01.09.2013

Polizei überwacht BER-Gegner

Und, haben Sie unlängst Witze über den Berliner Flughafen bzw. dessen
Nicht-Fertigstellung gemacht? Seien Sie bloß vorsichtig! Denn die
Flughafengegner werden von der Polizei beobachtet: „Die Berliner Polizei läßt Kritiker des Flughafenneubaus BER bei ihren
Protesten von Zivilpolizisten überwachen“, räumte die Innenbehörde Berlins
laut „Berliner Zeitung“ ein. „Seit 2011
seien Zivilpolizisten bei einer Vielzahl von Versammlungen mit ‚BER-Bezug’
eingesetzt worden“, heißt es aus dem Innenresort.

Die Berliner Koalition aus SPD und CDU will nicht nur das Schloß wieder
aufbauen, sie hat halt konsequenterweise auch ein Demokratieverständnis wie zur
Kaiserzeit, mit Spitzeln und Pickelhauben.

01.09.2013

Rassismus in der Schweiz

Rassismus in der Schweiz?

Da mag man in etwa so überrascht die Augenbrauen anheben wie angesichts
der „Enthüllung“, daß die amerikanischen und bundesdeutschen Geheimdienste die
Bürger umfassend bespitzeln. Na klar tun sie das. Na klar ist die Schweiz
rassistisch.

Ob man das nun allerdings an der Petitesse festmachen muß, daß einer
amerikanischen Multimillionärin in einer Zürcher Boutique nicht jedes
Handtäschchen, das 35.000 Euro kostet, gezeigt wird? I couldn’t care less.

Das Schweizer „Bundesamt für Migration“ (das wahrscheinlich eher den
Titel gegen Migration tragen sollte...)
legt jedenfalls seit über einem Jahr zusammen mit den Gemeinden, in denen
Asylbewerber wohnen, fest, welche Gebiete von den Asylsuchenden  nicht betreten werden dürfen. Es werden
sogenannte „sensible Zonen“ definiert – Schulen etwa, Sportplätze oder
Schwimmbäder. Von diesen öffentlichen Plätzen sind die Asylsuchenden dann
ausgeschlossen, es wird ihnen der Zutritt verboten.

„Asylsuchende werden von neuralgischen Punkten ferngehalten“, sagt der
Projektleiter Asylunterkünfte beim BfM auf Alpbach bezogen. „So gilt für Schul-
und Sportanlagen inklusive eines angrenzenden Wäldchens, das Gelände des
Alterszentrums sowie das direkt an die Unterkunft angrenzende Wohnquartier ein
Aufenthaltsverbot.“

In Nottwil dürfen die Asylsuchenden das „neben der Unterkunft gelegene
Paraplegikerzentrum und die dazugehörigen Sportanlagen nicht ohne Begleitung
betreten.“ In Luzern können sich Asylbewerber „einschreiben und die Badeanstalt
in Begleitung besuchen“, es besteht also keinesfalls ein Badeverbot für die
Migranten. „Die Ausscheidung sensibler Zonen hat sich voll bewährt und nie zu
Problemen geführt“, sagt „Gemeindeschreiber“ Stalder.

Die „Aussperrung von Asylbewerbern ist in der Schweiz also der
Normalfall“ (alle Zitate aus „NZZ“). Täschli und Badi für Schweizer only, oder?

01.09.2013

Spotify Levit

Spotify: Man kann dort sofort am Veröffentlichungstag die neuen
Beethoven-Sonaten-CDs von Igor Levit hören (mit Levits furioser Interpretation
des ersten Satzes der Hammerklaviersonate beginnt auch unsere Spotify-Playlist
des Monats September) – toll! Dann gebe ich „Friedrich Gulda“ ein, weil ich
seine Interpretation mit der Igor Levits vergleichen möchte, aber zu faul bin,
die CD im Archiv rauszusuchen. Und sehe auf der „Titelseite“ zu Friedrich Gulda
den Spotify-Vorschlag „Ähnliche
Künstler“: „Purcell, Henry / Dietrich Fischer-Dieskau / Wagner, Richard / Emil
Gilels / Claudio Monteverdi“.

Aha. Die Musikgeschichte muß umgeschrieben werden. Die Spotify-Algorithmen,
soviel steht fest, arbeiten munter dran...

(auf Spotify finde ich unter dem Stichwort Gulda übrigens auch das
Album: „Mozart – Das Beste für mein Baby“, 2012 veröffentlicht von „Deutsche
Grammophon“. Und bereits 2008 hat das Yellow Label das Album „Mein Baby –
Klassik für Mutter und Kind“ herausgebracht. Es wundert einen wirklich gar
nichts mehr)

01.09.2013

Levit Zitat

„Aber das Letzte,
mit dem ich Musikmachen je verbunden habe, ist Spaß. Sondern Notwendigkeit und
Arbeit, und daraus resultiert dann Glück.“

Igor Levit im „FAS“-Interview

(Igor Levit kann übrigens von Glück sagen, nicht bei der Deutschen
Grammophon veröffentlichen zu müssen – da hätten sie sein Album sicher mit
einem schicken Foto im Wald verunziert, und den letzten Beethoven-Sonaten einen
speziellen Titel gegeben; so aber liegt dem Album ein ausgesprochen kluges und
interessantes Booklet bei – geht doch!...)

07.08.2013

Und Ansonsten 08/2013

Zum Start der Bundesligasaison ein Wort des klugen César Luis Menotti
(aus dem SZ Magazin): „Fußball ist ein
sehr weises und wunderschönes Spiel. Das Geheimnis des Fußballs ist Zeit, Raum
und Täuschung. Wie im Leben. Mit der Zeit umgehen, Räume finden und mit der
Täuschung zurechtkommen.“

* * *

Ich finde, die Medien tun dem Limburger Bischof Dr. Tebartz-von Elst
Unrecht. Falls Sie es nicht mitbekommen haben: Der Bischof steht nicht nur
wegen eines etwaigen Meineids und wegen Verschwendung unter Beschuß, nein,
möglicherweise hat sich die Berichterstattung über das Treiben des
Katholiken-Funktionärs an einer Luxusreise des Bischofs ins arme Indien
entzündet. Der Bischof wollte laut „FAS“ dem „Spiegel“ verbieten lassen, zu
schreiben: „Herr Bischof Dr. Tebartz-von
Elst ist erste Klasse mit dem Flugzeug nach Indien geflogen.“ Allein, der
Bischof war erster Klasse geflogen, „auf
einem der acht Luxusplätze im Oberdeck des Jumbojets, hin und zurück“ (FAS).
Bezahlt hat der Herr Bischof allerdings nur Business Class, das Upgrade in die
First Class hat ihm sein Mitarbeiter, Generalvikar Prof. Dr. Dr. Franz Kaspar
spendiert. Finden Sie merkwürdig und fragen sich, was das wohl für eine
merkwürdige Beziehung zwischen Bischof und seinem Generalvikar sein mag, daß
der ihm einfach so ein Upgrade spendiert? Das finde ich ausgesprochen
kleinkariert, wie Sie da denken – meine Mitarbeiter stehen zum Beispiel
grundsätzlich Schlange, um mir ein Upgrade in die Business Class bezahlen zu
dürfen, wenn ich Economy fliege – ist doch das Normalste der Welt.

Und insofern stimme ich dem Bischof von und zu Limburg, Herrn Dr.
Tebartz-von Elst, aus vollstem Herzen zu, wenn er behauptet, er sei, da er
Businessklasse bezahlt habe, nicht erster Klasse geflogen. Ist doch klar, oder?

