15.12.2007

Und Ansonsten 2007-12-15

Das
muß man sich auf der Zunge zergehen lassen: Der Stromkonzern Eon, einer der
Energiemonopolisten dieses Landes, der im ersten Halbjahr 2007 seinen Gewinn
vor Steuern auf sagenhafte 5,43 Milliarden Euro bezifferte (und gleichwohl
höhere Strompreise fordert…), finanziert den „Thüringer Literaturpreis“ mit
sage und schreibe 6.000 Euro jährlich. Deutlicher hat wohl selten ein
Großkonzern die Kultur spüren lassen, daß man deren Protagonisten (in diesem
Jahr immerhin Ingo Schulze) nicht einmal mehr ein Almosen zukommen zu lassen
gedenkt. Da waren die vergangenen Zustände feudaler Landesherren gerade
kulturfördernder Luxus dagegen.

* * *

„Mich stört, daß es kaum
noch einen Ausstellungskatalog gibt ohne das Logo oder den Namen einer Firma,
beinah jedes Festival oder Gastspiel gibt zu Beginn die Liste seiner Sponsoren
bekannt.“ (Ingo Schulze)
Singing for Pepsi, singing for Coke, singing for Jägermeister, singing for Eon…
Der
Sound unserer Tage.

* * *

Für sein Lebenswerk hat Heinz Rudolf Kunze am 20.November aus den Händen von
Ministerpräsident Christian Wulff die höchste Auszeichnung Niedersachsens, den
„Staatspreis“, erhalten.
Und das ist keine Satire.

* * *

Daß der deutsche Verlag von John Mearsheimers anti-israelischem Bestseller „Die
Israel Lobby. Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflußt wird“ auf dem
Buchcover eine amerikanische Flagge mit Davidsternen darin verwendet hat, die
es so bereits 1942 auf einem Nazi-Pamphlet über die „Kräfte hinter Roosevelt“ gegeben
hat, ist erstmal nur ein besonders „hübsches“ Beispiel vorauseilendem
antisemitischen Gehorsams, der viel über diese Zeit und die geistige Situation
dieses Landes aussagt. Die Autoren distanzieren sich nicht etwa von dem Cover
der deutschen Auflage, sondern stellen nur lapidar fest, sie „hätten davon zu
spät erfahren“.
Und die „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik“ distanziert sich nicht
etwa von der antisemitischen Natur der „Verschwörungstheorie“, die Mearsheimer
und sein Co-Autor anbieten, sondern geben den beiden Autoren unkommentiert
Gelegenheit, ihre antisemitische Propaganda in Berlin auf Einladung der DGAP
darzulegen.
Daß das kein Zufall ist, dazu gibt es weiter unten noch zwei weitere
signifikante Beispiele.

* * *

Ein anderes gelungenes Bild des „neuen Deutschland“ bietet „Schöner Wohnen im
alten Reichskriegsgericht“ („Berliner Zeitung“): 2005 haben holländische
Investoren das bundeseigene Gerichtsgebäude erworben, in dem sich von 1936 bis
1943 das Reichskriegsgericht, die höchste Instanz der Wehrmachtsjustiz, befand.
Dort wurden mehr als 260 Kriegsdienstverweigerer und zahllose Frauen und Männer
aus dem Widerstand zum Tode verurteilt. Allein in der Zeit des Zweiten
Weltkrieges wurden in dem Gericht mindestens 1.400 Todesurteile gefällt,
darunter gegen die Widerstandskämpfer der „Roten Kapelle“.
Nun wurde das Gebäude von den Investoren zu Luxuswohnungen umgebaut, mit Räumen
„zum Verlieben“, alles „vom Besten“, „vom Feinsten“, wie es in der Werbung
heißt. Der große Gerichtssaal ist noch nicht fertig umgebaut. Er wird lt.
„Berliner Zeitung“ „originalgetreu
saniert, aber nicht, um Wohnraum zu schaffen, denn „wer will hier wohnen“,
fragt Groth (der Geschäftsführer des Investoren). Er möchte dort einen
Mietergemeinschaftsraum einrichten, mit rotem Samt, Kamin, Klubsesseln und
einem Fernseher zum Fußballgucken. „Hier sollen sich Mieter treffen, ihre
Zigarren rauchen und ihren Cognac trinken“, sagt er.“
Das hätte den verbrecherischen Nazi-Richtern, die in dem Saal ihre Todesurteile
ausgesprochen haben, sicher auch gut gefallen, wenn sie nach „getaner Arbeit“
im gleichen Raum noch ein bißchen bei Zigarre und Cognac hätten „chillen“
können. Nun können das ihre Söhne und Enkel nachholen…

* * *

So sind sie, die Damen und Herren Musikjournalisten (zumindest manche von
ihnen, manchmal, grins…). Da rezensiert ein Kritiker für die „FAZ“ ausführlich
die gerade erschienene DVD von Lambchop, „No Such Silence“. Zu dem, was er
festhält, läßt sich wie immer einiges sagen, manches teilt man, manches weniger,
wie es eben so ist. Aber dann der Satz:
„Das polnische
Dafo-Quartett, das als fester Gast die Konzerte begleitet, spielt zum Auftakt
Pendereckis zweites Streichquartett – allerdings nur einen vierminütigen
Happen, den die DVD dreist als ganzes Stück ausgibt.“
„Dreist?“
Dreist ist etwas ganz anderes. Offensichtlich ist, daß der Musikkritiker der
„FAZ“ von Streichquartetten überhaupt keine Ahnung hat, denn sonst wüßte er,
daß Pendereckis 1968 entstandenes und 1970 bei den Berliner Festspielen uraufgeführtes
zweites Streichquartett eben nur aus einem kurzen Satz besteht – und eben
dieses kurze, aber komplette Streichquartett hat das Dafo-Quartett aufgeführt,
und es ist komplett auf der DVD enthalten.
Nun kann man sich darüber streiten, ob ein Lambchop-Kritiker so etwas wissen
muß. Ich finde: im Grunde schon, und erst recht, wenn er sich darüber ausläßt.
Jenseits dessen, daß man von einem „FAZ“-Kritiker erwarten können muß, daß er,
wenn er schon keine Ahnung hat, doch wenigstens kurz bei Google recherchiert,
um seine allzu offensichtlichen Wissenslücken nicht drucken zu lassen.
Aber um Kompetenz geht es bei hiesiger Musikkritik eben schon lange nicht mehr.
Es geht einfach darum, etwas zu behaupten, was dann „bewiesen“ wird. Reiner
Behauptungsjournalismus. Den man aber „dreist“ als Kritik gegen die Band und
ihre Plattenfirma wendet. Daß selbst bei der seriösen „FAZ“ heutzutage solch
inkompetenter Schmierenjournalismus möglich ist, ist traurig und zeigt den
Zustand der Musikkritik in diesem unserem Land. Wahrscheinlich sollte man noch
froh sein, daß der Kritiker die DVD, über die er schreibt, überhaupt angesehen
hat…

* * *

Ist inkompetenter Musikjournalismus in der „FAZ“ noch selten, so ist er in der
alten Tante „Zeit“ längst gang und gäbe. Oder was halten Sie von folgendem
Geschwurbel:
„Ich wollte Maria atmen
hören. Die schöne, beseelte Maria Joao, eingehüllt in die Luft von Lissabon.
Atlantik-nah. Einen Scat aus Hechel-Lauten stellte ich mir vor, denn ihr Gesang
ist so. Immer hat sie Luft unter den Tönen und treibt sie wie Dünung. Sie
sollte nur dastehen und ventilieren, das Gesicht in Aktion, außer Atem.“

Unglaublich? Tschah, würde man denken, und man würde dann weiter denken, so
schreibe ein alternder Lüstling mit sagen wir Erektionsproblemen, der halt
irgendwie vor sich hinsabbert.
„Vor einem Konzert hatte ich
sie hübsch genannt. „Ja“, hatte sie gesagt, „wenn ich musiziere, ziehe ich ein
schönes Kleid an, mein schönstes, um genau zu sein, lege Make-up auf, was ich
sonst nie tue – ich fühle mich hübsch, attraktiv, geliebt…“ Dann hatte sie
gesungen. (…)
Am nächsten Tag ging ich
wieder zu ihr, und sie atmete für mich, vor einer Holzwand stehend, tonlos,
besinnungslos.“ Man stelle sich das vor: sie atmet nicht etwa,
um weiterzuleben, nein, sie atmet für den sie anbetenden Journalisten der
„Zeit“ – wenn Männer zu viel lieben… bzw. zu viel plappern… Doch der Text endet
mit einem Softporno a la David Hamilton, das war wohl die Zeit, in der sich der
Autor erotisch „sozialisierte“ – „Dann
fuhren wir an den Atlantik, und sie sagte: „Das Meer orchestriert all deine
Möglichkeiten, glücklich zu sein. Ich habe es hier in mir, es ist immens, mal
blau, mal grau mit all seinen Farben, und alles scheint möglich… Manchmal ist
das Meer bitterkalt. Aber heute ist es angenehm. Komm rein!“ Dann legte sie ihr
Leibchen ab und tauchte durch die Schaumkronen. Von Liebeskummer keine Spur.
Viva Maria!"
Das, was da auf der „Feuilleton“ genannten Seite der altehrwürdigen „Zeit“ vor
sich hinsabberte, nennt sich Roger Willemsen. Ob die „Redaktion“ seinen
Pennäler-Erlebnisaufsatz gekürzt hat? Denn wir wüßten doch zu gerne, ob auch
das Roger Willemsen sich seines „Leibchens“ entledigte, und warum ihn die
„Schaumkronen“ des Atlantiks vor Portugal wieder hergegeben haben. Oder war das
Willemsen plötzlich „besinnungslos“? „Tonlos“ ja nun leider nicht…

* * *

Der gleiche Roger Willemsen übrigens, der sich auf einer gemeinsamen
Veranstaltung mit NSDAP-Kindermitglied Dieter Hildebrandt lt. „Konkret“ nicht
entblödete, ein angebliches Talmudzitat (u.a. „Denn das Vermögen des Nichtjuden ist als Gemeineigentum
anzusehen, und es gehört dem Juden, der es sich sichern kann.“) zu verlesen,
das „seit über 150 Jahren eifrig weitergereicht wird, zusammengelogen
vornehmlich von katholischen Theologen des 19.Jahrhunderts (…) Sicher ist, daß
das erfundene „Talmudzitat“ exakt in der Formulierung von Willemsen im Internet
von diversen bekennenden Antisemiten triumphierend hochgehalten wird.“
(„Konkret“)
Unser kleiner, gemütlicher, alltäglicher Antisemitismus…

* * *

Die „FAS“ betitelt einen Artikel über eine andere Medien-Nervensäge:
„Zehn Jahre verkörpert
Johannes B. Kerner Mittelmaß – und das wird sich nie ändern“.
„Mittelmaß“? Ganz schön hoch gegriffen, fast schon ein Kompliment…

* * *

„Burger King“ propagiert in ganzseitigen Anzeigen einen „Whopper Dollar“ mit
den Worten „Ausschneiden.
Falten. Essen.“ Ob den Testessern der Unterschied zwischen
Zeitungspapier und den Dingern, die da als „Whopper“ aus den Filialen der
Hamburgerkette kommen, auffallen wird?

* * *

„Wenn das, was Mario Barth
macht, Unterhaltung ist, müßte ein Trabi das erfolgreichste Auto aller Zeiten
sein. Und jeder Kuhfladen könnte darauf bestehen, zukünftig mit Pizza Margarita
angeredet zu werden.“ Henryk M. Broder im „Spiegel“

* * *

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich gerne als Heldin im Kampf gegen
die Klimakatastrophe geriert, schreibt am Tag, an dem ihr Kabinett
symbolträchtig neue Klimaschutzgesetze verabschiedet, lt. „Berliner Zeitung“
einen Brief an EU-Kommissionspräsident Barroso, in dem sie ihr wahres Gesicht
zeigt, nämlich das einer gnadenlosen Auto-Lobbyistin. In ihrem Brief setzt sich
Merkel dafür ein, für kleine und große Fahrzeuge unterschiedliche Obergrenzen
der Grenzwerte für den CO2-Ausstoß festzusetzen, ganz so, wie es die deutsche
Autoindustrie fordert, denn dies würde der deutschen Autowirtschaft nutzen, die
anders als die Konkurrenz etwa in Frankreich oder Italien vornehmlich schwere
Wagen mit hohem CO2-Ausstoß produziert.
Leuchtet ja auch unmittelbar ein – wer es sich leisten kann, ein protziges
deutsches Auto zu kaufen, sollte berechtigt sein, auch mehr CO2 auszustoßen –
mir san mir!
Mag sein, daß Frau Merkel, wie immer gern behauptet wird, irgendwo „bella
figura“ macht – auf dem Gebiet der Politik allerdings nicht.

* * *

Da hatten sie sich schon die Hände gerieben über ihren Medien-Coup: der
deutsche Außenminister Steinmeier (SPD) beim fröhlichen Singsang mit dem
Berliner Rapper Muhabbet, und alle Medien, bis hin zur Tagesschau, waren dabei,
wie sich der stellvertretende SPD-Vorsitzende locker und anbiedernd gab.
Nur die renommierte Journalistin Esther Schapira mochte sich nicht mitfreuen,
sie erinnerte sich daran, wie der angeblich so moderate Star-Rapper Muhabbet
sich paar Tage vorher bei einer Filmpreisverleihung als islamistischer
Extremist geoutet, ihr gegenüber nicht nur den Mord am niederländischen
Regisseur Theo van Gogh gebilligt, sondern noch eins draufgesetzt hatte – laut
Schapira sagte Muhabbet, „daß
van Gogh Glück gehabt habe, daß er so schnell gestorben sei. Wenn es nach ihm
gegangen wäre, hätte er ihn erstmal in den Keller gesperrt und noch gefoltert“
(„FAZ“).
Soweit, so schlecht.
Interessant ist aber, was dann passierte: der SPD-Außenminister Steinmeier etwa
distanzierte sich nicht von Muhabbet, sondern warf den Journalisten vor,
sorglos recherchiert zu haben. Die „taz“, ausgerechnet, spricht von
„Verdachtsjournalismus“. Hübsch auch die Position der „Berliner Zeitung“, die
festhält, „Muhabbet ist,
auch wenn er mit Außenministern singt, ein Musiker“, und für den
würden andere Kriterien gelten als für Politiker. Daher fragt die „Berliner
Zeitung“ jovial: „Wie politisch inkorrekt dürfen eigentlich Muslime sein?“ Als
ob es darum gehe, ein bißchen „politisch inkorrekt“ zu sein, und nicht um
Akzeptanz von Mord und Folter.
Wes Geistes Kind der Islam-Rapper ist, der sich mit seinen Kuschelballaden und
Soft-Raps gern als Außenministers Liebling geriert, hätten SPD-Steinmeier und
die Journalisten von „taz“ bis „Berliner Zeitung“ unschwer feststellen könnten,
wenn sie sich mit den Texten von Muhabbet auseinandergesetzt hätten. Kleine
Kostprobe:
„Diese Stadt ist voller
Schwuchteln und Schlampen, oberflächlicher Ottos und richtig linken Ratten.“
Auch eine Gewaltandrohung ist bei Muhabbet enthalten: „Ich bin der, der schweigt und dir das
Messer zeigt / nachdem ich zugestochen habe, warne dich: geh nicht zu weit! /
Kill dich, denn für Fotzengelaber hab ich keine Zeit (…) Lauf oder willst du
als Kanakenfutter dienen / eine Holzkiste hab ich für dich reserviert / Die
Straßen gehörn mir“ usw. usf.

* * *

„oh diese Deutsch’n!
„Die halbe Nazion iss irre;
(& die andre Hälfde
Nich ganz bei Groschn!)““

(Arno Schmidt)

* * *

„Difficile est saturam non scribere.“ (Juvenal, um 100 n.Chr.)

