16.12.2006

Und Ansonsten 2006-12-16

Weihnachtsgebäck
ist mit Cumarin belastet, was nachweislich leberschädlich ist.
Etliche hierzulande angebotene Produkte enthalten weit höhere Mengen des
Aromastoffs, als die EU-weit geltende Aromaverordnung vorschreibt (Grenzwert in
der EU: 2 mg pro kg). Betroffen sind die Zimtsterne zahlreicher Großanbieter.
Und wie reagieren Bund und Länder auf diese Tatsachen? Nicht etwa, in dem sie
die Konzerne wie Lambertz, Metro oder Kaiser's Tengelmann auffordert, die
unzulässig hoch belasteten und die Gesundheit der Bürger gefährdenden
Lebensmittel vom Markt zu nehmen. Nein, die Bundesregierung in ihrer
unendlichen Weisheit hat einfach neue Orientierungswerte samt
Verzehrobergrenzen eingeführt. Diese neuen Werte überschreiten geltendes Recht
etwa bei Zimtsternen um mehr als das 30fache (!). Begründung der Bundesländer:
Die Industrie habe versprochen, den Stoff ab November zu minimieren.
"Foodwatch" hat Strafanzeige gegen die Konzerne wie auch gegen das
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gestellt.
Scheint mir fast zu wenig - aus dem Amt jagen sollte man diese ganze Bande,
geteert und gefedert, mindestens.
(und darüber hinaus: es lebe der selbstgemachte Zimtstern!)

* * *

Die Nackedei-Sozen, immer wieder hübsch, der eine planschte mit seiner Gräfin
im Swimmingpool, der andere macht mit seiner Mitarbeiterin FKK-Urlaub.
Schöne Schlagzeile dazu in der "Abendzeitung":
"Merkel stellt sich vor
nackten Verheugen."
Allein schon die Vorstellung…

* * *

Das für eine Ausgabe wiederbelebte Magazin "Tempo" hat also einer
Reihe von "Prominenten" und wer sich dafür halten mag eine
Ehrendoktorwürde einer "Deutschen Nationalakademie" angeboten - nur
eine Bedingung sollten die zu Ehrenden erfüllen: sich ganz und gar mit den
Zielen dieser Nationalakademie zu identifizieren. Und deswegen wurden dem
Anschreiben "Ziele und Programm" der Akademie beigelegt. Darin heißt
es u.a.: "Eine
Weltanschauung, die bestrebt ist, dem demokratischen Massengedanken eine klare
Ablehnung entgegenzubringen und der Elite des Volkes zu neuer Geltung zu
verhelfen, muß auch dafür Sorge tragen, daß den besten Köpfen im Alltag und in
der Politik der höchste Einfluß zukommt." Ein Satz aus Hitlers
"Mein Kampf".
Einige der Adressaten haben abgesagt (Ingo Schulze, Wickert, Jürgen von der
Lippe), vierzehn haben erfreut die Ehrendoktorwürde angenommen, verbunden mit
rechtsradikalem Gedankengut - darunter so eitle Deppen wie Friseur Udo Walz
oder Dieter Bohlen, Typen, die es scheinbar in ihrem Wichtigtuerwahn keine
Sekunde überraschend fanden, fürs Haareschneiden oder Liederzusammenstümpern
eine Ehrendoktorwürde zu erhalten.
Wirklich bedenklich stimmt, mit welcher Verve der SPD-Politiker, ehemalige
Schröder-Kulturstaatsminister und jetzige Professor für Politische Theorie und
Philosophie an der LMU München, Julian Nida-Rümelin, die Würde akzeptiert. Da
zeigt sich dann doch erstens, wessen Geistes die Schröder-Vasallen waren, und
zweitens, wie tief der Nationalgedanke im Zeitalter des Fußball-Sommermärchens
doch in den Hirnen selbst der Kopfballspieler sitzt.

* * *

Ein Fußballtrainer über deutsche Fußball-Funktionäre:
"Die wissen nicht
einmal, daß im Ball Luft ist. Die glauben doch, der springt, weil ein Frosch
drin sitzt."
In memoriam Max Merkel, Trainer des TSV 1860 München 1964 (Pokalsieg!), 1965
(Endspiel Europacup der Pokalsieger!), 1966 (Deutscher Meister!).

* * *

Übrigens: "Je moderner
das Kommunikationsmittel, desto weniger geprüft gehen die Mitteilungen heraus:
"Ist ja nur eine E-Mail", denken die Leute und versenden Botschaften
submongoloider Sprachqualität."
Max Goldt (in einer Kolumne vor acht Jahren!)

* * *

"Ich bin
popkulturpessimistisch (…) Die Wegstrecke zwischen Subkultur und Markt ist
heute gleich null." Schorsch Kamerun

* * *

Hübsches Späßchen des KLF-Masterminds und Künstlers Bill Drummond:
http://nomusicday.com

* * *

"Ein gelegentlicher
Blick in den Abgrund und gute Beziehung zum Weltschmerz pflegen, das heißt ein
Leben in Wahrheit führen: Ich bin hinfällig und werde sterben, bin umstellt von
mitleidloser Naturgewalt und unzulänglicher Menschenwelt. Das ist die Lage. Ich
habe sie erkannt. Und stelle mich stur oder fromm, sobald diese drei
Widrigkeiten auch nur wagen, mich anzutippen." Thomas
Kapielski

In diesem Sinne - schöne Feiertage, und nur das Beste in 2007!

18.11.2006

Und Ansonsten 2006-11-18

Zwischen
1993 und 2004 hat sich das Nettovermögen des reichsten Viertels in
Westdeutschland um knapp 28 Prozent erhöht. Im ärmsten Viertel zeigt sich
hingegen im selben Zeitraum ein dramatischer Rückgang von 50 Prozent. In
Ostdeutschland hat das Einkommen im reichsten Viertel um fast 86 Prozent
zugenommen, allerdings auf niedrigerem Niveau als im Westen, während das
Einkommen im ärmsten Viertel um knapp 21 Prozent abnahm (lt. „Süddeutsche
Zeitung“).
„Erfolg“ der Politik von Kohl, Schröder und Merkel.
Während seit Jahren über die Streichung von Einkommen des ärmsten Viertels der
Gesellschaft heftigst debattiert wird, ist mir eine Debatte über die Einkommen
des reichsten Viertels nicht erinnerlich.

* * *

Die „Süddeutsche Zeitung“ meldet:
„Die Vertriebenenausstellung
soll auf Reisen gehen.“
Gute Idee. Schießt sie auf den Mond.

* * *

„…daß die Ursache aller
seelischen Krankheiten – und nahezu alle Krankheiten sind ja seelische
Krankheiten – die Familie ist, das stickige Familienleben, das alles Leben
erdrückende große, weiche, muffige Familienbett.“
Imre Kertészs

* * *

Thomas Ostermeier, künstlerischer Leiter der Berliner Schaubühne, zur
Empfehlung der Verfassungsrichter, an der Kultur zu sparen:
„Das ist für mich alles
neoliberale Propaganda. Der Kulturhaushalt beträgt 1,7 Prozent des Berliner
Haushalts, der Schaubühnenetat beträgt so viel wie die Zinsleistungen, die
Berlin für seine Schulden in anderthalb Tagen erbringen muß. Es ist völlig lächerlich,
diese Krümel als Sparopfer in die Diskussion zu bringen. Selbst wenn man sie
einsparen würde, würde man das überhaupt nicht merken. Null. Es handelt sich
bei den kulturellen und sozialen Einrichtungen um Errungenschaften einer sich
organisierenden Gesellschaft des ausklingenden 19. Jahrhunderts. Wir sind
gerade dabei, diese Errungenschaften abzuschaffen. Ohne schlechtes Gewissen.
Stattdessen bekommen diejenigen ein schlechtes Gewissen eingeredet, die auf
diesen Errungenschaften bestehen. Das ist doch krank.“
(zitiert nach „Berliner Zeitung“)

* * *

Auf jeden Fall hat der Berliner Senat nun schon einmal den Posten des
Kultursenators eingespart und eine in jeder Hinsicht „Billigversion“ umgesetzt:
Klaus Wowereit wird jetzt zusätzlich Kultursenator. Neben der deprimierenden
„Message“, die mit dieser Nachricht verbunden ist, fragt man sich, ob Wowereit
bisher nicht ausgelastet war, weil er denkt, jetzt eine derart umfassende
Tätigkeit gewissermaßen „nebenher“ mit erledigen zu können. Für einen wie
Wowereit besteht „Kultur“ wahrscheinlich eh nur im Partyfeiern und saloppe
Sprüche machen. Paßt auch irgendwie zu Berlin.

* * *

Aus einem Interview des „Tagesspiegel“ mit dem Schriftsteller Edhar Hilsenrath
(80):
„In Ihrem neuen Buch „Berlin…Endstation“ wird Lesche, ein gehbehinderter
jüdischer Schriftsteller, von Neonazis auf offener Straße in Berlin erschlagen.
Haben Sie wieder Angst?“
„Das liegt in der Luft, war
schon immer so. Ende der 70er Jahre haben die Nazis eine Lesung von mir
gesprengt. Später haben sie Hakenkreuze an meine Wohnungstür geschmiert. Hier
in Friedenau. Heute hört man wieder Dinge, die vor einigen Jahren noch tabu
gewesen wären. Der eine sagt: Ich mag die Juden nicht. Der andere: Die Juden
sind selbst schuld am Antisemitismus. Das geht alles wieder. Ich war mal am
Holocaustmahnmal, aber es hat mich nicht beeindruckt. Die Deutschen haben es
für sich selbst gebaut. Ich brauche es nicht. Ganz Deutschland ist ein
Holocaustmahnmal.“

* * *

Das ist das, was ich an der „Berliner Zeitung“ so liebe: Am 9.11. titelt das
Blatt „Studie:
Antisemitische und demokratiefeindliche Einstellungen im Westen häufiger als im
Osten“. Die farbigen Statistiken im Artikel allerdings belegen das
genaue Gegenteil: „Befürwortung einer Diktatur“ findet sich etwa im Osten bei
6,5% der Befragten, im Westen bei 4,4%. „Ausländerfeindlichkeit“: Im Osten
30,6%, im Westen 25,7%. „Sozialdarwinismus“ im Osten 6,2%, im Westen 4%.
Thesenjournalismus eben, es muß das rauskommen, was von der Zeitung behauptet
wird…

* * *

„Das sind die Leute, die
immer mit dem Staat und den Mächtigen packeln und entweder links oder rechts
davon sitzen. Der typische deutschsprachige Schriftsteller. (…) Die haben ja
nie einen Charakter gehabt. Nur die Frühverstorbenen, meistens.“
Thomas Bernhard

* * *

Ein schönes Beispiel, wie zeitgenössische, wie überhaupt Kammermusik heutzutage
intelligent und kreativ präsentiert werden kann, ohne das „Modern talking“ der
Klassik-Musikindustrie mitzumachen, lieferte der famose Pianist Pierre-Laurent
Aimard, „Pianist in Residence“, mit Musikern der Berliner Philharmoniker im
Oktober im Kammermusiksaal Berlin. Musikstücke, die scheinbar wenig miteinander
zu tun haben, wurden intelligent gekoppelt – etwa unter der Überschrift
„Quartett für einen wiederholten Ton“ Sätze von Beethoven, Kurtág und Bartók.
Oder Schubert-Ländler und Walzer wurden mit Melodien aus dem „Tierkreis“
Stockhausens kombiniert. Das „Scherzo brilliante“ führte verschiedenste
Solo-Virtuosenstücke zusammen, woraus ein eigenes Stück kreiert wurde. Und zum
Schluß ein Block Ligeti, endend mit dem „Poème Symphonique für 100 Metronome“.
Begeisterte Zustimmung – SO, Freunde, kann „Klassik“, kann zeitgenössische
Musik Spaß machen. Aimard ist ein Glücksfall für Berlin!