Nun mag es sein, daß der „sterbliche
Leib“ (FAS) des Herrn Bischofs sich auf besagten Indienflügen tatsächlich
in der ersten Klasse befand. Aber was ist damit bewiesen? Wie gesagt, das war
ja nur der sterbliche Leib. Wer an die Mysterien des Katholizismus gewöhnt ist,
dürfte mir unschwer folgen und wissen, daß das Herz und die Seele und damit
überhaupt das Große und Ganze des Herrn Bischofs sich, im Gegensatz zu seinem
sterblichen Leib, auf dem Flug nach und von Indien  ganz sicher nicht in der Ersten Klasse,
sondern in der Holzklasse, in der Economy, befunden haben wird. Und darauf
kommt es doch schließlich und endlich an, oder?

Liebe Medien – seien Sie bitte mit den Funktionären der katholischen
Kirche ein wenig gnädiger!

* * *

„Deutsche werden
immer reicher“, jubiliert SPON – insgesamt haben die Bundesbürger „in Form von Bargeld, Wertpapieren und Bankeinlagen“
(Immobilienvermögen wird hier nicht mitgerechnet) „fast fünf Billionen Euro auf der hohen Kante.“

Doch ach: „Der Reichtum ist nicht
gleich verteilt. Die oberen zehn Prozent der Haushalte vereinen mehr als die
Hälfte des gesamten Nettovermögens auf sich.“

Tschah. Zu früh gefreut.

* * *

Die SPD feiert. Nämlich „Das Deutschlandfest.“

DAS DEUTSCHLANDFEST!

Musikalisch ist sie irgendwo im Jenseits, zwischen dumpfem Deutschrock
und dumpfem Schlager stehengeblieben, denn es spielen u.a. auf: Nena,
Luxuslärm, Fools Garden, Glasperlenspiel, Stefanie Heinzmann, Dick Brave, Die
Prinzen, Roland Kaiser, Julia Neigel und was sonst die deutsche
Unterhaltungsmusik an Schrecklichem aufzubieten hat.

  

„Ein besseres Land kommt nicht von allein.“ Aber mit der SPD ganz sicher auch nicht.

* * *

Die NÖ Festival und Kino GmbH aus Krems schickt mir unter dem Betreff
„Donaufestival 2014 Save the date!“ eine Mail, die, wenn ich es richtig
verstanden habe, hauptsächlich für ein Mineralwasser namens Römerquelle wirbt,
dem gilt jedenfalls der mit Abstand umfangreichste Textteil der Mail:      Was ich nicht genau verstanden habe, ist, ob ich mir den Termin
„Donaufestival 2014“ vormerken soll, um dann gemeinsam mit anderen Besuchern
des Donaufestivals das „trendige emotion“-Wasser zu trinken, oder ob ich besser
aus der Ferne zusehe (via Live-Streaming?), wie die Österreicher „gerne das
ausgezeichnete Wasser in den Sorten prickelnd, mild und still“ zu sich nehmen?
Um Aufklärung wird gebeten.

Gesponsert wurde die Donaufestival-Mail jedenfalls von verschiedenen
Banken, etwa der „Hypo NOE Gruppe“ oder „Raiffeisen Meine Bank“. Very „Lower Austria Contemporary“ das alles
(so ein anderes der vielen Logos in der Werbemail).

* * *

Der Aufmacher auf der Titelseite der „Zeit“ vom 1.August 2013: „Ökomobil – Das politische Auto“,
Unterzeile: „BMW kann nicht nur
schmutzig: Wer die Geländewagen nicht mehr kaufen will, hat jetzt eine
Alternative“, nämlich den BMW i3, „eine
fahrende Utopie aus Carbonfasern und Lithium-Akkus“, wie ein Frank
Drieschner flötet.

Wenn Sie sich fragen, was diese "Story" auf der Titelseite der
„Zeit“ soll, finden Sie nur wenige Seiten weiter die Erklärung: Auf den Seiten
6 und 7 hat BMW eine fette, zweiseitige Anzeige geschaltet: „Wie versprochen. Der elektrische BMW i3.“
„Revolutionär gebaut aus besonders leichtem wie hochfestem Carbon.“

So gehen bei unserer selbsternannten Qualitätspresse die bezahlten
Anzeigen der Industrie und deren willige redaktionelle Umsetzung Hand in Hand.
Läuft eben alles wie geschmiert.

* * *

„Charts KW 31:
Shindy trotz Indizierung auf Platz eins“, berichtet die Musikwoche. Nur hat sich in
diese Zeile wohl das falsche Wörtchen eingeschlichen: ich würde sagen, es müßte
lauten „Shindy wegen Indizierung auf
Platz eins“ – die Indizierung, die Strafanzeige von Berlins Regierendem
Bürgermeister Wowereit und die bereitwillige Kampagne in praktisch allen
hiesigen Feuilletons zeigt Wirkung, soviel kostenlose Werbung für Shindy und
Bushido bringt sicheren Erfolg.

In einem sehr guten Interview mit Thomas Gross und Thomas Winkler in der
„Zeit“ sagt die Berliner Rapperin Sookee, „Quing of Berlin“: „Der mediale Raum, der sogenannten
Rüpelrappern eingeräumt wird, damit sich die Mehrheitsgesellschaft
voyeuristisch an solchen Liedern aufgeilen kann, sollte lieber coolen Leuten
eröffnet werden. Mir zum Beispiel!“

Machen wir doch gerne: Hier „Parole Brückenbau“.

https://soundcloud.com/springstoff/parole-br-ckenbau-sookee

* * *

Der stellvertretende Chefredakteur des „Handelsblatts“ versucht sich an
der deutschen Sprache und hat sich gleich eine wirklich schwierige Aufgabe
vorgenommen, nämlich den Superlativ:

„Berthold Beitz ist tot. Der wohl verdienteste
Manager der deutschen Nachkriegsgeschichte ist am Dienstag mit 99 Jahren
auf Sylt gestorben. Beitz hatte sein Leben in den Dienst Alfried Krupps und des
traditionsreichen Ruhrkonzerns
gestellt. Über Jahrzehnte hatte der "letzte Krupp" und Vorsitzende der
mächtigen, gleichnamigen Stiftung das letzte Wort. Sein Auftrag, das Krupp-Erbe
zu bewahren, bleibt unerledigt. Thyssen-Krupp
steckt in der schwersten Krise
der Firmengeschichte.“ 

Möglicherweise der wohl verdienteste Nachruf auf den Krupp-Manager.

* * *

28.07.2013

Und Ansonsten 07/2013

Sie sind jetzt aber nicht wirklich überrascht, daß der US-Geheimdienst
auch Ihre Daten ausspäht, und daß der US-Nachrichtendienst quasi automatisch
und auf dem sozusagen kleinen Dienstweg über einen geheimen Zugang praktisch
alle Nutzerdaten von Konzernen wie Google, Facebook oder Yahoo erhält, oder?
Wußten wir doch alle längst. Nur die Bundesregierung hat wieder einmal nichts
mitbekommen und zeigte sich komplett „ahnungslos“ (Berliner Zeitung). Besser
könnte man die Netzpolitik der amtierenden Bundesregierung nicht auf den Punkt
bringen: Komplette Ahnungslosigkeit eben. Nur wenn es darum geht, den
Lobbyisten, mit denen man neuerdings gerne auch mal öffentlich rumschmust,
genehme Gesetze zu produzieren, zeigt sich die Regierung auch mal einsichtig.

