04.03.2005

Und Ansonsten 2005-03-04

Merkwürdige
Welt. Da entläßt die Deutsche Bank, obwohl gerade sehr erfolgreich, Tausende
von Mitarbeitern, und die Politik heult Krokodilstränen. Dabei hat ihnen ihr
amtliches Verlautbarungsorgan, die FAZ, doch in der gleichen Woche bereits die
Welt erklärt:
"Und daß das
Kapitalverhältnis auf Ausbeutung fußt, muß man nicht mehr, wie in den Siebzigern,
mit Verweis auf die Dritte Welt mühsam herbeideduzieren, weil der Kapitalismus
nach dem Umweg über allerlei Sozialkrempel jetzt, da die sozialistische
Konkurrenz besiegt ist, weltweit zu sich selber kommt und halt vollbringt, wozu
er gut ist: Ausbeuten, Verwüsten, Krieg führen, sich von Krisen durchschütteln
lassen, das ganze Programm."
(Dietmar Dath in einer Rezension des "Kapital" von Karl Marx, FAZ
31.1.2005)

* * *

Die "Süddeutsche Zeitung" dagegen muß einmal pro Woche fast die
gesamte Seite 3 bereitstellen, um den Werdegang des Bundespräsidenten zu
bejubeln: Erst beweihräuchert sie Köhler, weil er sich in Auschwitz nicht
daneben benommen hat, und eine Woche später die Lobhudele, weil Köhler es auch
in Israel verstand, sich korrekt zu verhalten. Als ob das nicht das Mindeste
ist, was man von einem deutschen Bundespräsidenten erwarten kann, daß er
Auschwitz und Israel besuchen kann, ohne sich nennenswert daneben zu benehmen.
Oder soll das alles heißen, daß man heutzutage darüber schon froh sein sollte?

* * *

Der SPD-Politiker Sigmar Gabriel ist sich für keine Peinlichkeit zu schade:
Nicht nur, daß er nach seiner Abwahl als niedersächsischer Ministerpräsident
zusätzlich zu seinem Landtagsmandat noch (indirekt) auf der Gehaltsliste des
VW-Konzerns stand, nein, mit dem Ex-Fußballprofi Strunz ("was wollen
Strunz?") und Ex-RTL-Sportchef Potofski hatte Gabriel auch noch eine GbR
namens "Strunz & Friends". Potofski beschreibt die Aufgabe des
ehemaligen Pop-Beauftragten der SPD so: "Wir
wollten Gabriels gute Beziehungen nutzen und zusammen Sportler und Pop-Musiker
vermarkten." Aber wahrscheinlich versteht Gabriel vom Geschäft
so wenig wie von der Popmusik, denn er sagt selbst, er habe bei Strunz &
Friends "keinen Cent
verdient und niemals eine Funktion wahrgenommen. Ich habe lediglich ein paar
Freunden beim Start ihres Unternehmens geholfen." Sowas kennt
unsereiner natürlich, wir verdienen bei all unseren Unternehmensbeteiligungen
auch nie einen Cent…
Allfällige Nebenbemerkung: Daß weder Politiker wie Gabriel oder Volmer noch die
berichterstattenden Medienvertreter je die Peinlichkeit bemerken und
kommentieren, die darin besteht, daß die Herren Politiker bei ihren
Nebengeschäften ja angeblich "nie einen Cent verdienen", ist schon
merkwürdig. Heißt doch im Klartext - nicht nur unfähige Politiker, nein, auch
noch zu doof zum Geschäftemachen…

* * *

Die mittelhessische Provinzband Juli erklärt, warum sie auf deutsch singt: "Bei uns kann einfach niemand gut
genug Englisch, um in den Texten das auszudrücken, was wir wirklich sagen
wollen." Eine Art Pisa-Spätfolge ist das also. Aber da
Selbsterkenntnis bekanntlich der erste Schritt zur Besserung ist, und die Band
bereits erkannt hat, daß sie nicht gut genug Englisch kann - wie wärs denn,
wenn "Juli" dann auch noch die notwendigen weiteren Schritte der
Selbsterkenntnis gehen würden? Denn Deutsch können sie ja nachweislich auch
nicht ("Ich weiß, daß
alles in dir schreit / Weil gar nichts von mir bleibt",
holpert es dahin…), Musik können sie auch nicht, also, wenn sie aus diesen
Fakten noch die richtigen Schlüsse ziehen, sind wir wenigstens eine Quälband
wieder los. "Wenn du
lachst, dann ist mir / alles andere so egal"…

* * *

Die Popgruppe "2raumwohnung" weiß allerdings, wer an all dem neuen
Deutschpop Schuld ist - die Ossis natürlich: "Durch
die nicht englischsprechenden Ostler gibt es seit der Wende ganz andere
Zuhörer", sagt Inga Humpe in der FAZ. Sag ich's doch,
Gorbatschow ist Schuld!