In diesem Sinne, eine angenehme Jahresendzeit

10.11.2007

Und Ansonsten 2007-11-10

"Ich
dachte, Musik, das sind nur wir und das Publikum, und wir dürften uns dem
Establishment nicht ausliefern und verkaufen. Aber stattdessen hat das
Establishment uns gekauft, sodaß wir zu diesem riesenhaften Business geworden
sind.
SZ: Lustigerweise bricht die Musikindustrie gerade mit lautem Getöse zusammen.
Recht geschieht es ihr,
zusammenbrechen soll sie! Die Musikindustrie ist aufgebläht und eingebildet,
sie muß sich endlich mit der Wirklichkeit anfreunden."
Neil Young im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung"

* * *

So ist das im Leben. Der eine, Erwin Wagenhofer, macht einen klugen Film,
"We Feed the World". Der andere, Al Gore, war acht Jahre lang
US-Vizepräsident, hat in dieser Zeit wenig getan und noch weniger erreicht, und
erhält für eine Powerpoint-Präsentation, für eine "Mischung aus Erweckungspredigt und Disneyland, mit
der er durch die Lande zieht (eine nomadische Geldmaschine)" (Georg
Seeßlen) erst einen Oscar und dann den Friedens-Nobelpreis.
In seinem aktuellen Buch empfiehlt Gore als Hilfe aus größter Not - genau, das
Internet.
"Blogger sind
mitdenkende Bürger." Auf Wikipedia kann jeder zurückgreifen!
"Für Al Gore trifft es
sich jedenfalls gut. Er ist als Direktor und Berater für Google tätig, auch für
Apple Computer, für den Satelittensender Current TV und für Generation
Investment Management." (Dietrich Kuhlbrodt) Und entsprechend
endet Gore's Buch "Angriff auf die Vernunft" nicht nur mit einem
Plädoyer fürs Internet, für dessen Konzerne der Herr Ex-Vizepräsident
heutzutage den Frühstücksdirektor mimt, sondern auch ganz plump mit Werbung für
die eigenen Unternehmen. www.current.tv biete kostenfrei das beste
Online-Schulungsprogramm etc. pp.
"Wir sind erst der
Anfang einer globalen Bewegung, hat unser Autor in diesem Jahr befunden -
diesmal aber als Präsident der Herzen auf den milliardenträchtigen
Live-Earth-Konzerten. Großsponsor Daimler-Chrysler beteiligte sich und nutzte
den globalen Beginn zur Imagewerbung. Noch Fragen?" (Dietrich
Kuhlbrodt)
So ist das eben - reinklicken bei Al Gore und dann was Kleines spenden, und
dadurch "in der Summe
die gewaltigen Spenden der wenigen Großsponsoren bei weitem übertreffen",
so funktioniert die Welt des Al Gore, und da machen sie alle gerne mit, bei
Live Earth wird mitgeklatscht, bei www.algore.com wird mitgespendet, bei
"Angriff auf die Vernunft" wird mitgelesen. Wir sind Oscar, wir sind
Friedensnobelpreis. Unsre kleine, kuschelige Klimakatastrophen-Mitmachwelt.

* * *

Joe Boyd lt. "Berliner Zeitung" auf einer Lesung in Berlin, begleitet
vom Musiker Geoff Muldaur:
"Ich gebe mir Mühe, sie
zu mögen, aber jemanden wie Joanna Newsom finde ich einfach nur lächerlich.
Oder was sagst du dazu, Geoff?" - "Ich finde, daß es mit der Welt
generell den Bach heruntergeht."

* * *

Unser Newsletter-Leser Werner Pieper weist anläßlich des im Oktober-Rundbrief
erwähnten "CocaCola Soundwave! Berlin 07" am Brandenburger Tor darauf
hin, daß die "braunsoßigen Coca Colas ja auch die Olympischen Spiele 1936
in Berlin finanzierten. Damals zum einen das erste Sportmarketing auf dem
Level, zum andern fand der Begriff "eiskalt" damals Eingang ins
Sprachgut der Nazis. Oder war es umgekehrt?"
Mehr zum Thema in Werner Piepers Buch "Nazis on Speed - Drogen im
3.Reich".

* * *

Copyright kills music!

* * *

Bei einem Vortrag in Berlin machte Friedensnobelpreisträger Al Gore den Robbie
Williams und hebelte die Pressefreiheit aus: Journalisten mußten einen Vertrag
(!) unterzeichnen, in dem sie sich verpflichteten, kein Gore-Wort zu zitieren.

* * *
Andere Friedens- und Umweltaktivisten rücken mit ihrer Steuererklärung erneut
ins Zwielicht: Die Band U2 und ihre Firma U2 Ltd., die die weltweiten Rechte
und Einkünfte aus der Songverwertung der Formation verwaltet, waren mit der
Verlegung ihres Firmensitzes von Irland in die Niederlande in die Kritik geraten.
Mehr Geld für das Entwicklungshilfeprogramm "Ireland Aid" von der
irischen Regierung zu fordern, aber selbst als Steuerzahler nichts dazu
beitragen zu wollen, das paßt nur in Bono's Welt ("cui Bono?")
zusammen.
Jüngster Fall der Widersprüchlichkeiten: U2 Ltd. weist für das Jahr 2006 lt.
"musikwoche.de" umgerechnet fast 21 Millionen Euro an Umsätzen aus,
fast 18 Millionen davon wurden an fünf namentlich nicht genannte Angestellte
des Unternehmens ausgezahlt, bei denen es sich laut Medienspekulationen vermutlich
um die vier Bandmitglieder Bono, the Edge, Adam Clayton und Larry Mullen sowie
Bandmanager Paul McGuinness handeln dürfte.
2005 haben U2 Ltd. In Irland ganze 32.300 Euro Steuern bezahlt, im Jahr 2006
waren es rund 750.000 Euro. Die aktuellen Unterlagen, die der zuständigen
Handelskammer in Dublin kürzlich zugeleitet wurden, zeigen nun, daß die vier
Bandmitglieder mit dem Umzug ihres Unternehmens von Dublin nach Amsterdam aus
dem Vorstand der U2 Ltd. ausgeschieden sind. Parallel tauchten jedoch zum
ersten Mal die namenlosen, aber hochbezahlten Angestellten in den Büchern auf…
Noch im Vorjahr, als die Musiker noch im Vorstand von U2 Ltd. saßen, hatte die
Gesellschaft die Summe der Zahlungen an Mitarbeiter mit Null angegeben.
Über Steuerzahlungen der U2-Mitglieder in ihrem Heimatland ist ansonsten nichts
bekannt, obwohl die Musiker mit einem geschätzten Vermögen von zusammen gut 1,2
Milliarden Euro zumeist auf der Liste der reichsten Iren vertreten sind.

* * *

Alles auf "sakral" gestellt im Weihnachtsgeschäft: Die neue von der
"Deutschen Grammophon" herausgegebene Fritz Wunderlich-CD heißt
"Sacred Arias". Verramscht wird derzeit Sting's (mittlerweile auch
Künstler des Gelb-Labels) "Sacred Love". Ja Sakradi…

* * *

Im Jahr 2008 wird hierzulande ein großer Weltklimagipfel stattfinden, zu dem
Umweltminister Gabriel, der Ex-Pop-Beauftragte der SPD, einladen wird. Zum
kulturellen Rahmenprogramm stellt sich "Siggi Pop" ein
Pop-Rock-Konzert vor, bei dem, wegen der Symbolik, aus jedem Kontinent der Erde,
denn wir sitzen ja in einem Boot, ein Künstler auftreten soll. Und nun raten
Sie mal, wenn Siggi Pop als Vertreter Europas auserkoren hat! Eben, genau den
mit "doof" im Namen. War zu einfach? Wollen Sie erraten, wer auf der
Vorschlagsliste des Umweltministers für Nord- und Südamerika steht?

20.10.2007

Und Ansonsten 2007-10-20

Jeder
blamiert sich, so gut er kann.
Die Bundesrepublik Deutschland hält sich für Blamagen im Ausland das
Goethe-Institut.
Wie die "Musikwoche" meldet, werden im Oktober auf Einladung des
Goethe-Instituts deutsche Bands wie Juli, 2raumwohnung, Tele, Mia, Die Prinzen
oder Dr. Motte bei einem chinesisch-deutschen Popfestival in Nanjing auftreten.
Das Festival ist Teil einer "Deutschland-Promenade" und geht im
Rahmen des dreijährigen Projekts "Deutschland und China - gemeinsam in
Bewegung" über die Bühne, einer gemeinsamen Initiative des
Goethe-Instituts und des Auswärtigen Amts. Damit will sich Deutschland als
"Wirtschaftspartner, Kulturland sowie als wichtiger Standort für Bildung,
Forschung und Investitionen" in verschiedenen Regionen Chinas
präsentieren.
Na, wenigstens braucht man sich, solange Goethe-Institut und Auswärtiges Amt
nur einige der deppertsten deutschen Bands nach China exportieren, keine Sorgen
darum machen, daß die Chinesen diese drittklassige deutsche Popmusik kopieren
und als Klone selbst auf den Weltmarkt werfen…
Aber das Finstere ist: dies ist nur ein erster Stapellauf, das Goethe-Institut
will, daß Deutschland auch bei der Olympiade in Peking von Deutschpop a la Mia
oder 2raumwohnung kulturell repräsentiert wird. Mal abgesehen davon, daß ich
als Bürger und Steuerzahler gar nicht im Ausland repräsentiert werden möchte -
aber wenn es denn schon sein muß, darf ich erwarten, daß eine Institution wie
das Goethe-Institut wenigstens den Hauch eines kulturellen Auswahlkriteriums
walten läßt und wenigstens Gruppen wie sagen wir F.S.K., Blumfeld, Kraftwerk
oder Manuel Göttsching einlädt, die Bundesrepublik bei Olympia darzustellen.
Von deutscher Kulturpolitik ist nicht viel zu erwarten, klar, aber selbst die
deutsche Kulturpolitik sollte nicht unter ein gewisses Mindestniveau gehen. Wer
wählt eigentlich die ahnungslosen Kulturfunktionäre im Goethe-Institut aus? Ich
verlange Rechenschaft - wozu zahlt unsereiner seine Steuern?

* * *

Al Gore, US-Politiker, selbsternannter Umweltschützer und neuerdings
Friedensnobelpreisträger, soll lt. "Spiegel" Ende Oktober auf einem
Klimakongreß des Karlsruher Energiekonzerns EnBW auftreten - daß Al Gore damit
eine Menge Geld machen will (die Gage soll bei 180.000 Dollar liegen), ist das
eine. Der ehemalige US-Vizepräsident soll aber, und das ist nun wirklich
peinlich, den Strom aus Kernkraftwerken bei EnBW als eine notwendige Energie
loben, heißt es lt. "Spiegel". Der Stromkonzern hält seine Marke
"Yello Strom" bekanntlich mit einem hohen Atomstromanteil billig. So
bleibt Gore in gewisser Weise konsequent, denn auch als Vizepräsident der USA
hat er sich ja nicht wirklich als Umweltpolitiker hervorgetan.

* * *

"I don't worry about
Greenland if the ice melts; I worry about the Netherlands and Venice."

Anda
Uldum, Bandleader von "DDR" aus Nuuk/Grönland

* * *

"Dort, wo die Kultur
von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus
und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte."
So spricht Joachim Kardinal Meisner, Köln, nicht 1938, sondern 2007.
Was weiß ein Erzreaktionär wie Meisner, der gezielt mit Nazi-Terminologie
arbeitet, von "Mitte"? Wie wäre es, der Herr Kardinal hielte einfach
seinen Rand? Damit wäre uns allen gedient.

* * *

Im letzten Rundbrief hatte ich geklagt, daß Journalisten sich doch mal was
Anderes einfallen lassen sollten, als die sogenannte "Weltmusik" als
irgendwie ewig gestrig, selbstgestrickt, multikulti-eitatei usw.
abzuqualifizieren - und das mit dem Stoßseufzer verbunden, es wäre doch schön,
wenn der Unsinn, Popmusik wie BeatlesMadonnaM.I.A. sei die eigentliche
"Weltmusik", mal nicht weiter verbreitet würde.
Die Hoffnung war vergebens. Prompt blaberte ein Jan Freitag in des deutschen
Studienrats Zentralorgan, der "Zeit": "Weltmusik ist ein altbackener Begriff, beladen mit
dem schwülen Duft von Patschuli, ausgefranst an den Juterändern, überfrachtet
mit Folklore und stets gefährlich nahe am Panflötenpop."
Merke: wer in der "Zeit" Musikkritiken schreiben darf, darf nicht nur
keine Ahnung haben, nein, er muß gleichzeitig beweisen, daß er vor keinem
schiefen Sprachbild, das er andernorts aufgeschnappt hat, halt macht. Aber
natürlich schlägt, um im Bild zu bleiben, Freitag die Blechtrommel der Stunde,
Disco macht derzeit jeden Balkan-7/8-Takt zum Vierviertel-Bumbum und läßt das
Partyfolk (haha) austicken: "Ein
triftiger Grund, die viel gescholtene Dominanz technoider (sic! B.S.) Musik zu
begrüßen - ist es doch das Elektronische an neueren Soundmixturen, das aus
Weltmusik etwas jetztzeitigeren Ethno-Pop macht. Dabei wären wir auch schon bei
M.I.A."
Ah ja. Und dann ergeht sich der Schreiberling in aber auch jeder Sprachhülse,
die Popjournalisten in ihrem Dilettantismus so gerne verwenden: die Sängerin
ist mal "bezaubernd",
mal "rotzig",
sie "stülpt die Stile
ihrer südasiatischen Wurzeln über jede Strophe, jede Note, jeden Satz"
- da möchte man gerne dabei sein, wie die Stile der Wurzeln über die Strophen
gestülpt werden, ganz anders, als Jute über … nun ja. Mit sowas bekommt man
Zeilenhonorar - erstaunlich.
Drums sind bei "Zeit"'s Freitag "ekstatisch"
und "fegen durch die
Harmonien", ständig "streichen
orientalische Geigen (sic! B.S.) hinein",
und "flächige Gesänge
schwirren wie Mantras umher". Ich weiß, wenn man das vorlesen
würde, glaubt einem keiner, daß so ein Scheiß im deutschen Feuilleton
veröffentlicht und bezahlt wird.
Die Künstlerin ist erstaunlicherweise "spielfreudig",
ihre Performance ist "aufgekratzt
mädchenhaft", nein, M.I.A. "kocht
über". Das Album enthält "Musik,
die vor den Gedanken den Körper erreicht" und bis heute nicht im
Kopf des Rezensenten angekommen zu sein scheint. Der Dancepop ist "zappelig", und
dann kommt das berüchtigte "zwischen", in diesem Fall nämlich "zwischen Bollywood,
Achtzigerjahre-Disco, Panjabi MC und dem Ethnojazz einer Neneh Cherry"
(wußte gar nicht, daß man deren HipHop bei der "Zeit" jetzt als
"Ethnojazz" bezeichnet…).
Es wird versucht, "Ethnopop
vom Ballast des Politischen (sic! B.S.) zu befreien, um andere Perspektiven aufs Leben in der
Migration zuzulassen". Und so weiter und so fort. Ich bitte,
den Text des Schreiberlings Jan Freitag aus der altehrwürdigen "Zeit"
bei der nächsten "Open Mic"-Veranstaltung als Satire vorlesen zu
dürfen, oder wo auch immer in der Popkultur-Debatte mal ein Brechmittel
benötigt wird.
(und damit wir uns nicht mißverstehen: Klasse Album das, M.I.A.s
"Kala" - ich würd das nur gerne sprachlich und inhaltlich ein bißchen
anders begründet sehen)

* * *

Als Oppositionspolitikerin und CDU-Parteichefin hatte Angela Merkel 2003 die
Übernahme der Berliner Staatsoper durch den Bund als "nationales
Projekt" gefordert.
Als Kanzlerin hält Merkel von dieser Idee nichts mehr. "Wendehals"
nannte man sowas mal…

* * *

Die Künstlersozialabgabe hat der Gesetzgeber für 2008 von 5,1% auf 4,9%
reduziert. Wie Verbände wie der Deutsche Kulturrat oder der VDKD dies als
"Erfolg" feiern können, bleibt ein Rätsel - 2003 betrug der
Abgabesatz noch 3,8%, die Erhöhung wurde durch die von rot-grün vorgenommene
drastische Reduzierung des Bundeszuschusses der Künstlersozialkasse notwendig.

