch mit dem
Propheten Mohammed geführt. Kaschgari floh vor dem „streng gläubigen“
saudi-arabischen Mob nach Malaysia, von wo er jedoch nach Riad abgeschoben
wurde, wo die saudische Polizei ihn umgehend festnahm. „Nun muß er um sein Leben fürchten, denn in dem erzkonservativen
Königreich kann der „Abfall vom Islam“ mit dem Tod bestraft werden.“ (FR)

Doch wer nun glaubt, die deutsche Politik, die sich doch
sonst an allen Stellen gerne als Vorkämpferin der „Freiheit“, insbesondere der
„Meinungsfreiheit“ geriert, würde Druck auf Saudi-Arabien ausüben, der sieht
sich eines Schlechteren belehrt. Saudi-Arabien, einer der „autoritärsten
Staaten der Welt“, in dem massiv die Menschenrechte mißachtet werden, die
Regierung friedliche Regimekritiker jahrelang einsperren und foltern läßt, wo
Homosexuelle ausgepeitscht und Ehebrecher, Drogendealer und Räuber mit der
Todesstrafe rechnen müssen, dieses Saudi-Arabien also bezieht von Deutschland
seine Kampfpanzer und ist auch sonst ein wichtiger Verbündeter und
Wirtschaftspartner. „Die Saudis sind lukrative Geschäftsfreunde und wichtige
geostrategische Partner“ (FR), das reicht der deutschen Regierung, um den
saudischen Despoten nicht lästig zu werden und bei den Menschenrechten auch
einmal beide Augen zuzudrücken. Ekelhaft.* * *Das „Universal Presse Webteam“ teilt mir aufgeregt mit:
Die Unheilig-Autogrammstunden in Köln und Stuttgart wurden in größere Locations
verlegt! „In
den ursprünglich angekündigten Lokalitäten sind diese leider nicht mehr durchführbar,
da die zu erwartenden Besucherströme zu groß werden könnten. Glücklicherweise
wurden in beiden Städten alternative Locations für die Autogrammstunden mit dem
GRAF gefunden. Wir bitten darum, diese neuen Loactions zu kommunizieren.
Der Unheilig Charity-Kooperationspartner (für Herzenswünsche e.V.) XXXLutz gibt
dem Graf die Möglichkeit im XXXL Mann Mobilia Möbelhaus in Fellbach bei
Stuttgart die angekündigte Autogrammstunde für Stuttgart ausrichten, in Köln
wird diese nun in der Live-Music-Hall stattfinden.“

Dieser höflich, aber ein wenig konfus vorgetragenen Bitte auf
„Kommunizierung dieser neuen Loactions“ (Low-Actions?) kommen wir gerne nach.
Und im nächsten Leben buchen wir nur noch Autogrammstunden in so charmanten
Loactions wie dem XXXL Mann Mobilia Möbelhaus zu Fellbach. Versprochen.* * *Die Berliner Musikschulen haben nach einem Bericht der
„Berliner Zeitung“ fast 2.000 Lehrer jahrelang als Scheinselbständige
beschäftigt, also ohne Sozialabgaben zu bezahlen. Dies ergab eine Prüfung der Rentenversicherung.
Nur sieben Prozent der 2.100 Musiklehrer an Berlins staatlichen Musikschulen
sind festangestellt.

Wer nun gedacht hätte, daß der Berliner Senat aus diesem
veritablen Skandal vernünftige Konsequenzen ziehen würde, ist ein bißchen naiv.
Natürlich werden die 93% selbständigen Musiklehrer an Berlins Musikschulen nun
nicht etwa festangestellt, nein, die Senatsverwaltung hat die Musikschulen
aufgefordert, nun die Verträge zu ändern – dort darf fortan „kein Merkmal abhängiger Beschäftigung mehr erkennbar
sein“. Die Senatsverwaltung hat außerdem die Musikschulen „zu konkreten Schritten aufgefordert“:
Honorarkräfte dürfen keine Vertretungen mehr machen, Unterrichtsmaterialien
müssen sie nun auf eigene Kosten besorgen, und die Teilnahme an Vorspielen ist
künftig freiwillig.

Übrigens: der Senat Berlins, der die Scheinselbständigkeit
der Musiklehrer und die Nichtzahlung der Sozialabgaben zu verantworten hat,
wurde die letzten zehn Jahre von SPD und „Linken“ gebildet. Parteien, die sich
in ihren Programmen massiv gegen Scheinselbständigkeit aussprechen. Wobei die
neue Koalition aus SPD und CDU zweifelsohne in ihren Sonntagsreden die
musikalische Bildung junger Menschen jederzeit fordern würde – nur sollen die
Lehrer eben möglichst selbständig arbeiten und ohne soziale Absicherung.* * *Und was gibt’s Neues an der Copyright-Front?