* * *

„Musikhören ist nicht
schwer, es sei denn, man hört zu.“ Mauricio Kagel

* * *

Und dann war da noch der Provinzveranstalter eines „Midlake“-Konzerts, der nach
dem Konzert kritisierte, die Band habe ja „null Entertainment, null
Choreographie“. Wenn wir mal Comedy oder Tanztheater auf Tournee schicken,
werden wir uns wieder bei dem Veranstalter melden…

„Soffrir più non si può.“ (Idomeneo)

07.10.2006

Und Ansonsten 2006-10-07

Aufmacher
des Wirtschafts-Teils der "FAZ" am 30.8.2006: "Die deutsche Rüstungsindustrie
entdeckt Indien - Minister Glos wirbt in Neu-Delhi für Waffen - Indien ist der
größte Einkäufer unter den Entwicklungsländern."
Im Feuilleton der gleichen Ausgabe der "FAZ" eine Anzeige: "India on the Rise"
wird da eine Veranstaltung zur Frankfurter Buchmesse beworben, u.a. mit Panels
zu den Themen "India and
the World Economy" oder "India
Today: Changes of Globalisation".
Da weiß man doch gleich wieder, warum Buchmessen-Gastländer eingeladen werden…

* * *

Arlo Guthrie, Sohn des Songwriter-Helden Woody Guthrie, geht zusammen mit dem "hegelianischen Liedermacher"
("Junge Welt") Hans-Eckart Wenzel auf Deutschland-Tournee. Arlo
Guthrie im Interview zur genannten Zeitung: "Alle
sind so müde von all diesen Verrücktheiten, von all diesen Idioten. Und dabei
ist es mir egal, ob es sich nun um Osama oder Bush jr. oder um sonst wen
handelt".
Offenkundig sind dem Songwriter auch die Konzertsäle und Ticketpreise der
Tournee egal, und so treten Guthrie und Wenzel ganz "hegelianisch"
u.a. in der "Alten Oper" Frankfurt (Ticketpreise zwischen EUR 42 und
EUR 48; startet man auf der Website der beiden Künstler den Frankfurt-Button,
bekommt man das Herrschaftshaus der Alten Oper im Postkartenidyllen-Stil auf
mehreren Ansichten gezeigt), im Münchner "Gasteig" (Ticketpreise
zwischen EUR 35 und EUR 47,50…) und auf der Wartburg auf. Was zur Wartburg zu
sagen ist, hat der Komponist und Dirigent Christian von Borries anläßlich
seines fürs Weimarer Kunstfest erarbeiteten "Tannhäuser"-Projekts auf
der Wartburg eine Woche vorher gesagt, u.a.:
"Ein Bild der Wartburg
ziert die Wände des Restaurants "Deutscher Hof" in Kabul. Der
historisch-symbolisch aufgeladene Ort Wartburg, populär durch Richard Wagners
"Tannhäuser" und Martin Luther, ist Ausgangspunkt der Spiegelung
deutscher Geschichte und Ideologie: Psychogeographie."
Und so kommen der Sohn des US-amerikanischen Kommunisten Woody Guthrie und der
"hegelianische Liedermacher" aus Berlin wie selbstverständlich an
diesem aufgeladenen deutschen Ort zusammen, um gegen Bush, Osama oder wie
"all diese Idioten" heißen mögen, anzusingen. Besser könnte man so
etwas nicht erfunden haben.

* * *

Seit dem 10.9. kann man relativ genau bemessen, wieviel die "taz",
manchmal auch "Kinder-FAZ" betitelt, den "Weltenläufen" (um
mal bei Hegel zu bleiben) hinterherhinkt: Es sind etwas mehr als zwei Jahre. Am
10.9. die Titelseite der "taz": Ein großes Bild von Usama Bin Ladin,
darüber stehen ganz einfach die Worte "Der Sieger", mit der
Unterzeile "Warum Bin Laden gewonnen hat". Eine zugegeben originelle
Perspektive im Angesicht der Müll-Schwemme, zu der die Medien rund um den 11.9.
sonst gegriffen haben.
Am 25.4.2004 allerdings: Auf der Titelseite des Feuilletons der
"FAZ": Ein Bild von Usama Bin Ladin. Darüber stehen ganz einfach die
Worte "Der Sieger", mit der Unterzeile "Er ist dabei, den
"Krieg gegen den Terror" zu gewinnen"…

* * *

Nochmal die "taz", gleiche Ausgabe, Stichwort gekaufter Journalismus:
einem nicht uninteressantem Artikel über Bergurlaub auf einer Hütte in den
Schweizer Hochalpen ist verschämt folgender Vermerk angefügt: "Die Reise wurde unterstützt von
Schweiz Tourismus." Was das wohl bedeuten mag? Hat
"Schweiz Tourismus" dem sogenannten "Journalisten" (oder
sollte man besser sagen: dem gekauften Werbetexter?) die Reise bezahlt? Oder
ihn bestochen? Oder die Zeitung selber, damit der Artikel erscheinen kann?
Billige Werbung wars für "Schweiz Tourismus" allemal - für die
Seriösität der "taz" allerdings weniger…

* * *

Daß ich das noch erleben darf: Die SPD stürmt in Richtung
"Klassenkampf", und der "Tagesspiegel" ist dabei. Der Wirtschaftsteil
des "Tagesspiegel" vom 9.9.06 macht Ernst: "Politik gegen den Strom",
titelt das Blatt, und in der Unterzeile heißt es, "…die SPD will sogar das Oligopol brechen".

Der deutsche Strommarkt wird bekanntlich von vier Unternehmen dominiert: Eon, RWE,
Vattenfall und EnBW. Die Politik ist diesen Unternehmen zum größten Teil
willfähriger Steigbügelhalter. Doch nun? Der stellvertretende SPD-Fraktionschef
Ulrich Kelber verkündet: "Wir
müssen das Oligopol brechen." Jedes Gesetz im Energiebereich
müssen einem "Monopol-Tüv
unterzogen" werden. Ob sich SPD-Kelber das eher so vorstellt,
wie unter dem zwischen Energieriesen und SPD-Regierung nahtlos hin und her
wechselndem Wirtschaftsminister Müller, der allgemein Großkonzern-freundliche
und speziell Energie-Riesen-freundliche Gesetze erlassen hatte, oder was er
sonst für eine subversive Strategie betreiben will, darüber ließ sich Kelber
nicht aus.

* * *

Der "grünen Gurke" hat immer noch niemand das Mikro abdrehen können:
"Ich freu mich, daß ich
jetzt auch mal offen sagen kann, daß ich Benedikta heiße, Claudia
Benedikta." (Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth in N24 zum
bevorstehenden Besuch Papst Benedikts XVI. in Bayern).
Was sind wir froh. War die Menschenrechtsbeauftragte der rot-grünen
Bundesregierung doch zuvor jahrelang unter Folter gezwungen worden, ihren
zweiten Vornamen geheimzuhalten.

* * *

Eine der widerlichsten Verhaltensweisen von Politikern ist die Benutzung des
Wörtchens "alternativlos". Zu ihrer Politik gebe es keine Alternative,
der Reformkurs oder die Mehrwertsteuererhöhung oder was auch immer sei
alternativlos.
Dies ist zutiefst anti-demokratisch. Schröder tat sich mit diesen Bemerkungen
groß, und nun flüchtet sich auch Angela Merkel in diese stalinistische Pose:
Die Beschlüsse der Bundesregierung seien "alternativlos".
Frau Merkel - eine Enttäuschung auf ganzer Linie. Deprimierend, daß unsereiner
realpolitisch immer nur die "Alternative" zwischen Pest und
"Kohl-Ära" hat…

* * *

"Wir sind Papst", und die "Spex" ist katholisch geworden
und glaubt an Legenden, also an lt. Duden "fromme Sagen": In einem
schönen Artikel zum Erscheinen der genialen Tortoise-Box "A Lazarus
Taxon" schreibt der "Spex"-Autor: "…und zuletzt fand sich der Legende nach nicht
einmal mehr ein Livepublikum für die Herren…". Ich kann den
Autor beruhigen, in der Realität fand sich nach wie vor ein nennenswertes
Livepublikum für Tortoise - eine kurze Nachfrage hätte dies richtigstellen
können. Sowas nannte man früher, zu Zeiten seriöserem Journalismus, mal
"Recherche". Aber heutzutage müssen journalistische Behauptungen ja
in der Regel nicht der Wahrheit, sondern dem aktuellen Weltbild ihres Autors
entsprechen.

* * *

Die (gespielte?) Empörung über das sogenannte "Gammelfleisch" kann in
einem Land, in dem Geiz geil ist, nur für Verwunderung sorgen. Wiglaf Droste
schreibt dazu in der "taz":
"Dabei ist der
massenhafte Verkauf von verdorbenem Fleisch nur die Konsequenz aus der hiesigen
Geschäftsordnung, deren oberstes Prinzip der Profit um jeden Preis ist. Solange
das so ist, wird Tiermehl an Rinder verfüttert, die an BSE erkranken, und so
lange wird auch so genanntes Gammelfleisch verkauft. Man nennt das freies
Unternehmertum. Es hat das Gesetz auf seiner Seite. (…)
Wer seine Rübe jeden Tag mit
Bild, Brüllradio und Gestörtenfernsehn vollprengelt, kann sich über Gammel im
Fleisch nicht mit Recht beschweren. Der veritable Fraß entspricht dem medialen.
Billigbilligbillig will es der Dauerkonsument, Parolen wie "Geiz ist
geil!" ahndet er nicht mit Boykott, Scheibeneinwurf oder stillem
Vorübergehn. Sie gefallen ihm, und genauso steckt er sich jeden Dreck auch in
den Mund und nennt das: essen. Dabei ist es nur ein Mangel an Selbstachtung und
Verstand. (…)
Wer ausgerechnet bei so
etwas Elementarem wie dem Essen immerzu nur sparen will, liefert die dumme
Nachfrage zum schmutzigen Angebot. Jede Wette: In ein paar Tagen wird ein
anderes Thema die massenmedial durchseuchten Köpfe der Deutschen füllen, und
dann werden sie wieder herzhaft in den Billiggammel beißen."

* * *

"Harte Arbeit hat noch
keinem geschadet, der es auf der Welt sonst kaum aushält."
Dietmar Dath

* * *

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs war von 1994 bis 1998
stellvertretendes, von 1998 bis 2002 reguläres Mitglied des Verteidigungsausschusses
des Bundestags.
Im Bundestagswahlkampf 2005 hat der SPD-Politiker Spenden von Rüstungsfirmen
erhalten, die jeweils knapp unter der Veröffentlichungspflicht von 10.000 Euro
lagen. Laut einem Bericht der "Frankfurter Rundschau" erhielt Kahrs u.a.
Spenden an seinen Hamburger Kreisverband SPD-Mitte von Krauss-Maffei Wegmann
und Rheinmetall in Höhe von knapp 20.000 Euro.
Seit Beginn der neuen Wahlperiode 2005 ist der SPD-Politiker als Mitglied im
Haushaltsausschuß Berichterstatter der SPD-Fraktion für den Verteidigungsetat,
als solcher entscheidet er u.a. über die Rüstungsbeschaffung der Bundeswehr.
Ende Juni 2006 wurde vom Haushaltsausschuß mit der Stimme Johannes Kahrs die
Beschaffung von geschützten Fahrzeugen vom Typ Dingo 2 im Wert von 110 Millionen
Euro beschlossen. Hersteller: Krauss-Maffei Wegmann.
Von einem "Interessenkonflikt" kann laut Aussage von Johannes Kahrs
nicht die Rede sein. Das stimmt wohl auch, er und die Firmen, die ihm Spenden
zukommen lassen, dürften ja die gleichen Interessen haben…

* * *

Der Unterschied von FAZ-Feuilleton und SZ-Feuilleton, manchmal - hier anhand
des auf CD gepreßten Drecks namens "Pur":
Die "FAZ" schreibt über die aktuelle Club-Tour der Band unter dem
schönen Titel "Bandkäs'
mit Musik" u.a.:
"Es wird ja wohl, so
hofft man, genug Ansätze für eine differenzierte Betrachtungsweise geben. Doch
schon nach wenigen Tönen und nur einem von Sänger Hartmut Engler intonierten
Refrain versagt die Hoffnung. Sie duckt sich weg und nimmt Reißaus. (…)
Ein "Pur"-Konzert
ist eine Reise an einen Ort, wo unter originalitätsfreiem Gedudel die Essenz
aus dem gesamten Deutschrock-Schrecken der achtziger Jahre gepreßt und auf
Schlager runtergekocht wird."
Die "SZ" schreibt unter dem Titel "Radikal
normal" u.a.:
"Die Musik von Pur
ästhetisch abzulehnen, ist das eine. Aber man muß Pur im Konzert hören, zum
Beispiel das alte Lied "Wenn sie diesen Tango hört", das ganz ähnlich
wie das neue "Immer wieder" eine Geschichte von einer einsamen Frau
erzählt. Das sind klassische "Eleanor Rigby"-Genrelieder. Natürlich
kann man die Arrangements muckerhaft finden, man kann sich über die
Erwartbarkeit der Akkordfolgen aufregen, aber: Diese Lieder wirken. Sie jagen
selbst Leuten einen Schauer über den Rücken, die weder alleinstehende Witwen
kennen noch Alkoholikerinnen, sondern allenfalls in wehmütigen Momenten einmal
darüber nachdenken, daß hinter all den Fenstern der Häuser Menschen mit
Geschichten leben, und eben auch Witwen und Alkoholikerinnen. Das ist das
Wunder der Musik: Wenn sie funktioniert, kann man sich gegen sie nicht
wehren."
Das ist der Zauber des Journalismus: Wenn er "funktioniert", schafft
mans nicht mehr rasch genug aufs Klo… Oder, wie der Popautor der SZ in dem
Artikel festgestellt hat: es handelt sich um einen "schmalen Grad" (sic).
Und jetzt raten wir gemeinsam: welche der beiden Zeitungen hatte zum jüngsten
Papstbesuch eine tägliche redaktionelle Sonderbeilage?

