05.09.2011

Und Ansonsten 2011-09-05

Den englischen Medien kann mans auch
nicht recht machen. Da hat das seit Thatcher neoliberalste System Europas die
meisten staatlichen Aufgaben und Besitztümer privatisiert, gewährt seinen
Bankern ungehemmten Profit auch in den schlimmsten Bankenkrisen und hat seine
Underdog-Jugendlichen seit Jahren und Jahrzehnten zu ungehemmtem Konsum als
Teil des „very british way of capitalism“ erzogen – und wenn diese Jugendlichen
dann statt für eine „Revolution“ eben nur für Playstations und Plasmafernseher
auf die Straße gehen und sich „ihren Teil“ nehmen, ist es auch wieder nicht
recht, und ein Sozialanthropologe wirft den Jugendlichen vor, daß sie das tun,
was ihnen das System eingetrichtert hat: „Indem die Jugendlichen vor allem
Geschäfte für Sportkleidung und Unterhaltungselektronik zu ihrem Ziel erklärt
haben und aus Kiosken Schnaps und Zigaretten haben mitgehen lassen,
demonstrieren sie zu gleichen Teilen hohlen Materialismus wie profunde
Fantasielosigkeit“, schreibt ein Ross Holloway in der „taz“. Als ob man
nicht bei jedem Spaziergang durch die Innenstadt Londons in den letzten Jahren
genau dies und nur dies angetroffen hätte: brutalsten „hohlen Materialismus und
profunde Fantasielosigkeit“...

Hohler Materialismus und profunde
Phantasielosigkeit, wie sie übrigens auch aus den bundesweit entstehenden und
entstandenen Einkaufszentren des Konzerns ECE spricht – eine Firma, die kaum
jemand kennen dürfte, die aber für die flächendeckende antidemokratische
Zurichtung unserer Innenstädte zu Kommerztempeln als Gegenpol zu öffentlichen
Orten verantwortlich zeichnet.

 * * *

Und was macht die linke Pop-Boheme
des Königreichs?

M.I.A. kündigte noch während der
Krawalle via Twitter an, in London zur Stärkung „Tee und Mars-Riegel“ an die
Randalierer verteilen zu wollen.

Tee und Mars-Riegel? Also Schokokram
eines weltweit berüchtigten Nahrungsmittel-Multis für die Londoner
Jugendlichen? So ist denen wohl kaum zu helfen... aber es bringt natürlich den
Stand des Popdiskurses im Jahr 2011 im Bereich „Radical Chic“ ganz hübsch auf den
Punkt.
 
* * *

Auch hierzulande scheinen die
Mächtigen nervös zu werden. Die deutsche Polizei warnt jedenfalls vor
„ähnlichen Unruhen wie in England“, das Geraune von der Möglichkeit derartiger
Gewaltausbrüche schweißt die Reihen zusammen.

Wobei, ob derartige Jugendunruhen
zum Beispiel in Neukölln wirklich nicht passieren können, dafür würde ich meine
Hand sozusagen nicht ins Feuer legen – wenn da mal ein ähnlicher Auslöser
„passiert“... Die neoliberale Zurichtung Berlins durch den rot-roten Senat
(„rot-rot“, das sind die beiden Parteien, die sich in ihren Programmen für
Bildung, für Mindestlöhne, für günstige Mieten und gegen die Privatisierung
öffentlichen Besitzes aussprechen) ist der britischen Politik nicht unähnlich:
die Mieten in Berlin explodieren längst, die Wohnungsbaugesellschaften wurden
vom Senat privatisiert und verlangen jetzt die höchstmöglichen Mieten, sozialer
Wohnungsbau wird in Berlin seit Jahrzehnten kaum mehr betrieben, die Mieten
sind, seit der rot-rote Senat regiert, um etwa 25% gestiegen, an Bildung
speziell in Wohngebieten von sozial Schwachen wird systematisch gespart, die
Löhne, die der rot-rote Senat etwa durch seine Zuschußbescheide im
Kulturbereich fixiert, betragen zwischen 3 und 5 Euro und reichen zum Leben in
Würde kaum aus – um nur ein paar Beispiele zu nennen. 