* * *

Wobei man sich natürlich ohnehin nur noch wundern kann über den Geisteszustand
einer Gesellschaft, in der ein dämliches und garantiert humor- und
inhaltsfreies Liedchen von "Schnappi dem Krokodil" seit Wochen die
Single-Charts anführt, 800.000 Tonträger verkauft und und und. Oder vielmehr:
Da wundert einen im Grunde gar nichts mehr…

* * *

Nicht mehr ganz bei Trost sind die bundesdeutschen Rundfunkanstalten, was
allerdings auch nichts wirklich Neues mehr ist und an dieser Stelle schon öfter
nachgewiesen wurde. Der Hessische Rundfunk hat es nun binnen Jahresfrist zum
zweiten Mal geschafft, die Spitzenposition beim Kulturabbau der
öffentlich-rechtlichen Sender zu behalten: Nach Erfolgssendungen wie
"Schwarz-Weiss" spart der HR nun am Jazz und hat die Einstellung des
"Jazz-Festivals" angekündigt - ein Festival, das seit 1953
ununterbrochen veranstaltet wurde und damit das älteste kontinuierlich
stattfindende Jazzfestival der Welt ist. Ersparniseffekt: 150.000 Euro.
Unglaublich.
Peinlich in diesem Kontext auch, wie sich Ministerpräsident Koch und seine
CDU-FDP-Landesregierung aufgeblasen haben: In den nächsten drei Jahren will das
Land Hessen jeweils sage und schreibe EUR 10.000 an das Jazzfestival
überweisen, um das Festival "zu erhalten". Großartig, großzügig, euer
Ehren. Aber keine Tat eines Politikers ist blöd genug, als daß sie nicht noch
in den Medien präsentiert würde.

* * *

Wenn man sich mal zum Beispiel eine komplette Sendung von sagen wir Sara
Kuttner auf Viva angeschaut hat, dann stellt man fest, daß das deutsche
Musikfernsehen ganz zurecht zu einer Abspielstation von Klingeltönen
umgewandelt wurde. Viva und Konsorten - eine garantiert hirnfreie Zone. Gut,
daß das endlich alles eingestellt wird.

* * *

"Jeder isst seine
Hamburger bei McDonald's, aber es würde keiner behaupten, dass Fast Food mit
der Küche eines Sternekochs vergleichbar wäre. Die Popmusik ist per
definitionem eine Fast-Listening-Music, die ihre Effekte auf den Moment
ausrichtet. Nehmen Sie den Rhythmus eines Rap-Songs und vergleichen ihn mit der
anarchischen Vielfalt von Strawinskys "Le sacre du Printemps", dann
werden Sie sehen, dass Pop meilenweit hinter den Erkenntnissen der Neuen Musik
hinterherhinkt. Ich wünsche mir, dass Menschen in der Schule musikalisch
erzogen werden, um zu erkennen, wie limitiert das Radio-Gedudel ist. Aber das
ist ein pädagogisches und damit ein politisches Problem."
Pierre Boulez - herzlichen Glückwunsch zum 80. Geburtstag!