* * *

Der ehrenwerte und hervorragende Pianist Michael Korstick, dessen
Beethoven-Einspielungen in jede einigermaßen sortierte Plattensammlung gehören,
gehört zu denjenigen, um die weniger Tamtam gemacht wird als um andere. Dafür
hat er etwas, was selten geworden ist: Geschmack und Rückgrat.
Soeben hat Korstick beim Landgericht Berlin erwirkt, daß Sony BMG die CD
"Kuschel Klassik Vol. 10" in der vorliegenden Form vom Markt nehmen
muß. Korstick erklärte, seine Aufnahme von Beethovens "Bagatelle" op.
126.1 für das Label Ars Musici sei ohne seine Zustimmung an Sony BMG
weiterlizensiert worden: "Die
Idee, ausgerechnet den späten Beethoven als Kuschelmusik zu verramschen, ist
vollkommen absurd", sagte der Pianist laut "Berliner
Zeitung".
Wir gratulieren von Herzen und hoffen, daß den Erfindern von Ungetümen wie
"Kuschelklassik" der Süßkram im Halse stecken bleibt.

* * *

"Gegen die Benutzung
von Musik kann sich niemand schützen."
Christian von Borries

* * *

Und dann war da noch die nicht völlig unbekannte und nicht völlig
unerfolgreiche Berliner Rockband, deren Sängerin bei einem Konzert in
Niederösterreich nicht auftreten wollte, weil sie im Saal die Werbung eines der
Sponsoren des Kulturzentrums, "Bank Austria", sah. Als man den
Musikern erklärte, daß sie doch am Tag zuvor in Wien sogar in der "Bank
Austria-Arena" gespielt hatten, hatte sich der heldenhafte Vorstoß der
Gutmenschen schnell wieder erledigt…

04.09.2006

Und Ansonsten 2006-09-04

"Die
Welt hat wieder Angst vor uns", eine Parole von Oliver Bierhoff, nur in
ausländischen Feuilletons diskutiert. Zwei Beispiele aus den Tageszeitungen des
7.Juli 2006, zwei Beispiele nur für das "neue
entspannte Nationalgefühl" (Reinhold Beckmann), das sie
meinen:
In einem Dorf in Sachsen-Anhalt werden eine amerikanische Flagge und das
"Tagebuch der Anne Frank" verbrannt. Praktisch das ganze Dorf steht
dabei und sieht zu, inklusive des Bürgermeisters der sogenannten
"Linkspartei", der sogar Mitglied des ortsansässigen "Heimat
Bund Ostelbien" war, einer rechtsradikalen Vereinigung in der Nachfolge
der vom Innenministerium verbotenen Kameradschaft
"Ostelbien-Pretzien". (lt. FAZ) -
Bei der Feier eines Berliner Hochzeitspaares auf Schloß Marquardt im Potsdamer
Norden tauchten in der Nacht kahl geschorene Schläger auf, sie pöbelten,
prügelten sich mit dem Bräutigam und Gästen und demolierten das Partymobiliar.
Die Skinheads riefen "Das ist unser Dorf, ihr habt hier nichts zu
suchen!" Die mehrfach von den Gästen angerufene Polizei erschien erst mit
gehöriger Verspätung. Als Grund für den Angriff der Skinheads auf die
Hochzeitsgesellschaft nannten Potsdamer, bei der Hochzeit sei "türkische
Musik" gespielt worden, daher sei im Dorf das Gerücht aufgekommen,
"da ist eine Türkenhochzeit", und so zogen die Skinheads vom Dorffest
zu der Hochzeit. Wenn das kein ausreichender Grund ist. (lt. Tagesspiegel) -

* * *

Der "Tagesspiegel" erklärt die Welt, anhand der Hochzeit eines
anderen Potsdamer Bürgers, nämlich von Günther Jauch:
"Von seinem
Millionenvermögen haben durch seinen Einsatz in Erhalt und Wiederaufbau
historischer Potsdamer Bauten alle was."
(zur Info: lt. Grundbuchauszügen gehören Günther Jauch in Potsdam 21 Villen
bzw. Villengrundstücke)

* * *

Eine Tanja Rest darf die "Süddeutsche Zeitung" vollbrabbeln:
"Die deutschen Fans
haben bei dieser Weltmeisterschaft ein Vorurteil widerlegt. Deutsche Fans,
behauptet das Vorurteil, sind nicht kreativ. (…) Doch gerade bei den Deutschen
kam bei der WM etwas dazu: Kreativität und Witz."
Als Beispiel für die gerühmte "Kreativität", als Beispiel für den
"Witz" wird der Artikel mit einem Bild unterlegt, auf dem ein
Fan-Plakat hochgehalten wird, auf dem steht:
"Danke Kaiser Franz für
diese geile WM"
Als weitere Belege für Kreativität und Witz führt Frau Rest in ihrem Artikel
u.a. die folgenden Fanplakate an: "Wir
stehen hinter Euch", oder "Meine
Frau gegen Tiket".
Kreativität und Witz in den Zeiten von Pisa.
(aber nichts zu blöd, als daß es nicht noch von einer liberalen Tageszeitung
ausgewalzt werden würde)

* * *

In der "tageszeitung" macht Daniel Bax, Kulturredakteur, Stimmung für
die Hisbollah: angeblich unterstütze im Libanon "eine Mehrheit über alle Religionen hinweg (!) den
militärischen Widerstand" der Hisbollah (das Ausrufungszeichen
ist von Bax). Wie Islamisten-Terror zu "Widerstand" hochgeschrieben
wird, darin tun sich hierzulande "Süddeutsche Zeitung",
"tageszeitung" oder Rechtsradikale gemein. Der Aggressor ist längst
ausgeguckt: Israel ist aggressiv. "In
Bild und Text kommen israelische Juden nur als Täter und Aggressoren vor, es
werden vor allem Männer, Soldaten abgebildet; der Libanon hingegen scheint aus
Frauen und - vorzugsweise toten - Kindern zu bestehen. Die Hisbollah kommt
ebenso wenig vor wie das Flüchtlingselend auf israelischer Seite" (Tjark
Kunstreich). Imre Kertész spricht bereits von einem
"Euro-Antisemitismus". Der selbstredend auf
Boulevard-"Niveau" stattfindet. Gefälschte Fotos werden unkommentiert
abgedruckt, im Nachhinein entschuldigen sich dafür weder SZ noch taz, es geht
ja nur um Stimmungsjournalismus. Manipulierte Opferzahlen, verdrehte Fakten
werden nirgends richtig gestellt - es geht um eine besondere Form des
Antisemitismus, da dürfen Fakten nicht im Wege stehen.
So macht in Deutschland eine breite Front von links bis ganz rechts Stimmung
für die Hisbollah und gegen Israel. Es ist widerlich, dies zu verfolgen.
"Entspannter Patriotismus" nennt sich das seit Neuestem…

* * *

Doch wenn hiesige Medien über die Nazizeit brabbeln dürfen, dann lassen sie
selbst die Schmähung Israels auf die hinteren Seiten des Feuilletons wandern.
Die neueste Sau, die durchs Nazidorf getrieben wird beziehungsweise eher
freiwillig dort rumsuhlt, heißt Günter Grass. Der hat plötzlich festgestellt,
daß er in der Waffen-SS war. Und will dafür Mitleid.
Und die Medien landauf landab spielen mit bei dieser "Reklameaktion eines
Publicity-Süchtigen, der ein neues Buch geschrieben hat" (Klaus
Theweleit).
Nun könnte es einem ja relativ egal sein, was ein schlechter Schriftsteller,
der in seinem Leben vielleicht ein halbes ordentliches Buch zustande gebracht
hat, ein erbärmlicher Zeichner, aber moralinsaurer Wichtigtuer sondergleichen
in seiner Jugend getrieben hat. Dennoch lohnt es sich, zwei Details näher unter
die Lupe zu nehmen:
Das eine ist, wie einer noch heute verklärt, wie er unter die Nazis geriet,
gewissermaßen als anti-bürgerliche, als anti-autoritäre Widerstandsaktion: "Mir ging es zunächst vor allem
darum rauszukommen. Aus der Enge, aus der Familie. Das wollte ich beenden, und
deshalb habe ich mich freiwillig gemeldet." Und daß er bis
heute nicht viel gelernt hat, sagt er wenig später im FAZ-Interview: "Wir (im Westen, BS) hatten
Adenauer, grauenhaft, mit all den Lügen, mit dem ganzen katholischen Mief. Die
damals propagierte Gesellschaft war durch eine Art von Spießigkeit geprägt, die
es nicht einmal bei den Nazis gegeben hatte. Die Nazis hatten auf
oberflächliche Weise eine Art Volksgemeinschaft etabliert. Klassenunterschiede
oder religiöser Dünkel durften da keine vorherrschende Rolle spielen."
Grass sozusagen als Propagandist des Strasser-Flügels der NSDAP; hierin hätte
er sich gut mit Michael Kühnen und anderen Propagandisten der verbotenen ANS
verstanden.
Und besonders ekelhaft, wie Grass sich nicht zu blöde ist, selbst seine
Waffen-SS-Enthüllung noch zum primitiven Antiamerikanismus zu nutzen: denn
Rassismus, so Grass, habe er nicht etwa unter den Nazis, sondern das erste Mal
im amerikanischen Kriegsgefangenenlager erlebt, als schwarze Soldaten
"Nigger" genannt worden seien.
Michael Wuliger schreibt zu dieser Haltung von Günter Grass ganz richtig: "Spätestens mit Grass' Bekenntnis
ist diese Lebenslüge futsch, wie schon vor ihr andere. Gewiß, der
Schriftsteller war nur wenige Monate in der SS. Und nach 1945 hat er sich als
untadeliger Demokrat bewährt. Das allerdings verdanken wir nicht Grass'
Gewissen, sondern der Tatsache, daß die Anti-Hitler-Koalition die Nazis besiegt
hat. Wäre es andersherum gekommen, wer weiß was aus dem Mann in der SS noch
hätte werden können." -
Und zweitens: Grass tut, wie so viele seiner Generation, so, als ob
"man" nichts hätte wissen können. Die Zustände, sie waren eben so.
Wie kommt es dann, daß andere junge Menschen seiner Generation den Weg in den
Widerstand gefunden haben? Wie kam es zur Weißen Rose, zu den Edelweißpiraten?
Oder wenigstens zum Beispiel den Katholiken oder Bürgerlichen, die einfach nicht
mittun wollten bei den Nazis?
Mal ganz abgesehen davon, daß ihm seine Worte vom 8.Mai 1985 nun kräftig auf
die Füße fallen, gehalten anläßlich des Besuchs des Soldatenfriedhofs Bitburg
von Kohl und Reagan: "Doch
was sagen die wiederholten Beteuerungen, es habe die überwiegende Mehrheit des
deutschen Volkes von Gaskammern, Massenvernichtungen, vom Völkermord nichts
gewußt? Diese Unwissenheit spricht nicht frei. Sie ist selbstverschuldet, zumal
die besagte Mehrheit wohl wußte, daß es Konzentrationslager gab und wer alles
in sie hineingehörte…"
Damit wir uns nicht mißverstehen - ich weiß, daß es aus heutiger Sicht ein
Leichtes ist, diese Fragen zu stellen. Noch leichter ist es aber, den Weg in
die Waffen-SS als unausweichlich, als alternativlos zu beschreiben, weil es ja
keine andere Möglichkeit gegeben habe…
Und ein Letztes: auch andere Künstler waren in verschiedensten Nazi-Verbänden,
Erich Loest, Dario Fo, der große Maler Bernhard Heisig sogar ebenfalls in der
Waffen-SS. Keiner der beispielhaft Genannten machte aber je ein eitles Gewese
darum, und jeder dieser beispielhaft Genannten hat sich vor Jahrzehnten bereits
mit diesen Irrwegen auseinandergesetzt. Bernhard Heisig merkt man noch heute
jedem seiner großartigen Gemälde die Verzweiflung angesichts der Erlebnisse im
Zweiten Weltkrieg an. Dies ist eine künstlerische Auseinandersetzung, vor der
man nicht tief genug den Hut ziehen kann.
Günter Grass dagegen betreibt eine eitle, nach Tagen dann gar weinerliche
Werbekampagne, man möge nun sogar Mitleid mit dem Wichtigtuer haben. Nein
danke, Grass, den habe ich satt.