* * *

"Vor uns liegt eine
goldene Zukunft, wenn es ausschließlich um Musik und deren Verbreitung geht und
weniger um dieses klassische Produktmanagement mit Herstellung, Lagerhaltung
und Versand. Wir freuen uns darauf und sind bereit (…) Entscheidend ist es, glaube
ich, das Ganze nicht zu ernst zu nehmen. Um in dieser Industrie erfolgreich zu
sein, muß man eine Menge Humor haben und mal ehrlich: Alle, die in der
Musikindustrie arbeiten, sind doch eigentlich Herumlungerer und Taugenichtse,
die da gelandet sind, weil sie zu früh mit ihrer Band aufgegeben oder ihr
Germanistik-Studium abgebrochen haben."
Patrick Wagner, Louisville Records
(diese Agentur legt allerdings Wert auf die Feststellung, daß eine
Mitarbeiterin über ein abgeschlossenes Germanistik-Studium verfügt…)

* * *

Vor einigen Monaten habe ich noch geklagt, daß zwei wunderbare französische
Bücher hierzulande nicht erschienen waren - nämlich Toussaints "Zidanes
Melancholie" und André Gorz's Liebesbrief an seine Frau, "Lettre à
D."
Nun sind dieser Tage beide Texte endlich auf deutsch erschienen - aber so
richtig froh kann unsereiner daran nicht werden, denn Andre Gorz ist gemeinsam
mit seiner Frau aus dem Leben geschieden, und wem das nicht nahegeht, der muß
ein schlechter Mensch sein.
Und wieder ist die Welt um einen Großen ärmer, um einen kritischen und im
besten Sinne radikalen Denker, der einen spätestens seit "Abschied vom
Proletariat" in der intellektuellen "Menschwerdung" begleitet
und inspiriert hat.
So sterben sie dahin, die Andre Gorz, die Max Roach, und es wachsen keine nach,
die sie ersetzen, die nur annähernd sie erreichen könnten im unsäglichen
medialen Geplapper unserer Zeit.
"An ein Jenseits mochte
André Gorz allerdings nicht so recht glauben. Er war kein Romantiker. Und auch
kein religiöser Mensch. Ihm ging es um das Diesseits, um die Verbesserung der
Welt. Er war ein undogmatischer Marxist und philosophischer Materialist. Seine
großen Themen waren die Emanzipation des Menschen - vom Geld und von der Ware -
und seine Freiheit. Er definierte sie als Selbstbestimmung und meinte das
Gegenteil von Entfremdung." (Jürg Altwegg in der "FAZ).

* * *

"Der Joschka Fischer
ist in meinen Augen ein begabter Demagoge, ein glänzender Sprecher. Aber sonst:
bis gestern Friedensbewegung und plötzlich, 1998, ein Bellizist - ob es
Bosnien, Kroatien oder Herzegowina war. Und das dann auch noch im Namen von
Auschwitz, das ist Fischer." Helmut Schmidt

* * *

Unter dem Titel "Stilkritik" darf ein Stefan Kornelius in der
"Süddeutschen Zeitung" über das "Koreanische Gipfeltreffen"
schreiben:
"Das nordkoreanische
Volk ist dem Führer modisch nicht weit voraus: Frauen tragen wadenlange Röcke,
Männer bevorzugen einfache Anzüge, die Farben changieren zwischen Schwarz und
Anthrazit…"
War Stefan Kornelius vor Ort? Sicher nicht, denn dann hätte er festgestellt,
daß zum Beispiel nordkoreanische Frauen durchaus interessante Mode tragen und
alles andere als "wadenlange Röcke".
Hat Stefan Kornelius eine der zurzeit relativ häufig gezeigten Dokumentationen
auf 3sat oder in einem der hiesigen Dritten Programme gesehen? Sicher nicht,
denn dann hätte er ein anderes Bild von der Mode, die nordkoreanische Frauen
tragen, oder hätte vielleicht gar das Interview mit einem nordkoreanischen
Schuhproduzenten und dessen Produkte gesehen.
Aber das ist eben der Stand des Journalismus in unserer Zeit, selbst bei
einigermaßen seriösen (oder zumindest einstmals seriösen) Zeitungen wie der
"SZ": Das Wort "Recherche" ist für diese Journalisten ein
Fremdwort, Hauptsache, sie betreiben Behauptungsjournalismus und radebrechen
und brabbeln ihre Zeilen voll, stimmen muß nichts von dem, was sie sagen, nur
ihre Behauptungen müssen irgendwie in das "Modern Talking" der
Mediengesellschaft passen.

* * *

Wie Journalismus betrieben wird, darüber gibt am gleichen Tag ein Artikel auf
der Medienseite der "Berliner Zeitung" über "Neuland",
einen Ableger des Wirtschaftsmagazins "brand eins", Aufschluß: "Wir gucken uns nur Regionen an,
die uns auch wollen", sagt Risch und spricht damit indirekt die
Finanzierung des Heftes durch Unternehmen an, die es nicht versäumen mögen, bei
der von Art-Director Mike Meiré charmanten Präsentation dabei zu sein."
(das holprige Deutsch findet sich so im Original der "Berliner
Zeitung"). "Schon
bei der ersten Produktion ließen es sich Unternehmer und Landräte nicht nehmen,
die Berichterstatter persönlich zu den schönsten Flecken zu fahren."
Das ist Journalismus im ersten Jahrzehnt des 21.Jahrhunderts: eine
Neudefinition feudaler Hofberichterstattung, man läßt sich von Unternehmern und
Landräten zu schönen Flecken kutschieren und berichtet darüber. "Einen Interessenkonflikt sieht
Chefredakteurin Risch, die sich als "Dienstleisterin" versteht,
nicht, wenn Lobbyisten Chaffeur spielen und ein Heft finanzieren, das deren
Güter und Dienste vorstellt. "Der journalistische Anspruch ist kein
Widerspruch dazu, daß wir auch Unternehmer sind", sagt sie."

"Journalistischer Anspruch"? Der liegt bei null, es geht um Penunze,
die sie von den Unternehmern bekommen wollen, von denen sie sich rumkutschieren
lassen. Früher haben die Hersteller von Werbebroschüren wenigstens nicht getan,
als ob sie Journalisten seien, und hätten es nicht gewagt, dann noch frech von
"Anspruch" zu faseln.

* * *

Eva Herman? Geschenkt. Wer sich darüber ereifert, hat nichts kapiert.
Daß aber ein Dummschwafler wie Johannes B. Kerner ("Manche Sachen gehen nicht und Autobahn geht eben
auch nicht.") sich nach seinem allzu leicht durchschaubaren
"Coup" nun als "Gutdeutscher" selbstdarstellen darf, ist
einfach nur widerlich.

* * *

Die zweitägige Werbeveranstaltung am Brandenburger Tor anläßlich des
"Tages der Einheit" wurde von Coca-Cola finanziert, sowas nennt sich
heutzutage "CocaCola Soundwave! Berlin 07", und die Musikindustrie
läßt sich von der Zuckerbrause ihre Acts finanzieren, von Sportfreunde Stiller
bis 2raumwohnung.

* * *

Ein kluger Kopf der Musikszene ist Rick Rubin, mittlerweile Co-Chef der
ruhmreichen und großen "Columbia Records" im Sony-Konzern. Er
schreibt der Musikindustrie einige Merksätze ins Stammbuch, über die
nachgedacht werden sollte, zum Beispiel:
"Eine Plattenfirma
sollte in erster Linie versuchen, großartige Musik zu verkaufen. (…) Es darf
nur um die Musik gehen. Viel zu viele Entscheidungen bei den großen
Plattenfirmen fallen aus den falschen Gründen. Es sollte aber darum gehen,
zeitlose Musik zu entdecken."
Aber wie lange wird Ruck Rubin noch an der Schaltstelle seines Multis sitzen?
Wie viel wird er bei Columbia und Sony bewegen können? All dies wirkt von außen
betrachtet so sympathisch wie gleichzeitig als eine der vielen
Verzweiflungstaten der Musikindustrie in diesen Tagen…

* * *

Übrigens, am Rande sei es angemerkt: Wenn Rick Rubin sich für Paul Potts
begeistert, den dicken, schüchternen Handy-Verkäufer, der in der britischen
"Superstar"-Sendung mit einer Puccini-Arie Wellen schlug, die ihn
nicht nur zu Rick Rubin, sondern auch auf den Stuhl des unerträglichen Johannes
B. Kerner führten (Rubin: "Niemand
erwartet etwas Besonderes von diesem langweiligen Durchschnittstypen. Jury und
Publikum ärgern sich sogar, als sie erfahren, daß er keinen Popsong singen
wird. Und dann singt er so unglaublich schön."), dann täuscht
sich die Produzentenlegende, denn Paul Potts singt bestenfalls mittelmäßig -
das, was sein Publikum und Rubin bis Kerner begeistert, ist Puccini, nicht Paul
Pott (ist eigentlich schon mal jemandem aufgefallen, was herauskommt, wenn man
Paul Pott englisch ausspricht? Eben - ein Schreckensregime, diesmal allerdings
von der Musikindustrie losgetreten…). In all dem furchtbaren Schund, den
Fernsehsendungen und Plattenindustrie heutzutage auf die Menschheit loslassen,
fällt eine Arie von Puccini wie von selber als große Kunst auf, selbst, wenn
sie nur mit bescheidensten Mitteln gesungen wird.
Und was folgt daraus? Es kann jedenfalls nicht schaden, sich mit sämtlichen
Aufnahmen von Maria Callas zu beschäftigen, beispielsweise.

In diesem Sinne, viel Spaß beim Stöbern in den Archivaufnahmen…

04.09.2007

Und Ansonsten 2007-09-04

Diesen
Schmarren muß unsereiner in regelmäßigen Abständen lesen, der irgendwie, in
diesem Kontext sei die Phrase erlaubt, an tibetanische Gebetsmühlen erinnert:
Die Weltmusik sei tot, gäbe es nicht, die eigentliche Weltmusik seien wahlweise
die Beatles, Madonna oder M.I.A. (die "wahre Weltmusik" lt. aktuellem
"Prinz"). Ach, liebe Journalisten, liebe Popkritiker und
Musikfunktionäre, laßt euch doch mal was Originelleres einfallen!
Mag sein, daß der Begriff "Weltmusik" nicht sonderlich geschickt oder
perfekt treffend ist (wer einen besseren weiß, soll Bescheid geben - ich
persönlich bevorzuge Formulierungen wie "Ethnic Avantgarde" oder das
fRoots'sche "local music from out there", aber das ist im Grunde
relativ wurscht, weil die meisten sehr wohl wissen, was gemeint ist, wenn man
"Weltmusik" sagt, mit Ausnahme der US-Amerikaner vielleicht, für die
das etwas gänzlich Anderes ist…). Was aber nervt, ist dieser besserwisserische,
oberlehrerhafte Tonfall, mit dem der Unsinn verbreitet wird, Weltmusik seien
BeatlesMadonnaM.I.A. Leute, die das behaupten, haben relativ wenig Ahnung von
dem, was sie sagen, und setzen im Grunde den Fehler der deutschen Romantik fort
- Herder hatte auch schon diesen falschen Begriff, damals hieß das
"Volkslied". Aber: Nicht "das Volk", nicht "die
Welt" hat diese Musik gemacht, sondern jeder kleinste Teilbereich für sich
und in aller Regel für den eng umgrenzten Eigengebrauch. Nicht, ob die ganze
Welt (das ganze "Volk") eine Musik hört, ist hier entscheidend,
sondern die Herkunft - eben "Ethnic Avantgarde", eben "local
music from out there". Oder man lese Bela Bartok's Definition der
"Bauernmusik" und der "Volksmusik" in seinen ethnomusikologischen
Schriften nach. Soviel sollte man als Kulturfunktionär oder Musikjournalist
eigentlich schon wissen. Aber die Tendenz, die Beatles oder Madonna zur
"Weltmusik" zu erklären, scheint unausrottbar.

* * *

Und bei der Gelegenheit: was fast genauso nervt, ist die Tendenz, das Publikum
von "Weltmusik"konzerten als ewig gestrig
"Holzperlenketten-Multikulti" und in bunten Klamotten oder sonst
irgendwie hinterwäldlerisch darzustellen. Ein beliebter "Diss" gerade
in der aktuellen Popkritik. Zugegeben, mitunter ziehen sich Besucher von
Weltmusikkonzerten komisch (meist etwas an die dargebotene Kultur anbiedernd)
an. Aber komisch aussehende Leute sollen auch schon bei Konzerten von Bands wie
Sunnooo))) gesehen worden sein, um nur mal ein Beispiel zu nennen. Und wer eine
ungefähre Ahnung davon bekommen möchte, wie "stylish", wie ungeheuer
modern nicht nur die Sounds zum Beispiel Afrikas waren zu einer Zeit, als die
Eltern der heutigen Popgroßkritiker hierzulande noch Schlagerparade gehört
haben, sondern wie modern auch die Mode, die ganze Ausgehkultur dieser Zeit
war, dem sei, nur ein Beispiel, der wunderbare Band "Malick Sidibé"
von André Magnin empfohlen. Da können die Designer und Modefuzzis von
Berlin-Mitte sich noch so sehr anstrengen, soviel "Style" wie im
Bamako der späten 50er, frühen 60er Jahre werden sie nie haben… Word!

* * *

Wenn man Konzerte mit dem BAP-"Sänger" organisiert, bleibt einem gar
nichts Anderes übrig, als diese derart holprig anzubieten:
"Wolfgang Niedecken and Friends plus a very special Feuerwerk" findet
am 14.Oktober in der very spezial Jahrhunderthalle zu Bochum statt.

* * *

(kleiner Nachtrag zum "Spex"-Interview über Digitalisierung:
"Der totale Datenverlust.
Was mich ärgert am Sterben, ist die Löschung aller Informationen, die ich im
Kopf habe. Wozu war ich in der Schule? Der Inhalt einiger tausend Bücher ist in
meinem Kopf gespeichert. Das alles ist mit einem Schlag weg. Andere müssen es
sich mühsam wieder aneignen. Ich weiß jetzt schon, wie dumm sie sich dabei anstellen
werden. Ich bin entbehrlich. Vielleicht auch das Wissen in meinem Kopf. Aber es
ist unersetzlich. Was wir dringend brauchen, ist eine Methode, von meinem
Gehirn eine Sicherheitskopie anzulegen. Auf einen Chip von der Größe des Nagels
meines kleinen Fingers würde alles draufpassen."
Peter O. Chotjewitz)

* * *

Eine kurze Meldung aus der "Berliner Zeitung":
"Opium-Rekordernte am Hindukusch.
Kabul. Die Produktion des Heroin-Rohstoffs Opium in Afghanistan ist laut einem
UN-Bericht in diesem Jahr um mehr als 30 Prozent auf einen neuen Rekordstand
gewachsen. In der Saison 2007 seien in Afghanistan 8 200 Tonnen Opium geerntet
worden, teilte das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC)
mit."
Da weiß man doch, wofür die Bundeswehr das Vaterland am Hindukusch verteidigt…

* * *

Merkwürdige Sachen gibt's. Da liest man einen Bericht, daß sich ausgerechnet
Punks und Hardcore-Musiker der "Straight-Edge"-Bewegung angeschlossen
haben - kein Alkohol, keine Zigaretten, Verzicht auf Drogen, Promiskuität und
auf den Konsum von tierischen Produkten. In dem "FAZ"-Artikel heißt
es über den Musiker André Moraweck demzufolge: "Seitdem trinkt er am
liebsten alkoholfreies Radler, rührt keine Zigaretten mehr an, geht nicht
gleich mit jeder Frau ins Bett"… Der Sänger der Metalcore-Band Maroon ißt
am liebsten gutbürgerlich: "Ich bin eher so der Biedere. Oder sagen wir
mal, ich wohne auf dem Dorf, hab's gern ordentlich und hör' gern andere Musik,
als ich selbst mache: Klassik, ruhige Folkmusik oder experimentelle Avantgardemusik."

Essen tut der Thüringer am liebsten Tofuschnitzel mit Rotkohl und Klößen.
Straight edge eben.

* * *

Auch Skandal-Rapper Bushido hats zuhause gerne straight edge: "Klingt
ziemlich spießig, privat bin ich auch ein Spießer. (…) Zu Hause will ich meine
Ruhe haben. Hecken schneiden, Depeche Mode hören und Frikadellen brutzeln. Das
ist wie bei Heinz Rühmann." Glaub ich sofort, und aufs Wort!

* * *

In den Grundschulen hierzulande fallen lt. "Berliner Zeitung" 80
Prozent des Musikunterreichts aus.