Unter anderem: „Die
Rückkehr der Internet-Zombies“ (so Constanze Kurz in der „FAZ“).

„Acta oder der Schutz
der Raubritter“ (so die Schweizer Wirtschafts-Professoren Volker Grossmann
und Guy Kirsch ebenfalls in der „FAZ“, wo ohnedies die interessantesten
Beiträge zum Copyright zu lesen sind derzeit): „Denn Urheberrechte manifestieren oftmals eine im vordigitalen
Zeitalter erworbene Machtposition, mittels derer die Unterhaltungsindustrie
eine Rente, das heißt ein leistungsloses Einkommen, erwirtschaftet. Wie ehedem
die Raubritter: Auch diese nahmen die Bauern aus (...) In dieser Situation
liegt es für die Unterhaltungsindustrie nahe, sich den Staat dienstbar zu
machen. Genau dies wird mit Acta versucht (...) Die Bestrebungen zur
Beeinflussung der Politik durch den Einfluß der Lobby waren offensichtlich so
groß, daß man Acta unter Ausschluß der Öffentlichkeit zur Unterschriftsreife
gebracht hat (...) Gesetze aber, die dem Rechtsempfinden zuwiderlaufen, sind
auf die Dauer nicht durchzusetzen; mehr noch: Sie zerstören den Glauben an
Gesetzlichkeit.“

Die Deutsche Inkontinenz Allianz – pardon, es muß natürlich
heißen: Die „Deutsche Content Allianz“ fordert dagegen die ACTA-Unterzeichnung,
und zwar pronto, „ohne weitere Verzögerung“ – der „Spiegel“-Journalist und
Blogger Stefan Niggemeier dazu:

„In der „Deutschen
Content Allianz“ haben sich die Dieter Gornys dieses Landes zusammengeschlossen.
Sie versuchen, sich vor dem Ertrinken zu bewahren, indem sie sich gegenseitig
umklammern und das Wasser beschimpfen. (...) Jedenfalls hat die „Deutsche
Content Allianz“ (DCA), die man vielleicht treffender als den Verband der
urheberrechteverwertenden Industrie bezeichnen könnte, gestern die
Bundesregierung aufgefordert, das ACTA-Abkommen unverzüglich und unverändert zu
unterzeichnen.(...) Inhaltlich ist zum Streit um ACTA an anderen Stellen
reichlich gesagt worden; ich möchte hier vor allem die verräterische Sprache
würdigen. Die ganze hilflose Traurigkeit offenbart schon die Überschrift:
„Deutsche Content Allianz fordert Bundesregierung zur konsistenten
Positionierung zum Urheberrecht auf.“ Man muß sich das bildlich vorstellen,
Monika Piel und Dieter Gorny auf einer Demonstration vorm Kanzleramt, in den
Händen identische Plakate mit der Aufschrift: „Mehr Konsistenz wagen!“ (...)

Die „DCA“
diskreditiert berechtigte Sorgen um die Freiheit des Internets als
Diskreditierung. Und dann beteuert sie: „Diese Freiheit sei ein hohes,
unbestrittenes Gut, solange sie nicht als Rechtlosigkeit interpretiert werde.“
Da hat vermutlich Freud zugeschlagen. Niemand – außer vielleicht die
Musikindustrie in ihren feuchtesten Träumen – käme auf die Idee, Freiheit als
Rechtlosigkeit zu interpretieren. Freiheit im Internet wäre ja in ihrer
extremsten Interpretation gerade das Recht, alles zu tun, was man will. Die
Autoren wollten wohl sagen, Freiheit ist gut, solange sie nicht als
Gesetzlosigkeit interpretiert werde. Nicht einmal das ist ihnen gelungen. (...)
Diese Erklärung ist ein aufschlußreiches Dokument. Es macht anschaulich, in
welchem Maße ein Verein, der behauptet, für die Existenz hochwertiger Inhalte
zu stehen, nicht einmal in der Lage ist, selbst einen Inhalt zu formulieren,
der verständlich, sprachlich richtig und inhaltlich korrekt ist. Die
Presseerklärung ist mit all ihrem Sprachmüll und ihrer Gedankenlosigkeit ein
Dokument der Hilflosigkeit. Aber ich fürchte, so niedlich es wirkt, wie
ungelenk da Branchengrößen mit Förmchen werfen, so hart ist in Wahrheit der
Druck, den sie hinter den Kulissen auf die Politik ausüben.“

Ich empfehle die Lektüre des ganzen Beitrags von Stefan
Niggemeier auf seinem Blog.* * *„Piracy is the new radio. That’s how music gets
around.“

(Neil Young)

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