* * *

Die Inszenierung um das neue Buch
von Charlotte Roche ist ein hübsches Beispiel dafür, wie das bürgerliche
Feuilleton zu Teilen längst zur devoten Abspielstation für die
Vermarktungskampagnen der Kulturindustrie degradiert wurde. Noch bevor es
überhaupt erschienen ist, feiert der einseitige Feuilleton-Aufmacher in der
„FAZ“ das Buch, oder in der „Zeit“. Im „Spiegel“ darf Frau Roche auf sage und
schreibe sieben langen Seiten ihre Sicht der Dinge in einem Interview zum
besten geben. Vier Tage darauf reden Charlotte Roche und Jana Hensel im
„Zeitmagazin“ auf sechs Seiten über Sex. Und in der „FAZ“ ein zusätzliches
Interview mit Frau Roche über eine ganze Seite, in der die selbsterklärte
Feministin Sätze sagt wie „Ich interessiere mich für die Wünsche meines
Mannes, ich will ihn glücklich machen.“ Oder auch: „Nein, egal, wie viel
Geld ich habe, mein Mann soll bitte schön mehr haben.“ Oder sie berichtet
vom Tattoo auf ihrem Arm, wohin sie sich das Cover des Buches „Tiere essen“ von
Safran Foer hat tätowieren lassen: „Schon in meiner Jugend war ich mal
Vegetarierin. Das Tattoo soll jetzt dabei helfen, daß ich es auch bleibe. Ich
gucke alle böse an, die Fleisch essen. Da bin ich extrem moralisch. Außerdem
ist der Umweltfimmel auch für die Geschichte gut...“

Die Rolle der Analyse, der
Einordnung von künstlerischen Werken hat das bürgerliche Feuilleton an dieser
Stelle längst zugunsten ungeschminkter 1:1-Werbung zugunsten eines Produkts
aufgegeben – eine der wenigen substantiellen Analysen des Buches von Charlotte
Roche konnte man in der „Berliner Zeitung“ finden, ansonsten funktioniert
Feuilleton hier, wie wir es von weiten Teilen des Musikjournalismus längst
gewohnt sind, als der Kulturindustrie hörige, termingerechte und kritiklose
Abspielstation deren Produkte. Da können die Produkte der größte Scheiß sein,
Hauptsache, die Verwertungskette funktioniert...

* * *

Wobei die biedere „Zeit“ ja immer
wieder mal dadurch auffällt, komplett gaga zu sein. Da die „Zeit“ als
Printprodukt eben keine Fürstenhochzeit live übertragen kann, löst sie dieses
Problem auf ihre eigene Art – direkt hinter dem Sex-Gespräch der zwei biederen
Autorinnen kann man den Artikel „Prinzessinnenbad“ lesen – das „Zeitmagazin“
hat eine Elisabeth Prinzessin von Thurn und Taxis gebeten, über einen Besuch im
Kreuzberger Prinzenbad („Laufsteg, Kampfzone, Spielplatz und Sportstätte in
einem“) zu schreiben. Und das spießig-bürgerliche Publikum bekommt von der
Fürstentochter aufgetischt, wofür es bezahlt hat: „Ich erwarte Chaos,
Aggression, vielleicht sogar eine Messerstecherei wie im Kino“, blabert das
Fürstenfräulein am Eingang des Schwimmbads vor sich hin – das wäre natürlich
eine sehr schicke Abwechslung für das fürstliche Einerleileben, das die Dame in
London sonst lebt – wobei sie eine Messerstecherei und Aggression und Chaos
aktuell eher vor ihrer Londoner Haustüre finden könnte... Doch das
Fürstenfräulein plappert munter weiter, das Prinzenbad gleiche einem „Bürgerkriegsschauplatz“,
„so hieß es in einer seriösen Tageszeitung“ (sehr seriös fürwahr). Aber das
verwöhnte Fräulein zögert nicht: „Nun ja, ich bin in meinem Leben durch ein
paar unheimliche Ecken spaziert“, stellt sie sprachlich ein wenig gewagt
fest, „ich war in Nairobi und bin durch finstere Gassen in Neapel gestreift,
mein Portemonnaie im Stiefel versteckt“ (Aufständische und Diebe in den
dunklen Gassen und unheimlichen Ecken dieser Welt, habt ihr gelesen, wo ihr die
Besitztümer der Fürstenkinder finden könnt?...), also, was solls – „ein
bißchen mulmig ist mir zumute, als ich das Freibad betrete. Aber: es ist
durchaus ein guter Schauer. Spannung!“

Wenn Fürstenkinder sich ins Freibad
unter die Untertanen mischen und einen "guten Schauer" erleben, ist
heutzutage die bürgerliche Presse eben nicht nur einfach „dabei“, sondern läßt
die Adeligen aus erster Hand erzählen. Sie denken wohl, das sei investigativer
Journalismus...
 