* * *

An der "Schengen-Grenze", quasi also der Außengrenze der EU, sind in
den letzten 10 Jahren 7000 Menschen zu Tode gekommen (Quelle: Philippe
Rekacewicz, "Grenzen in Bewegung, Menschen in Bewegung", Serie von 12
Zeichnungen, aus: Documenta Magazine 1-3, 2007). Vielleicht könnten all
diejenigen, die auch knapp 18 Jahre nach Fall der Mauer nur ständig über die
Schießbefehle dort diskutieren können, denen 125 Menschen zum Opfer fielen,
sich mal mit der Wahrung der Menschenrechte an den EU-Grenzen beschäftigen?
Und: wer ist verantwortlich für diese Todesopfer an den EU-Grenzen? Faktisch,
und moralisch?
Wer hat von der europäischen Grenzschutzagentur "Frontex" (was für
ein Name!) gehört, einer "Behörde" mit Sitz in, ja, Warschau, die den
zuständigen nationalen Dienststellen beim "Schutz der
EU-Außengrenzen" helfen soll. Im Internet kann man Fotos vom Frontex-Chef
mit Schäuble finden. Frontex hat dieses Jahr 40 Millionen Euro zur Verfügung,
die diesjährige Frontex-Operation im Mittelmeer heißt "Nautilus",
drei Schiffe waren beteiligt, "Deutschland stellte zwei Hubschrauber zur
Verfügung. Ziel war es, im zentralen Mittelmeer die Schleuserroute von Libyen
nach Malta und Lampedusa zu überwachen" ("FAZ").
Die genannte Zahl von 7000 Todesopfern in 10 Jahren dürfte vom "Le Monde
diplomatique"-Autor Rekacewicz eher noch gering geschätzt sein, worauf
etwa die der Polemik in diesem Fall unverdächtige "FAZ" in einem
größeren Artikel hinweist: "Allerdings weist William Spindler von der
Genfer UNHCR-Zentrale auf einen tragischen Nebeneffekt dieser Politik hin: Da
die kurzen Seewege zwischen Afrika und Europa mittlerweile besser überwacht
würden, nähmen die Einwanderer lange und gefährliche Routen in Kauf, wie etwa
von der Elfenbeinküste oder von Guinea auf die Kanaren. "Das ist viel
gefährlicher, denn die Überfahrt dauert dann nicht mehr ein oder zwei, sondern
mehrere Tage." Vorläufige Zahlen deuten darauf hin, daß aus diesem Grund
immer mehr Migranten ertrinken. Alleine in Spanien sind in Medienberichten in
diesem Jahr 400 Todesopfer erwähnt worden, Nichtregierungsorganisationen
sprechen dort sogar von mehr als 1000 Menschen, die den Traum von einer
Übersiedlung nach Europa mit dem Leben bezahlen."
Der SPD-Abgeordnete Wolfgang Kreissl-Dörfler kritisiert, daß Frontex eine
Sommerpause bei der Überwachung der EU-Außengrenze einlegt: "Eine
Organisation, die nicht da ist, wenn Highlife ist, die kann zumachen".
Die Verbrecher haben Namen, Gesichter, Adressen, wußte schon Bertolt Brecht.

* * *

"Während es Maciunas darum ging, die Kunst von den entwürdigenden
Kinkerlitzchen und debilen Attitüden, die ihr der Kunstmarkt aufzwingt, zu
reinigen, sie radikal vom Markt, auch vom Markt der Eitelkeiten, zu trennen,
und die Künstler wieder mit sinnvollen Tätigkeiten zu beschäftigen, erleben wir
heute die Apotheose eines als Kunst oder Antikunst deklarierten
Schwachsinns." Peter O. Chotjewitz

* * *

Und: seien Sie in diesen Septembertagen vorsichtig!
Verwenden Sie keinesfalls das Wort "Gentrifikation".
Der Begriff bezeichnet die Aufwertung und Verteuerung bestimmter Stadtteile und
die damit einhergehende Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung - man kann
das von Richard Sennett bis Mike Davis nachlesen.
Die Bundesanwaltschaft freilich wirft einem Soziologen nicht etwa die direkte
Teilnahme an bestimmten Taten vor, sondern daß er in seinen veröffentlichten
Schriften "Schlagwörter und Phrasen" verwende, die auch in den
Bekennerschreiben der "militanten gruppe" auftauchten. Einer dieser
Begriffe ist eben "Gentrifikation".
Die Anklage lautet auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Wie schreibt die "FAS" so hübsch: "…wenn der Gebrauch des
Begriffs unter Strafe gestellt wird, müßte man beim nächsten
Stadtsoziologenweltkongreß die Mehrzahl der Teilnehmer verhaften." Aber
ungefähr so haben sich Schäuble und Konsorten das auch vorgestellt…

Also: Gentrifikation! Gentrifikation! Gentrifikation! Murmeln Sie das vor sich
hin! Summen Sie das Wörtchen auf der Straße! Seien Sie § 129a!

08.08.2007

Und Ansonsten 2007-08-08

Der
Mensch ist schwach, ich weiß. Und ich ganz besonders. Mehrfach wurde an dieser
Stelle bereits das Diktum verkündet: Die "grüne Gurke" (taz) Claudia
Roth ist nicht mehr satisfikationsfähig. Aber was kann unsereiner tun, wenn es
immer wieder aus der grünen Menschenrechtsgurke rausläuft, zum Beispiel so (lt.
"Der Standard", Internetausgabe):
"Die Steinigung eines wegen Ehebruchs im Iran zum Tode verurteilten
Iraners hat im Westen heftige Proteste ausgelöst (…) In Deutschland erklärte
die Grünen-Chefin Claudia Roth, die iranische Staatsführung stehe "in der
Pflicht, die Zusagen der Internationalen Gemeinschaft gegenüber einzuhalten,
die besonders grausamen Strafen nicht mehr zu praktizieren und sie
längerfristig abzuschaffen.""
Das darf man sich ruhig mal auf der Zunge zergehen lassen.
Ob Claudia Roth damit zufrieden wäre, wenn im Iran zukünftig nur noch ein
bißchen gesteinigt würde? Oder in welchem Zeitraum sollen Steinigungen
"längerfristig" abgeschafft werden? Also ruhig noch drei vier Jahre
weiter steinigen, und dann schaun wer mal?
Die Hilflosigkeit der internationalen Politik ist das eine. Die Art und Weise,
wie aber noch die tragischsten Ereignisse einer plumpen grünen Politikerin dazu
dienen, sich den Medien anzuwanzen, ist mit dem Begriff "ekelhaft"
viel zu schwach beschrieben.

* * *

Unsereiner erlebt schon etwas mehr als "klammheimliche Freude", wenn
er lesen darf, daß das "Live Earth-Konzert" in der Hamburger
HSH-Nordbank-Arena (sic) floppte und nur 29.000 statt 45.000 Karten verkauft
wurden. Besonders hübsch der letzte Absatz der "Musikwoche"-Meldung:
"Neben dem operativen Minus schlägt sich vor allem eine Abgabe in Höhe von
750.000 Euro an die "Alliance for Climate Protection", die weltweite
Live-Earth-Initiative, negativ in den Büchern nieder. Dieser Betrag soll die
Umweltbelastungen ausgleichen, die durch die Reisen und den Transport der
Künstler und ihrer Entourage entstanden ist. Das neunstündige Konzert selbst
wurde klimaneutral durchgeführt."
Mal ganz abgesehen davon, wie das funktionieren mag, ein Konzert
"klimaneutral" durchzuführen, scheint mir ein wesentlicher Posten im
Saldo zu fehlen: Die akustische Umweltverschmutzung, die durch dieses Konzert
hervorgerufen wurde. Da haben die Organisatoren wieder mal zu kurz gerechnet…

* * *

"Fortune favors the bold." Ben Weaver

* * *

"What would you most like to see recycled?"
"I'd recycle the major record companies into a landfill site. The only
problem would be the poisonous gas they would give off."
Britische
Manager-Legende Ed Bicknell beantwortet eine Frage des "IQ"-Magazins.

* * *

Truly "indie": "Sonic Youth" machen eine Compilation mit
eigenen Tracks, die exklusiv bei Starbucks erhältlich ist. Und Thurston Moore
vergleicht lt. "Visions" diesen Schritt verquast mit dem
"Kitzel, den kleine Bands auslösten durch winzige Auflagen und Tour-Only-Releases".
Ach Sonic Youth…
Handfester gegenüber dem umstrittenen Kaffeeröster, der zuletzt durch seine
ausbeuterische Praxis gegenüber äthiopischen Kaffeebauern in die Schlagzeilen
geraten war, war da der Schritt der chinesischen Regierung, die den
Starbucks-Laden inmitten der "Verbotenen Stadt" nun verboten hat.

* * *

Wir lasen auf "Spiegel Online": "Der einzige Rockmusiker in
leitender Ordenfunktion, Abtprimas Notker Wolf von den Benediktinern, saß am
vergangenen Mittwoch im Gewölberest des antiken Pompeius-Theaters und aß
Tartar. Dazu sagte er: ""Highway to hell" spiele ich gerne. Aber
"Sympathy for the Devil" geht zu weit."
So sind sie, die Katholiken.

* * *

Unser aufmerksamer Rundbrief-Leser Wiglaf Droste hat völlig zu Recht einen
Fehler in der letzten "Und ansonsten"-Rubrik moniert - der Slogan der
Rhöner "Bionade"-Limo heißt nämlich nicht, wie von mir aus dem
Gedächtnis zitiert, "Das offizielle Getränk für eine bessere Welt",
sondern: "Das offizielle Getränk einer besseren Welt", wozu Droste
anmerkt:
"Was heißt, daß es diese "bessere Welt" also schon gibt, z.B. in
Bionade aufgelöst. Dazu paßt die "Bild"-Reklame "Jede Wahrheit
braucht eine Mutige, die sie ausspricht", mit Alice Schwarzer. Es wuchs
zusammen, was immer zusammengehörte."
Das hätten wir nicht besser sagen können.

* * *

Schöne Compilations auf Shanachie, zum Beispiel "King Sunny Ade - Gems
From The Classic Years (1967 - 1974)" - Aufnahmen, die in jeden ordentlich
sortierten Plattenschrank gehören (und zwar nicht nur in die
Weltmusik-Abteilung). Deprimierend aber, wie lieblos diese Compilations
herausgegeben werden - kein genaues Tracklisting, keine genauen
Besetzungsangaben per Track, keine Einspieldaten (soweit recherchierbar) - da
haben namhafte Firmen eigentlich längst einen anderen Standard festgeschrieben.
Auch so eine Form unterschwelligen Neokolonialismus'.

* * *

"Was durch künstlerische Qualität schon lange nicht mehr gelingt,
funktioniert wenigstens mal wieder durch Provokation und durch öffentlich
ausgestellte Dummheit", konstatiert der Autor der "Berliner
Zeitung" in einem Artikel zum ekelhaften "Neger Neger"-Album von
B-Tight auf dem Berliner Label "Aggro Berlin" - und lenkt davon ab,
daß eine Provokation nur dann funktioniert, wenn sie allüberall aufgegriffen
wird, damit sich zweitklassige Feuilletonisten darüber ereifern und
Zeilenhonorar schinden können. So auch geschehen im Feuilleton-Aufmacher der
"Berliner Zeitung", die nicht etwa diesen, mit Verlaub, Scheiß
einfach ignoriert, sondern noch gezielt anheizt, indem sie das Cover des
Albums, eigens vergrößert, in ihrer Zeitung abbildet.
Dann darf der Autor auch gleich weiter daherfantasieren: "Seit Wochen
steht der deutsche Hiphop im Zentrum der öffentlichen Debatte." Genau.
Bemerkt hat das allerdings nur das Feuilleton der Berliner Zeitung - der Rest
der Medien beobachtete den G8-Gipfel, das Radler-Doping, den Eisenbahnerstreik,
die Diskussion um die Verschärfung der Gesetze zur sogenannten "Inneren
Sicherheit" - von deutschem HipHop in der öffentlichen Diskussion keine
Spur. Aber da für Journalismus heute in aller Regel gilt, daß er die selbst
aufgestellten Behauptungen auch selbst zu beweisen hat, eine Art vorwegnehmende
"self-fulfilling prophecy" gewissermaßen, hat der Autor der Zeitung
natürlich ganz recht - was der Zeitung ein Aufmacher ihres Feuilletons wert
ist, muß ja förmlich im Zentrum der öffentlichen Debatte stehen. Quod errat
demonstrandumm.

* * *

"Es gibt fast keine Schwierigkeiten, die man nicht mittels Davonlaufen
erträglicher machen kann (Probleme löst man so natürlich nicht, aber auf
Lösungen kommt es in der Praxis selten an)." Dietmar Dath

05.07.2007

Und Ansonsten 2007-07-05

Mochte
die Lieder von Georg Danzer immer sehr, ohne ein eingefleischter Fan des Wiener
Liedermachers zu sein. Und dennoch machte mich der Tod Danzers so melancholisch
wie manche seiner Lieder. Wie so etwas kommt? Ich weiß es nicht.
Ich erinnere mich, wie eine Freundin zu Land-WG-Zeiten um 1980 rum eine
Danzer-Kassette mitbrachte, und was man da an "Liedermacherei" hörte,
war in dem Genre so befreiend wie auf andere Art das erste Hören von sagen wir
Roxy Music oder N.R.B.Q. - daß so etwas ging! Wow! "Sex-Appeal" oder
"Der legendäre Wixer-Blues vom 7.Oktober 1976". Da sang einer in sich
sehr ernst nehmenden, in gewissermaßen alternativ-stalinistischen Zeiten mit
Ironie, mit Selbstironie gar, mit Leichtigkeit, mit Hang zur Melancholie
natürlich auch.
Und so kaufte man zwar nicht viele Alben von Georg Danzer, hörte aber immer
wieder mal seine Lieder, und immer blieb man kurz still, wenn man etwas von
Danzer hörte, und freute sich an seinem Ton. Das witzige "Komm zieh dich
aus" so wie das fabelhafte "I bin a Kniera". Und wer noch nie in
seinem Leben Momente wie "Laß mi amoi no d'Sun aufgeh segn" oder
"I wü no ned hamgeh" erlebt hat, der soll meinetwegen weiter zu
moralinsaurer deutscher Liedermacherei greifen. Ich jedenfalls kann
Feuilletons, die keine Nachrufe auf den großen Georg Danzer gedruckt haben,
nicht ernst nehmen. Danke, SZ, und: Danke, FAZ! Und: Adieu, Georg Danzer.

* * *

In der "Jazzthetik" war in einer Konzertkritik über "Die Zimmermänner"
zu lesen:
"Durch ein geduldiges
Herauszögern des Konzertbeginns dürfen die Musiker schließlich mehr als ihr
Vierfaches vor der Bühne begrüßen, womit der Abend zuvor, in Frankfurt, schon
mal locker getoppt wurde. Merkwürdig ist solches Desinteresse schon, denn in
der einschlägigen Pop-Presse ist das erstaunliche Comeback der Band (…)
durchaus ein Thema für nostalgische Herzensergüsse zumeist älterer Mitarbeiter
gewesen."
Nun, "erstaunlich" ist das alles für unsereinen nicht wirklich. Ich
kanns gerne erklären: Einer der "Zimmermänner" ist ein renommierter
Musikjournalist, der seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten für verschiedene
Popmagazine wie auch andere Publikationen schreibt. Und daß im deutschen
Popjournalismus ein Korpsgeist herrscht, gegen den das preußische Militär eine
Anarchistentruppe war, ist nichts wirklich Neues.
Ein anderer "Zimmermann" ist Managing Director einer der größten
multinationalen Konzerte der Unterhaltungsindustrie, mithin auch
(Mit-)Verwalter eines nennenswerten Marketingbudgets. Also, daß die Presse da
eher Jubelarien denn Verrisse über so eine Band schreibt, erscheint mir nur zu
logisch. Daß das Publikum allerdings auf den Quatsch trotzdem nicht reinfällt,
beweist dann schon wieder eine Unabhängigkeit des Geschmacks, den man sich an
anderer Stelle ebenfalls wünschen würde…

* * *

Meldung von "Musikwoche.de":
"EMI hat sich den
Rauswurf von Alain Levy bisher rund 4,6 Millionen Pfund, umgerechnet 6,8
Millionen Euro, kosten lassen. Und der bis Mitte Januar als CEO und Chairman
der Tonträgersparte EMI Recorded Music tätige Topmanager erhält auch weiterhin
Geld.
Zusätzlich zu seinem
Basisgehalt von 912.100 Pfund (1,3 Millionen Euro) soll Levy leistungsabhängige
Zahlungen in Höhe von 1,1 Millionen Pfund (1,6 Millionen Euro) sowie eine
Abfindung von 2,5 Millionen Pfund (3,7 Millionen Euro) bekommen haben."

Und die kürzlich von EMI unter Vertrag genommene Gruppe Bratsch muß sich ihre
Promo-CDs (also CDs, die für die Werbung von Tourneekonzerten verwendet werden)
von der EMI für EUR 12,99 kaufen, weil dafür bei dem Konzern kein Geld mehr
übrig ist…

* * *

Eigentlich ist die sogenannte "Bionade" ja ein nicht unsympathisches
(Kleinbrauerei aus der Rhön z.B.) und noch dazu durchaus schmackhaftes Produkt.
Was die Firma allerdings bewogen haben mag, nun eine große Werbekampagne unter
der Schlagzeile "Das offizielle Getränk für eine bessere Welt" zu
fahren, ist nicht zu verstehen. Habt ihrs nicht paar Nummern kleiner, bitte?
"Limonadengetränk für Bob Geldof" zum Beispiel?