* * *

Wobei, am Rande sei's angemerkt, das größte Verbrechen von Grass wahrscheinlich
darin besteht, seine Leser zu langweilen, die Betrachter seiner Zeichnungen zu
quälen. Das nun wieder hat er mit weiten Teilen des liberalen
Kulturestablishments gemein, und insofern hat er seinen Literaturnobelpreis
wohl zurecht erhalten. Strafe muß sein, und so muß das von Grass geschmähte
Bürgertum sich nun Grassens "Zwiebel" kaufen und neben die ebenfalls
ungelesenen Klötze von Butt bis Gutloff stellen…

* * *

Der Popsänger Bono hat mit Grass so manches gemein: Ein ebenso schwaches (so
wie Grass es nur auf einige Kapitel Blechtrommel gebracht hat, die Bestand
haben, so sinds von U2 vielleicht drei vier sehr alte Songs, die man gelten
lassen kann…) wie heillos überschätztes Werk - wenn es einen Musiknobelpreis
geben würde, jede Wette, der Bono hätte ihn längst erhalten. Und wie der eine
geht einem auch der andere mit moralinsaurer Wichtigtuerei ganz gewaltig auf
die Nerven. Sitzt der eine beim Schröder auf dem Schoß, wanzt sich der andere
an Blair ran. Und der eine war in der Waffen-SS, während der andere seiner
öffentlichen Globalisierungskritik dadurch Nachdruck verleiht, daß er 40% an
der Bibel des Kapitalismus, dem Forbes-Magazin (Untertitel: "Wie man reich
wird und das genießt"), erwirbt. Dabei hat sich Bono, der von der irischen
Regierung einen Zuschuß zum Schuldenerlaß verlangte, mit U2 ins Ausland
abgesetzt, um höhere Steuern zu vermeiden - die die U2-Songs verwaltende
Holding hat nun ihren Sitz in Holland, wo Künstlereinkommen nur geringfügig
besteuert werden - "im
Gegensatz zu Irland, das seit dem Dezember Abschreibungsmöglichkeiten für
Hochverdiener weitgehend reduziert hat", wie der
"Spiegel" schreibt.
Cui Bono? Es geht eben auch bei öffentlichwirksamen Wichtigtuer-Auftritten nur
um den eigenen Reichtum.

* * *

"Pop hat seine
Grenzen." (Pierre Boulez)

* * *

Jeder Songtext von Lou Reed ist mehr wert, als alles, was
JuliSilbermondWirsindHeldenTomte und wie sie alle heißen in ihrem ganzen Leben
schreiben werden. Insofern ist ein Buch namens "Lou Reed: Pass Thru Fire -
The Collected Lyrics / Alle Songs" zunächst einmal eine erfreuliche
Neuerscheinung.
Dann aber liest man die deutschen Übersetzungen, die von einer kaum zu
überbietenden Jämmerlichkeit sind. Das schöne "Sunday morning / Brings the dawn in"
etwa wird vergewaltigt zu "Sonntagmorgen
/ Frühe Sorgen". Und man fragt sich, warum der Band "Lou
Reed: Texte" bei KiWi mit den Übersetzungen von Diedrich Diederichsen
nicht mehr aufgelegt wird. Der ist hervorragend, während vor "Pass Thru
Fire" nur gewarnt werden kann.

* * *

Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker, dessen Statuen auch das
Fußball-Weltmeisterschaftsstadion zu Berlin verunreinigen, hat auch nach 1945
Kontakte ins rechtsextreme Milieu gepflegt. Wen wunderts. Der Bundesverband
Bildender Künstlerinnen und Künstler, BBK, hat daher die Schließung der
Breker-Ausstellung in Schwerin gefordert. Eine Ausstellung, für die sich Günter
Grass natürlich eingesetzt hat…

* * *

Um beim Thema zu bleiben - unkommentiert von den Medien feierte die Berliner
Waldbühne am 5.August ihr 70jähriges Bestehen. Mathematik schwach? Genau - die
Nazikultstätte wurde 1936 eröffnet (und 1965 beim legendären Auftritt der
Rolling Stones völlig zu Recht demoliert, wenn man das so sagen will…).
1981 "übernahm", wie es verschämt in den Meldungen anläßlich des
Waldbühnen-Jubiläums heißt, Peter Schwenkow die Spielstätte als Veranstalter.
Man könnte natürlich auch sagen: 1981 pachtete CDU-Mitglied Schwenkow vom
CDU-Senat die Waldbühne, aber dazu hätten Journalisten ja das tun müssen, wofür
sie bezahlt werden, nämlich: recherchieren… Im September diesen Jahres, also 25
Jahre nach der Übernahme der Waldbühne, tritt der DEAG-Boß für die Berliner CDU
übrigens zu den Wahlen des Abgeordnetenhauses an. -
Zu den Jubiläumskonzerten gehört ein von der DEAG geplantes
"Taschenlampenkonzert" der Band "Rumpelstil". Sind eben
erwiesenermaßen alles ganz kleine Lichter, irgendwie.

* * *

Aus einer Buchbesprechung in der Zeitschrift "Mobil - Das Magazin der
Bahn":
"Pharmakonzerne und
andere Verbrecher sind bereit, dafür über Leichen zu gehen…"
Wo sie Recht haben, haben sie Recht.

* * *

Schon faszinierend, wie die gleichgeschaltete Presse ein von der Deutschen Bank
finanziertes Event im Vorfeld großschrieb und dann trotz offenkundigen
Scheitern nicht verriß, sondern lediglich ein wenig unfreundlich kommentierte.
Wochenlang konnte man vor der Neueröffnung des Berliner "Admiralspalastes"
Porträts und Interviews des Regisseurs der neu-inszenierten
"Dreigroschenoper" Brechts, Brandauer, oder eines seiner
Hauptdarsteller, Campino von den sogenannten "Toten Hosen", oder des
Besitzers des neuen Kulturpalastes, Falk Walter, förmlich nicht entrinnen.
Dann gebar der Berg, und heraus kam nicht einmal eine Maus.
Doch natürlich verreißt die gleichgeschaltete Presse nicht ein Event, für das
die Deutsche Bank, wie zu hören war, 3,5 Millionen Euro ausgegeben hat - wer
wollte es sich schon mit einem deutschen Machtfaktor verderben? Und so
konstatierte man landauf landab, daß Brandauer seine Schauspieler nicht
"führen" könne, vermeldete als "die
größte Überraschung des Abends, daß Campino, sonst Held der Toten Hosen, der
hier den Mackie Messer gab, nicht nur kein Schauspieler ist, sondern auch kein
Sänger, jedenfalls keiner, der Weill singen könnte."
("Die Zeit"). Campino kann nicht singen? Das hätte ich ihnen auch
vorher schon sagen können, das kann man unschwer feststellen, wenn man die
Schlagerband namens "Tote Hosen" hört, die hierzulande als
"Punk" gilt (denn in Deutschland findet selbst der Punk im Saale
statt, und das Publikum löst nicht nur eine Bahnsteigkarte, sondern kauft teure
Tickets…).
Der eigentliche Skandal des Abends im Admiralspalast war aber die Aneignung
Brechts durch die Deutsche Bank, der ja bereits, im Wortsinn, etliche Werke
moderner Kunst gehören und die ihren Ackermann zur Premiere schickte, feist
grinsend wie üblich. Die Message, die da ausgesendet wurde, war klar: Wir, die
Deutsche Bank, vereinnahmen Brecht und lassen ihn von ein paar willfährigen
Hanswursteln aus Österreich und Düsseldorf zum schwäbischen Heimatdichter
deformieren.
Und so war es nur konsequent, daß sich Ackermann und Konsorten nach der
Premiere bei Gesängen des Johannes Heesters vergnügten, der zuletzt 1940 an
gleicher Stelle aufgetreten war; auch Hitler und Goebbels sollen sich damals
schon wie Bolle amüsiert haben, und die Deutsche Bank fühlte sich hier wie da
sauwohl.

* * *

Die grüne Gurke Claudia Roth "war
nach eigenen Angaben als Menschenrechtsbeauftragte der rot-grünen
Bundesregierung nicht über deren Vorgehen im Fall Murat Kurnaz informiert",
meldet der "Tagesspiegel". Und daraus kann man zweierlei lesen:
Erstens, daß selbst ihre eigenen Leute die heutige "Grünen"-Chefin
wohl für zu unwichtig hielten, als daß man sie über irgendwelche
Regierungsgeschäfte hätte informieren sollen. Und zweitens - was tut Roth nun?
Sie fordert, genau, "eine
Erklärung".

* * *

Das ZDF räumte "einer
Rockgruppe ausführlich redaktionellen Platz ein, mit der es bereits einen
Lizenzvertrag zur Vermarktung gab" ("Spiegel").
Gegen Bezahlung einer "pauschalen
Lizenzsumme durch die Plattenfirma" wurden die über 20
gesendeten ZDF-Trailer für das Länderspiel Deutschland-Slowenien mit einem
aktuellen Titel der Band unterlegt. Und am Wochenende vor dem Länderspiel
sendete die ZDF-Sportreportage, bisher ja nicht gerade als Musiksendung
aufgefallen, einen fast siebenminütigen Beitrag, in dem eben diese Band
vorgestellt wurde und über den slowenischen Fußball plaudern darf.
Und so läuft wieder einmal alles wie geschmiert: Eine blöde Plattenfirma, die
das Musikgeschäft als Marketingangelegenheit begreift und nicht an die Musik
ihrer Gruppe glaubt; eine blöde Band, die offensichtlich ohne "eine Hand
wäscht die andere"-Geschäfte keiner hören wollte; und eine blöde
"öffentlich-rechtliche" Redaktion, die die von der Plattenfirma im
Vorfeld vorgeschlagene "redaktionelle
Einbindung" der Band gerne annimmt.
Nichts Besonderes, ich weiß, nur ein Beispiel von vielen. Aber eben auch ein
Beispiel dafür, wie verlottert die Sitten beim öffentlich-rechtlichem Rundfunk
und Fernsehen längst sind.

Die Bands dieser Agentur werden Sie dagegen nicht in der ZDF-Sportreportage
finden. Und wir glauben so sehr an die Qualität der Musik "unserer"
Bands, daß wir, auch wenn wir es könnten, unsere Bands nicht in Funk- und
Fernsehsendungen einkaufen würden (und glauben Sie mir: Angebote dergestalt gab
es bereits!).
Sie müssen schon in die Konzerte gehen, um die Musik "live" zu
erleben. Dafür garantieren wir Ihnen unverfälschte, spannende, nicht
manipulierte Musikerlebnisse…

02.06.2006

Und Ansonsten 2006-06-02

Manchmal
wird so getan, als ob es ein Leben nach der Fußball-Weltmeisterschaft nicht
gäbe. Ein Versicherungskonzern schreibt in einer Werbesendung zum Beispiel: "…kümmern Sie sich um wichtige
Dinge noch vor dem WM-Anpfiff, z.B. um die Versorgung Ihrer Familie, falls
Ihnen einmal etwas zustößt. Schließen Sie jetzt ab und wir versichern Sie
beitragsfrei bis September. Verwandeln Sie jetzt diesen Freistoß…"
Bei mir landete der Freistoß im Papierkorb. Volltreffer.