* * *

Wenn man den Unterschied zwischen
deutschen und spanischen Fußballern auf den Punkt bringen möchte: der Dresdner
Pokalheld Robert Koch, zweifacher Torschütze beim Sieg des Zweitligisten über
Bayer Leverkusen, sagte die Einladung zum „Aktuellen Sportstudio“ ab, weil er
Karten für ein Open Air von Matthias „Verdammt, ich lieb dich“ Reim am gleichen
Abend hatte. Während der spanische Profi Javier Poves von Sporting Gijon
begründet, warum er „angewidert vom kapitalistischen Fußballsystem“
seine Karriere beendet und Geschichte studieren wird: „Je besser man den
Fußball kennenlernt, desto klarer sieht man, daß sich alles nur ums Geld dreht.
Das raubt dir alle Illusionen.“

 * * *

„Emihosting.com im Auftrag von PUR“
teilt mir mit: „PUR ist nominiert für die Goldene Henne 2011“. 
Recht geschiehts ihnen...

Demzufolge sind Pur bei „Deutschlands
größtem Publikumspreis“ nominiert in der Kategorie „Schlager, Rock, Pop &
Volksmusik“, und sie sind derart verzweifelt, daß sie sogar mich anflehen: „Wir
brauchen deine Hilfe! Bitte stimme für uns beim Voting und hilf uns dabei die
goldene Henne zu gewinnen!“

(Kommasetzung können sie also auch
nicht im PURen Abenteuerland...)

Dreimal dürften Sie raten, ob ich
mich habe erweichen lassen.
 
* * * 

Im letzten Rundbrief hatten wir über
junge Menschen gelästert, die im Ganzkörperhasenkostüm auf Festivals rumlaufen
(oder wahlweise als Elch, Biene oder Banane). Das ist alles jedoch kein Zufall,
sondern hat Methode, ist gewissermaßen systemisch, wie man heutzutage sagt:
Eine Schweizer Band beispielsweise verrät dieser Tage stolz, daß es ihr gelungen
ist, für ihr neuestes Video „mit Raphael Egli den Vizeweltmeister im
Rollschuhkunstlauf für den Dreh zu gewinnen und in ein Hasenkostüm zu stecken“.

Nun kann man sagen: besser
Hasenkostüm als die abgedroschene nationale Tabuwelle, die sonst gern gepflegt wird.
Das „kraftvolle Panzerballett (Jazz-Funk-Mathematik-Metall)“ etwa, „die
Rammstein des Jazz“ („Zeit“). 

* * * 

Es war nicht alles schlecht in der
DDR.

Nehmen Sie das Jodeln. Wie der
international anerkannten Fachzeitung für Jodeln im Systemvergleich, dem
„Hamburger Abendblatt“, zu entnehmen war, ist auf dem DDR-Gebiet ein „Hochleistungsjodeln“
mit eigenem Klang entwickelt worden, wogegen die Jodelei in der BRD nach 1961 „über
regionale Brauchtumspflege nicht hinauskam“ (woraus man auch eine echte
Benachteiligung der BRD durch den Mauerbau folgern könnte). Beim „Gesamtharzer
Jodelwettstreit“ jedenfalls siegte zum elften Mal ein Andreas Knopf aus dem
Ostharz, der mit den Worten zitiert wurde, Ostjodeln habe „einen wesentlich
höheren Schwierigkeitsgrad“ (zitiert nach „Konkret“).

Die Volksmusiksendungen des
DDR-Staatsfernsehens jedenfalls, so erinnere ich mich als ehemaliger Bewohner
des osthessischen „Zonenrandgebietes“, hatten unbestreitbar Weltniveau, wovon
der MDR noch heute zehrt, und wurde von der älteren Bevölkerung Ost- und
Nordhessens bevorzugt goutiert. Es wächst eben über kurz oder lang immer
zusammen, was zusammen gehört. 