Der deutsche Bundesnachrichtendienst liest ebenfalls kräftig mit: „Bis zu ein Fünftel des Datenverkehrs, der
bei deutschen Internet-Providern über die Landesgrenzen hinaus fließt“,
wird laut „Berliner Zeitung“ vom deutschen Geheimdienst „ausgewertet“. Allein im Jahr 2010 wurden 37 Millionen E-Mails „analysiert“ – gab die Bundesregierung
wohlgemerkt offiziell zu, die wahre Zahl dürfte also bedeutend höher liegen.

Jede fünfte Mail also, die ich meinen ausländischen Künstlern, Managern
und Geschäftsfreunden schreibe, wird vom deutschen Geheimdienst mitgelesen, und
jede fünfte Mail, die Sie Ihren Freunden oder Verwandten im Ausland schreiben.
Über 100.000 Mails werden jeden Tag vom deutschen Geheimdienst mitgelesen und
„analysiert“ – das sind deutlich mehr als die Stasi je Briefe und Pakete pro
Tag mitlas. Und übrigens: die NSA-Vorläuferorganisation, die „Black Chamber“,
hat früher alle Telegramme, die international in den USA eingingen, gelesen,
bevor sie ausgeliefert wurden; später, als Telegramme statt auf Papier auf
Disketten gespeichert wurden, erschienen während der Nachtschicht bei den
Telegrafenfirmen NSA-Kuriere, die die Disketten kopierten. Und heutzutage?
Längst haben Geheimdienstler ihre Geräte direkt mit den Internet-Knotenpunkten
in den USA, in Großbritannien oder, ja, in Frankfurt verbunden und haben
ungehemmten Zugriff auf den kompletten Datenaustausch. Und „die NSA und der BND
sind sogar richtig dicke Freunde, sie tauschen viele Erkenntnisse aus und
arbeiten auch eng zusammen beim Anzapfen von Kabeln“, schreibt Georg Mascolo in
der „FAZ“. Eine Kontrolle findet nur statt, wenn deutsche Staatsbürger
betroffen sind, ausländische Staatsbürger werden von deutschen Gesetzen nicht
geschützt. Mascolo fordert: „Die demokratischen Regierungen müssen ihren
Geheimdiensten das Recht zum grenzenlosen Lauschangriff entziehen.“ Doch daran
haben Frau Angela „Neuland“ Merkel und der BND natürlich nicht das geringste
Interesse.

Wir leben in einem Überwachungsstaat. Ob Obama oder Merkel – letztlich
ist das alles das gleiche Pack, das die Privatsphäre ihrer Untertanen ignoriert
und systematisch verletzt.

Constanze Kurz erklärt auf „SZ Online“, warum das Datensammeln
von beispielsweise Google nicht
zu vergleichen ist mit dem Datensammeln des Staates:

„Google ist
schließlich ein Wirtschaftsunternehmen, das für seine Werbekunden die Daten
seiner Nutzer speichert. Die NSA ist ein Geheimdienst. Wenn der dreimal 'Terror' ruft, dann können Menschen
daraufhin sterben, weil ihnen plötzlich Drohnen über die Köpfe fliegen.
Die möglichen Konsequenzen von Datenüberwachung durch den Geheimdienst sind
also offensichtlich sehr viel krasser als bei Google."

* * *

Am 21.Juli 1913, also vor hundert Jahren, schrieb Franz Kafka in sein
Tagebuch:

„Nicht
verzweifeln, auch darüber nicht daß Du nicht verzweifelst. Wenn schon alles
zuende scheint, kommen doch noch neue Kräfte angerückt, das bedeutet eben, daß
Du lebst. Kommen sie nicht, dann ist hier alles zuende aber endgültig.“

* * *

„Unter anderem
sind es die neuen Teilzeitarbeiter und Wenigverdiener, die zur Senkung der
durchschnittlichen Arbeitskosten in Deutschland beitragen. Auf dem Rücken der
Ärmsten werden die Interessen der deutschen Industrie durchgeprügelt, was dann
in der Politikersprache Niedriglohnsektor heißt. – Sektorengrenze, schöner,
neuer Sinn. Die Grenze, sage ich zu K., verläuft nicht zwischen den Deutschen
und den Griechen, sondern zwischen denen, die immer reicher, und denen, die
immer ärmer werden.“ Eugen Ruge, „Das griechische Orakel“, Tagebuch einer Frühjahrsreise, in
„FAZ“

* * *

Im „Finanzmarkt“-Teil der gleichen Zeitung lesen wir zeitgleich:

„Der Club der
deutschen Millionäre ist um 9 Prozent gewachsen (...) Mit insgesamt 362.000
Millionärshaushalten rangiert Deutschland damit im internationalen Vergleich
auf dem siebten Rang. (...) Das gesamte Vermögen der deutschen Privatanleger“ wird für 2012 „auf 6,7 Billionen Dollar geschätzt – ein
Plus von 6,2 Prozent“. „Deutschland gilt nach diesen Maßstäben als die
fünftreichste Nation der Welt.“ Krise ist eben nicht für alle, selbst in der größten Bankenkrise gibt es
noch jede Menge Profiteure.

* * *

Wenn Sie mal ein deprimierendes Stück Musik auf YouTube sehen wollen,
klicken Sie hier:

Warum sich die Rolling Stones für so etwas hergeben? Ein harmloses
Popsternchen, das praktisch nichts kann, einen Song singen zu lassen, den die
große Marianne Faithfull seinerzeit geadelt hat? Nun, es ist ein Geschäft.
Nichts weiter.

* * *

Daß es auch anders geht, haben zwei Konzerte in Berlin in der ersten
Juni-Woche gezeigt. Zwei Konzerte, die vielleicht unterschiedlicher nicht sein
konnten, die aber mehr gemeinsam haben, als man auf den ersten Blick vermuten
würde. Ich spreche vom Auftritt von Neil Young mit Crazy Horse in der Waldbühne
und vom Klavierabend von Grigorij Sokolov in der Philharmonie.

Bertolt Brecht sagt irgendwo, daß man ohne den Begriff der Schönheit
letztlich nicht auskommen wird. Und ich möchte ergänzen: ohne den altmodischen
Begriff der „Haltung“ wohl ebenso wenig – „sag mir wo du stehst“...

Neil Young und Grigorij Sokolov verkörpern in ihren 60ern genau dies.
Sie machen Musik auf einem ungeheuren Niveau, fernab von dumpfen
Marketingkampagnen der aufmerksamkeits-heischenden Kulturindustrie, fernab vom
„Stahlbad“, das da „Fun“ heißt (wie Adorno mal geschrieben hat). Denken Sie an
all die albernen Kampagnen, die die Klassik-Labels so verzweifelt wie
stumpfsinnig betreiben, wie sie Lackäffchen inszenieren, die sich an den Flügeln
produzieren, wie sie junge Sängerinnen oder Instrumentalistinnen mit einer
vermeintlichen Portion Sexyness versehen und Promobilder veröffentlichen, die
in Softpornos der 80er Jahre eher Berechtigung hätten als auf den Covern von
klassischen Alben. Und dann kommen Sie an einem warmen Juniabend in die
Philharmonie, das Konzert eines alles andere als den herkömmlichen
Schönheitsidealen entsprechenden, älteren Pianisten ist ausverkauft, draußen
versuchen verzweifelte Fans noch an Karten zu kommen. Und was spielt dieser
Pianist? Ein anstrengendes Konzert mit Werken von Schubert und mit Beethovens
Hammerklaviersonate, und das Konzert ist von einer Intensität und Schönheit und
zeugt von einer Haltung und einer Klasse, wie sie all die Kunstprodukte des
aktuellen Klassikzirkus in ihrer ganzen Karriere nicht hervorbringen werden.
Eine glücklich machende Gratwanderung. Ich weiß nicht, ob man den Erfolg von
Sokolov schon als Beginn einer Gegenbewegung bezeichnen kann, als eine
Gegenbewegung gegen all die Hypes und die Trostlosigkeit, die uns die
Musikindustrie gemeinhin vorsetzt. Aber es ist auf jeden Fall ein schönes
Gefühl, zu sehen, daß mehr als zweitausend Menschen es genießen, sich einem
anspruchsvollen dreistündigen Konzert auszusetzen, und glücklich nach Hause
gehen.