* * *

Laut Pressetext ist das "Leitmotiv"
beim diesjährigen Berliner popdeurope-Festival "der Alltag von jungen Migranten in den europäischen
Metropolen, der Versuch des Zusammenlebens, der Erfolg und das Scheitern im
Miteinander der Kulturen". Deswegen hat man dann konsequent
auch Bands und Künstler wie Mia, Ohrbooten oder Shantel als Headliner des
Festivals gebucht, die ja bekanntermaßen allesamt bestens den Alltag junger
Migranten in den europäischen Metropolen repräsentieren…

* * *

Ich finde übrigens, daß einschlägig bekannte Kreise der EsPeDe Übles wollen.
Etwa, indem sie der Partei eine Krise andichten wollen angesichts aktueller
Umfragewerte - wobei gemeinhin übersehen wird, wie deutlich die alte Tante das
FDP-"Projekt 18" zu übertreffen immer noch in der Lage ist.
Oder neulich, da ging die "Spiegel"-Meldung durch die Welt, in der
SPD-Bundestagsfraktion würden seit Jahren Zeitarbeitskräfte zu Niedriglöhnen
beschäftigt. So arbeiten Sekretärinnen bei der SPD-Bundestagsfraktion für 6,70
Euro pro Stunde. Dann wird hämisch darauf hingewiesen, daß die SPD in der
Großen Koalition für einen gesetzlichen Mindestlohn bei Zeitarbeit von 7,15
Euro (West) und 6,22 Euro (Ost) eintrete, woraus offensichtlich und aus purer
Polemik ein Widerspruch hergeleitet wird.
Dabei vergessen die selbstgefälligen Kommentatoren gerne, daß der Reichstag und
mithin auch die Bundestagsbüros in "Mitte", also im Osten Berlins
liegen, wo naturgemäß immer noch Ost-Tarife Gültigkeit besitzen. Und mit ihrem
Stundenlohn von 6,70 Euro hat die SPD-Bundestagsfraktion freiwillig und
durchaus heldenhaft ihre eigenen Ziele eines Mindestlohns (Ost) von 6,22 Euro
um satte 7,7% übertroffen. Wenn das mal kein Tarifergebnis ist - 7,7 Prozent!

16.06.2007

Und Ansonsten 2007-06-16

Vorsicht!
Sie betreten den ironischen Sektor dieses Rundbriefes! Hier wird gnadenlos
gescherzt und polemisiert. Eltern haften für ihre Kinder! Die Redaktionen
haften für ihre Journalisten! Explicit content!

* * *
"Wie der komplexe
Handel mit gegenseitigen Gefälligkeiten zwischen Marke, Band und Musikpresse
funktionieren kann, läßt sich am Beispiel Rock Liga exemplarisch beschreiben
(…) Die Musikzeitungen garantieren kontinuierliche Berichterstattung über das
halbe Jahr, in dem die Konzerte stattfinden, gewähren kleine Bevorzugungen wie
zum Beispiel das Abdrucken jener Bandfotos mit Hirschlogo. Sie bekommen dafür
Anzeigen, die unter anderem deshalb wichtig sind, weil sie andere
konkurrierende Markenkunden anziehen. Ungeschriebenes Gesetz einer solchen
"Medienpartnerschaft" scheint zu sein, daß sich eine kritische Berichterstattung
über die Veranstaltung verbietet. Da bei der Rock Liga fast die gesamte
Musikpresse mit im Boot sitzt, ist es nicht weiter verwunderlich, wenn die
meisten Blätter, der Einfachheit halber mehr oder minder offen die Promotexte
ihres Auftraggebers abdrucken. Wie groß die Angst ist, Anzeigenkunden zu
vergraulen, erlebe ich, als ich bei der Intro, mit einer Auflage von 110 000
eines der größten deutschen Musikmagazine, und dem MusikExpress, einem der
ältesten, nachfrage, ob sie nicht Interesse hätten an einem Text über die Rock
Liga.
Die betroffenen Redakteure,
die ich als Journalisten durchaus schätze, antworten unzweideutig: "Sorry,
wir sind da hochgradig verstrickt." Oder: "Mitmachen oder nicht, das
gilt für uns Medien genauso wie für die Bands." Markus Hablizel, als
ehemaliger Redakteur der Spex früher ebenfalls Teil der Verstrickung,
beschreibt die Abhängigkeiten so: "Was definitiv nicht gegangen wäre, ist,
daß wir erst Ankündigungen drucken und dann hingehen und sagen: Die Rock Liga,
das ist eine Scheißveranstaltung. Der Veranstalter ist ja ein Anzeigenkunde vom
Verlag. Das wird dir der Verlag jederzeit rausschmeißen."
Ted Gaier in "Die Zeit" über die "Jägermeister Rock Liga"

* * *

In Berlin-Kreuzberg wird McDonald's dieses Jahr eine Filiale eröffnen. Meines
Wissens gab es zuletzt weltweit lediglich in Kreuzberg und in Nordkorea keine
McDonald's-Filialen - zumindest mit der einen Lücke hat der US-Konzern nun
aufgeräumt…
"Das Schönste an Tokio
ist McDonalds. Das Schönste an Stockholm ist McDonalds. Das Schönste an Florenz
ist McDonalds. Peking und Moskau haben bisher nichts Schönes."
(Andy Warhol, vor Jahrzehnten…)

* * *

"Um ihr neues
Mode-Label in ein interessantes Licht zu stellen, haben Annabelle Mandeng und
Jesko Klatt ihren Werbeclip im Holocaust-Mahnmal aufgenommen."
(TIP Berlin). Zwei erfolgreiche Pop-Unternehmer - "sie hat erfolgreich gemodelt, souverän Galas
moderiert, trat als Schauspielerin mehrfach in Fernsehfilmen und Serien auf und
hat auch beim Prominenten-Eislaufwettbewerb "Stars auf Eis" auf PRO 7
eine gute Figur gemacht", berichtet in einer merkwürdig (und
gleichzeitig passend) verdrucksten Sprache der "Tip" - er, "Ex-Beleuchter, Ex-Barkeeper und
jetzt Betreiber des Clubrestaurants Spindler & Klatt" -
nun haben sie ein neues, gemeinsames Mode-Label namens "Pureberlin",
das "nur noch wie das
I-Tüpfelchen auf einer umfassenden Erfolgsstory wirkt".
"Ja, es ist das
Holocaust-Mahnmal, erklärt Jesko Klatt auf tip-Anfrage. Zusammen mit dem
Regisseur Roman Kuhn, der unter anderem für BMW, die Zigarettenmarke West und
die Bekleidungskette C&A Werbefilme gedreht hat, habe er sich "bewußt
entschieden, daß das in unseren Augen kein Problem darstellt". Jesko Klatt
ist überzeugt, daß sie mit dem Pureberlin-Clip "eine Location"
positiv eingebunden hätten, "die ein Teil von Berlin darstellt, und die
dem Zweck dient, eine Erinnerung am Leben zu halten.""
Mal ganz abgesehen vom Grad der Widerlichkeit, mit dem dieser selbsternannte
Hipster von einem Holocaust-Mahnmal nur als "Location" reden kann (er
hätte sicher auch keine Probleme, seine Mode in einem KZ zu präsentieren, da
würde er sich mit dem Werbefilmer sicher auch "bewußt entscheiden, daß das
in unseren Augen kein Problem darstellt"…) - irgendwie haben sie ja auch
Recht - hier kommt "Pureberlin" ganz genau zu sich selbst. Der
Werbefilmer hat schon für Nazibetriebe gedreht, im "Spindlers und
Klatt" finden auch die Parties der "Yellow Lounge" statt, man
kann also gleich den Wagner-Soundtrack der "Deutschen Grammophon" beim
Catwalking durch die Stelen des Mahnmals verwenden, und so fügt sich in
Pureberlin ganz pur das eine zum anderen. Ekelhaft.

* * *

"Und wenn aus einer
Profession POP wird - siehe unsere Jungschriftsteller von der Firma
KiWi -, dann wird alles
Gewerbe, in jeder Bedeutung des Wortes."
Wiglaf Droste

* * *

Und nochmal Wiglaf Droste, über einen Medienliebling unserer Zeit:
"Was Johannes B. Kerner
in der Welt der medialen Pfannenschwinger tut, hat mit Kochen nichts zu tun,
nicht einmal mit Kochfernsehen (…) Die Mischung aus Gedankenarmut,
uneingeschränktem Abgreiferinstinkt und Ich-hab's-geschafft-Erfolgsgrienen
imponiert hierzulande nicht wenigen; so substanzfern wie Kerner kämen viele
Landsleute auch gern durch ein zusammengelogenes Teuerteuerleben. Müssen dafür
aber unschuldige Filets verbraten werden?"
Nun bin ich seit Längerem der Meinung, daß Kerner in der Klasse von Claudia
Roth spielt, nämlich: in der Klasse der im Grunde
"Nicht-Satisfikations-Würdigen". Aber manchmal dürfen Ausnahmen
gemacht werden. Mir wurde dieser Tage erzählt, wie Bohlen bei Kerner war und
nebenher einfließen ließ, daß er mitunter Musik als Computerfiles verschicken
würde, und daß Kerner dann, ganz Streber, "wissend" einfließen ließ:
"Als PDF-File…" und Bohlen jovial korrigierte: "Nö, als
MP3…" In diesem Moment wäre ich gern dabeigewesen, hätte ich diese Show
gerne einmal 30 Sekunden lang gesehen - wie Kerner einmal Musik als PDF-File
verschickt hat….

* * *

Hübscher kleiner Streit zwischen Frau Merkel und Herrn Putin über die
Demonstrationsfreiheit. Ich möchte ja keineswegs eine Lanze brechen für die
Situation der Menschenrechte in Rußland - wie man allerdings als
Bundeskanzlerin zu einer Zeit, da die Bundesregierung Grundrechte massiv einschränkt
und weiter beschränken will, anderen Staaten über Demonstrationsfreiheit
Vorhaltungen machen kann, läßt sich eigentlich nur so erklären, daß es so schön
klirrt, wenn man im Glashaus mit Steinen wirft…
"Wenn gewalttätige
Demonstranten festgenommen würden, sei das eine Sache. Wenn jemand schon auf
dem Weg zu einer Demonstration festgenommen werde, sei das etwas völlig
anderes", so Frau Merkel lt. FAZ vom 19.5.07.
"Die Polizei stattet
Globalisierungsgegnern im Vorfeld des G-8-Gipfels Hausbesuche ab. Dabei würden
diese vor einer Reise nach Heiligendamm gewarnt, sagte ein Sprecher des
Innenministeriums gestern. (…) Es gehe um eine Zahl im zweistelligen Bereich.
Die Polizei will Demonstrationen rund um den Gipfelort Heiligendamm
verbieten." (dpa-Meldung am gleichen Tag)

* * *

Wie man überhaupt selbst als im Grunde politisch recht desillusionierter
Zeitgenosse über die aktuellen Aktivitäten des Staates, hierzulande Grundrechte
mit den Füßen zu treten, nur staunen kann: Da müssen sich die Herrschenden mit
einem riesigen Zaun, der eher an die Berliner "Mauer" erinnert und
der samt Sicherheitsschnickschnack mehr gekostet hat als die komplette
documenta 2007, vor denen schützen, die sie zu repräsentieren vorgeben; da
greifen hiesige Polizisten zu Stasi-Methoden und sichern Geruchsproben von
Demonstranten; da wird Journalisten die Akkreditierung beim G8-Gipfel
verweigert; da müssen sich die Behörden erst von Gerichten das
Demonstrationsrecht buchstabieren lassen; da finden skandalöse
Hausdurchsuchungen statt, u.a. angeblich, um ein Buch zu finden, das seit
einigen Jahren in jeder Buchhandlung zu kaufen ist; da werden Demonstranten zu
Terroristen gemacht und mit dem Polizeistaatsparagraphen 129a angeklagt, da
können Bürger für 14 Tage in "Unterbindungsgewahrsam" genommen
werden, und und und…
Es ist hier nicht Platz und auch nicht der Raum, dies alles ausführlich
darzustellen und zu kommentieren; wen es interessiert, der sei eingeladen, z.B.
einen Blick auf diesen Aufruf zu werfen: http://129akriminalisiertprotest.wordpress.com

Und was von den ebenso lächerlichen wie ärgerlichen PR-Aktionen von Popgrößen
und Popsternchen von Bono über Grönemeyer bis Wir sind Helden zu halten ist,
dazu hat Berthold Seliger schon vor paar Jahren einen Text für
"Konkret" geschrieben, der auch heute noch ein gültiger Kommentar zu
dem Gewese ist: "Cui Bono?" Kann man auf unserer Website noch mal
lesen, unter "Texte".
Übrigens: Im aktuellen "Spiegel" wurde aus einem geheimen Stabspapier
des Kanzleramts zitiert, unmittelbar nach dem Besuch Geldofs bei Merkel, bei
dem diese ihm von den 750 Millionen Euro erzählt hat, die die Deutschen 2008
zusätzlich für Entwicklungshilfe ausgeben wollen: "Bob Geldof habe ihr
versichert, daß er bei einem solchen Schritt persönlich auf Kritiker wie
Herbert Grönemeyer Einfluß nehmen werde, um deren Kritik zu mäßigen."
Bisher hatte ich mir den Kalauer ja verkniffen, weil Namenskalauer generell
verboten sind, aber nun, da Bob Geldof sich als "Bild"-Chefredakteur
zum nützlichen Idioten (wobei die Betonung auf Letzterem liegt…) gemacht hat,
soll es doch sein: Kein Wunder, daß man aus dem Namen Bob Geldof sowohl die
Wörter "Geld" als auch "doof" zusammenbasteln kann…
Tschuldigung.

* * *

Wie es ja bei G8 ohnedies nur auf die Deutungshoheit über die Symbole ankommt,
auf die "Codes". Da versuchen sich Merkel und in ihrem Gefolge
Wieczorek-Zeul etc. durch die Anhebung der Entwicklungshilfe für Afrika um 750
Millionen Euro ins rechte Licht zu rücken - während die schwarze Angela und die
rote Heidi die Selbstverpflichtung der Erhöhung der Entwicklungshilfe durch die
G8-Staaten die letzten Jahre deutlich unterschreiten, und auch die jetzt
angekündigten 750 Millionen Euro nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Und
das Geld nicht etwa, wie per Selbstverpflichtung längst festgelegt, aus dem
Bundeshaushalt kommen, sondern über neue Finanzierungsinstrumente
erwirtschaftet werden soll.

* * *

"Die Zeit" wirbt für ihr neues altes Magazin namens "Leben"
mit dem werbe-üblichen Dreier-Wortgeklingel: Denken. Fühlen. Leben.
Was den Werbern dazu an Bildersprachen eingefallen ist, bringt die alte Tante
so ziemlich genau auf den Punkt, ist hübsch selbst-entlarvend: Das Foto zu
"Denken" zeigt den rauchenden Helmut Schmidt. Das Foto zu
"Fühlen" zeigt eine junge Frau in rotem (!) Kleid mit Ausschnitt -
klar, fürs Denken ist bei der alten Tante noch allemal der Mann, fürs Fühlen
die Frau zuständig (letztere aber auch nur in einer sexy Anmachversion). Und
fürs "Leben" dann das "Zeit magazin"… Was für ein
trostloses Leben.

* * *

"Beck were he
belongs."
Titel der "Offside"-Kolumne von Duleep Allirajah in "Sp!ked
Online" zum Wechsel Beckhams in die Disney-Liga

* * *

In einem Artikel über den überschätzten chinesischen Pianisten Lang Lang im
"Spiegel" stellt Moritz von Uslar nicht ganz korrekt fest: "Der
Konsument muß also begreifen, daß die große Kunst - Wahrheit, Eigensinn,
Innovation - in der Klassik in den seltensten Fällen direkt neben der Kasse
liegt, im Pop dagegen immer wieder doch. Das ist er, der letzte griffige
Unterschied zwischen Pop und Klassik im Sommer 2007."
Als ob die multinationalen Unterhaltungskonzerne, die das "Modern
Talking" der Musikindustrie prägen, ganz gleich ob im Pop- oder im Klassikbereich,
nicht längst die Plätze neben der Kasse als Monopol besetzt hielten. Und als ob
man im Popbereich weniger auf Entdeckungsreise jenseits des von den Multis und
ihrer Manipulationsindustrie geprägten Mainstreams gehen müßte. Sonst aber hat er
natürlich Recht, der Autor, wenn er den großen Grigorij Sokolov über das
Marketingprodukt Lang Lang stellt. Gut gebrüllt, Löwe - auf Seite 183.
Auf Seite 184 liest man in einer Anzeige des "Spiegel Shop"
"unsere aktuelle Empfehlung: Aus unserem großen Angebot von rund 1,6
Millionen spannenden, faszinierenden, exklusiven Produkten" hat der
"Spiegel" für seinen Shop nicht etwa CDs des Klavierriesen Sokolov
oder einer spannenden Sängerin wie der Callas "für Sie
zusammengestellt", sondern wirbt für eine CD von "Badewanna"
Netrebko ("Figaro-Highlights"), die zwei Seiten vorher noch als
Beispiel "für Popstar-Ruhm, wie ihn nur Sportler und Schauspieler
kennen" aus dem redaktionellen Teil des Blattes zusammen mit Lang Lang
lächeln darf.
An der Kasse ist der "Spiegel Shop" halt ein Geschäft wie jedes
andere auch…

* * *

Liebe deutsche Verlage!
Daß ihr den schönen, kurzen Text von Jean-Philippe Toussaint über Zidane
("La Mélancolie de Zidane") über das Finale der
Fußball-Weltmeisterschaft nicht übersetzt und hierzulande veröffentlicht habt,
ist zwar überraschend, weil die anderen Bücher Toussaints ja mit ziemlichem
Erfolg erscheinen - aber geschenkt, ihr habt sicher anderes zu tun, und
hierzulande gilt es ja eher, den Mythos von den freundlich-patriotischen Teutonen
und ihrem "Sommermärchen" zu pflegen und zu befeuern, also sei euch
das verziehen.