* * * 

Meine Lieblingsschlagzeile des
letzten Monats sah ich bei „Musikwoche Online“:

„Gentleman und Wolfgang Niedecken
vereinen sich für Afrika.“

Das stellt man sich gern im Wortsinn
vor...
 
* * * 

Im Medienzirkus dieser Republik gilt
Nibelungentreue, wes’ Brot ich ess, des’ Lied ich sing. Der Fernsehmoderator
Jörg Thadeusz, dessen in ihrer Langeweile und Unoriginalität kaum zu
übertreffenden Sendungen im Staatsfernsehen laufen, singt in der Springerpresse
das hohe Lied aufs Staatsfernsehen, das ihm das Gnadenbrot gewährt.

Anders macht es Götz Aly – der
schreibt nicht mehr in der gleichgeschalteten Frankfurter Rundschau/Berliner
Zeitung. Warum? Weil die „Berliner Zeitung“ die Chuzpe besessen hatte, sein
jüngstes Buch negativ zu besprechen. Das ist die freie und unabhängige Presse,
die sie meinen.

 * * *

 „Spiegel Online“ erledigt in
einem hübschen Nebenhalbsatz eine zuvor vom embedded music journalism
hochgejubelte deutsche Nachwuchshoffnung: „...den von vielen Fans
bejubelten, aber komplett indiskutablen Auftritt des deutschen HipHop-Hypes
Casper mit seinen Emo-artigen Malle-Raps“...

 * * *

Es lohnt sich, die neueste
Untersuchung zur „Digitalen Content-Nutzung (DCN-Studie) näher zu betrachten,
die der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) zusammen mit dem Börsenverein des
Buchhandels und der „Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen“
(GVU) bei der GfK bestellt hat. Angeblich nimmt die GfK-Studie „das
Download- und Kopierverhalten der Deutschen unter die Lupe“, so jedenfalls
das treue Branchenblatt „Musikwoche“ in gewohnter Kritiklosigkeit: „3,7
Millionen deutsche Internetnutzer haben 2010 Medieninhalte aus unlizenzierten
Quellen heruntergeladen. Das summierte sich auf 185 Millionen Songs, 46
Millionen Alben und sechs Millionen Hörbücher“, weiß die „Musikwoche“. Aber
woher weiß sie das? Nirgendwo in dem Artikel steht, wie  die GfK zu ihren
Ergebnissen gekommen ist, nämlich: sie hat ganze 10.000 Menschen befragt und
daraus die von den Auftraggebern, den Lobbygruppen der Kulturindustrie,
gewünschten Ergebnisse hochgerechnet, wie man beim anderen Branchenblatt, dem
„Musikmarkt“ erfährt. 10.000 Personen ab zehn Jahren wurden befragt, „repräsentativ
für 63,7 Millionen Deutsche“ – und schwupps, schon weiß man detaillierteste
Zahlen und kann aus dem vermeintlich konkreten Zahlenmaterial – das natürlich
doch nur phantasievoll hochgerechnet wurde – das herauslesen, was man schon
vorher sagen wollte: wo 3,7 Millionen Internetnutzer (hochgerechnet aus 10.000
Befragten, wohlgemerkt!) angeblich „auf illegale Medienangebote
zurückgreifen“, ist die Forderung natürlich klar: „Das hohe
Unrechtsbewußtsein und die Aussage dieser Gruppe zur Wirksamkeit von
sanktionierten Warnhinweisen sollten eine klare Handlungsanweisung an den
Gesetzgeber sein“ (BVMI-Geschäftsführer Drücke).

Man glaubt am liebsten die
Statistiken, die man selbst gefälscht hat...

Dumm nur, daß der „Spiegel“ am
gleichen Tag die Ergebnisse der Branchenstudie als „fragwürdig“ in der
Luft zerreißt: Laut „Spiegel Online“ „scheinen die Branchenverbände bei der
Interpretation der Daten deutlich über das Ziel hinausgeschossen zu sein“.
Der Studie zufolge wurden etwa von 23 Millionen E-Books rund 14 Millionen nicht
bei legalen Anbietern heruntergeladen. Als Quellen gaben die Befragten etwa
Tauschbörsen, private Websites oder Foren an. „Branchenkenner gehen davon
aus, daß es sich mehrheitlich um Fachliteratur – etwa medizinische Lehrbücher
großer Fachverlage – handeln dürfte. In diesem Fall wäre der digitale
Bücherklau wohl in erster Linie ein Studentenphänomen – früher wurden teure
Fachbücher kopiert und geheftet, heute saugt man sich eine Datenkopie aus dem
Netz“.