All dies kann man auch über den großen Auftritt von Neil Young und Crazy
Horse schreiben. Die Gratwanderung. Die Intensität. Die Schönheit. Die Klasse
einer Musik, die kein Produkt sein will. Musiker mit Haltung, die sich den
Verwertungsprozessen der Kulturindustrie bewußt entziehen und eine Musik
kreieren, wie man sie sonst kaum zu hören bekommt. Musiker, die einem wieder
eine Vision davon verschaffen, wie großartig ROCKmusik doch sein kann, was man
angesichts all der gesichtslosen Magerprodukte, die allüberall hergestellt und
beworben werden, fast schon vergessen hatte.

Kunst beansprucht, wie Dietmar Dath sagt, „keine objektive Gültigkeit. Stattdessen kommuniziert sie eine
Haltung.“

Daran haben Neil Young und Grigorij Sokolov im Juni 2013 in Berlin
eindrucksvoll erinnert.

* * *

Wie den Medien zu entnehmen war, soll Justin Bieber einen Flug ins All
gebucht haben.

Gute Idee. Schickt Justin Bieber auf den Mond! Dann ist der nicht mehr
unbewohnt.

(ich hätte übrigens noch ein paar weitere Vorschläge von Leuten, für
deren Mondfahrt ohne Rückfahrkarte ich mit ner Spendendose oder meinethalben
auch per Crowdfunding sammeln würde...)

* * *

Cem Özdemir, der schwäbische Grünen-Politiker, riet auf seiner
Fressenkladde den „lieben konservativen
Politikern“, doch „vom Rock’n’Roll“
lieber die Finger zu lassen. „Diese
Musik“ stehe „ziemlich für das exakte
Gegenteil Eurer Politik“, meinte er großmäulig den politischen Gegnern
hinter die Ohren schreiben zu müssen, als er las, daß Herr und Frau Wulff
gemeinsam ein Bruce Springsteen-Konzert besucht hatten.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – aber ich halte viel davon, wenn man
das Privatleben von Politikern ignoriert, genauso wie ich mir wünsche, daß mein
Privatleben privat bleibt. Es geht uns nichts an, und ich will damit auch nicht
belästigt werden. In welche Konzerte Herr Wulff und Herr Özdemir mit ihren
Dulcineas gehen, ist mir herzlich wurscht. Wobei ich anmerken möchte, daß es
mir in etwa so unangenehm wäre, in einem Konzert neben Herrn Wulff zu stehen,
wie neben Herrn Özdemir. Denn wer sich derart an eine vermeintliche Zielgruppe
heranwanzt wie der schwäbische Provinzpolitiker, dem will ich nirgends begegnen
müssen. Nicht auf einem Rockkonzert, nicht im Straßencafé, nicht im
Gemüseladen, nirgends.

Als Berliner kann man Politikern nicht so leicht aus dem Weg gehen. Man
begegnet beim Brotkauf oder in der Oper (Wagner!) schon mal Frau Merkel, man
trifft Herrn Ströbele auf dem Fahrrad oder Herrn Schily im Kaffeehaus. Es ist,
wie es ist, man sieht den einen lieber als den anderen, aber solange sie sich
nicht wichtig machen, ist es einfach ein Stück Alltag, um den man kein Gewese
machen muß. Am wenigsten will ich aber intoleranten schwäbischen
Grünen-Politikern begegnen, deren Politik so spießig ist wie die Musik der
schwäbischen Schlagerband „Pur“, die aber verzweifelt Anschluß an Hipsterkreise
suchen – oder an Kreise, die sie für hip halten, die aber letztlich auch nur so
spießig sind wie sie selber. Oder wollen Sie von jemandem regiert werden, der
von Ihnen einen Gesinnungscheck will, bevor er Sie ins Rockkonzert läßt?

Und ansonsten möchte man Cem Özdemir „si tacuisses“ zurufen, denn laut
„Spiegel“ lief am Ende von Versammlungen der „Grünen“, bei denen sich ihre
Spitzen-KandidatInnen der Basis vorstellten, „Sag mal, hast du das gesehn? Das
hat die Welt noch nicht gesehn“ vom unsäglichen Christen-Popper und
Bundeswehr-Bespaßer Xavier Naidoo.

Sie sitzen im Glashaus und werfen mit Steinen. Es klirrt so schön.

* * *

Die Redakteure der „Geld & Mehr“-Seite der „Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung“ haben anscheinend frei genommen, jetzt lassen sie mal die
Volontäre ran – die wissen zwar, was sie schreiben sollen, könnens aber nicht
so recht: Unter der Überschrift „Der Dollar wird stärker“ berichtet die FAS am
9.6.2013: „...der Dollar wertete
gegenüber dem Euro auf. Für einen Euro muß jetzt nur noch 1,3216 Dollar gezahlt
werden.“

Während es vor der Aufwertung viel mehr, nämlich zwischen 1,26 und 1,30
Dollar waren...

* * *

Lassen Sie uns diesen Vorgang mal rekapitulieren, damit wirs alle
verstehen.

Der SPD-„Ich will nicht Kanzler werden“-Kandidat Steinbrück entläßt
seinen Sprecher. Das Verhältnis zwischen Steinbrück und seinem Sprecher wurde
unter anderem dadurch belastet, daß der Sprecher ein Interview Steinbrücks mit
der „FAS“ freigegeben hatte, in dem Steinbrück kritisiert hatte, daß Kanzler
gemessen an ihrer Leistung zu wenig verdienten.

Wohlgemerkt, Steinbrück fand anscheinend nicht, daß er wieder mal Mist
geredet hatte, sondern er ärgerte sich über seinen Sprecher, weil der
Steinbrücks Mist freigegeben hatte. Wäre es nicht einfacher, der, der den Mist
produziert hat, würde sich seiner Veranstaltung stellen und selbst
zurücktreten? Damit wäre uns allen geholfen.

Aber nein, Steinbrück entließ seinen Sprecher und nahm sich einen neuen.
Der hat allergrößte Qualifikationen: Er leitete jahrelang das Hauptstadtbüro
der Blödzeitung und arbeitete zuletzt als Lobbyist für einen umstrittenen
Immobilienkonzern. Diesem Konzern, der „Deutschen Annington“, gehören circa
180.000 Wohnungen mit, um es mal so zu sagen, nicht immer zufriedenen Mietern,
von denen sich etliche in Mieterinitiativen zusammengeschlossen haben. Man
wirft der einer britischen Private-Equity-Gesellschaft gehörenden Firma laut
„Telepolis“ unter anderem „eine
übermäßige Renditeerwartung zulasten der Mieter, undurchsichtige
Nebenkostenabrechnungen und einen Kabel-Zwangsumstieg vor“. Steinbrücks
Sprecher, eben noch Immobilienkonzern-Lobbyist, ist sicher die Idealbesetzung,
wenn es darum geht, die angebliche „Wir kämpfen für die Mieter“-Politik der SPD
im Wahlkampf zu verkaufen...