* * *

Gute Verarsche auch die Kampagne der Bahn. Die bietet eine "Weltmeister
BahnCard" an zum Preis von "nur 19.- Euro in der 2.Klasse". Bei
Abschluß bis zum 9.6. gilt die Bahncard "mindestens bis 31.7.2006".
Normalerweise kostet die "BahnCard 25" EUR 59.- und gilt 12 Monate.
Je nachdem, wann der Kunde die "Weltmeister BahnCard 25" abschließt,
gilt sie 3 Monate oder 2 Monate oder gar nur 51 Tage - was einem Jahrespreis
von EUR 76.- (!), von EUR 114.- (!!) oder noch mehr entspricht - die
Weltmeister Bahncard kommt den Fan, der nicht mitrechnet, also bis zu doppelt
so teuer als die übliche gleiche Bahncard.
Selbst, wenn man annehmen mag, daß die deutsche Fußballmannschaft eine oder gar
zwei Runden weiterkommt im WM-Turnier und die "Weltmeister-Bahncard"
sich mithin einen oder zwei Monate verlängert, ist sie immer noch teurer als
die gewöhnliche Bahncard. Lediglich bei Erreichen des Halbfinals oder Finals
rechnet sich die "Weltmeister BahnCard" ein kleines bißchen.

* * *

Gar nicht verstehen mag man die Aufregung um die Äußerungen des früheren
Regierungssprechers Uwe-Karsten Heye, in Brandenburg gäbe es "kleinere und mittlere Städte, wo
ich keinem raten würde, der eine andere Hautfarbe hat, hinzugehen. Er würde es
möglicherweise lebend nicht wieder verlassen." Leider hat Heye
nur die Wahrheit formuliert. Und ich würde hinzufügen, daß diese traurige Wahrheit
leider nicht nur für weite Teile Brandenburgs, sondern ebenso für weite Teile
Sachsens, Thüringens oder Mecklenburg-Vorpommerns, aber auch für Teile Berlins
gilt. Diese Agentur vermeidet jedenfalls seit Jahren Auftritte ausländischer
Künstler in Orten, wo wir ihnen "nicht raten können, hinzugehen", in
Brandenburg, Sachsen und andernorts.
Daß sich nun all diejenigen "empören", die nichts tun gegen
rassistische Gewalt, die aber bereit sind, den Überbringer der schlechten
Nachricht zu hängen, spricht Bände über die bundesrepublikanische Realität des
Jahres 2006.

* * *

Die beiden Mosambikaner Antonio Mendez und Eustaquio Bobby Amaral wurden
beispielsweise am 25.5.2006 mitten in Weimar am frühen Abend von 15
rechtsradikalen deutschen Jugendlichen gepeinigt. Die Rechten, glatzköpfig und
in Springerstiefeln, haben seinen Namen gekannt, drangen in den Innenhof ein,
zerrten die beiden Mosambikaner auf die Hauptstraße, sie traten und schlugen
auf sie ein. Die Nachbarn schauten aus ihren Fenstern zu, andere standen auf
der Straße, geholfen hat den beiden Mosambikanern niemand. (lt. Berliner
Zeitung vom 27.5.d.J.)
Weimar, eine Stadt deutscher Hochkultur?

* * *

Einfach widerlich, wie die deutschen Medien, allen voran die Popjournalisten
von TV und Print, die Drogensucht des Sängers der "Babyshambles",
Pete Doherty, genüßlich ausweiden, um ihre Einschaltquoten und Auflagen zu
steigern. Ganz besonders tun sich bei diesem primitiven Journalismus in
"Bild"-Zeitungs-Manier MTV und "Berliner Zeitung" hervor.
MTV berichtet stolz und atemlos davon, wie Doherty bei einem Interviewversuch
einen Redakteur und einen Kameramann mit einer Spritze auf die
"Journalisten" gespritzt habe, und der Popredakteur der
"Berliner Zeitung" widmet diesem Sensationsjournalismus einen fünfspaltigen
Bericht unter dem Titel "Pete
Doherty ist pünktlich zu einem Konzert erschienen", und
entblödet sich nicht, im zynischen Tonfall von "Dohertys Fortschritten in der
Drogen-Rehabilitation" zu schwafeln, ganz so, als ob es im
sogenannten "Feuilleton" der Zeitung nichts Wichtigeres zu berichten
gäbe. Seriöse Zeitungen würden so etwas nicht drucken - genauso, wie ja auch
niemand über die Alkoholsucht oder das Gekokse von Popjournalisten berichtet…
Darf ein Popstar keine Privatsphäre haben? Wie gesagt: einfach widerlich.

* * *

Am Tag darauf findet es der Popredakteur der "Berliner Zeitung" unter
der Überschrift "Pete
Doherty kaufte sich in Köln ein Frauenkleid" berichtenswert,
daß Doherty beim Köln-Konzert der "Babyshambles" in einem Frauenkleid
erschien, "das er sich
zuvor in einem Kölner Secondhand-Laden gekauft hatte; den Kaufpreis von 80 Euro
hatte er bei zwei weiblichen Babyshambles-Fans erbettelt, die vor der Halle auf
den Konzertbeginn warteten."
Verzeihung, im Abschnitt vorher habe ich von
"Bild"-Zeitungs-Journalismus gesprochen, das war doch wohl zu hoch
gegriffen, "Bravo"-Journalismus wäre der realistischere Begriff
gewesen.

* * *

Daß dieser Pop-Redakteur der "Berliner Zeitung" irgend etwas
abzuarbeiten hat, daß ihm Pete Doherty geradezu zu einer Obsession geworden
ist, beweist er eine gute Woche später: "Pete
Doherty ohne Plattenvertrag" lautet die Meldung, die er für
das "Feuilleton" seiner Zeitung mit mehr als nur klammheimlicher Häme
geschrieben hat. Nun berichtet der Pop-Redakteur im
"Bild"-"Bravo"-"Bunte"-Stil, daß Doherty am
Wochenende "von seiner
Ex-Freundin Kate Moss verprügelt" worden sei. Und,
Schadenfreude ist die größte Freude: "Die
Publicity, die Doherty wegen solcher Vorfälle auch außerhalb des Pop-Publikums
genießt, hat sich auf den Absatz seiner Platte übrigens nicht ausgewirkt: Von
"Down in Albion" wurden seit dem Erscheinen gerade einmal 110.000
Stück verkauft."
Ist schon doll, wie solche Meldungen entstehen - nun tut man so, als ob es eine
neutrale "Publicity" um Doherty gegeben habe, wo es doch einzig und
allein Schmierfinken verschiedenster Blätter waren, die mit Schaum vorm Mund
das beschrieben haben, was sie besser hätten sein lassen. Wobei die Anmerkung
erlaubt sein mag, daß 110.000 verkaufte Alben heutzutage nun wahrlich nicht so
schlecht ist, und wohl so viele CD-Verkäufe darstellen, wie sagen wir mal die
letzten 20 Bands zusammengenommen verkauft haben dürften, über die der
Pop-Redakteur der "Berliner Zeitung" sonst so gerne schreibt.
Wenn es nicht so einen bitteren Beigeschmack hätte, und wenn der Zustand des
hiesigen Popjournalismus, wie er sich hier wieder einmal zeigt, nicht so
traurig wäre, diese ganze Geschichte hätte das Zeug zu einer veritablen
Schmierenkomödie. Aber eben doch nur auf RTL II-Niveau.

* * *

Frankreich, du hast es besser.
Das wöchentliche (!) kostenlose (!) Kulturmagazin der Handelskette FNAC
"Epok", bietet zum Beispiel in der Ausgabe Nr. 33 zunächst ein
vierseitiges Streitgespräch zwischen dem Direktor der Pariser Oper, Gérard
Mortier, und dem Musikologen Philippe Beaussant ("Fausses notes à
l'Opéra?"), dann folgt ein großer Bericht über die Kunstausstellung
"Where Are We Going?" im Palazzo Grassi, eine umfassende
Titelgeschichte über Detektivromane, und daneben natürlich all das, was man an
CD-, DVD-, Film-, Buch- und Kunstkritiken in einem interessanten Kulturmagazin
so erwarten darf.
Und für die nächste Ausgabe ist eine Debatte zur Erinnerung an den
Sklavenhandel angekündigt.
Eine Vielfalt, die hierzulande kein Kaufmagazin bietet…

* * *

"Früher war mehr Platz,
mehr Zeit. Heute sind die Räume so eng, ist alles so defensiv. Und so obsessiv.
Es ähnelt ein bißchen der Art, wie wir in der modernen Welt leben: Die Leute
haben nicht mehr so viel Spaß wie früher. Der Streß nimmt zu, der Zeitdruck
auch. Das Verhalten wird ängstlicher, besorgter und obsessiver. Man freut sich
mehr am Gewinn als am Spiel. Als ich zur Schule ging, war Betrügen viel
schlimmer als Verlieren. Heute ahmen die Kinder die Profis nach."
John Cleese

* * *

Zugegeben, ist nicht sonderlich originell, Bayern Ministerpräsidenten Stoiber
bei seinen Sprechversuchen zu zitieren, aber lustig ist es doch - so lustig wie
seinerzeit Verteidigungsminister Scharping beim Plantschen im Swimmingpool mit
seiner Gräfin. Also, tusch, CSU-Stoiber zu einem besonderen Fall von
Einwanderungspolitik:
"Äh, natürlich freuen
wir uns, das ist gar keine Frage, freuen wir uns, und die Reaktion war völlig
richtig, einen, äh, sich normal verhaltenden Bär in Bayern zu haben, äh, ja das
ist gar net zum Lachen. Äh, und der Bär im Normalfall, ich muß mich ja auch,
äh, Werner Schnappauf hat sich hier intensiv mit so genannten Experten
ausgetauscht und austauschen, äh, müssen. Nun haben wir, der normal verhaltende
Bär lebt im Wald, geht niemals raus und reißt vielleicht ein bis zwei Schafe im
Jahr. Äh, wir haben dann einen Unterschied zwischen dem normal sich
verhaltenden Bären, dem Schadbär und dem Problembär. Und, äh, es ist ganz klar,
daß, äh, dieser Bär, äh, ein Problembär ist und es ist im Übrigen auch, im
Grunde genommen, durchaus ein gewisses Glück gewesen, er hat um 1 Uhr nachts
praktisch diese Hühner gerissen. Und Gott sei Dank war in dem Haus, äh, war,
also jedenfalls ist das nicht bemerkt worden. Auf Grund von, äh, es ist nicht
bemerkt worden. Stellen Sie sich mal vor, der war ja mittendrin, stellen Sie
sich mal vor, die Leute wären raus und wären praktisch jetzt, äh, dem Bär
praktisch begegnet. Äh, was da hätte passieren können."
SWR3 hats aufgezeichnet, und wers nicht glaubt, kann dem bairischen
Problemministerpräsidenten auf www.tagesspiegel.de/baerenkunde im Originalton
lauschen.

* * *

Was einem so auffällt. Beispielsweise das Großgetue mancher
Konzertveranstalter, was Ticketverkäufe angeht. Da werden die Karten für
riesige Sporthallen binnen 30 Minuten ("Rekord!" schreien sie dann)
ausverkauft, angeblich. Jenseits der Frage, wie das rein technisch gehen soll
(geht natürlich nicht,
was jedem klar denkenden Menschen sofort einsichtig erscheinen dürfte) -
wirklich interessant ist es dann, paar Wochen später zu erleben, daß plötzlich
wieder Tickets für angeblich doch längst schon ausverkaufte Hallen- oder auch
Stadionkonzerte erhältlich sind - und das wochenlang. Ob solcherart
Publikumsverarsche dem Geschäft dienlich ist?

* * *

Eine "Pur Redaktion" versendet eine Rundmail:
"Ab heute gibt es die
neue Pur-Single "SOS" neben der CD-Version auch als legalen Download
zu kaufen! All diejenigen, die die gute Sache unterstützen möchten, können nun
die Single bequem und schnell von zu Hause aus für nur 0,99 € bei Musicload
downloaden!
Damit unterstützt ihr nicht
nur die gemeinsame Aktion von Pur und SOS-Kinderdörfer, sondern helft auch mit,
Pur ganz oben in die Charts zu bringen." Was wohl das sein
dürfte, worum es den Geschäftemachern aus dem "Abenteuerland"
eigentlich geht.