Ein noch größeres Bubenstück
unterläuft den Copyright-Fans der Lobbyistenverbände der Kulturindustrie bei
der generellen Einordnung der Ergebnisse der Studie. Die GfK nämlich erwähnt
den Begriff „illegal“ in ihrer Auswertung an keiner Stelle – „wir führen da
keine Wertung durch“, erklärte ein GfK-Sprecher dem „Spiegel“. Die
Lobbyistenverbände werteten dagegen einfach die meisten Downloads, die nicht
„kostenpflichtig“ waren, einfach als „illegal“, wenn die Befragten als Quellen „Tauschbörsen
/ Sharehoster / private Websites / Blogs / Foren / ftp-Server / Newsgroups“
angegeben hatten. „Dabei gibt es selbstverständlich gewaltige Mengen an
völlig legalen Buch-Downloads in PDF, ePub oder in anderen Formaten. Allein das
deutschsprachige Projekt Gutenberg enthält über 5500 Romane, Erzählungen,
Novellen, Dramen, Gedichte und Sachbücher in deutscher Sprache von über 1200
Autoren – alle gemeinfrei und damit kostenlos verfügbar“, stellt „Spiegel
Online“ fest, und verweist darauf, daß auch etliche Autoren ihre eigenen Werke
kostenlos als PDF anbieten – die Verbände haben derartige Downloads einfach als
„illegal“ interpretiert, um ihre Horrormärchen von Online-Diebstählen zu
untermauern: „Die Branchenverbände rechnen sich arm“, faßt „Spiegel
Online“ das Münchhausen-Bubenstück der deutschen Musik- und Buchindustrie
zusammen.

Wir sind gespannt, welche Märchen
uns die Verwertungsindustrie als nächstes auftischt, um die Politik zu ihren
Gunsten zu beeinflussen. Und ob die Branchenmagazine sich endlich zu einer
kritischen Berichterstattung bereitfinden, oder diese weiter branchenfernen
Medien überlassen. 

* * * 

20 Jahre World Wide Web – und in der
„Berliner Zeitung“ waren neben einem lesenswerten Aufsatz von Peter Glaser ein
paar hübsche Einschätzungen von „Experten“ zum Internet zu lesen:

„Internet ist nur ein Hype.“ (Bill Gates, 1995)

„Das Internet ist eine Spielerei für
Computerfreaks, wir sehen darin keine Zukunft.“ (Ron Sommer, Telekom-Chef, 1990)

„Wir haben das Internet als
interaktives Medium überschätzt.“ (Dieter Gorny, 2002) 

* * * 

Ein Selbstmordattentäter zündet im
Münchner Polizeiruf 110 der ARD eine Bombe – und was da zu sehen ist, ist dem
Staatsfernsehen zu gewagt, und die Jugendschützer sorgen dafür, daß diese Folge
des Polizeirufs im September nicht am Sonntagabend zur gewohnten Zeit, sondern
am Freitag um 22 Uhr zu sehen sein wird.

Dabei übt das Fernsehen seine größte
Gewalt durch die Orgien seiner Verblödungsmaschinerie zu besten kindgerechten
Zeiten aus – man betrachte etwa mal Sonntagmittags die Dumpfsendungen
„ZDF-Fernsehgarten“ oder auf ARD „Immer wieder sonntags“, und man weiß, daß
Schmerzensgeldklagen gegen das Staatsfernsehen sehr aussichtsreich sein
dürften... 

* * * 

Dafür nahm der RBB seinen Bildungs-
und Kulturauftrag wahr und übertrug am 27.8. die „Hohenzollern-Hochzeit“
eines „Georg Friedrich Prinz von Preußen“ und einer „Sophie Prinzessin von
Isenburg“ drei Stunden lang live aus Potsdam. Abends gab es zu bester Sendezeit
eine Zusammenfassung, gefolgt von einer „Doku“ zum 85. Geburtstag der Queen,
„Happy Birthday, Queen Elizabeth“.

Das Staatsfernsehen schafft sich als
Adels- und Yellow-TV selbst ab. Wofür zahlen wir unsere Gebühren? Hab ich
vergessen... 

