29.06.2012

Fußball und Italien

A propos Fußball: Ich will ja nicht übermäßig unbescheiden
sein, aber darf ich Sie daran erinnern, was Anfang Juni im Blog Ihres
Vertrauens stand? Genau, unter anderem: „Deutschland
wird ganz sicher nicht Europameister! (...) Gute Chancen sollten naturgemäß die
haben, die am meisten unter Deutscher Wirtschaftsknute zu leiden haben – einer
der PIGS-Staaten dürfte also wohl Europameister werden (...) Holland wird es
nicht werden, denn die haben Robben (...) Aber wie gesagt: Deutschland nicht.
Zu viel FC Bayern, zu wenig Dortmund. Haben Sie gesehen, wie die
Nationalspieler im Championsleague-Finale beim Elfmeterschießen gekniffen
haben? Da steckt die Versagensangst in einer ganzen Generation in den paar
Spielern. Oder man kann es begründen wie mein Schweizer Freund und
Fußballkenner: „die Deutschen haben so doofe Frisuren, das wird nichts“...

Also, wenn Sie mich fragen: einer der
beiden PIGS-Staaten mit brauchbarem Fußball wird’s...“

Und also geschah es.

Ich muß ganz ehrlich sagen: wenn ich mir die ganzen doofen
Fähnchen schwenkenden und tragenden und an ihren Autos herumfahrenden
Mitmenschen so betrachte, habe ich am Donnerstagabend nach der Niederlage gegen
Italien gerne „Azzurro“ mitgesummt, das im polnischen Stadion zu hören war. Ist
sowieso ein guter Song.

Neuerdings wird hierzulande ja der Gemeinplatz gepflegt, die
aktuelle Nationalspielergeneration sei kreativ und toll und überhaupt. Und der
Jogi erst! Ganz ehrlich – mir fehlt der Glaube. Natürlich freue ich mich
darüber, daß jetzt Spieler wie Özil oder Khedira oder Hummels spielen, und
selbst Schweinsteiger ist ein Spieler mit außerordentlicher Fußballintelligenz,
obwohl er beim FC Bayern spielt. Im Großen und Ganzen aber ist das alles so
furchtbar brav, daß es zum Davonlaufen ist. Allein schon, wie der Musterschüler
Lahm immer seine Statements vor den Kameras abgibt – man merkt, da steckt viel
Interviewschulung drin, klar haben alle Nationalspieler heute Manager, die sie
auf Medientrainings schicken, und genau so hört sich das dann an. Brave Bubis, die
funktionieren wollen und werden, die sich toll selbst vermarkten können und
hart an ihrer Selbstoptimierung arbeiten, Bubis, die nichts falsch machen
wollen, egal ob sie auf Auschwitz (hat der DFB vorgegeben) oder Balotelli (hat
Brantelli aufgestellt) treffen. Aber mit Bravheit gewinnt man im Fußball
nichts, und so hat, wie es in der „Berliner Zeitung“ zurecht und süffisant
hieß, der deutsche Kapitän seinem Namen geistig und spielerisch alle Ehre
gemacht. Italien gegen Deutschland, das war „11
Männer gegen 11 Bubis“ (Rüdiger Suchsland).

Es war aber auch das Scheitern des allseits beliebten alemannischen
Langweilers namens Jogi auf der Trainerbank. Dessen Nibelungentreue zu Spielern
wie Schweinsteiger (nach Verletzung noch auf der Suche nach seiner Form), Podolski,
Gomez oder Müller ebenso verhängnisvoll war wie das Festhalten am FC
Bayern-Block. Da standen sieben Spieler des FC Bayern auf dem Platz.  Genau, it’s that simple. Und Spieler
wie Reuss oder Götze oder Bender saßen auf der Bank. Da konnte Jogi noch so
häufig sein Mantra „dieses Mal werden wir als Sieger vom Platz gehen“ absondern
– die Wahrheit ist auf dem Platz, und die Wahrheit war: Löw hatte Angst vor
Spielerpersönlichkeiten der Klasse eines Andrea Pirlo, eines Buffon, eines
Balotelli, eines Montolivo. Und Löw hatte Angst vor der taktischen Finesse
eines Cesare Prandelli. Und es fiel ihm ein: Pirlo in Manndeckung zu nehmen! In
Zeiten höchster Not führt der Mittelweg bekanntlich in den Tod. Noch einmal
Rüdiger Suchsland bei Telepolis:

„Merkel und Löw, das
ist Luther, Bismarck und die anderen (...) Pirlo und Buffon, das ist der Süden!
Das Land der Sonne und des Rettungsschirmes, des besseren Lebens und des
besseren Essens, der Kunst und des Laissez-faire. Der Süden, also Spanien und
Italien stehen für Gelassenheit statt Hysterie, für Leben heute, statt Leben
morgen, für Diesseits statt Jenseits, für ausgeben statt sparen, für Konsum
statt „Geiz ist geil“, für „paßt scho“ statt „Das muß aber seine Ordnung haben“
(...) Unser Fußball muß unvernünftiger werden, spielerischer, leichter...“

In diesem Sinne – lassen Sie uns mit Italien feiern, mit der
wunderbaren Stimme von Adriano Celentano, „die
wie keine zweite Lässigkeit und Melancholie verbindet“ (Eric Pfeil) und „gleichzeitig erzcool und anrührend“
klingen kann. Lassen Sie uns den Sommer genießen, hören wir auf, die Italiener
und Griechen und Portugiesen zu belehren und zu dominieren, lassen Sie uns
diesen Sommer einfach etwas Unvorhergesehenes, gerne auch mal etwas Verbotenes
tun! Es sind ganz sicher zu viele Löws und Merkels in unserem Leben.