* * *

In der "Berliner Zeitung" schreibt ein Frank Junghänel:
"Julie Delpy und
Vanessa Paradis fingen auch zu singen an, als sie kaum noch was zu spielen
hatten.", was in beiden Fällen ebenso falsch wie inkompetent
ist.
Das Problem nicht weniger Journalisten ist, daß sie zu schreiben anfingen, als
sie kaum noch was zu sagen hatten. Manche hatten gar noch nie was zu sagen…

* * *

"We used to take about
a day andnight
To try to sing up all the
soul in sight
And anyone who couldn't see
the light
We had to leave behind
And the sweetest thing you
ever heard
Was the singing of the
Speckled Bird
And commercial was a dirty
word
We laid it on the line"

Kris Kristofferson in "The Show Goes On"

* * *

"Immer mehr gleicht der
Westen dem chinesischen System mit einem freien Markt und einem autoritären
Regime." Neil Tennnant, Pet Shop Boys

* * *

Und nicht vergessen:
"Alles, was ich sicher
über Moral und Pflicht weiß, verdanke ich dem Fußball."
(Albert Camus, 1930 Torwart bei Racing Universitaire in Algier)

In diesem Sinne eine anregende Fußball-Weltmeisterschaft

14.05.2006

Und Ansonsten 2006-05-14

Strom
Strom Strom.
Im letzten Rundbrief hatten wir vom neoliberalen PDS-Wirtschaftssenator Berlins
berichtet, der die über 5%ige Preiserhöhung der Stromtarife durch Vattenfall
genehmigt hat.
Am 19.4. lesen wir dazu in der "Berliner Zeitung": "Das Energieunternehmen
Vattenfall wird wieder Stromlieferant fürs Land Berlin. (…) Derzeit werden die
Landeseinrichtungen von den Unternehmen Lichtblick und Electrabel mit Strom
versorgt, die 2004 die Ausschreibung gewonnen hatten. Nun lag Vattenfall vorn
und liefert in den Jahren 2007 bis 2009 rund 900 Gigawattstunden Strom pro Jahr.
Die Kosten für das Land Berlin werden 2007 bei rund 87 Millionen Euro
liegen."
Ein Schelm, wer 1 und 1 zusammenzählt.

* * *

Ein Event wird angekündigt, und wie immer in diesen Spalten lassen wir es uns
nicht nehmen, alle Rechtschreib- und Grammatikfehler des Originals zu
übernehmen:
"T-Mobile präsentiert:
Die Robbie Williams Welcome to the Mansion Clubtour 06
PARTY LIKE YOUR STAR!
In den Metropolen
Deutschlands wird in ausgefallener Club-Atmosphäre gefeiert. Sei dabei und
"Party like your Star!" wenn T-Mobile den Style Robbie Williams,
unterlegt mit funky Housetunes vom Erfolgsduo "Delicious" aus
Dänemark, inszeniert.
Die DJanes aus Kopenhagen
sind die Newcomer in der europäischen Clubszene und haben so z.B. regelmäßige
Auftritte in St. Tropez, Paris, Ibiza usw. . aber nicht nur musikalisch,
sondern auch optisch sind die beiden ein absoluter Hingucker.
Lass dich von den
"Robbie Williams Girls" in gestylter Location empfangen.
Die Kombination aus
klassisch-englischen Dekoelementen, welche die Herkunft des Künstlers
widerspiegeln und der High Tech Welt, sorgen für ein außergewöhnliches
Clubambiente.
Eine Frage die bleibt: Kommt
er oder kommt er nicht?"

* * *

"Jazz ist eine wichtige
Investition in die kulturelle Zukunft, vor allem in einem Land, wo Beethoven
einem die Luft zum Atmen nimmt", stellte Rainer Michalke,
Festival- und Klub-Chef fest. Und ich dachte immer, der wo uns die Luft zum
Atmen nimmt, ist Beckenbauer. Oder so.

* * *

Die "tageszeitung" schreibt mir am 28.März 2006 u.a.:
"…entschuldigen Sie die
Störung, aber wir hätten da mal eine Frage: Was halten Sie eigentlich vom
"Dazugehören"? Ja, wir meinen Sie, Sie ganz persönlich! Gehören Sie
vielleicht auch zu den Menschen, die Wert auf einen eigenen Geschmack legen, aber
gleichzeitig davon träumen, daß irgendwann alle Ökoeier essen? Die für eine
offene Gesellschaft sind, aber selbst lieber am Rande des Mainstreams stehen
bleiben möchten?"
Und so weiter und so fort blubbert das dahin, bis zum Höhepunkt, der
Feststellung:
"Denn wir sind zwar
links, aber nicht naiv. Wir würden gerne die Welt verbessern. Können aber auch
rechnen."
"Zwar" links, "aber" nicht naiv. Sie würden gerne die Welt
verbessern (die Welt will aber wohl nicht mit im Sandkasten spielen?).
"Aber" sie können auch rechnen.
Besser kann man das wohl nicht sagen…

* * *

Die Schauspielerin Jasmin Tabatabei hat sich eine Villa in Berlin-Pankow
gekauft, und zwar die Villa, in der bis 1964 Otto Grotewohl wohnte, der erste
Ministerpräsident der DDR. Nach seinem Tod 1964 wurde die Villa erweitert und
umgebaut und diente dem Schriftstellerverband der DDR. Der Zeitschrift
"Super TV" erklärt die Schauspielerin: "Wie feudal einige Bonzen im Arbeiter- und
Bauernstaat wohnten, hat mich schon überrascht." Ganz so, wie
eine mittelmäßige Schauspielerin in der kapitalistischen Bundesrepublik des
Jahres 2006 nach "behutsamer Renovierung" eben auf 343 Quadratmetern
hausen kann...

* * *

Die "Süddeutsche Zeitung" titelt: "Der
Aufschwung bringt kaum Arbeitsplätze."
Das hätte ich ihnen auch sagen können…

* * *

Dampfplauderer Johannes B. Kerner wirbt landauf landab für Air Berlin. Oder
auch nicht. Wischi waschi wie man es von seinen unerträglichen Shows kennt. Auf
ganzseitigen Anzeigen, z.B. im "Spiegel", sagt Kerner in riesigen
Buchstaben: "Warum ich
auf Air Berlin setze? Bei Aktien setze ich auf Sieger!" Im
wirklich Kleingedruckten liest man dann überrascht: "Diese Veröffentlichung stellt weder ein Angebot zum
Verkauf, noch eine Aufforderung zum Kauf von Wertpapieren dar."
Haben sie wohl nicht so gemeint, aber sie haben natürlich Recht: Das stellt
eher eine Warnung vor dem Produkt dar, wenn Johannes B. Kerner für etwas wirbt…

* * *

Daß Sprachgenie Edmund Stoiber und seine Partei Sprachtests für
Einbürgerungskandidaten einführen wollen, ist zumindest eine mutige
Entscheidung. Nicht, daß der bairische Ministerpräsident irgendwann selbst von
der Kommission vorgeladen wird, "Schauen
Sie sich mal die großen Flughäfen an in Heathrow in London oder sonstwo meine
Charles de Gaulle in äh Frankreich oder in äh in … Rom wenn Sie sich mal die
Entfernungen ansehen dann werden Sie feststellen, daß zehn Minuten Sie
jederzeit locker in Frankfurt brauchen um Ihr Gate zu finden. Wenn Sie vom Flug
- äh vom Hauptbahnhof starten Sie steigen in den Hauptbahnhof ein Sie fahren
mit dem Transrapid in zehn Minuten an den Flughafen in an den Flughafen…"

Und so hoffen wir von Herzen daß Sie äh in Flughafen oder äh in Bahnhof finden
ohne Transrapid, und in U-Bahn dann äh schnell zu unseren Konzerten kommen wo
äh in Mai viele gute Konzerte von äh Bands aus aller Welt äh auf der Bühne in
auf der Bühne…

Viel Spaß und einen schönen Frühling zwischen Straßencafes, Biergärten und
Clubs und Konzertsälen!

01.04.2006

Und Ansonsten 2006-04-01

Dieser
Tage hat die verdienstvolle Organisation "Free Muse" einen 60 Seiten
starken Report über Musikzensur in den USA nach dem 11.9.2001 vorgelegt. Der
Berliner "Tagesspiegel" nimmt diesen Report zum Anlaß zur Schlagzeile
"American Angst. In
George W. Bushs USA herrscht ein Klima der Intoleranz". Als
Höhepunkt des Artikels schimpft der "Tagesspiegel", daß Songs wie Lou
Reeds "Walk On The Wild Side" oder Pink Floyds "Money" von
den Sendern aus ihrem Programm genommen seien. Während man sich hierzulande vor
den täglichen Überdosen "Walk On The Wild Side" oder
"Money" von Radio Brandenburg bis Bayern 3 ja tatsächlich kaum retten
kann…

* * *

Während in der Europäischen Union zum Beispiel Filmzensur ungleich subtiler
funktioniert. Der Filmkritiker und Ex-Staatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt berichtet
in der Februar-Ausgabe von "Konkret", daß nach einem rechtskräftigen
Urteil des Europäischen Gerichtshofes regionale Behörden entscheiden, welche
Filme die Eingeborenen sehen dürfen. 1985 war das Otto-Preminger-Institut, das
in Tirol den Spielfilm "Das Liebeskonzil" von Werner Schroeter (nach
Oskar Panizza, dem laut Tucholsky "frechsten und kühnsten, den
geistreichsten und revolutionärsten Propheten seines Landes") gezeigt
hatte, mit einem Strafverfahren überzogen worden. Grund, und das liest sich im
ersten Quartal 2006 ganz besonders pikant: Der Film verunglimpfe mit der
Wiedergabe des bald hundert Jahre alten Theaterstücks Gottvater, Maria und die
Dreifaltigkeit. Die Tiroler Strafgerichte bejahten zwar, daß der Film Kunst
sei, doch "könne der
gläubige Durchschnittsmensch Tiroler Prägung in seinen religiösen Gefühlen
beleidigt werden". Die "Liebeskonzil"-Kopien wurden
eingezogen und vernichtet.
Gegen die Vernichtung der "Liebeskonzil"-Kopien durch die
österreichischen Strafgerichte rief der Veranstalter die Europäische
Menschenrechtskommission an, die über die Wahrung der Kunstfreiheit wacht (§ 10
Europäische Menschenrechtskonvention). Die Kommission entschied zwar, daß
Österreich mit dem Verbot gegen Menschenrechte verstoßen habe - gegen dieses
Urteil zog die österreichische Regierung jedoch vor den Straßburger Gerichtshof
und gewann - 1994 entschied das höchste europäische Gericht, vor die Wahl gestellt,
zwischen Kunst- und Religionsfreiheit abzuwägen, die Entscheidungskompetenz
unter Umgehung der Ländergrenzen direkt an die von Wertekollisionen betroffenen
Regionen abzugeben, und zwar im Urteil vom 20.9.1994 an die Gemeinden in Tirol,
die zu 80% katholisch und Minderheiten gegenüber nicht aufgeschlossen sind.
Im Klartext bedeutet dies, daß innerhalb der Europäischen Union die Regionen
ihre eigene Filmzensur, ja ihre eigene Kunstzensur tätigen dürfen. Wenn Tiroler
Gemeinden oder polnische Städte befinden, daß durch ein Kunstwerk "der
gläubige Durchschnittsmensch" in seinen religiösen Gefühlen beleidigt
werden könnte, dann sind sie laut Europäischem Gerichtshof berechtigt, diese
Kunstwerke zu verbieten.
Unglaublich? Aber wahr. Soviel zum realen Stand der hiesigen zivilisatorischen
Kultur, die in der Diskussion um angeblich blasphemische Karikaturen doch so
gerne hochgehalten wird.

* * *

Ein Mitbewerber bewirbt seinen Künstler, einen von vielen, folgendermaßen:
"Frohlockend
präsentieren wir euch Rainer von Vielen, den Gewinner des
FM4-Protestsongkontests 2005 (…) Von Kehlkopf-Gesangseinlagen, à la
tibetanischer Battle-Mönche, über tiefergelegte Sprechgesangstitel, bis hin zum
Elektro-Punk-Massaker, bringt unser Master of Cerenomy jeden Saal zum kotzen."

Preisfrage: Was stimmt an diesem Text nicht? Die falschen Kommata sind nicht
gemeint, und einen FM4-Protestsongkontest scheint es wirklich zu geben…

* * *

"Alles ist
Entertainment. Ich habe eine bekannte Enkelin, Courtney Love. Ich bin ihr in
den letzten fünfzehn Jahren nur einmal begegnet, und sie schert sich um mich
ebensowenig wie ich mich um sie. Nachdem sich Curt Cobain, ihr Ehemann,
umgebracht hatte, habe ich mir eine Sendung über ihn angehört und war von
seiner mittelalterlichen Art beeindruckt. Musikalisch ist Courtney Love nichts
dagegen. Paris Hilton, Jessica Simpson, um Gottes willen: all diese Leute mit
ihren Pfannkuchengesichtern. (…) Es gibt eine Art von unaufhaltsamem Abgleiten.
Einem Abgleiten unserer Kultur von Tolstoi in Richtung Paris Hilton."
Paula Fox in einem Interview mit der FAZ

* * *

"Momentan (das ist
2004) reagiert mein Körper (oder das was davon übrig ist) mit Abwehr, wenn ich
ins MTV zappe. Schnell weg mit den hampelnden schwarzen, weißen, bunten Bubis
und Girlies, ein Ekel fast wie bei den Politzombies und den Sprechpuppen der
Nachrichtentheken." Klaus Theweleit, "Friendly Fire"

* * *

"Es darf nicht sein,
daß man Michael Ballack ausschaltet und damit Deutschland erledigt."

