17.04.2012

Der Heilige Rock und das Internet

Ein kleiner Blick in die Zukunft: Was machen die Kämpfer für
das alte Urheberrecht im Mai  2012?
Schauen das Champions-League-Finale im TV, werden Sie vielleicht sagen. Aber
nein, ich sage Ihnen: Die Verfechter des Urheberrechts werden den Heiligen Rock
in Trier anbeten, Sie werden sehen.

Und das kommt so:

Um Ostern 2012 herum begab es sich in Deutschland, daß die
Verfechter des Urheberrechts sich mit der katholischen Kirche zusammentaten –
im Grunde eine logische Allianz der Konservativen, die das Bestehende, das
ihnen nützt, anbeten. Erst hat es niemand bemerkt, aber im Nachhinein war die
vom Heiligen Stuhl bestens koordinierte Kampagne eindeutig zu erkennen: Immer
mehr Künstler, Kulturmanager und Politiker geißelten das Internet, und erst
später verstand man den göttlichen Plan, und daß all die Protagonisten heimlich
an den Marionettenfäden des Vatikan hingen:

Sven Regener sprach von „diesen Internetfirmen“, das seien
„große Lobbyverbände“.

Springers Konzerngeschäftsführer für Public Affairs, Christoph Keese, kämpfte unermüdlich gegen das
Wesen des Internets.

Das „Handelsblatt“ hatte an Gründonnerstag unter dem Titel
„Mein Kopf gehört mir!“ ein Pamphlet gegen das Internet und gegen die freie
Zirkulation von Ideen veröffentlicht. „Wo
steht, daß alle kostenlos am Wissen teilhaben müssen?“

Die kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Grünen/Bündnis 90 erklärte in der „taz“
die Unzulänglichkeiten des Internets: Das Internet, so Agnes Krumwiede, könne
praktisch gar nichts: Es könne „keinen
Verleger und Investor, keinen Tonmeister und Produzenten ersetzen“. Das
Internet habe „keinen Intellekt, keine
Fantasie, keinen künstlerischen Instinkt, keine Managementqualitäten“.

Internet: böse böse böse!

Eine unheimliche Kamerilla unterschiedlichster Personen
sagte rund um Ostern ein deutliches „nein!“ zur modernen Welt.

Gesteuert allerdings war diese Kampagne, wie gesagt, von den
Kirchen.

„Die Kirchen haben zu
Ostern die Bedeutung des Glaubens als Mittel gegen die Oberflächlichkeit des
Internets hervorgehoben“, berichtete die „FAZ“ am Dienstag nach Ostern
unter der schönen Überschrift „Kirche
kritisieren Internet“. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in
Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, stellte fest, allein „der Glaube befähige, das Wesentliche vom
Unwesentlichen zu unterscheiden“, und nicht etwa das Internet, nicht
Facebook, nicht einmal Google, wollte er wohl sagen. Und kritisierte: „Über soziale Netzwerke verbreitet sich
Empörung in Minutenschnelle. Viel zu viele schließen sich ohne Überprüfung oder
Nachdenken an.“ Wie wohltuend sei dagegen eine besonnene Stimme von
Menschen, „die durch ihren Osterglauben
befähigt sind, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden.“

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof
Robert Zollitsch, sieht laut „FAZ“ „den
Glauben als Mittel gegen die Sucht nach Internet“. Zollitsch kritisierte
die Gefahren des Internets, das wie die Sucht nach Alkohol, Medikamenten oder
Drogen zu den „versklavenden Götzen
unserer Zeit“ zähle, so die „FAZ“.

Die Gegenreformation nahm ihren Lauf. Es war natürlich eine
von langer Hand und mit göttlichem Odem vorbereitete Kampagne, die da zu Ostern
oszillierte. Denn längst schon hatte die katholische Kirche beschlossen, nach
Jahrzehnten wieder einmal eine alte Textilie öffentlich zu zeigen, die sie als
den „Heiligen Rock“ bezeichnet, das angebliche Gewand Christi auf seinem
letzten Weg. „Ein Stück verfilzter
Wollstoff, dessen Herkunft nicht zweifelsfrei zu klären ist“, meint die
zweifellos etwas atheistische „Berliner Zeitung“ am Freitag nach Ostern, einem
Freitag den 13. (Symbol!). Wird die Dornenkrone Christi in der Paris Kathedrale
Notré Dame aufbewahrt, die Lanze, mit der sich die römischen Soldaten vom Tod
Jesu überzeugen wollten, in Wien, ein Stück des Kreuzes in der
Santa-Croce-Kirche in Rom, während die Vorhaut Jesu 1983 spurlos verschwand –
so bietet die Stadt Trier seit 500 Jahren eine Möglichkeit des Ablaßhandels für
die Gläubigen: Denn im Jahr 1512 wurde dort erstmals der „Heilige Rock“
gezeigt, den viele Katholiken als eine der kostbarsten Reliquien ihrer Kirche
verehren. 109 Zentimeter breit, 147 Zentimeter (vorn) bzw. 157 Zentimeter (hinten)
lang, wird der Heilige Rock nun im Trierer Dom gezeigt – eine
Heilig-Rock-Wallfahrt, bei der, wir schreiben das 21.Jahrhundert, über 500.000
Menschen erwartet werden. Organisator des Events ist der Trierer Ortsbischof,
Stefan Ackermann, der gleichzeitig die Funktion des „Mißbrauchsbeauftragten der
Deutschen Bischofskonferenz“ wahrnimmt und als solcher als Mann vom Fach gelten
darf, mußte er doch „kürzlich einräumen,
daß er im eigenen Bistum sieben pädophile Priester weiter beschäftigt“
(„Berliner Zeitung“).

Doch wir wollen uns nicht mit Kleinigkeiten aufhalten, denn
hier geht es um Großes – um den Kampf des Heiligen Rocks gegen das teuflische
Internet, um den Kampf der deutschen Bischöfe gegen das Internet, den „versklavenden Götzen unserer Zeit“. Und
für diesen Kampf konnten die Bischöfe, wie aus gewöhnlich gut unterrichteten
Kreisen bestätigt wurde, per Geheimvereinbarung eine ganze Schar williger Mitstreiter
gewinnen – deutsche Künstler, Verlagsmanager, Chefredakteure,
Bundestagsabgeordnete.

Und so kann ich Ihnen nur eines empfehlen – wallfahren Sie
nach Trier! Pilgern Sie zum Heiligen Rock! Dort werden Sie, versteckt unter mönchischen
Büßerkutten, all die Streiter gegen die Gefahren des Internet um den Heiligen
Rock herumwallen sehen. Zollitsch, Gorny, Keese, Regener und Frau Krumwiede.
Sie werden sie kaum wiedererkennen, und doch sind sie geradezu zur
Kenntlichkeit verzerrt. Und das Handelsblatt wird ab sofort von Kardinal
Meißner herausgegeben, während die Musikwoche sich anläßlich des „Welttages des
Geistigen Eigentums“ am 26.4.2012 in „Heilige Rock-Woche“ umbenennt und sich
unter den Schutz des Erzbistums München-Freising begibt.

Und vor dem Trierer Dom, vor den Massen, die zum Heiligen
Rock wollen, macht Chung den Savonarola und hält flammende Bußpredigten gegen
das Internet.

(wo aber finden die Jüngeren unter uns jetzt heraus, wer
oder was Savonarola ist? denn Wikipedia wurde von den deutschen Bischöfen
längst abgeschaltet, versteht sich...)