Ebenfalls in sein Inkompetenz-Team berufen hat Steinbrück die ehemalige
Justizministerin Zypries, die Mutter der erst vom Bundesverfassungsgericht
gestoppten Vorratsdatenspeicherung, die ansonsten auch die Auskunftsansprüche
gegen Access-Provider durchsetzte und so Filesharing-Massenabmahnungen
überhaupt erst möglich gemacht hat, wie IT-Fachanwalt Thomas Stadler erklärte.

Ein echtes Albtraumteam hat der Sozialdemokrat da am Start.

* * *

„Im Lauf der Jahre
habe ich ihre (der Musiker, BS) weiteren Eigenschaften kennengelernt. Ehrgeiz
finden sie anstrengend. Leidenschaft ist ihnen peinlich wie ein
Pubertätspickel. Und Eleganz halten sie für einen Tick von Homosexuellen. Das
Problem an Bands sind die Musiker.“

            Kristof
Schreuf in einem herrlichen Text namens „Wie ich Künstler geworden bin“,

            hier: http://kristofschreuf.wordpress.com/2013/06/10/wie-ich-kunstler-geworden...

* * *

„Der Name der
Zukunft: Kultur“ ist der Nachruf auf den großen Schriftsteller und Science-Fiction-Autor
Iain Banks von Dietmar Dath in der „FAZ“ überschrieben.

Wenig Kultur hat allerdings allem Anschein nach die Republik der Dichter
und Denker, denn hierzulande ist beispielsweise eines der wichtigsten Werke von
Iain Banks, „Consider Phlebas“, nicht mehr im Buchhandel erhältlich, was ein
echter Skandal ist.

Banks hatte sich übrigens ein von Kapitalinteressen und
feudalmonarchistischen Rückständen befreites Großbritannien gewünscht, „nach innen antiautoritär sozialistisch,
nach außen tolerant anarchistisch“. R.I.P., Iain Banks!

* * *

Andere Wünsche hat die Abiturientin Alina, 18, laut „Berliner Zeitung“
vom 15.6.2013: Sie will sich „die Nase
richten lassen (...) Die Nase lasse ich mir einen Monat vor Ausbildungsbeginn
machen. Ich will den Höcker wegmachen lassen, allgemein kürzen, vorne kleiner
machen, dünner und feiner und anheben. (...) Ich hatte im März Geburtstag, und
zum 18. kriegen die anderen ein Auto und sowas, und ich wollte eine Nase haben.
Meine Eltern haben mir die Nase versprochen, unter der Bedingung, daß ich ein
gutes Abitur mache, mindestens 2,6. Jetzt freue ich mich schon total.“ Denn
Alina hat „sehr, sehr viel gelernt und
nur von Kaffee und Energydrinks gelebt“ und, hurra!, ihr Abi mit 2,5
geschafft. Einer neuen Nase steht nichts im Weg.

Abitur in Deutschland im Jahr 2013...

* * *

2.000 Euro hat ein Benefiz-Konzert für die Flutopfer in der
Kleingartenanlage Klein Attach in Sachsen-Anhalt eingebracht, etwa 4.500 Euro
wurden von Musikern wie Dirk Zöllner, André Herzberg oder Dirk Michaelis bei
einem Benefizkonzert in der Berliner Kulturbrauerei eingespielt. Alle haben auf
ihr Geld verzichtet: Die Künstler haben umsonst gespielt, die Clubs haben ihre
Säle und das Equipment umsonst zur Verfügung gestellt, das Personal hat umsonst
gearbeitet, damit möglichst viel für die Opfer der Flutkatastrophe übrig
bleibt.

Nur einer hielt die Hand auf und hat abkassiert und dafür gesorgt, daß
weniger Geld an die Flutopfer ausgezahlt werden kann: Das war die GEMA. In
Klein Attach hat die GEMA erst etwa 80 Euro berechnet, dann nach dem Protest
der Beteiligten einen 25%igen „Rabatt“ gewährt. Am Berliner Benefizkonzert wird
sich die GEMA mit ca. 160 Euro bereichern.

Bei der GEMA heißt es auf Anfrage von „Telepolis“, man sei den
Benefiz-Veranstaltern „so weit entgegen
gekommen, wie es gesetzlich möglich war“, leider leider, das sei eben „der gesetzliche Rahmen“, für weitere
Zugeständnisse seien der Verwertungsgesellschaft „die Hände gebunden“.

Was natürlich eine glatte Lüge ist. Denn die Regeln, an die die GEMA
gebunden ist, werden von den in Geheimklausur tagenden Gremien der
Verwertungsgesellschaft ja weitgehend selbst aufgestellt (und dann vom
Patentamt genehmigt). Und würde die Öffentlichkeit oder das Patentamt oder die
Politik die GEMA verklagen, wenn sie im Falle von Benefizkonzerten einmal über
ihren eigenen, großen Schatten springen würde und auf die paar Euro verzichtet?
Oder: wie wäre es denn, wenn die GEMA der Öffentlichkeit mitteilen würde, daß
sie das Problem bei den GEMA-Gebühren von Benefizkonzerten sieht und ihren
Gremien eine Änderung der Bestimmungen vorschlägt? Aber die GEMA läßt nichts
unversucht, ja keine Sympathien bei der Bevölkerung zu gewinnen. Während gerade
bei "Musikmarkt Online" zu lesen war, daß die GEMA eine "neue
Kommunikationsstrategie entwickelt"...

* * *

Auch ein toller Verein ist die staatliche „Initiative Musik“, die
unbeirrt unbekannte Nachwuchspopkünstler fördert, die niemand kennt und die
sonst keine Chance hätten. In der aktuellen 22.Förderrunde der Initiative Musik
wurden u.a. unbekannte Nachwuchskünstler wie Thees Uhlmann (dessen letztes
Album bloß auf Platz 4 der deutschen Charts zu finden war und der locker
fünfstellige Gagen für seine Auftritte kassiert), der österreichische Rapper
RAF 3.0 (dessen Alben es bisher bloß auf Platz 7 der deutschen Charts
schafften) oder die Band Kreidler mit Staatsknete bedacht.

Scheint ein Prinzip des Staatspop á la Initiative Musik zu sein – „wir
scheißen unsere Steuerdukaten prinzipiell nur auf die größten Haufen“...

Ähnlich macht es auch die neugegründete Berliner Popbehörde namens Musicboard
– da werden mit der Gießkanne über 462.000 Euro ausgeschüttet über manche
sinnvolle, aber auch etliche merkwürdige Projekte und solche, die sich
eigentlich auf dem Markt finanzieren sollten – und schließlich finden sich
unter den 19 geförderten Projekten auch solche von wirtschaftlich erfolgreichen
und hochkommerziellen Unternehmen wie die des Rolf Budde Musikverlages oder der
Melt Booking GmbH & Co KG. Lang lebe die Berliner Subventionswirtschaft,
die unter dem Pop-Senat fröhlich Wiederauferstehung feiert!

Staatspop und Senatspop sind oft ein rechter Flop.