Wie ihr es allerdings wagen könnt, das berührend-wunderbare Buch "Lettre à
D." des großen André Gorz immer noch nicht auf Deutsch veröffentlicht zu
haben, das ist nicht zu akzeptieren. Und schon gar nicht, wenn man sich all den
Müll betrachtet, den ihr sonst so auf unschuldiges Papier druckt.

Bei der Gelegenheit dürft ihr auch gerne sofort Georg Kneplers
"Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts" wieder auflegen, die skandalöserweise
nur noch antiquarisch erhältlich ist!

Jetzt aber los!

16.05.2007

Und Ansonsten 2007-05-16

Vor
kurzem haben wir an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen, daß
Umweltminister Gabriel sich vor seiner Tätigkeit in der Bundesregierung als
Autoindustrie-Lobbyist hervorgetan hat. Da nehmen neuerliche
Pro-Auto-Äußerungen von "Siggi Pop" Gabriel nicht Wunder: der
EU-Umweltkommissar Dimas hatte von Deutschland ein Tempolimit auf Autobahnen
gefordert und darauf hingewiesen, daß ein derartiges Tempolimit praktisch
überall in Europa und in Amerika längst vollzogen und akzeptiert werde - "nur in Deutschland wird das
merkwürdigerweise kontrovers diskutiert", so der
EU-Umweltkommissar. Da hatte Gabriel, der Autolobbyist im Pelz des
Umweltministers, nichts Eiligeres zu tun, als solch ein Tempolimit abzulehnen,
das sei "kein Mittel,
um das Klima zu schützen", so Gabriel.
Und der SPD-Fraktionsvorsitzende Struck schob nach: "Ich schließe mich der Warnung vor der
Klima-Hysterie ausdrücklich an." Plötzlich stehe nur noch der
Klimawandel an der Spitze und Arbeitsplätze in Deutschland seien egal, so
Struck. "Wenn wir eine
Debatte darüber führen, wie viel Gramm Kohlendioxid ein Auto ausstoßen darf,
dann müssen wir die Auswirkungen auf die Unternehmen im Auge haben",
so der SPD-Fraktionsvorsitzende. Es gehe auch um den Wirtschaftsstandort
Deutschland.

* * *

Eine Meldung der Nachrichtenagentur AP:
"Mit Bestürzung haben
Kommunalpolitiker aus New York auf das Bundeswehr-Video reagiert, in dem
Wehrdienstleistende zum Feuern auf "Afroamerikaner" in der Bronx
aufgefordert werden. Der Bürgermeister des Stadtteils, Adolfo Carrion,
erklärte, das negative Image, das da verbreitet werde, stimme ihn sehr traurig.
Die Bundesregierung müsse Aufklärungs- und Erziehungsarbeit leisten. Von der
Bundeswehr verlange er eine Entschuldigung. Dies sei das Mindeste, was die
schwarzen Einwohner der Bronx erwarten könnten."
In den 80er Jahren wurde die "kriegsnahe Ausbildung" der Bundeswehr
diskutiert. Ist das hier ein Blick in die Zukunft weiterer
Out-of-Area-Einsätze, was die außer Rand und Band befindliche Bundeswehr gerade
plant und üben läßt?
Es mußten "Verteidigungs"minister schon aus geringeren Anlässen
zurücktreten…

* * *

Was natürlich genauso für einen wie Oettinger gilt.
Man kann ja fast froh sein, daß Hitler bereits unter der Erde ist, Oettinger
würde sicher auch behaupten, Hitler sei nie ein Nazi gewesen…

* * *

Speaking of - schon lange keinen Hitlerfilm mehr beworben gesehen. Es müssen
gefühlte drei oder vier Monate her sein… Was ist los in Deutschland?

* * *

Allerdings - wenn man bei "buecher.de" die Audio CDs "Elias
Canetti, Leben und Werk" bestellt (sehr schön darauf das Gespräch von
Adorno und Canetti über "Masse und Macht" - auf höherem Niveau haben
zwei große Intellektuelle wohl selten aneinander vorbeigeredet…), taucht als
"Vorschlag der Redaktion" auf: "Im toten Winkel, Hitlers
Sekretärin, zusammen für EUR 28,94". Pervers.

* * *

"Live Earth", die sogenannte "globale
Benefiz-Konzertserie", wollen auch die Antarktis als "siebten
Kontinent" in die Show einbinden (jetzt wollen wir uns nicht darüber
unterhalten, wie es um entweder Mathematik und/oder um Allgemeinbildung der
Musikpresse steht…).
Schöner können sich die selbsternannten Gutmenschen des Rockbusiness, die
kostenlose Promotion für ihre Künstler suchen und sonst gar nichts, nicht
selbst entlarven.
Bob Geldof wird übrigens in Kürze eine Ausgabe der "Blöd"-Zeitung als
Chefredakteur betreuen. Und im Herbst auf Tournee gehen. Unsereinen wundert
schon lange gar nichts mehr…

* * *

Ein SPD-Verteidigungsexperte namens Rainer Arnold forderte den Rücktritt
Bischof Mixas als Militärbischof angesichts Mixas Äußerungen, es sei
"inhuman" und "gegen die Würde der Frau", wenn sie ihr Kind
maximal ein Jahr betreue, wieder in die Wirtschaft gehe und wenig Kontakt zum
Kind habe (na ja, wenn Rabenmütter ständig "in die Wirtschaft" gehen,
hm, ehrlich, das finde ich glaube ich auch nicht gut…).
Dies nahm SPD-Arnold zum Anlaß, den Rücktritt Mixas als Militärbischof zu fordern,
Mixa sei in diesem Amt "nicht mehr tragbar".
Und ich finde genau das Gegenteil. Ich finde, daß Bischof Mixa sich mit
solcherart Äußerungen ganz perfekt zum Militärbischof der Bundesrepublik
Deutschland qualifiziert.

* * *

"Das Schöne am Genuß ist:
Kulinarischen Geist kann man sich für kein Geld der Welt kaufen. Selbst mit
BAföG kann man eine würdevolle Küche betreiben. Auch ein kleines Gehalt kann
man für gutes Essen statt für die neuesten Turnschuhe mit Reflektoren ausgeben.
Die Reflexe des Herdentieres, die Verführungen der Industrie, die Einlullung
durchs Fernsehen - das sind die eigentlichen Feinde der kulinarischen Kultur.
(…) Ohne Hirn kein G'schmack. Aber mehr eine Frage der Persönlichkeit. Genießer
reflektieren, sind wählerisch, Individualisten."
Vincent Klink

(dieser Newsletter empfiehlt die Zeitschrift "Häuptling eigener
Herd". Dies ist keine bezahlte Anzeige)

* * *

Toll ist es, wenn Musikjournalisten, die ja (völlig zurecht, damit da keine
Mißverständnisse auftauchen!) stets umsonst in alle Konzerte kommen und in
aller Regel auch für begleitende Partner keinen Eintritt bezahlen müssen, wenn
derartige Journalisten also Vorschläge machen, daß ein Konzert doch bitte
komplett bestuhlt werden solle, damit weniger Leute ins Konzert kommen und die
Konzentration besser gewährleistet sei. Klar, dem Herrn Journalisten, der
umsonst ins Konzert kommt, kann es ja egal sein, wenn durch eine Verringerung
der Zuschauerzahl die Ticketpreise um ein Viertel bis ein Drittel steigen
würden…

* * *

Im "Jazz-Echo" von "Verve" die Schlagzeile: "Gelassen verlassen - Drogen,
Sex, Skandale - Natalie Cole hat alles getan, um dem Schatten ihres Vaters Nat
"King" Cole zu entkommen." Man muß sich das mal
vorstellen: Frau Cole hatte Sex, um dem Schatten ihres Vaters zu entkommen.
Eine echte Ödipussy, will uns der Autor wohl glauben machen.

* * *

"Musik für
Erwachsene" nannte Arnold Schönberg die Kunst der höchsten
Konstruktivität von Bach, Mozart, Beethoven und Brahms. Denn "reife Menschen denken komplex,
und je höher ihre Intelligenz ist, um so größer ist die Anzahl der
Komplexeinheiten, mit denen sie vertraut sind."
Und sehr schön fügt Wolfgang Schreiber in der "Süddeutschen Zeitung"
hinzu: "insoweit ist
der Verdacht musikalischer Infantilisierung im Bereich heutigen
Pop-Klassikgehabes kaum von der Hand zu weisen".

Mein Tipp: Besuchen Sie die Konzerte "erwachsener" (Pop-)Musik, die
diese Agentur in den nächsten Monaten anbietet.

05.04.2007

Und Ansonsten 2007-04-05

"Denn
die politische und kulturelle Agenda bestimmten längst andere. Joachim Fests
eitle Selbstdarstellung als Kind aufgeklärten Preußentums, Florian
Langenscheidts 250 Gründe, unser Land heute zu lieben, Günter Grass'
Eingeständnis, nicht nur Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, sondern vor
allem: während der Fußball-WM fröhlich die Nationalhymne mitgesungen zu haben.
Mit allerhand Getöse rauschte eine Debatte über die neue Bürgerlichkeit durch
die Feuilletons und nicht die Grünen, nicht die SPD, auch nicht die Linkspartei
formulieren progressive Familienpolitik. Sondern CDU-Ministerin Ursula von der
Leyen. Gleichzeitig müssen deutsche Soldaten wieder lernen, wie das ist mit dem
Kämpfen, und das Waldsterben erscheint angesichts der Klimakatastrophe wie eine
Kinderkrankheit. Widerstand? Protest? Besser nicht. Das Leben, so lautet die
Lehre der jüngeren Zeit, ist schon riskant genug. Die einzig existierende
Subkultur, das ist die unangenehme Wahrheit, kommt von rechts." Jan Heidtmann in
"Süddeutsche Zeitung Magazin"

* * *

Da waren sich die beiden Berliner Tageszeitungen mal einig in ihrem self
fulling journalism, im Behauptungsjournalismus unserer Tage, und sie titelten
unisono:
"Merkel führt EU zur
Klimawende" (Der Tagesspiegel), oder gar:
"Merkel bringt Europa
auf Öko-Kurs" (Berliner Zeitung).
Was war passiert? Nicht einmal die Unterschlagzeile der "Berliner
Zeitung", daß "20
Prozent weniger Treibhausgase bis 2020" vereinbart worden
waren, hielt ja einer näheren Untersuchung stand, denn diese Reduktion um ein
Fünftel wird am Stand des Jahres 1990 (!) gemessen.
Wenn die EU-Staaten sich an den Klimapakt von Kyoto halten, der ohnedies bis
zum Jahr 2012 eine Reduzierung des Ausstoßes an Treibhausgasen um 15 Prozent
vorsah, sind die zusätzlichen 5 Prozent auf der Basis von 1990 nicht viel mehr
als Augenwischerei. Solange Kanzlerin Merkel sich in der Praxis als
Auto-Kanzlerin geriert, braucht man sie und ihre vermeintlichen Bemühungen um
eine Klimawende sowieso nicht ernst zu nehmen. In der jüngsten Debatte um
Abgasreduktionen hat Angela Merkel bewiesen, daß sie durchaus in der
Kontinuität von anderen Auto-Fördern steht, von Adolf Hitler über Helmut
Schmidt bis Gerhard Schröder. Hitler sagte: "Es
ist unser eiserner Wille, durch Förderung des Automobilwesens nicht nur
Hunderttausenden von Menschen Arbeit und Brot zu geben, sondern damit auch
immer größeren Massen unseres Volkes die Gelegenheit zu bieten, dieses
modernste Verkehrsmittel zu erwerben." Merkel ist mit ihrer
Zurückweisung der EU-Schadstoffsenkungs-Vorgaben davon weder inhaltlich noch
demagogisch weit entfernt: "Ich
werde mit aller Härte gegen die EU-Vorgaben kämpfen. Es geht hier um
Zehntausende Arbeitsplätze in der deutschen Autobranche".

* * *

Der ehemalige SPD-Pop-Beauftragte ("Siggy Pop") und mittlerweile aus
irgendwelchen dubiosen Gründen Umweltminister Sigmar Gabriel übrigens war 2005,
als der Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD ausgehandelt wurde, Mitinhaber
der Firma Cones, die in Brüssel Lobbyarbeit für VW und den Verband Europäischer
Automobilhersteller, Alcea, machte. Der damalige Alcea-Präsident war VW-Chef
Bernd Pischetsrieder. Ein Jahr zuvor war Gabriel in seiner Funktion als
niedersächsischer Ministerpräsident noch stellvertretender Aufsichtsratschef von
VW gewesen. Gabriel nahm, während er Mitinhaber von Cones war, bereits als
zukünftiger Umweltminister an dem Ausschuß teil, der den Koalitionsvertrag
aushandelte. Ganz zufällig liegt der EU-Kompromiß dieser Tage auf der Linie,
die Ende 2005 im Koalitionsvertrag markiert wurde - ein Kompromiß, wie er von
den Lobbyisten Cones und Alcea seinerzeit in Brüssel forciert wurde… ein
erstaunlich effizientes Zusammenspiel von Autokanzlerin Merkel und dem
vermeintlichen Klima-Anwalt Gabriel. Politik, das ist eben ein schmutziges
Geschäft, ich weiß. (Fakten zitiert nach Konkret 3/07).

* * *

Laut Bericht des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) hat die
Opiumwirtschaft in Afghanistan ein "beispielloses Ausmaß" erreicht.
Im Jahr 2006 habe die Produktion um 49 Prozent zugenommen. Mehr als 90 Prozent
des weltweit produzierten Opiums stammten aus Afghanistan.
Der Mohnanbau am Hindukusch jagt von Rekordernte zu Rekordernte, die ständig
steigenden Profite aus dem Opium- und Heroinhandel fließen in die Taschen von
Druglords und in die der wiedererstarkten Taliban.
Den deutschen Soldaten und ihrem out of area-Einsatz sei Dank.

* * *
"Ich glaube, Nein zu
sagen geht auch jetzt noch. Aber wird aus dem Protest eine Form, ist sie am
nächsten Tag gleich bei Stefan Raab. Was soll man da noch machen?" Schorsch
Kamerun

* * *

Der hierzulande in praktisch allen Positionen, von Schwiegersohn der Nation bis
zum Kanzler, als Idealbesetzung geltende Potsdamer Multi-Immobilienbesitzer
Günther Jauch sperrt sich zusammen mit anderen "Prominenten" gegen
eine moderne Bebauung der Museumsinsel. Er unterstützt die entsprechende,
peinliche Protestbewegung, die möchte, das auf der Museumsinsel alles so
bleibt, wie's unter Hitler aussah…
Jauch, zigfacher Immobilienbesitzer in Potsdam, tat sich dortselbst auf
Gutsherrenart hervor: er weigerte sich laut eigener Aussage, weitere Immobilien
zu erwerben, um nicht wieder den gleichen Sachbearbeitern der
Denkmalschutzbehörde begegnen zu müssen. Der Oberbürgermeister der brandenburgischen
Stadt verhielt sich, wie man es erwartet hat: er nahm sich Jauchs Kritik zu
Herzen und ersuchte beim Großgrundbesitzer unterwürfigst um Entschuldigung -
brandenburgische Bücklingspolitik, Jahrzehnte bestens eingeübt…

* * *

Ob all die Gutmenschen, von Harald Schmidt bis Günther Jauch, die den deutschen
"wir sind Papst" Benedikt so toll finden, irgendeine Meinung dazu
haben, daß Benedikt jetzt wieder mal den Ratzinger raushängen läßt und in Süd-
und Mittelamerika Berufsverbote gegen Befreiungstheologen erteilt?

