Kulturpass: Abschaffen? Weitermachen? Aber wie?
Bei all diesen um 133,3 Millionen Euro gesteigerten Ausgaben war natürlich für den Kulturpass kein Geld mehr übrig. Staatsminister Weimer lässt den Kulturpass sang- und klanglos einstampfen. Die Förderung kultureller Teilhabe junger Menschen scheint dem Herrn Minister nichts wert zu sein – sollen sie doch den „Schuh des Manitu“ ansehen.
Nach 32,9 Mio. € im Jahr 2025 und 14,1 Mio. € in 2024 sind für 2026 nur noch 4,6 Millionen im Haushaltsplan angesetzt. Der Kulturpass also ein Auslaufmodell, das sang- und klanglos beerdigt wird.
Achtzehnjährige bekamen seit 2023 ein eigenes kleines Budget für kulturelle Aktivitäten, ursprünglich 200 Euro, zuletzt immerhin noch 100 Euro. Eine Sprecherin des BKM teilte laut „FAZ“ mit, dass sich die Ausgaben für den Kulturpass seit seiner Einführung auf „mehr als 100 Millionen Euro“ belaufen haben. Und: die „IT-Kosten stiegen auf über 30 Millionen Euro.“
Really?!? Ein Drittel der Haushaltsmittel des Kulturpasses wurde für IT-Kosten zum Fenster hinausgeworfen?
Schwer zu glauben. Allerdings: wenn man sich den so freizügigen wie inkompetenten Umgang deutscher Regierungen und Behörden mit dem digitalen „Neuland“ vor Augen führt, wundert einen nichts mehr.
Natürlich wurden bei der Einführung des Kulturpasses etliche Fehler gemacht. Allein schon die Aussortierung kultureller Produkte in „gute“, nämlich Bücher, Kino- und Konzertkarten (die kamen ins Töpfchen) und in „schlechte“, also die bösen Streamingdienste (die kamen ins Kröpfchen). Musik war für die ehemalige Kulturstaatsministerin Claudia Roth eben nur Musik, wenn sie auf Vinyl oder in CD-Form nach Hause getragen wurde, nicht, wenn sie downgeloadet oder gestreamt wird.
Außerdem stand die endlose Bürokratisierung dem Erfolg des Kulturpasses im Weg: Nur Waren und Veranstaltungen, die einzeln von den Kulturanbietern eigens auf einer behördlichen Plattform eingestellt werden, können von den Jugendlichen via App erworben werden. Man kann sich gut vorstellen, wie Verlage ihre Praktikant:innen darangesetzt haben, jedes veröffentlichte Buch auf dem eigens auf der Plattform (mittels „ELSTER-Organisationszertifikat“…) anzulegenden „KulturPass-Shop“ einzugeben.
Das Procedere mag bei Verlagen noch angehen – aber Konzertveranstalter müssen jedes einzelne Konzerte kompliziert und bürokratisch auf dem „KulturPass-Marktplatz“ eingeben – völlig wirklichkeitsfremd. So nimmt es nicht wunder, dass von den jungen Leuten hauptsächlich Bücher mit dem Kulturpass kostenlos erworben wurden. Der Buchhandel steht mit gut 25,6 Millionen Euro Umsatz deutlich an der Spitze der durch den Kulturpass erzielten Umsätze. „Der Börsenverein war an der Entwicklung des Passes beteiligt und beriet seinerzeit Roths Haus“, merkt die „FAZ“ lakonisch an. Wer schreibt, bleibt, kennt man ja von Skat oder Doppelkopf.
Die Konzertveranstalter, Theater und Konzert- und Opernhäuser haben dagegen wenig zusätzliche junge Menschen in ihre Veranstaltungen locken können, was eine Sprecherin des Deutschen Bühnenvereins auf die Plattform selbst zurückführt: „Man sehe im Kulturpass großes Potential, wünsche sich aber bessere Eingabeoptionen für Theater und Orchester und eine stärkere Einbindung der Ticketdienstleister, wie sie von Theater- und Konzerthäusern verwendet werden.“ („FAZ“)
Dabei wäre es weder ein Hexenwerk noch Raketenwissenschaft gewesen, wenn man ein unkompliziertes und kulturell diverses System installiert hätte. Schon in meinem 2017 erschienenen Buch „Klassikkampf“ hatte ich einen detaillierten Vorschlag gemacht. Ziel sollte es sein, dass junge Menschen an verschiedenste kulturelle Angebote herangeführt werden: Musik hören und live erleben, Bücher und Comics lesen, in Museen oder in Kinos gehen usw.
Dazu könnten verschiedene kulturelle Sektoren angelegt werden, jeweils mit maximal 50 Euro ausgestattet. Clubs, Opern- und Konzerthäusern, Buchhandlungen, Plattenläden, Kinos oder Museen, aber auch Musik-Streamingdiensten könnte ein entsprechender QR-Code zur Verfügung gestellt werden, mit dem die jungen Leute via App ihre Tickets, Waren oder den Zugang bekommen. Wie gesagt, in jedem Sektor maximal 50 Euro, sodass die jungen Leute mindestens vier verschiedene Sektoren der vielfältigen kulturellen Angebote unserer Gesellschaft kennenlernen können.
Und mittels eines derartigen, im Vergleich zum bestehenden Verfahren deutlich zugänglicheren System könnte auch vermieden werden, dass der Kulturpass nur für „einseitige“ kulturelle Angebote genutzt wird. Denn das scheint eine große Sorge der Hochkultur-Propagandisten zu sein, die beklagen, dass in Frankreich mit dem dort schon seit 2021 für Fünfzehn- bis Einundzwanzigjährige (!) angebotenen „Pass Culture“ ja hauptsächlich „Mangas“ gekauft würden. Dabei bilden diese nur neun Prozent der Gesamtausgaben – und als ob Mangas zwangsläufig eine Art „Schund“ und nicht förderungsfähige Kultur wären.
Ja, auch in Frankreich nutzen Kinder von Eltern mit Hochschulabschluss zu 87 Prozent den „Pass culture“, und Kinder aus Elternhäusern mit lediglich Schulabschlüssen nur zu 67 Prozent. Dies wird von Gegnern der Kulturpässe dies- wie jenseits des Rheins gerne als ein beträchtliches Gefälle bezeichnet. „Aber kann man wirklich sagen, ein Dispositiv, das zwei Drittel des am schwersten zu erreichenden Zielpublikums anzieht, sei gescheitert?“, fragt Marc Zitzmann rhetorisch in der „FAZ“.
In Frankreich wurden vom Staat allein 2024 jedenfalls 260 Millionen Euro für den „Pass Culture“ zur Verfügung gestellt – eine Erfolgsgeschichte. Fronkreisch, du hast es besser!