Günter Netzer

* * *

Im März-Heft des "Rolling Stone" widmet sich der verdienstvolle Klaus
Walter auf kompetente Art und Weise den Niederungen des deutschen
Pop-Journalismus:
"Seit geraumer Zeit
dringt die Reservearmee der Niedriglohnvielschreiber aus der Musikpresse in die
Feuilletons vor und deckt den Bedarf an treuherzigen Geschichten über die Band
der Stunde. Nicht selten verkauft der Niedriglohnvielschreiber einer
renommierten Tages- oder Wochenzeitung für besseres Geld die schlechtere
Version eines Textes, dessen bessere Version er für schlechteres Geld an Intro,
Musikexpress oder Spex verkauft. (…) "Man beginnt wieder Jahrestage im
Leben von überschätzten Rocktrotteln zu begehen. Man ersetzt die naturgemäß
schwierige uneingeführte Reflexion der Pop-Musik und ihrer Schauplätze durch
das gute alte Beobachten von Künstlerlebensläufen. (…)" Diese Diagnose
stammt aus Diederichsens Vorwort zu "Musikzimmer". Natürlich weiß er
selbst, daß man solche Jahrestage braucht, um sich Reflexion von Pop leisten zu
können, denn ohne so einen Anlaß druckt kein Feuilleton die schönste Reflexion.
Vielleicht spart er sich das Relativieren, um in aller Drastik festzuhalten: Es
sieht düster aus im Schreiben und (im Radio) Reden über Pop."
Guter Text, kann man alles so unterschreiben. Abgedruckt wurde der Text wie
gesagt im Märzheft des "Rolling Stone"; im gleichen Heft der
Popzeitschrift finden sich u.a. ein Special anlässlich des 25jährigen Jubiläums
von "Fehlfarben", ein größerer Artikel zum 30jährigen Jubiläum von
"BAP" oder ein Artikel anlässlich des Todes von Wilson Pickett; ein
zweites Mal veröffentlicht hat Klaus Walter eine Version seines Textes Ende
März in der Tageszeitung "Junge Welt"… im Glashaus klirrts so schön…

* * *

Dieser unerträgliche Schmarrn, der regelmäßig im Zweitausendeins-Merkheft
getextet wird. So zum Beispiel Anfang des Jahres über Nat King Cole:
"Die Punktierung der
Achtelnotenfolge macht ihn zu einem der größten Blues-Pianisten."

Die Entdeckung der Punktierung einer Achtelnotenfolge. Die Entdeckung der
Achtelnotenfolge an sich. Wie ja Nat King Cole überhaupt vornehmlich als
"Blues-Pianist" hervorgetreten ist, und keinesfalls als Sänger von
unbekannten Songs wie "Mona Lisa"…

* * *

Aus der lockeren Fortsetzungsfolge "unanständige Avancen durch
subventionierte Kulturveranstalter", Folge 389:
"Am 9.9.2006 findet in
der Berliner Kulturbrauerei die radioeins Nacht des Berliner und Brandenburger
Radiosenders radioeins statt. Dazu sind wir (…) wieder auf der Suche nach
repräsentativen und zu radioeins passenden Künstlern, die Zeit, Lust und Laune
haben ihren Teil zum Erfolg der Veranstaltung beizutragen. Wir erwarten ca.
10.00 Gäste. (…) Dazu möchten wir x als Live-Act zur radioeins Nacht für einen
ca. 30minütigen Auftritt anfragen. Leider besteht hier das kleine Problem, daß
es sich bei radioeins um einen zwar sehr beliebten und erfolgreichen aber eben
auch öffentlich-rechtlichen Sender handelt und somit kein Budget zur Verfügung
steht (bzw. stehen darf). Deshalb hoffen wir auf Künstler und Bands, die sich
hier bereit erklären ausnahmsweise auf ihre normale Gage zu verzichten und mit
einer "Aufwandsentschädigung" zufrieden sind. (…) Ich denke, der für
Künstler und Bands sehr interessante Punkt der Medialeistungen sollte auf jeden
Fall beim Festsetzen der nötigen "Aufwandsentschädigung"
berücksichtigt werden, denn auch wenn's keine Gage gibt, kann man von der
Veranstaltung als Band eigentlich nur profitieren…"
Nun ist "Radio Eins" ganz sicher eines der wenigen
Rundfunk-Highlights, die es in Berlin und überhaupt noch gibt - nicht zuletzt
die abendlichen Sendungen von hervorragenden Journalisten legen immer wieder
beredt davon Zeugnis ab. Und man fragt sich natürlich, ob die Macher von
"Radio Eins" überhaupt wissen, was die von ihnen beauftragte
Medienagentur da so in ihrem Namen treibt. Aber dennoch zeigt dieses Beispiel,
mit welcher Chuzpe heutzutage derartige öffentliche "Events" auf die
Beine gestellt werden. Als ob ein öffentlich-rechtlicher Radiosender keine
Gagen zahlen, kein Budget für eine öffentliche Veranstaltung bereitstellen
dürfe. (und: natürlich weiß ich, daß man sich heutzutage in Radiosendungen, in
Fernsehshows, auf Titelseiten von Musikmagazinen etc. einkaufen kann - klar,
unter diesem Aspekt ist das hier sicherlich eine Lappalie…)

* * *

Wie unsinnig Musikexportbüros manchmal sein können, zeigt die Offensive des
britischen Branchenverbands BPI, der mit Hilfe von Musikwirtschaft und Politik
den Exportförderern von "UK Trade & Investment" ein Jahresbudget
von ca. 730.000 Euros zugeschustert hat. Damit kann man schön arbeiten - und
etwa eine "British Music Week" in Berlin organisieren: Vom 19. bis
26.Mai überziehen die Briten Berlin mit einer Vielzahl von Pop- und Rock-Shows,
"die British Music Week soll die Aufmerksamkeit der Medien und der
Öffentlichkeit auf die gesamte Bandbreite spannender Musik aus Großbritannien
richten", so BPI-Boss Jamieson.
Das finden wir natürlich prima, denn unseres Wissens existiert britische Musik
in Berlin ja praktisch gar nicht. Keine britischen Bands sind in den letzten
Jahren, ach was: Jahrzehnten in Berlin aufgetreten. Irgendwer munkelt von einem
Auftritt der "Rolling Stones" in den 60er Jahren, aber seither - rein
gar nüscht! Keine Oasis, keine Pulp, kein Robbie Williams, keine Belle &
Sebastien, kein niemand. Britische Musik in Berlin - tote Hose! Fehlanzeige!
Ach wie gut, dass es das BPI und die "British Music Week" gibt…

* * *

Meldung in "mediabiz.de" vom 22.3.: "Zypries gibt nach und streicht
Bagatellklausel." Meldung in "mediabiz.de" vom
23.3.: "Zypries hält an
Privatkopie und Geringfügigkeit fest." Klingt absurd oder
zumindest widersprüchlich? Liegt aber nicht an den Medienvertretern, sondern an
der Justizministerin. Die ist vor der Musikindustrie in die Knie gegangen und
hat in einem neuen Gesetzentwurf auf starken Druck von Industrie und CDU/CSU
hin die Bagatellklausel gestrichen - Raubkopien sollen künftig prinzipiell
strafbar sein, egal, wie geringfügig die Urheberrechtsverletzung ist, oder ob
diese zum Erstellen einer Privatkopie begangen wurde. Am Tag nach Bekanntwerden
ihres Kniefalls vor der Musikindustrie imitierte die SPD-Ministerin altbekannte
Umdeutungsversuche ("Mein Ja ist ein Nein", wer würde sich nicht an
Antje Vollmer erinnern?) und behauptete, auch zukünftig sollen Privatkopierer
und Privat-Filesharer weitgehend unbehelligt bleiben. "Die Staatsanwaltschaften haben
Besseres zu tun", sagte die Ministerin und erklärte, sie gehe davon aus,
dass "die Staatsanwaltschaften gemäß § 153 der Strafprozessordnung
voraussichtlich in 99,9 Prozent der Fälle das Verfahren einstellen
werden", wenn die Schuld gering sei und kein öffentliches
Interesse an einer Bestrafung bestehe.
Nun fragt man sich, warum die Frau Justizministerin eine Gesetzesänderung ohne
Bagatellklausel initiiert, wenn sie gleichzeitig denkt, dass die Staatsanwaltschaften
die Bagatellklausel des Gesetzes "in 99,9 Prozent" der Fälle nicht
umsetzen werden.
Mir scheint, man sollte nicht nur die CD-Hersteller boykottieren, die
unverschämte Antikopier-Systeme auf ihren CDs installieren, sondern auch
Politiker, die der Musikindustrie hörig sind, und dann in der Öffentlichkeit
Rückgrat vorgaukeln.

* * *

Speaking of "Rückgrat", wisst ihr, was der Unterschied zwischen einem
neoliberalen CDU-Politiker und einem neoliberalen
"Linkspartei"-Politiker ist?
Nun, der hessische Wirtschaftsminister Rhiel (CDU) hat den hessischen
Stromkonzernen, die z.T. drastische Erhöhungen der Strompreise beantragt
hatten, diese Erhöhungen schlichtweg als "nicht gerechtfertigt"
untersagt.
Der Berliner Wirtschaftssenator Wolf (Linkspartei) dagegen hat dem Stromkonzern
Vattenfall zum 1.Mai d.J. eine Erhöhung seiner Stromtarife für Privatkunden um
5,2 Prozent genehmigt, eine Erhöhung der Stromtarife für Gewerbekunden gar um
5,6 Prozent. Dafür brüstet sich Wolf dann in der Presse, dass er die ursprünglich
von Vattenfall beantragte Erhöhung der Privattarife um 5,8 Prozent quasi
abgemildert habe. Was für ein Held! Wie gut, dass es die Linkspartei gibt!