* * * 

Und um noch kurz im Jammertal des
deutschen Staatsfernsehens und seiner Talkshowplage zu bleiben: Was denken Sie,
wie sich Dampfplauderin Anne Will auf ihre neue Talkshow vorbereitet? „Ich
habe mir zum Beispiel vorgenommen, künftig mehr Illustrierte zu lesen und nicht
nur die Politik- und Wirtschaftsseiten durchzupflügen. Mir geht es um
Inspiration. Deshalb will ich auch wieder mehr ins sogenannte wahre Leben
eintauchen.“

Talkshow als Fortsetzung von „Bunte“
und „Gala“ mit anderen Mitteln. Darauf haben wir gewartet. Und da soll man
nicht zum Kulturpessimisten werden... 

* * * 

„Im Haus der Kulturen der Welt ging
am Sonnabend das WasserMusik-Festival zu Ende, das zum vierten Mal
internationale Musiker versammelte, deren Namen man in der Regel noch nicht
gehört hat“, berichtet
die „Berliner Zeitung“.

Unter den Namen, die die
Feuilleton-Berichterstatterin der Zeitung „in der Regel noch nicht gehört hat“,
waren zum Beispiel Khaled, Giant Sand oder Amadou & Mariam...

 * * *

Es gibt ja Leute, die halten Günter
Grass wegen zweieinhalb zugegeben ganz gelungener Seiten zu Beginn der
„Blechtrommel“ für einen großen deutschen Schriftsteller. Ich denke, diese
Leute fallen nur auf die Selbstinszenierung Grassens als Großschriftsteller
herein – ich führe jederzeit den „Butt“, die „Rättin“ oder „Ein weites Feld“
an, um zu beweisen, daß Grass vor allem eines ist: langweilig. Überschätzt. Wer
deutsche Literatur des letzten Jahrhunderts lesen will, der greife gefälligst
zu Peter Hacks.

Aber das wäre alles nicht der Rede
wert. Interessant ist, daß Grassens Neigung, in alle bereitstehenden Fettnäpfchen
zu trampeln, mit zunehmendem Alter drastisch steigt. Und wie bei so vielen
ehedem „linken“ Feuilleton-Machthabern (nun gut, Grass war nur
Sozialdemokrat...) zeigt sich bei Grass ein Phänomen, das systemimmanent zu
sein scheint: sie schwätzen in jungen Jahren mal kurz links daher, um dann so
rasch wie möglich ihr wahres Gesicht zu zeigen und durch die Gedärme der
herrschenden Meinung nach oben zu kriechen, dann auch äußerlich, was sie
innerlich schon längst waren: braun eben.

Nehmen Sie Grass, der über
Jahrzehnte quasi vergessen hat, seinen Lesern mitzuteilen, daß er sich mit 15
Jahren freiwillig bei Hitlers Wehrmacht meldete und im letzten Kriegsjahr
Mitglied der Waffen-SS war. Der „plötzlich“ Bücher über untergehende
Vertriebene schreibt und in der israelischen Zeitung „Haaretz“ behauptet, sechs
Millionen Deutsche seien im Zweiten Weltkrieg von den „Sowjets liquidiert
worden“. „Sechs Millionen“? Da war doch was? Es ist so ekelhaft wie erbärmlich.
 
* * *

Demokratie, die sie meinen:
Demonstrationen gegen den Papstbesuch in Deutschland stoßen bei den Behörden
auf Widerstand. Die Berliner Versammlungsbehörde etwa verbietet wegen
angeblicher „Sicherheitsbedenken“ den Start einer „Karawane zum Papst“ am
Brandenburger Tor. Auch die Freiburger Stadtverwaltung sowie die Behörden in
Erfurt haben beantragte Demonstrationen und Infostände bislang nicht genehmigt.

Meinungsfreiheit? Hierzulande nur in
den Grenzen, die die Regierenden festsetzen. 

* * *

Der geniale US-amerikanische Autor
David Simon („The Wire“, „Treme“, „Homicide“) sagt voraus: „Bald werden die
ersten Steine in Städten wie Cleveland fliegen; ein Aufstand naht.“

Nutzen Sie die Zeit. Demonstrieren
Sie. Leisten Sie Widerstand. Zahlen Sie Ihre GEZ-Gebühren nicht. Tun Sie etwas
Verrücktes. Seien Sie dabei, wenn der „heimliche Aufstand“ naht...