* * *

Und während der Berliner Senat seine Gießkanne über erfolgreiche
Unternehmen ausgießt, ist für die „Freie Szene“ weiter wenig zu erwarten. Im
Haushaltsentwurf 2014, den der von der SPD ernannte Finanzsenator dieser Tage
vorlegte, wächst der Kulturetat von 368 auf 396 Millionen Euro. Das zusätzliche
Geld allerdings fließt, wie Birgit Walter gerade in der „Berliner Zeitung“
festgestellt hat, „in die Institutionen,
das meiste in die Opern, dort wiederum in höhere Gehälter“. Nun, nichts
dagegen, wenn angestellte Musiker ordentliche Gehälter bekommen. Nur sollte
dies gleichzeitig auch für die hochprekären Protagonisten der freien Szene
gelten, die oft am Existenzminimum entlanghangeln. Birgit Walter schätzt, daß
den rund 1.900 Künstlern und Kulturarbeitern, die in den Institutionen ein
ordentliches Einkommen erhalten, rund 10.500 Beschäftigte in der freien Szene
gegenüberstehen, „die das künstlerische
Prekariat dieser Stadt bilden“. Für die Freie Szene, die SPD und CDU laut
Koalitionsvertrag ausdrücklich stärken wollten, stehen weiterhin nur 10
Millionen Euro von den knapp 400 Millionen des Kulturhaushalts zur Verfügung.
Und daß dieser Etatposten „gehalten
werden konnte“, wird vom Senat als Erfolg verkauft.

Kulturpolitik, die sie meinen...

* * *

Doch nicht nur der Staat läßt die freien und selbständigen Künstler
darben und verelenden.

Auch das Vereinsorgan des liberalen, wohlhabenden Bürgertums und der
Studienräte, die „Zeit“, dreht kräftig an der nach unten weisenden
Honorarschraube.

Wie Silke Burmeister in einem „taz“-Interview mit dem Geschäftsführer
des Zeit-Verlages, Rainer Esser, feststellte, berichtet die Zeit „häufig über Themen wie Fair Trade oder
Generation Praktikum. Die Bedingungen aber, unter denen die Zeit entsteht,
stehen dazu im Gegensatz“, die Honorare, die die „Zeit“ an freie Autoren
zahle, seien sehr gering, und während die Zeit bei 154 Millionen Jahresumsatz
eine Menge Gewinn mache, würden Honorare für freie Autoren drastisch gesenkt
oder für Zweitverwertungen nur minimale Honorare gezahlt. Es ging um die höchst
lukrativen Nebengeschäfte der „Zeit“ und im Kern um die Frage, ob es angesichts
der blendenden wirtschaftlichen Verfassung der „Zeit“ nicht angemessen wäre, die
Freien Mitarbeiter besser zu bezahlen.

Und wie reagiert der Verlagschef der „Zeit“? Er kanzelt die Journalistin
hochnäsig ab und tritt später nach, indem er im Internet Burmeisters Honorare
veröffentlicht.

Den ganzen Vorgang können Sie bei Stefan Niggemeier nachlesen:

http://www.stefan-niggemeier.de/blog/das-revanchefoul-des-zeit-geschaeft...

„Für ›Die Zeit‹ zu
arbeiten, macht sehr viel Freude.“ (Rainer Esser)

* * *

Sony-Chef Ginthör erklärt uns in der „Musikwoche“ die Welt:

„Weitere Maßnahmen
des Gesetzgebers zum Schutz der Kreativen und ein gesamtgesellschaftliches
Bewußtsein für den Wert kreativer Inhalte sind geboten (...) Kommerzielle
Anbieter von illegalen Downloads verdienen unter anderem durch Werbung
unrechtmäßig viel Geld.“

Aha.

* * *

„Change Is Inevitable.“ (Disclosure)

* * *

Leistungsschutzrecht? Anti-Google-Gesetz? War da was?

Jetzt jedenfalls hat Google die Zeitungsverleger aufgefordert, sich zu
entscheiden, ob ihre Inhalte weiter unentgeltlich auf „Google News“ erscheinen
sollen oder ab August, wenn das Leistungsschutzrecht in Kraft tritt, aus Google
News verschwinden sollen.

Und was passiert? „Zeit Online“, „Süddeutsche.de“, „Spiegel Online“ und
andere werden das Angebot annehmen oder prüfen es derzeit wohlwollend. Bisher
hat sich laut „FAZ“ noch kein deutscher Zeitungsverlag ablehnend geäußert.

„Mit dem Leistungsschutzrecht
wollten die Verlage Google eigentlich dazu bringen, ihnen Geld zu zahlen“, schreibt die
„FAZ“. War wohl nichts. „Mit dem weltweit
einzigartigen Leistungsschutzrecht dürften sich die Verleger selbst ins Knie
geschossen haben, denn der eigentliche Wunsch, an dem Dienst mitzuverdienen,
ist damit passé“, kommentiert Markus Kompa auf „Telepolis“.

Wahrscheinlich verliert der Axel-Springer-Verlag, der quasi die Rolle
des Chef-Lobbyisten für das neue Leistungsschutzrecht spielte, jetzt zunehmend
an Einfluß – was das Schlechteste ja nicht wäre. „Welt“ und „Bild“ haben sich
ja schon hinter Paywalls versteckt...

* * *

„I think one of the most
difficult aspects of modern culture is knowing how edit or eliminate all the
crap in order to get to the good stuff.“ (The Residents im Interview mit „Jungle
World“, erscheint dieser Tage)

21.07.2013

Judith & Tina sind Buddhistinnen

Was haben Judith Holofernes, die Sängerin von „Wir sind Helden“, und
Tina Turner gemeinsam? Beide haben nach buddhistischem Ritus geheiratet.

21.07.2013

Dieter Raider heißt jetzt Twix Max Mohr

Und was haben der Schokoriegel Raider und der öffentlich-rechtliche
Moderationstexte-Aufsager Dieter Mohr gemeinsam? Beiden gefiel ihr Name nicht
mehr.

Bei Raider, der 1976 in Deutschland und Österreich auf den Markt kam,
entschied das der Lebensmittelkonzern Mars Inc. bereits 1991. Der Schokoriegel,
zu dessen Inhaltsstoffen Zucker, Glukosesirup, Magermilchpulver,
Butterreinfett, Molkenpulver, Emulgator (Sojalecithin), Backtriebmittel und
Aroma gehören, heißt seitdem Twix.

Dieter Mohr, der 1958 auf die Welt kam, entschied 2013, im Alter von 54
Jahren, daß ihm sein Name nicht mehr gefällt, und erklärte seinen Namenswechsel
von Dieter zu Max damit, es sei „Zeit
sich zu emanzipieren“ und „zu ändern,
was die Altvorderen bestimmt haben“. Er wolle jetzt „abschaffen, was mich seit 50 Jahren stört: Meinen Vornamen. Ab sofort
und endlich erkläre ich mich selbst zum Max.“

Auch für Dieter Max Mohr, zu dessen Inhaltsstoffen eine substantielle
Drögheit und pseudo-originelle, betuliche Erklärungen („Die Schweiz war das
Afghanistan Europas“) gehören, gilt der Spruch „Raider heißt jetzt Twix...sonst
ändert sich nix.“ Leider.