* * *

"…ich finde MTV
verabscheuungswürdig. Der Sender betrügt eine Generation junger Menschen, indem
er ihnen einen verlogenen materialistischen Lebensstil vorführt: Rock'n'Roll
bei MTV ist nicht mehr Ausdruck von Kunst und Politik, es geht bloß noch um Sex
und Geld."
Patti Smith in einem Interview mit "Der Spiegel"
Herzlich willkommen, Patti Smith, am 23.Juni in Berlin!

* * *
"In
"Revolution" besingen die Anarcho-Bengel "die in Lügen ertränkte
Welt", fordern auf, die "F*** dich-Shirts" auszupacken.
"Was um uns passiert, ist nun mal nicht immer schön", klärt uns
Rapper Timo (19) auf."
Die "Hamburger Morgenpost" über die Teenie-Band "Nevada
Tan". Tempora mutantur. Wenn heutzutage junge Bands an Revolution denken,
dann denken sie daran, ihr "F+++ dich-Shirt auszupacken" (nicht
einmal anzuziehen, scheinbar). Und traun sich nicht mal, das böse F-Wort
auszuschreiben….

* * *

"Die Popmusik, einst
treibende Kraft der Subversion, ist nur noch eine folgenlose Umarmung des
Lebens, die nur noch verspricht, daß eben nichts passiert." Diedrich
Diederichsen

* * *

Die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann, eine lutheranische
Mixa-Ausgabe im Miniaturformat, die gerne als Maßeinheit für den Weg von einem
Fettnäpfchen ins nächste dienen würde, findet, der Film "Die Flucht"
helfe, "die
Vergangenheit zu verstehen" , denn über das Leid der Deutschen
wurde bislang "meist
geschwiegen" . Stimmt, in den letzten Jahrzehnten sind nur
Hunderte von Filmen und Dokumentationen gezeigt worden, die sich mit dem Leben
und Leiden der Deutschen vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg
beschäftigen. Günter Grassens "Krebsgang" zum Beispiel durfte meines
Wissens hierzulande gar nicht erscheinen, wie der Autor ja in hiesigen
Feuilletons ohnedies völlig totgeschwiegen wird.
Ich finde, daß das Bemerkenswerteste an "Die Flucht" ohnedies die
Tatsache darstellt, daß Maria Furtwängler in die falsche Richtung flieht, sie
sollte eher in Sibirien landen und nicht auf heimische Bildschirme
zurückkehren…

* * *

Speaking of Grass: Der hat soeben auf der Leipziger Buchmesse von der "Entartung des deutschen
Journalismus" gefaselt. Wäre Grass in irgendeiner Kategorie
ernstzunehmen, müßte man sich Gedanken machen - so aber kann man einfach nur
sagen: einer dieser Unverbesserlichen, einmal SS, immer SS.

* * *

Überhaupt sind grad wieder alle etwas außer Rand und Band, irgendwie muß von
der Spree bis an die Isar irgendeine Droge an die Frischluft gelangt sein…
nehmen wir die CSU-Latex-Domina (hatten wir übrigens gleich geahnt, irgendwie)
"Sankt Pauli", an deren banalen Fotos sich höchstens noch
CSU-Funktionäre aufgeilen können. Aber was tat die Latex-Lady? Sie tat, als ob
die Fotos ohne ihr Einverständnis gemacht worden seien, und sie fühlt sich
arglistig getäuscht… jo mei…

* * *

Oder der bairische Problembär Edmund, der plötzlich einen (wenn auch nicht
roten, sondern blau-weißen) Kranz mit Schleife am Mausoleum des vietnamesischen
Revolutionsführers Ho Chi Minh niedergelegt hat… jo mei…

* * *

Oder nehmen wir den deutsch-deutschen Problem-Wolf namens Biermann, der findet,
daß es "verbrecherisch
sei, daß in Berlin "die
SPD mit der PDS ins Bett geht" . Ach Wölfchen, wie hättstes
denn gerne?
Auf jeden Fall standen die Granden von SPD und PDS gerne bereit, um sich vom
Biermann wie ein Tanzbär am Nasenring durch die Manage ziehen zu lassen… wäre
nicht passiert, hätten sie statt Problemwolf Biermann den kleinen Eisbär
"Knut" zum Berliner Ehrenbürger ernannt. Was ungefähr gleich effektiv
und schlau gewesen wäre…

* * *

Waren zwei Kumpel in Kölle. Der eine hat eine Plattenfirma, der andere ist
Journalist. Der Kumpel mit der Plattenfirma hat einen französischen Chansonstar
unter Vertrag genommen und lädt seinen Journalisten-Kumpel nach Paris ein,
damit der über den Chanson-Star schreibt. Und der Journalisten-Kumpel liefert
auch brav eine Jubelarie über den Chanson-Star ab, nicht, ohne seinen
Plattenfirmen-Kumpel in dem Artikel mit einem eigenen Jubelabsatz zu bedenken.
Nun sind wir alle keine heurigen Hasen und wissen, daß neunzig Prozent des
deutschen Musikjournalismus reiner Gefälligkeitsjournalismus ist, korrupt bis
zum Gehtnichtmehr. Wenn man so etwas aber mal nicht beim Hintertupfinger
Almboten, sondern bei der "Süddeutschen Zeitung" konstatieren darf,
zieht man doch ein bisserl die Augenbrauen hoch. Vielleicht für eine
Viertelsekunde, denn eigentlich weiß man ja, daß…

* * *

Toll auch, wie die "Berliner Zeitung" sich in ihrem Pop-Feuilleton
zwar ellenlang des Bartes von Bonnie "Prince" Billy annahm, dann aber
weder Energie noch Sorgfalt auf die Auswahl des richtigen Fotos zum
Konzertbericht verwenden konnte und ihren Lesern den Support-Act Sir Richard
Bishop als "Will Oldham
aus Kentucky" verkaufte.
Abgründige Bildunterschrift: "Schützt
sein Innenleben mit diversen Identitäten"… ah ja.

* * *

Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck manövriert sich sehenden Auges in die Ecke
zwischen Latex-Pauli und Plantsche-Scharping. Da ist hierzulande
zugegebenermaßen viel Platz…
Neuerdings wirbt Beck auf großen Plakaten für urdeutsche Musik und sagt "Ja zum deutschen Schlager!"

Auch wir sagen unbedingt "Ja", nämlich zum deutschen Osterfest.

25.03.2007

Und Ansonsten 2007-03-25

Eine
drollige Einrichtung, die deutsche Sozialdemokratie, die manchmal mutig immer
noch als "Volkspartei" bezeichnet wird: In Wiesbaden schaffte es die
SPD zwar noch, einen Bürgermeisterkandidaten aufzustellen, scheiterte aber am
Versuch, diesen Kandidaten rechtzeitig zur Wahl anzumelden. In Hamburg
scheiterte die SPD bereits daran, überhaupt einen Bürgermeisterkandidaten
aufzustellen. "Genosse Trend": es wird böse enden…

* * *

Zeitungs-Schlagzeilen vom 27.Februar 2007:
"UN-Gericht spricht Serbien der Beihilfe zum Völkermord für schuldig."
(Berliner Zeitung)
"Keine direkte Schuld Belgrads am Massaker von Srebrenica." (Neue
Zürcher Zeitung)
"Serbien vom Vorwurf des Völkermords freigesprochen." (Frankfurter
Allgemeine Zeitung)
Ach, was lob ich mir die Pressefreiheit!
(Bei der Gelegenheit: Zwei der vier bisherigen Ministerpräsidenten des Kosovo
sind schwerer Kriegsverbrechen verdächtig. Mit Hilfe der UN-Verwaltung im
Kosovo wurden entsprechende Haftbefehle bisher nicht vollstreckt, oder der
ehemalige Ministerpräsident Ramush Haradinaj kam gar auf Intervention der
UN-Verwaltung nach mehrmonatiger Untersuchungshaft in Den Haag wieder frei; der
BND in einer Analyse Anfang 2005: "Die im Raum Decani auf Familienclan
basierende Struktur um Ramush Haradinaj befaßt sich mit dem gesamten Spektrum
krimineller, politischer und militärischer Aktivitäten, die die
Sicherheitsverhältnisse im gesamten Kosovo erheblich beeinflussen. Die Gruppe
zählt ca. 100 Mitglieder und betätigt sich im Drogen- und Waffenschmuggel und
im illegalen Handel mit zollpflichtigen Waren." Derartiges liest man in
hiesigen Tageszeitungen praktisch nicht, Pressefreiheit hin, Pressefreiheit
her…)

* * *

Thees Uhlmann, Sänger von Tomte und Mitgeschäftsführer von "Grand Hotel
van Cleef Musik" und bekanntermaßen Lautsprecher der Branche, dessen
Wortmeldungen leider hinsichtlich Großmäuligkeit versus Intelligenzgrad nicht
selten indirekt proportional sind, vergießt Krokodilstränen, als Grand Hotel
van Cleef Music der Öffentlichkeit mitteilen, daß man nun eine eigene
Booking-Agentur betreibe: "Dass wir creative talent und insbesondere
unseren Freund Philipp Styra verlassen mußten, war so schlimm, wie mit zwei
Freundinnen gleichzeitig Schluß zu machen - und das am Tag, an dem der
Lieblingsverein absteigt."
Sicher wurde Herr Uhlmann als Mitgeschäftsführer von Grand Hotel van Cleef
Musik mindestens unter Waffengewalt gezwungen, diese Entscheidung gegen seinen
bisherigen Tourneeveranstalter zu treffen. Nur so ist die mißlungene Metapher
aus der Ausnüchterungszelle zu erklären.

* * *

Eine dieser Schlagzeilen, wie ich sie liebe:
"Daimler-Chrysler-Aktie schnellt auf Rekordhöhen. 13.000 Jobs in den USA
auf der Kippe (…) schon belohnt die Börse den kriselnden Autokonzern…"
(aus "Spiegel Online").

* * *

Gespensterdebatten noch und nöcher.
Teil einer Strategie, von den tatsächlichen gesellschaftlichen Problemen
abzulenken.
Gespensterdebatte I: RAF. Wieder einmal. In regelmäßigen Abständen. Betrachtet
man die so schrillen wie zum großen Teil skurillen Wortmeldungen von
CDU/CSU-Funktionären wie Ronald Pofalla, Markus Söder oder Günther Beckstein,
dann fühlt man sich nicht nur um dreißig Jahre zurückversetzt, sondern man
merkt auch deutlich, daß diese Herren in keinster Weise eine rechtsstaatliche
Gesinnung vorweisen, die sie ihrem politischen Gegner doch so gerne absprechen.
Man kann zu den Äußerungen des ehemaligen RAF-Mitglieds Christian Klar zur
Linken Lateinamerikas und zum Kapitalismus als solchem stehen wie man will,
Tatsache bleibt, daß dies erstens allgemein politische Äußerungen sind, die
hierzulande gemacht werden dürfen, die damit sogar dem Gedanken der
"Resozialisierung" entgegenkommen, und daß die politischen Äußerungen
eines Gefangenen nun einmal zweitens nichts damit zu tun haben, ob
rechtsstaatliche Gedanken wie die vorzeitige Freilassung wegen "guter
Führung" oder eine vorzeitige Begnadigung durch den Bundespräsidenten
umgesetzt werden.

* * *

Gespensterdebatte II: Die Frage der Kinderbetreuung in der Bundesrepublik. Auf
Typen wie den Augsburger Bischof muß man in diesem Kontext nicht eingehen, die
katholische Kirche und allen voran diverse deutsche Bischöfe haben sich über
Jahrzehnte selbst disqualifiziert als ernstzunehmende familienpolitische
Gesprächspartner.
Warum aber hierzulande über einen einigermaßen vernünftigen Vorschlag
tatsächlich noch diskutiert werden muß, ist ebenso rätselhaft wie die
Schlafmützigkeit der SPD, die sich in dieser Frage ausgerechnet von einer
konservativen Familienministerin der CDU wie ein gescheiterter Tanzbär am
Nasenring durch die Manege ziehen läßt (wenn man mal davon absieht, daß der
Elterngeld-Vorschlag, den die große Koalition nun umgesetzt hat, noch aus der
Feder von Renate Schmidt stammt).
Die Art, wie hier eine Politik, die ein Minimum an gesellschaftlicher Realität
und Modernität umsetzt, diskutiert und von bestimmter Seite diffamiert wird,
zeichnet ein trauriges Bild einer im Grunde kinderfeindlichen
bundesrepublikanischen Gesellschaft, deren meiste familienpolitische Konzepte
letztendlich aus dem Geist des 19.Jahrhunderts, des Biedermeier geboren wurden.

18.02.2007

Und Ansonsten 2007-02-18

Eine
schöne Erfindung, die „Digitale Bibliothek“, Werke aus Philosophie, Musik oder
Literatur auf CD, mit komfortabler Suchfunktion. Weniger schön ist allerdings
die Erfahrung, die man mit der Kulanz der Firma Directmedia Publishing machen durfte.
Eine CD war beim Herauslösen aus dem Digipack zerbrochen, man hat sie
eingeschickt mit der Bitte, sie zu ersetzen. Vergeblich. Angeboten wurde, da
die betreffende CD nicht mehr erhältlich sei, eine ähnliche CD der Reihe
„Digitale Bibliothek“, allerdings unter neuerlicher Berechnung, und obendrauf
sollte man sogar noch die Versandkosten bezahlen – Kulanz, wie sie sie
verstehen…
Auf die Beschwerde hin, daß das doch nicht wahr sein könne, daß die Digitale
Bibliothek ja wahrlich kein billiges Vergnügen sei und man hier locker Werke
von Directmedia Publishing im Wert von mehreren hundert Euro herumstehen habe,
schrieb ein Stefan Tollkühn durchaus tollkühn zurück: „Die Problematik ist
weniger ein Materialfehler, als in der Regel falsches Entnehmen aus der Hülle.
Bitte beachten Sie, daß Sie mit dem Daumen den Knopf in der Mitte der
Verpackung runterdrücken, um die Aretierhaken der DVD-Hülle zu lösen.
Gleichzeitig ziehen Sie mit dem Zeigefinger die DVD aus der Hülle“
(Rechtschreibfehler im Original).
Daß ich das noch erleben durfte, daß mir jemand das unfallfreie Herauslösen
einer CD oder DVD aus einem Digipack erklärt…
Jetzt fehlt nur noch, daß Directmedia Publishing eine CD in der Reihe „Digitale
Bibliothek“ herausgibt, auf der Wörter wie „Kulanz“ oder „Service“ oder
„Kundenbindung“ erläutert werden. Das wäre sozusagen ein tollkühner Vorstoß in
die richtige Richtung.

* * *

Gut gefallen hat mir die Meldung von „Musikwoche.de“, daß sich „River Concerts“
als örtlicher Veranstalter der DEAG von Pop- und Klassik-Konzerten in Hamburg,
wie man auf „Musikindustriesprech“ so schön sagt, „aufstellt“.
DEAG-Vorstandsvorsitzender Schwenkow brachte den Sinn und Zweck von River
Concerts auf den Punkt: sein Unternehmen wolle mit der neu gegründeten Tochter
seine „Wertschöpfungskette verlängern“. Um Musik und Kultur geht es nicht.

* * *

„Mögen die Schallplattenfirmen mit gigantischem Werbeaufwand Jungstars wie Lang
Lang oder Hélène Grimaud zu massenkompatiblen Yellow-Press-Lieblingen
hochpushen: András Schiff kann die neue Medienwelt nichts anhaben. Der
53-jährige Ungar wird als kompromißloser Werkexeget verehrt, ein
Intellektueller, der nichts gelten läßt außer dem Notentext, zugleich Deuter
und Diener der Partitur.“ (Tagesspiegel Berlin)
Und das ist auch gut so. Der erste Klavierabend seines Berliner
Beethoven-Sonaten-Zyklus war jedenfalls ein Konzerthighlight – schön, daß es
das neben all den hochgepushten, aber meist zweit- bis drittklassigen
Zeitgeist-Klassik-Sternchen noch gibt!

* * *

Und wenn wir schon von hervorragenden „Konzerten“ sprechen: der Auftritt von
Wiglaf Droste im gleichen Monat im „Berliner Ensemble“ muß da in einem Atemzug
genannt werden.