* * *

Kulturpolitik auf Gutsherrenart macht seit längerem der PDS-Kultursenator von
Berlin, Thomas Flierl. Wenn er nicht gerade Freikarten für den ganzen Senat bei
der Berlinale schnorrt, schreibt der pseudorote Kulturpolitiker auch mal ein
Grußwort an das Festival Musik und Politik und ergeht sich in seinem typischen
Jammerton, "Jungs, ich
würde euch gern Geld geben, aber ihr müßt ohne mich zurechtkommen."
Wohlgemerkt, der Kerl verwaltet Steuergelder, er muß nicht etwa in die eigene
Tasche greifen. Aber natürlich ist ihm kein Anlaß zu gering, um sich nicht doch
noch aufzuplustern und wichtig zu machen: "Ich
weiß natürlich, wie wichtig politische Kunst ist, und daß man sie fördern
müßte. Gerade in Berlin, und gerade auch 2005 (…) Ich bekomme schon mit, daß
das Publikum sich wieder mehr für politische Kunst interessiert. Selbst das
totgeglaubte Wort "Protestsong" ist wieder da. Nicht ohne Grund, denn
die Welt ist einfach nicht heil, im Gegenteil: Sie ist es viel weniger, als
viele es sich nach dem Ende des Kalten Krieges erhofft hatten."
Und so weiter und so fort brabbelt der PDS-Mann vor sich hin, wo er doch
einfach am liebsten nur "heile heile Gänschen" singen würde.
Natürlich, die Macher des Festivals trifft dieser plumpe Anbiederungsversuch
nicht unverdient - wer diesem unfähigen Politiker, der seit Jahren das Festival
ignoriert, noch eine Darstellungsfläche gibt, anstatt eine Demonstration vor
Flierls Amtssitz zu organisieren, dem ist halt nicht zu helfen. Und wer einen
Konstantin Wecker zum Festival einlädt, der hat eh nichts Anderes verdient, als
so verarscht zu werden. Die dümmsten Kälber…

* * *

Die Friedrich-Schiller-Universität Jena schreibt zusammen mit dem Suhrkamp
Verlag und der "Zeit" einen Essay-Wettbewerb aus. Das Thema: "Was heißt und zu welchem Ende
kann man heute Schiller lesen?"
Kein Wunder, wenn der Nachwuchs a la "Juli" in der deutschen Sprache
derart rumstolpert, wenn es diejenigen, die die Sprache lehren sollten, selber
Stümper in derselben sind.

* * *

"Edelweißpiraten" nannte sich eine Gruppe von unorganisierten Kölner
Jugendlichen, die sich 1944 mit der Hitlerjugend prügelte, die Juden,
Zwangsarbeiter und Deserteure versteckte und eine Sprengung der Kölner
Gestapo-Zentrale plante. Die Jugendlichen flogen auf, wurden verhaftet,
gefoltert und zur Abschreckung öffentlich ermordet. Noch lange galten sie als
Kriminelle, und erst 2003, mehr als 30 Jahre, nachdem der Staat Israel die
Edelweißpiraten in die Gedenkstätte Yad Vaschem als "Gerechte unter den
Völkern" geehrt hatte, wurden die Edelweißpiraten endlich auch in
Deutschland als Widerstandskämpfer anerkannt.
"Edelweißpiraten" heißt auch ein Spielfilm von Niko von Glasow, der
am Abreisetag der Berlinale Europa-Premiere feierte. Die Weltpremiere fand 2004
auf dem "Festival des Films du Monde de Montreal" statt, wo wenig
andere Filme so heiß diskutiert wurden. Um den Vertrieb kümmert sich einer der
wichtigsten kanadischen Verleiher, und zwischenzeitlich wurde der Film mit
einer herausragenden und renommierten Schar von Schauspielern, von Anna
Thalbach und Bela B. Felsenheimer bis Jan Decleir, in etliche Staaten verkauft,
u.a. Belgien, Spanien, Thailand oder die Niederlande. In Deutschland, dem Land
des peinlichen "Untergangs", steht ein Kinostart nicht in Aussicht,
hat sich bislang kein Verleih gefunden.

* * *

"Dieser
Kleinterrorismus, wie ich ihn nenne, ist nur eine Spiegelung des
Großterrorismus, der die Militärdoktrin der Supermächte bestimmt."
Otto Schily über die RAF, 1981

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Frankreich, du hast es besser. Unter der Überschrift "Befreit die
Musik" veröffentlichte das französische Wochenmagazin "Le Nouvel
Observateur", gewissermaßen der "Spiegel" Frankreichs, ein
Manifest gegen die "absurde juristische Verfolgung" der Leute, die
Musik im Netz tauschen. "Bald
wird Dutzenden Netizen der Prozeß gemacht, weil sie Musik über P2P-Programme
heruntergeladen haben. Wir verurteilen aufs Schärfste diese überzogene und
repressive Politik, die an Einzelnen ein Exempel statuieren will",
heißt es in dem Manifest. Zu den Erstunterzeichnern gehören Manu Chao oder
Khaled, der Globalisierungsgegner Jose Bové, etliche Politiker, Künstler und
Professoren - insgesamt fast 20.000 Franzosen. Sie alle bekennen sich dazu,
selbst schon einmal Musik aus dem Internet heruntergeladen zu haben. "P2P - Wir sind alle
Piraten" ist die Unterschriftenliste überschrieben. "Wie acht Millionen andere
Menschen haben auch wir schon Musik aus dem Internet heruntergeladen und sind
demnach potentielle Verbrecher. Wir verlangen die sofortige Einstellung dieser
absurden juristischen Verfolgung", heißt es in dem Manifest,
in dem u.a. auch ein runder Tisch mit Künstlern, der Regierung und der
Musikindustrie gefordert wird, um gemeinsam "bestmögliche
Antworten auf Fragen des Urheberschutzes, aber auch auf die des
Verbraucherschutzes zu finden, die der heutigen Zeit entsprechen."