21.07.2013

Wagenknecht und Ausländerfeindlichkeit

Immer mal wieder verraten sich Funktionäre der Partei der „Die Linken“
und zeigen, wes rechten Geistes Kind sie im Grunde sind. Wer erinnert sich
nicht an die fremdenfeindlichen Töne von Oskar Lafontaine im
Bundestagswahlkampf 2005: „Der
Staat ist verpflichtet, seine Bürgerinnen und
Bürger zu schützen. Er ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und
Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die
Arbeitsplätze wegnehmen.“

Seine Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht tut es ihm jetzt gleich und
spielt ebenfalls die nationalistische und ausländerfeindliche Karte: Die
stellvertretende Parteivorsitzende der „Linken“ fordert, bei der Jobvergabe „zuerst an Jugendliche in Deutschland zu
denken“. Im Interview mit Springers „Welt“ forderte Wagenknecht, bevor
„Talente aus anderen Ländern“ abgeworben würden, müsse eine
Ausbildungsoffensive in Deutschland starten, und fügte hinzu, Röslers Einladung
an arbeitslose Jugendliche aus südeuropäischen Ländern, eine Ausbildung in
Deutschland zu machen, sei „eine Ohrfeige
für Hunderttausende junge Menschen, die in Deutschland leben und von denen
viele nie eine Chance bekommen haben“.

Deutsche Arbeits- und Ausbildungsplätze sollen gefälligst nur Deutschen
zugute kommen, sollen die Opfer deutscher Austeritätspolitik in Südeuropa doch
selbst sehen, wo sie bleiben!

„Der ganze ‚linke’
Lärm befindet sich innerhalb der gegenwärtigen Logik der Herrschaft.“

(Alain Badiou)

21.07.2013

Gartenzwerge und DDR

Es war nur ein kleiner Absatz in einem Artikel im Feuilleton der
„Berliner Zeitung“ am 17.Juli 2013, aber ich meine, hier auf eine große
Weisheit gestoßen zu sein: die definitive Erklärung zum Untergang der DDR
nämlich.

Es lag nicht am wirtschaftlichen Niedergang, an der fehlenden Reisefreiheit
und schon gar nicht an der sogenannten „Revolution“ der Bürger von Leipzig.
Nein, der Untergang der DDR war dem Staat sozusagen schon 1958 in den Genen eingeschrieben worden (wenn man mal so tun will, als ob Staaten Gene haben). Damals nämlich sagte der SED-Chefideologe Alfred Kurella
laut „Berliner Zeitung“, „Gartenzwerge
würden an die Märchenwelt anknüpfen und den Aufbau des Sozialismus nicht
stören.“

Da haben Sie’s! Ein Staat, der findet, daß seinem Aufbau Gartenzwerge
nicht im Weg stehen, ist automatisch dem Niedergang geweiht.

Was das nun für den Gartenzwerg-Staat BRD heißt, in dem Gartenzwerge in
den Vorgärten seiner Bürger gewissermaßen konstitutiv sind? Tschah, Sie werden
sehen...

21.07.2013

Snowden und Datenschutz und Politik

Die meisten werden diese berühmte Zeile aus Patti Smith’s „Gloria“
kennen:

„Jesus died for
somebody’s sins but not mine.“

Man kann das auf T-Shirts tragen, und wann immer Patti Smith auf ihren
Konzerten „Gloria“ singt (oder sollte man nicht besser sagen: performed?), gehört
das zu den Höhepunkten der Show. Bei ihren Deutschland-Konzerten im Juli
buchstabierte Patti Smith jedoch aus guten Gründen einen anderen Namen, nicht
mehr das legendäre G-L-O-R-I-A:

„And I said
darling, tell me your name, she told me her name
She whispered to me, she told me her name
And her name is, and her name is, and her name is, and her name is...

And the tower
bells chime, 'ding dong' they chime
They're singing, 'jesus died for somebody's sins but not mine.':

S – N – O – W –
D – E – N!“

Und ansonsten – geht es Ihnen auch so wie mir? Man will die ganzen
Einzelheiten um den Überwachungsskandal gar nicht mehr weiter verfolgen, weil
die Grundlinien längst klar sind: Wir leben in Überwachungsstaaten, egal ob in
den USA oder in der BRD, wir Bürger stehen generell „unter Verdacht“ (was dann
wieder eine Gemeinsamkeit zum sogenannten „Biedermeier“ ist, zu Metternichs
Spitzelstaat). Die Geheimdienste drehen frei und tun, was sie wollen (nur von
Nazis systematisch begangene Morde ignorieren sie eher). Die herrschende
Narration von Merkel und dieser Witzfigur, die wir uns als Innenminister
leisten, lautet: „Alles nicht so schlimm! Wenn
die USA uns und die deutsche Wirtschaft systematisch bespitzeln würden, wäre das ein Skandal.“ Leben im
Konjunktiv – das, was Snowden aufgeklärt hat, das, was Guardian oder Spiegel
veröffentlicht haben, wird systematisch wegignoriert, es kann ja schließlich
nicht sein, was nicht sein darf. Und das gigantische Bespitzelungsprogramm der
USA dient schließlich dem „edlen Zweck, Menschenleben in Deutschland zu retten“
(Friedrich). Aha.

Hier jedenfalls noch ein paar Schnipsel zum Thema aus den letzten
Wochen:

„Eine der Fragen,
die Menschen wie Bradley Manning und Edward Snowden stellen, lautet: Was ist
wichtiger – die Wahrheit oder die Nation? Der unkontrollierten Macht im Inneren
der Macht ist beides egal. Ihre stärkste und einzige Waffe ist Geheimhaltung.“

(Peter Glaser in „Edward mit den Sharing-Händen“, Berliner Zeitung) –

Außenminister
Guido Westerwelle (FDP) sprach sich gegen die Aufnahme Snowdens aus, er verwies
darauf, daß die USA "enge
Verbündete", "Freunde"
und ein "Rechtsstaat mit
unabhängiger Justiz" seien. Außerdem würden sich sowieso die "dunklen Wolken der Abhöraffäre wieder
vom Himmel verziehen". –

100 Millionen Euro
soll der BND für ein Technikaufwuchsprogramm bekommen, um das Internet
besser zu überwachen – „natürlich müssen
auch unsere Nachrichtendienste im Internet präsent sein"
(Bundesinnenminister Friedrich). „Es kann
ja nicht sein," so der Minister, „daß
die Verbrecher technologisch aufrüsten, immer effizienter das Netz nutzen - und
wir als Staat dem nichts entgegensetzen können." Man müsse dafür Sorge
tragen, „daß wir Kontrollverluste über
die Kommunikation von Kriminellen durch neue rechtliche und technologische
Mittel ausgleichen" (laut „Telepolis“). Natürlich kann man von einem
deutschen Innenminister nicht erwarten, daß er die Verfassung kennt – danach
ist für die Verbrechensbekämpfung nämlich immer noch die Polizei zuständig,
nicht der BND... –

Doch auch die SPD,
die sich aktuell und aus Wahlkampfgründen gegen die Überwachung der Bürger
ausspricht, ist eigentlich für mehr Überwachung, sie forderte ebenfalls den „Ausbau der Internetüberwachung“
(Stern.de), ihr innenpolitischer Sprecher, Michael Hartmann, geht konform mit
CSU-Innenminister Friedrich: „Deutschland
hat einen gewaltigen Nachholbedarf in der Internetüberwachung." Gegenüber
der "Berliner Zeitung" erklärte Hartmann, es sei wichtig, „Geld in die Hand zu nehmen, damit der BND
auf die Höhe der Zeit kommt." –