* * *

„Die Popgeschichte in ihrem Lauf hält bekanntlich weder Ochs noch Esel auf.“
Schönes und schön doppelbödiges Zitat in einem Grönemeyer-Artikel in der „FAZ“.
Aber was war doch gleich wieder mit dem Verursacher des Originalzitats bald
darauf passiert? Darf man Ähnliches nun für Grönemeyer, soll man Ähnliches nun
fürs FAZ-Feuilleton erwarten?

* * *

Rocko Schamoni über die Popkultur:
„Zu viel Kraft landet in etwas, das wie eine Billigpizza konsumiert wird.“

* * *

Ein Politiker, wie neulich zu sehen war auch zu doof zum Stimmenzählen,
brabbelt über Orkan Kyrill:
„Erst habe ich mir im Fernsehen die Berichterstattung angesehen. Gegen
Mitternacht bin ich dann raus in den Garten und habe mir den Orkan in echt
angeschaut.“ (Walter Momper, aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen Präsident
des Berliner Abgeordnetenhauses, laut „Zeit“).
Und so machen diese Herren auch Politik: erst schauen sie sich die
Berichterstattung an, dann versuchen sie, live dabei zu sein…

* * *

„Man kann auch sein Ding durchziehen, anstatt bloß immer den neuesten
Scheißhausparolen hinterherzuhumpeln und Heil zu schreien, wenn es die
„BILD“-Zeitung oder der „SPIEGEL“ oder ARTE anordnen.“ (Dietmar Dath, Dirac)

* * *

Regelmäßig wird’s in diesem Rundbrief beklagt: Viele Journalisten sind zu faul
für so etwas Altmodisches wie „Recherche“, und zudem offensichtlich mit etwas
Intellektuellem wie „Analyse“ heillos überfordert.
Im Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ am 20.1. wurde das nachgeplappert, was
unhinterfragt in den Branchendiensten des Music Bizz berichtet wird:
„Am 11.Januar wiederum machte eine Pressemeldung der Londoner EMI Group auch
dem letzten Optimisten deutlich, daß der gefürchtete Sturzflug einer
strukturell angeschlagenen Branche begonnen hat. Die EMI-Musikchefs Alain Levy
und David Munns sind gefeuert. Konzernboß Eric Nicoli, der einst vom
Kekskonzern United Bisquit in die Musik wechselte, muß ein drastisches
Sparprogramm in Höhe von 166,4 Millionen Euro umsetzen. Laut Sunday Times
sollen weltweit mindestens 900 EMI-Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren.“
Wir wollen nun gar nicht auf sprachliche und inhaltliche Holprigkeiten eingehen
(Nicoli wechselte wohl eher nicht von einem Kekskonzern „in die Musik“, sondern
höchstens zu einem Konzern der Musikindustrie – oder man beachte das schöne,
neoliberale „muß“ im Kontext der Massenentlassung, dem armen Kapitalisten
bleibt halt wieder mal gar nichts übrig…). Aber es wäre doch wohl nicht zu viel
verlangt gewesen, diese Meldung einmal zu hinterfragen – eine kleine Recherche
hätte bereits ausgereicht. In der „FAZ“ vom 13.1.d.J. läßt sich u.a. nachlesen:

„Im Zeitraum 2005/06 (31.März) hatte der Musikkonzern (…) weltweit noch rund 2
Milliarden Pfund erlöst und einen Betriebsgewinn von 250 Millionen Pfund (376
Millionen Euro) erwirtschaftet.“
Ein Betriebsgewinn von 376 Millionen Euro! Nun sind wir alle keine heurigen Hasen
und wissen von Bilanzierungstricks und Schönrechenspielen. Aber dennoch: einen
Verlust kann man nicht zu einem derartigen Betriebsgewinn hochrechnen. Also,
das sind wirklich gar fürchterliche Zahlen. Da müssen umgehend Hunderte von
Arbeitsplätzen gestrichen, fast tausend Mitarbeiter entlassen werden, das
versteht doch jeder… Shareholder value rules.

* * *

Im Übrigen, zurück zur Eingangsbemerkung dieses Rundbriefes, wünsche ich
eigentlich nicht mehr, mit irgend jemandem mich übers Musikbusiness unterhalten
zu müssen, der nicht wenigstens das Buch „a dysfunctional success – The
Wreckless Eric Manual“ von Eric Goulden gelesen hat…

* * *

Im letzten Rundbrief wurde es bereits berichtet: die schwer von
Zweitklassigkeit und Weihnachtsverlust gebeutelte Klüngel-Kapitale Köln schießt
im Nazi-Jargon zurück – nach dem „Kölner Stadtanzeiger“ und verschiedenen
Ex-„Spex“-Redakteuren (siehe „Spex, die Flakhelfer-Söhne und die Popmusik“ auf
unserer Website unter „Texte“) dreht nun auch der Trainer des 1.FC Köln auf:
Christoph Daum verwendete den Freddy Quinn-Song „100 Mann und ein Befehl“, um
seine Zweitliga-Kicker zu motivieren. In der Kabine mußten umgedichtete
Liedzeilen von den Profis gesungen werden. Kostprobe lt. „FAS“: „30 Mann und
nur ein Ziel. Und ein Weg, den jeder will. Fern von zu Haus’ ist einerlei, denn
ich bin bei den 30 Mann dabei.“
Übrigens – erinnert sich irgendwer daran, daß Daum vor Unzeiten mal kurz als
Lichtgestalt des deutschen Fußballs galt? Vom Daum zum Däumling ists manchmal
nur so weit wie eine kleine Linie Koks…

* * *

„Oh Mann. Hat Deutschland Style oder hat Deutschland keinen Style?“
Eine wohl eher rhetorische Frage von Jan Delay bei Raabs „Bundesvision Song
Contest“. Die sich übrigens auch allein schon dadurch beantworten läßt, daß ein
Jan Delay es für nötig hält, an diesem „Contest“ teilzunehmen. Auf seinem Album
„searching for the jan soul rebels“ sang Jan Delay noch: „die mit dem
sonnenbank-funk und dem talkshow-soul / die mit dem kaufhaus-punk und
hannoveranischem rockaroll / ihr wählt doch auch sonst immer das falsche, wenn
ihr die wahl habt / ihr steht doch sonst auch immer auf sauber, ordentlich und
aalglatt! / (und darum) / möchte ich nicht, daß ihr meine lieder singt!“…

* * *

Eigentlich war ich ja davon ausgegangen, daß ein erledigter Fall wie Heinz
Rudolf Kunze nicht nur als „Musiker“, sondern auch generell seine Klappe hält.
Aber nein, er hat es gewagt, ein neues Album zu veröffentlichen, und da er aus
unerklärlichen Gründen als Sachverständiger (boah!) der Enquete-Kommission
„Kultur in Deutschland“ im Bundestag fungiert (da könnte man mit Jan Delay
fragen: Oh Mann. Hat Deutschland Kultur, oder hat Deutschland keine Kultur
mehr? wenn jeder Hinz und Kunze im Bundestag Sachverständiger für Kultur
spielen darf…), hat er auch ein Thesenpapier (boah!) zum Stand des
Kulturjournalismus (boah!) vorgelegt. Darin finden sich neue schöne Sätze von
Kunze, der vor noch nicht allzu langer Zeit gegen „die Flut von ausländischem
Schund“ in deutschen Radios gewettert hat:
„Radio ist Lärmterror für Schwundhirne“ (deswegen möchte Kunze wohl gern im
Radio gespielt werden, haha…), es sei „die systematische Verkürzung und
Verstümmelung der Wahrheit: nicht nur der ästhetischen. Primitive
umgangssprachliche Metastasen durchwuchern die Sprechhaltung am Mikrophon“. So
schwurbelt ein Ex-Lehrer legasthenisch daher, dem noch nie je auch nur eine
Metapher gelungen ist. Aber Kunze setzt noch einen drauf:
„Es gibt einen Flüsterkonsens der Medienarbeiter in den Kantinen, der an das
verdruckste Einverständnis von Mitläufern in Diktaturen erinnert.“ Nun ist der
Autor dieses Rundbriefes bekanntermaßen kein Freund der Entwicklung der
bundesdeutschen Radiolandschaft, aber daß das Nichtspielen von Zeugs des Heinz
Rudolf Kunze, das ja für sich gesehen durchaus eine geschmackssichere Tat
darstellt, nur als „Diktatur“ erklärt werden könnte, scheint doch ein ganz
klein wenig hochgegriffen. (alle Zitate lt. FAS)
Schöne Grüße daher an die flüsternden Medienarbeiter in den Kantinen!

10.01.2007

Und Ansonsten 2007-01-10

Laut
der "Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung" (GKKE) von
katholischer und evangelischer Kirche sind die Werte der im Jahr 2005 von der
BRD ausgeführten Kriegswaffen gegenüber dem Vorjahr um 44 Prozent auf 1,6
Milliarden Euro gestiegen. Auch bei den Ausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen
und andere Rüstungsgüter ist von 2004 zu 2005 ein Anstieg um 11 Prozent zu
verzeichnen.
Der Wert der Exportgenehmigungen in Entwicklungsländer hat sich von 429
Millionen Euro in 2004 auf 911 Millionen Euro in 2005 mehr als verdoppelt.
Die Bundesregierung wertet diese Zahlen als "Ausdruck einer restriktiven
Politik der Rüstungsausfuhren". Und die Erde ist eine Scheibe. (zitiert
nach "Berliner Zeitung")

* * *

Wir erinnern uns an "Deutschland, ein Sommermärchen", die Fußball-WM
und lauter fröhliche Fähnchenschwenker. Uns wurde damals eingehämmert, das Land
habe zu einem "toleranten Patriotismus" gefunden. Der Leiter des
Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld,
Wilhelm Heitmeyer, hat dafür nur einen Kommentar übrig: "gefährlicher
Unsinn, ein Stück Volksverdummung".
Heitmeyer stellte dieser Tage die neuesten Ergebnisse einer
Langzeituntersuchung zu "Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" vor;
darunter sind Einstellungen wie Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und
Islamophobie zusammengefaßt, aber auch die Abwertung von Homosexuellen oder
Behinderten. Seit 2002 befragen die Bielefelder Forscher jedes Jahr etwa
zweitausend Deutsche, jedes Jahr veröffentlichen sie ihre Aufsätze in einem
Suhrkamp-Band mit dem Titel "Deutsche Zustände". Im aktuellen Band
weisen u.a. drei Wissenschaftler anhand der Langzeitdaten ziemlich überzeugend
nach, daß Nationalstolz zu "Fremdgruppenabwertung" führt (im
Unterschied übrigens zu einem differenzierten, "patriotischen" Stolz
auf die deutsche Demokratie und den Sozialstaat, der niedrigere
Fremdenfeindlichkeit zur Folge hat). Anhand einer zusätzlichen Umfrage im
August zeigen sie, daß nach der Fußball-Weltmeisterschaft befragte Personen
"nationalistischer eingestellt" waren als früher Befragte. Und weiter:
"Die Vermutung, daß es sich dabei um eine neue, offene und tolerantere
Form der Identifikation mit dem eigenen Land handelt, läßt sich allerdings
nicht bestätigen."
Heitmeyer schreibt, offenbar seien die "Schwarz-rot-geil-Stimmung"
oder Kampagnen wie "Du bist Deutschland" der Versuch eines
"surrogathaften Ankers auf schwankendem sozialen Boden". Ein
ethnisches Kollektiv soll künftig bieten, was die soziale Marktwirtschaft nicht
mehr zu leisten vermag: "Über die Betonung der Schicksalsgemeinschaft mit
raunendem Tiefgang sollen jene Angehörige der Mehrheitsgesellschaft emotional
wieder integriert werden, die andererseits sozial desintegriert worden
sind."
Der soziale Boden der Republik schwankt. Einkommen und Vermögen driften
erheblich auseinander. Und ökonomische Verunsicherung, so die Bielefelder
Forscher, führt zur Ausbreitung "latent immer vorhandener Ideologien der
Ungleichwertigkeit", und das keineswegs nur am rechten Rand, sondern in
der Mitte der Gesellschaft. (zitiert nach "Süddeutsche Zeitung")

* * *

Den Kölnern, siehe auch oben "Und ansonsten extra", geht der Arsch
auf Grundeis, sie scheinen kräftig durcheinander. Die "Süddeutsche"
titelte dieser Tage:
"Daum greift in Köln
durch: Weihnachten abgesagt"
Na, ihr Jungs in Kölle, Spex weg, der 1.FC Mittelmaß in der Zweiten Liga, einen
Kokser als neuen Trainer, und schon habt ihr sogar Weihnachten verloren -
bonjour tristesse…

* * *

Schon Klasse, wie der SPD-Vorsitzende Beck, nicht gerade der Rasiertesten
einer, den Hartz 4-Empfänger aufgefordert hat, sich erstmal rasieren und die
Haare schneiden zu lassen… Dabei kann man scheinbar mit so einem Bart sogar
SPD-Vorsitzender werden (gut, wir schreiben das Jahr 2006: man streiche das
Wort "sogar"…).

* * *

"Weil wir die Kraft zur
Revolte nicht aufbringen, erkennen wir unsere Gebrochenheit an."
(Peter Weiss)

(Am Rande ein kleiner Radio-Tip: ab 15.Januar läuft 12 Wochen lang jeden Montag
um 20.30 Uhr auf Bayern 2 eine Hörspielversion von "Die Ästhetik des
Widerstands" von Peter Weiss, mit Robert Stadlober, Peter Fricke, Hanns
Zischler, Rüdiger Vogler u.a., eingerichtet von Karl Bruckmaier - am 6.Mai 12
Stunden am Stück auf WDR 3 - sollte man sich nicht entgehen lassen!)

* * *

Zwischen den Jahren mit einer kleinen Einkaufsliste in einem großen Berliner
"Kulturkaufhaus", da der Plattenhändler meines Vertrauens grad nicht
auf dem Weg lag. Von acht gewünschten CDs konnten gerade einmal zwei (zwei!)
käuflich erworben werden, der Rest war nicht vorhanden oder es gab ihn lt.
Verkaufspersonal nicht einmal. Und es waren nicht ausschließlich Raritäten oder
Kuriositäten, die ich da vergebens zu erwerben suchte - Alben wie das von Lily
Allen oder von Burial waren in nicht wenigen Jahrescharts auf vorderen Plätzen
zu finden, Scott Walker's neues Album sollte ebenso selbstverständlich in jedem
einigermaßen sortierten CD-Laden stehen wie Toni Kitanovski's
"Borderlands" in jeder brauchbaren Weltmusik- oder Jazzabteilung, und
Tsimon Barto's Rameau-Interpretation oder Jos van Immerseels
Mozart-C-dur-Klavierkonzert in jeder brauchbaren Klassikabteilung.
Der Geschäftsführer der deutschen Phonoverbände, Peter Zombik, wendet sich in
seiner Jahresbilanz wieder einmal heulend an den Gesetzgeber, der solle "die rechtlichen
Rahmenbedingungen bei der Privatkopie und Pirateriebekämpfung deutlich
verbessern". Wie wäre es, wenn die Musikindustrie und die
CD-Geschäfte erst einmal ihre Hausaufgaben machten und die vorhandenen CDs in
die Geschäfte stellten, bevor sie vom Gesetzgeber verlangten, ihre eigene
Unfähigkeit zu kompensieren?

* * *

In Japan gibt's eine Zigarettenmarke namens "Hope". Und die Sorten
"Hope light" beziehungsweise "Hope Menthol" (danke,
Christian!).

* * *

"Denn es ist (…) so,
daß es gerade die Jugend des Jahres 2006 ist, die sich gewissermaßen in
musikalischen Strumpfhosen präsentiert, also so tut, als säße die erste und
nicht die zweite Elisabeth auf Englands Thron, als trage man Pluderhosen und
Puffärmel, als schreite man beim Tanz taktgenau im Kreise. Als schlage man
überall die Laute und die Harfe, wo sich rauschebärtige, fein bläßliche, also
vorwiegend weißhäutige Hippiekinder zusammentun, um Musik zu machen… (…)
Da tut sich also ein feiner,
kleiner Riß auf, vordergründig wieder einmal zwischen den Rassen, in Wahrheit
aber wie meistens zwischen den Klassen: Hip-Hop als Sound für die Doofen, die
Prekären, die Privatfernsehsklaven dieser Welt; dagegen Neo-Folk, Anti-Folk und
all dieses Tudor-Getue, das noch keinen eigenen Markennamen trägt - noch nicht
- für die Kinder aus gutem Haus, einigermaßen belesen, halbgebildet und
durchaus nicht abgeneigt, während eines Freisemesters mal was richtig
Ausgeflipptes zu unternehmen wie etwa einen Joint zu rauchen."
(Karl Bruckmaier in der "Süddeutschen Zeitung")

* * *

"Wer nie vom Schönen je
vernahm vermißt nichts." (Peter Hacks)

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