Na, dann mal raus zum 1.Mai

04.02.2006

Und Ansonsten 2006-02-04

Diese
ganzen dämlichen Koch-Shows im Fernsehen gehen einem ja ganz schön auf den
Keks. Wenn sogar Koch-Papst Siebeck in der "Zeit" schimpfen muß:
"Eine Welle von
Belehrungen über modernes Essen ist über uns hereingebrochen. Das ist
nervtötend, wiederholt sich ständig, ist geschwätzig, aufdringlich und
dilettantisch. (…) Der Vergleich mit den Massenhysterien des Mittelalters
drängt sich auf. Ganz offensichtlich sind wir die Opfer einer Zwangspsychose,
die zu Halluzinationen führt, bei denen der davon Befallene glaubt, kochen zu
können oder kochen lernen zu müssen. (…) Was sich da unter dem Etikett
"Besser essen und trinken" über die Konsumenten ergießt, gleicht dem
Karneval, dessen ursprüngliche Intentionen von Marketingspezialisten in einen
großen Reibach umfunktioniert wurden. Wirklich gelacht wird dabei nicht, die
Heiterkeit ist einer infantilen Schunkelei gewichen. Nicht anders funktioniert
die Massenbewegung der kochenden Deutschen. Auch dabei dominieren der Reibach
und das stressige Befolgen aktueller Moden. So entspringt die ständig wachsende
Bedeutung dieser Bewegung keineswegs einem Massenbedürfnis nach besserer
Eßqualität, sondern verdankt sich dem Phänomen, daß Kochen ein Statussymbol der
Mittelschicht geworden ist, obwohl kaum noch jemand seine Gemüse selber putzt
und sein Fleisch selber pariert. Das alles wird vorgefertigt in Supermärkten
gekauft." Schreibt Siebeck im Zentralorgan des deutschen
Mittelstandes…
Aber wo er Recht hat, hat er nun mal Recht.
Wo mittlerweile fast jeder mit Easyjet mal eben ein Städtewochenende irgendwo
in Europa verbringen kann, wo die Ferienwochen in den vermeintlichen
Ferienparadiesen von der Türkei bis zur Algarve dem Konsumenten nachgeworfen
werden, da benötigt der Mittelstand ein neues Mittel, seinen Stand zu wahren:
Und wo das untere Drittel der Gesellschaft sich von Billiglebensmitteln
ernährt, wo nach wie vor das klassische "Versorgungskochen"
stattfindet, da goutieren Ober- und Mittelschicht eine Inszenierung der Essenszubereitung,
befeuert von den öffentlich-rechtlichen Knallchargen à la Kerner und
pseudo-coolen Köchen à la Mälzer oder Oliver. "In der Küche werden neue Kriterien für die Klassen
definiert, denn die Schere zwischen den Schichten öffnet sich: In Deutschland
lebt bereits ein Drittel der Menschen im offiziellen
Niedrigeinkommensbereich.(…) Je mehr Menschen verarmen, desto stärker setzen
die oberen Schichten auf Distinktion, also auf Unterscheidung und Abgrenzung
nach unten. Sie erstellen und praktizieren Normen für ihre kleine
"Elite": bei der Wahl der Gebärklinik, bei der Schulausbildung, bei
den Prestigemarken - und in der Eßkultur." (Doris Simhofer)
Kochen als Lifestyledisziplin - die Schichten unterscheiden sich durch den
Geschmack.
Müßig anzumerken, daß mit dem Kochen die Zementierung konservativer Fundamente
einhergeht: In der "neuen Küche" haben vorwiegend Männer das Sagen,
Männer, die die Regeln aufstellen, und Männer, die "öffentlich", also
zum Beispiel für Freunde, kochen und damit etwas "Wertvolles"
einfahren - während das alltägliche Kochen, also die Grundversorgen der
Familie, wieder vermehrt Frauensache ist. Nach sechzehn Jahren Helmut Kohl und
sieben Jahren Schröder-Fischer sind wir wieder im Jahr 1977 angelangt, als
Barbara Duden und Gisela Bock in "Arbeit aus Liebe - Liebe als Arbeit: Zur
Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus" schrieben: "Zu Recht fällt den meisten
Frauen dazu (zur Kleinfamilie als Keimzelle des modernen Staates, BS) nur das
Schreckgespenst von Küche, Kindern und Kirche ein. Das tägliche Essenmachen
wurde als Teil der Hausarbeit wahrgenommen und damit zur Schattenseite par
excellence degradiert."

* * *

"In Hollywood ist man
nie auf der sicheren Seite. (…) Alles, was wirklich zählt ist: wie viele
Millionen hat mein aktueller Film eingespielt. Und daran werde ich immer wieder
aufs Neue gemessen. Das ist ein sehr seltsames und dummes System. (…) Wenn ich
mich nicht damit abfinden will, sagt man mir, der Film, den ich machen möchte,
sei zu riskant, weil sie nicht wissen, wie man ihn vermarkten soll. Sie denken
erst einmal über die Vermarktung nach, bevor irgend etwas anderes geplant wird!
Und dann wundert man sich in Hollywood, daß das Publikum nicht mehr ins Kino
geht. Wenn ich an das vergangene Jahr zurück denke, fallen mir gerade mal drei
Filme ein, die mein Eintrittsgeld wert waren. Und so wie mir geht es vielen
Zuschauern. Man fühlt sich irgendwie betrogen. Die Geschichten sind dämlich,
nicht interessant oder einfach nur das Remake einer Idee, die vor zwanzig
Jahren mal originell war."
Scarlett Johansson in einem Interview der "Berliner Zeitung"

* * *

Im Jahre dieses Dingens, das früher mal "Fußball-Weltmeisterschaft"
hieß, dessen Namen man heutzutage aber nicht mehr in den Mund nehmen darf, ohne
an die FIFA Lizenzgebühren zu zahlen, in diesem Jahr also lohnt es sich ganz
besonders, die inoffiziellen Fußball-Weltmeisterschafts-Kämpfe aufmerksam zu
verfolgen. Nach einer gut halbjährigen Regentschaft von Zimbabwe und einem
kurzen Zwischenspiel von Nigeria ist der aktuelle inoffizielle
Fußball-Weltmeister Rumänien. Tönt merkwürdig? Mehr zum Thema gibt's auf der
wunderbaren Website www.ufwc.co.uk

* * *

Die Titelmusik vom "Spiegel-TV-Magazin" kann man jetzt als polyphonen
Klingelton herunterladen. Eine SMS mit dem Inhalt "Spiegel-TV" kostet
€ 1,99…

* * *

"Wir hatten einmal
380.000 Mitarbeiter; heute sind in Deutschland im Bereich Brief noch 150.000
Menschen beschäftigt. Das ging völlig geräuschlos. Kein Wunder, daß die Japaner
sich jetzt für ihre Privatisierung von uns beraten lassen."
(Deutsche Post-Chef Klaus Zumwinkel in der "FAS" beim Erläutern einer
kapitalistischen Erfolgsstory, deren Auswirkungen jeder Postkunde tagtäglich
erleiden darf…)

* * *

"wozu Menschsein, wenn ins
Menschsein niemand investiert."
Reinhard Jirgl, "Abtrünnig"

* * *

Zur Fußball-Weltmeisterschaft beordert der Bundesinnenminister Awacs-Flugzeuge
von der NATO, um die Stadien zu schützen. Und der Innenexperte der
"Grünen" findets prima. Wo doch heutzutage die Verteidigung
Deutschlands am Hindukusch stattfindet, scheinen mir die Möglichkeiten, sich
bei der Fußball-Weltmeisterschaft die Bundeswehr nutzbar zu machen, hingegen
noch nicht ausgeschöpft. Man könnte etwa die Armee in den eigenen Strafraum beordern
und einen Sicherheitsring, eine richtige "Verteidigung", vor Kahns
Tor bilden lassen. Schließlich ist die Bundeswehr doch eine Verteidigungsarmee.
Und die GSG 9 könnte als schnelle Eingriffstruppe auch mal vor dem gegnerischen
Tor Eindruck schinden. Und deutsche Behörden sollten, wie sie es gewohnt sind,
der CIA Amtshilfe bei der Entführung zum Beispiel von brasilianischen
Fußballstars leisten. Nach der WM kann man die Ronaldos und Ronaldinhos ja
wieder laufen lassen…

* * *

Mitbewerber Henning Tögel versucht sich in einem Gespräch mit der
"Musikwoche" in der deutschen Sprache: "Wir sind der letzte
Mohikaner."

* * *

"(…) Ich glaube, daß
den existierenden, kolossalen Widrigkeiten zum Trotz die unerschrockene,
unbeirrbare, heftige intellektuelle Entschlossenheit, als Bürger die wirkliche
Wahrheit unseres Lebens und unserer Gesellschaften zu bestimmen, eine
ausschlaggebende Verpflichtung darstellt, die uns allen zufällt. Sie ist in der
Tat zwingend notwendig. (…)"
Harold Pinter, Literatur-Nobelpreisträger, Dezember 2005

* * *

Paar Jahresendzahlen aus 2005, aus verschiedenen Publikationen
zusammengestückelt:
Auch 2005 ist die deutsche Exportwirtschaft kräftig gewachsen. Der
Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels rechnet gegenüber 2004 mit
einer wertmäßigen Steigerung der Ausfuhren um sieben Prozent auf rund 780
Milliarden Euro. Auch der Außenhandelsüberschuß werde mit rund 161 Milliarden
Euro abermals einen Rekordwert erreichen. -
Gleichzeitig wurden im Boomjahr 2005 rekordverdächtige 300.000
sozialversicherungspflichtige Vollarbeitsplätze vernichtet. -
Deutschland ist nach den USA das Land mit den meisten Milliardären.
PISA-Spitzenreiter Finnland, das nach OECD-Berechnungen innovationsfreudigste
und produktivste Land Europas, kommt dagegen ohne Milliardäre aus. -

* * *

Der Torschützenkönig der italienischen Fußball-Liga "Serie A",
Lucarelli, vom letztjährigen Aufsteiger und derzeitigem Tabellenfünften Livorno
pflegt seine Tore mit der kommunistischen Faust zu bejubeln. Berlusconis
Verbandsfunktionäre belegten Lucarelli dafür mit einer Strafe von 30.000 Euro.
Zum Vergleich: Der faschistische Aufwiegler Paolo di Canio von Lazio Rom, der
regelmäßig den Fans den auch in Italien verbotenen Hitlergruß präsentiert,
erhielt von der Liga eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro.
Aber, Freunde, kein Grund, über Italien herzuziehen: Wo gäbe es hierzulande
einen Erstligaspieler, der seine Torerfolge mit der kommunistischen Faust
feiern würde? Sach ich mal…

* * *

Hierzulande dagegen dürfen sich RBB-Redakteure ungestraft mit Goebbels-Zitaten
identifizieren: Der Musikchef des RBB, Christian Detig, leitete am 31.Mai 2005
eine Frühkritik zu einer Produktion des Deutschen Theaters mit folgendem Zitat
ein:
"Das Programm des
Rundfunks muß so gestaltet werden, daß es den verwöhnteren Geschmack noch
interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint.
Dabei soll besonderer Bedacht auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt
werden, weil die weitaus überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer einen
Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich
Entspannung und Unterhaltung zu finden. Demgegenüber fallen die wenigen, die
nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht."

Soweit Joseph Goebbels. Und müßig zu erwähnen, daß sich die
öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten dieser Republik längst befleißigen, dem
Goebbels-Auftrag gerecht zu werden.
RBB-Musikchef Christian Detig kommentierte das von ihm ausgewählte
Goebbels-Zitat dementsprechend auch folgerichtig:
"Ich behaupte mal, das
könnte so ohne große Abstriche jeder ARD-Intendant unterschreiben. Ich übrigens
auch. Ich lass' es aber lieber, denn dieses Zitat stammt von - bitte
anschnallen - Joseph Goebbels. Der Mann ist immer noch für Überraschungen gut
und längst wissen wir noch nicht alles."
Gekündigt wurde vom RBB übrigens dem Redakteur für Neue Musik, der dies
öffentlich gemacht hatte, und nicht etwa dem RBB-Musikchef, der sich mit
Goebbels' Kulturauftrag an die Rundfunkanstalten "ohne große
Abstriche" identifizieren kann.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der gerne seine Hörer dort abholt, wo sie
angeblich sind, nämlich "auf niedrigstem Niveau", ist in der Tat
selbst für uns Kulturpessimisten ständig noch für Überraschungen gut, und wir
versprechen, uns zwischen seichten Telenovelas, Frauenboxen und kostenlosem
"Bunte"-Werbetrailer-TV auch künftig immer brav
"anzuschnallen". Anders hält man das alles ja auch gar nicht aus…

* * *

Und noch kurz in eigener Sache: Wir berichteten im Dezember-Rundbrief von einer
beleidigenden Leserzuschrift eines sogenannten Journalisten, der für eine
hiesige "Zeitschrift für Folk, Lied und Weltmusik", aber auch für den
RBB und den WDR Funkhaus Europa arbeitet, und haben diese Zuschrift in Auszügen
zitiert.
Nun ist der fragliche Journalist heulend zu seinem Rechtsanwalt gerannt und hat
ihn einen Brief an uns schreiben lassen. Nicht etwa, daß sich der Herr
Journalist, wie es unter zivilisierten Bürgern angemessen gewesen wäre, für
seine Entgleisungen und Beleidigungen weit unter der Gürtellinie hätte
entschuldigen wollen, oder daß er wenigstens zu seinen Äußerungen stehen würde
- nein, der Journalist ließ uns per Rechtsanwalt verbieten, weiter zu
veröffentlichen, was er gesagt hat. Ist schon dolle - diese Typen rennen zum
Rechtsanwalt, um verbieten zu lassen, was sie selbst gesagt haben.
Ganz ehrlich - gereizt hätte es mich schon, mit diesem lauen Journalisten vor
Gericht zu ziehen, andrerseits ist mir meine Lebensqualität und meine Zeit für
solcherart Heulsusen-Kram einfach zu schade, und ich habe dem Herrn
Rechtsanwalt bestätigt, nicht weiter zu veröffentlichen, was sein Klient gesagt
hat. Schöne Posse, nicht? Ein Stück realen absurden Theaters aus der Szene, die
die Welt bedeutet…

* * *

"Drum, so wandle nur
wehrlos
Fort durchs Leben, und
fürchte nichts!"
Hölderlin

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