* * *

Der Gesetzentwurf der Regierungsparteien gegen Neonaziaufmärsche verharmlost
den Holocaust. Der "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches", der in kürzester Zeit
durchs Parlament gepeitscht werden soll, soll angeblich Neonazi-Aufmärsche am
Brandenburger Tor verhindern. Soweit die Außendarstellung der Bundesregierung.
Wenn man sich den Gesetzestext aber näher anschaut, gerät man ins Grübeln -
verboten werden demnach Aufzüge an Orten, die "an die Opfer einer organisierten menschenunwürdigen
Behandlung" erinnern. Was SPD und Grüne mit dieser
Formulierung meinen, ist der staatliche Massenmord an sechs Millionen Juden, an
Zwangsarbeitern und Zigeunern. "Mit
welchem Recht aber empören sich Politiker, die den Holocaust begrifflich derart
verharmlosen, über das NPD-Schlagwort "Bombenholocaust"?"
(Jürgen Elsässer) Noch brisanter scheint die vorgesehene Änderung des § 130
StGB. Mit bis zu fünf Jahren Gefängnis wird demnach bestraft, wer Völkermord
"billigt, rechtfertigt, leugnet oder verharmlost". Der Entwurf fasst
darunter freilich nicht nur Taten, die "unter der nationalsozialistischen
Gewalt- und Willkürherrschaft", sondern auch "unter einer anderen
Gewalt- und Willkürherrschaft" begangen wurden, soweit dieser Völkermord
"durch die rechtskräftige Entscheidung eines internationalen Gerichts,
dessen Zuständigkeit die BRD anerkannt hat, festgestellt ist". "Srebrenica-Leugner werden in
einen Sack mit Holocaust-Leugnern gesteckt (…) So kann man die Erinnerung daran
tilgen, dass das Kabinett Schröder/Fischer 1999 einen Völkermord erfunden hat, um
Jugoslawien bombardieren zu können. Wer solche Antifaschisten hat, braucht
keine Neonazis mehr." (Jürgen Elsässer)

* * *

Wenn man sich mal betrachtet, wo die Leute sitzen, die 1987 so vehement gegen
die Volkszählung protestiert und gegen den "gläsernen Bürger"
gekämpft haben, dann wundert einen gar nichts mehr - sie sitzen nämlich
heutzutage in der Bundesregierung. Und man ahnt schon - sie tun nichts Gutes…
Vom 1.April an etwa darf die GEZ Personendaten bei kommerziellen
Adressenhändlern kaufen und mit den in den GEZ-Computern erfassten Daten
abgleichen. Oder wer sich den Spaß gemacht und im Internet ein Ticket für die
Fußball-WM bestellt hat, der musste ja sämtliche Details angeben, von der
Schuhgröße der Urgroßmutter bis hin zu Personalausweisnummern und Haarfarbe der
Enkelkinder. Wird alles schön brav abgespeichert und auf einem Chip auf die
Karte gespeichert. Alles ist möglich. Am Übelsten scheint mir aber, dass vom
1.April an jeder Finanzbeamte und jegliche Behörde, die Sozialleistungen zahlt,
Zugriff auf die Stammdaten aller bundesdeutschen Bankkonten erhält. Der
"gläserne Steuerzahler" wird Realität, ein bürokratisches Monstrum
wird geboren, das die Bürger hilflos dem "Staatshacking" ausliefert.
Das Gesetz, das den Datenschutz preisgibt, wurde von SPD und Grünen
beschlossen, den Kämpfern gegen die Volkszählung 1987…

Ach ja, übrigens - die Bankdaten aller Bezieher dieses Rundbriefes wurden inkl.
der Schuhgrößen und Augenfarben längst an das Innenministerium gemeldet - bei
aktiver Terrorismusbekämpfung will diese Agentur nicht in der zweiten Reihe
stehen.

In diesem Sinne einen schönen März