„Müssen wir uns mit dieser Monstrosität nun
abfinden, weil es eine Art Naturgesetz sein soll, daß die Geheimdienste eben
machen, was technisch geht? Aus den verwanzten europäischen Gremien ist
jedenfalls Hilfe kaum zu erwarten.“ (Constanze Kurz, „FAZ“). –

Einer Analyse von
„Daten-Speicherung.de“ zufolge liegt die Beteiligungsquote der SPD an
„verfassungswidrigen Überwachungsgesetzen“ bei 78 Prozent. Auf Platz 2 folgen
CDU/CSU mit 67 Prozent, auf Platz 3 die Grünen mit 44 Prozent (laut
„Telepolis“). –

Der
SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz erklärte zum Asylantrag des
Whistleblowers Edward Snowden: „Ich kann
nicht erkennen, dass der Mann politisch verfolgt wird." –

„’Tagesspiegel’-Kolumnist Harald Martenstein
verschmolz Faktenaversion mit sensationell selbstgerechter Onkeligkeit und
schrieb: ‚Die Amerikaner tun also nichts, was Tausende Deutsche in ihrer
Familie nicht auch tun: Sie spionieren.’ Als wären Privatpersonen und Staaten
auch nur ironisch vergleichbar.“ (Sascha Lobo auf SPON).

„Es geht bei diesem Grundrechte-Skandal nicht um
konservative oder progressive Einstellungen und auch nicht mehr um die Abwägung
zwischen Sicherheit und Freiheit. Die ausufernde Spionagemaschinerie ist keine
Krise des Internets, sondern eine Krise der Demokratie, die sich am Internet
entzündet hat. Ein international vernetzter Überwachungsapparat ignoriert die
Maßstäbe der Demokratie. (...)

Es geht um die Frage, ab welchem Punkt sich ein
Rechtsstaat durch systematische, heimliche Überwachung selbst pervertiert. Die
Antwort darauf ist nicht trivial. Aber wer diese Frage angesichts der
Enthüllungen durch Edward Snowden gar nicht erst diskutieren möchte, weiß
entweder nicht, wie tief die digitale Vernetzung bereits in das Leben
ausnahmslos aller Menschen eingreift. Oder er verhält sich antidemokratisch,
indem er ohne umfassende Kenntnis der Vorgänge und Technologien vorauseilend
Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausstellt.“ (Sascha Lobo, SPON) –

Selbst sein
eigenes Ministerium muß den Innenminister korrigieren, um ihm aus der Patsche
zu helfen. In einer Pressekonferenz hatte Friedrich nach seiner Rückkehr aus
den USA behauptet, daß die NSA-Spähprogramme weltweit 45 Anschläge - und fünf
davon in Deutschland - verhindert hätten. Nur zwei Tage später mußte ein
Sprecher des Innenministeriums die Darstellung des Ministers widerrufen. Als
Journalisten darauf drängten, mehr über die vereitelten Anschläge außer bloßen
Ziffern zu erfahren, stellte sich heraus, daß der Begriff "Anschlag"
irreführend ist: „Auf der
Regierungspressekonferenz am Montag schien nun durch, dass offenbar nicht
ausschließlich konkrete Anschläge verhindert, sondern teilweise auch nur
'Überlegungen' dazu durchkreuzt wurden." Wie konkret die
"Überlegungen" waren, ob sie sich in Anschlagplänen äußerten, wie
weit fortgeschritten sie waren, darüber verweigerte das Innenministerium nun
ein Festlegung - es könne auch ein „sehr
frühes Stadium gewesen sein", zitiert die
SZ. „Was dem hinzugefügt wird, entkernt
die Behauptung Friedrichs völlig und stellt sie als potemkinsche Fassade aus“,
stellt „Telepolis“ fest und zitiert den Sprecher des Innenministeriums: „Zu sagen, dass wir hier vor fünf konkreten
Terroranschlägen standen, das wäre jetzt sicherlich die falsche
Botschaft." –

Der
CSU-Innenminister, der einen Eid darauf geschworen hat, die Verfassung zu
schützen (wobei wir natürlich wissen, was die Eide von CSU-Innenministern wert
sind, denken Sie an Old Schwurhand Zimmermann...), erklärt der verblüfften
Welt, es gebe ein „Supergrundrecht
Sicherheit“. Blöd nur, daß so ein Grundrecht Sicherheit im deutschen
Grundgesetz nicht zu finden ist, weder als „Grundrecht“, noch als
„Supergrundrecht“. Eine glatte Lüge des Innenministers also. Im Grundgesetz
könnte man dagegen, wenn man nur wöllte, ein Grundrecht auf den Schutz des Fernmeldegeheimnisses
oder auf den Schutz der Privatsphäre oder den Schutz der Menschenwürde finden.
Aber davon hat der Superinnenminister sicher noch nie etwas gehört.

Dafür findet
Friedrich, die Bürger sollten selbst für den Datenschutz sorgen. Nehmen wir den
Innenminister beim Wort und sorgen selbst für Aktion: Jagen wir den
Superinnenminister aus dem Amt. Natürlich nicht, ohne vorher für ausreichend Teer
und Federn gesorgt zu haben... –

Aus einem
Interview mit der US-Juristin Marjorie Cohn (Juraprofessorin in San Diego und
etliche Jahre Vorsitzende des Juristenverbands National Lawyers Guild) auf
„Telepolis“ (Hervorhebungen von mir): „Frau
Cohn, die Regierung von US-Präsident Barack Obama setzt derzeit alles daran,
des Geheimdienst-Enthüllers Edward Snowden habhaft zu werden. Was hätte Snowden
im Fall einer Auslieferung aus Russland an die USA zu erwarten?

Marjorie Cohn: In den USA würde Snowden wohl andauernde Einzelhaft
drohen. Zumindest läßt der Fall des Militärs Bradley Manning darauf schließen. Das Problem bei dieser Einzelhaft ist, daß
sie Folter gleichkommt, weil sie früher oder später zu Halluzinationen,
Katatonie und sogar Suizid führen kann. Für
Snowden wäre es sehr schwer, einen fairen Prozess zu bekommen, wenn man das
politische Klima betrachtet, das die Obama-Regierung in Bezug auf Whistleblower
geschaffen hat.

Frage: Nach der Flucht Snowdens aus den USA hat es
von US-Seite zahlreiche Drohungen gegen China und Russland gegeben, die dem
30-Jährigen geholfen haben. Wie bewerten Sie diese Politik der US-Führung?

Marjorie Cohn: Nach Ansicht von Michael Ratner, dem Anwalt von
Wikileaks- Mitbegründer Julian Assange, übt die Obama-Regierung massiven Druck
auf Staaten weltweit aus, um eine Auslieferung Snowdens zu erreichen. Er soll
um jeden Preis wieder in den Zugriffsbereich der USA gelangen. (...)
Außenminister John Kerry hat Russland aufgefordert, "das Richtige zu
tun", also Snowden die Ausreise zu verweigern und ihn an die USA zur
Strafverfolgung auszuliefern. Dies sei wichtig vor dem Hintergrund der Beziehungen
zwischen Washington und Moskau, dem geltenden Recht und seiner Standards. Das
alles hat ein Ziel: Die US-Regierung
will möglichen Nachahmern die klare Botschaft zukommen lassen, dass die etwaige
Weitergabe geheimer Daten schreckliche Konsequenzen für weitere Whistleblower
haben würde. Schon jetzt geht die
Obama-Regierung auf eine beispiellose Weise gegen Geheimnis-Enthüller vor. Sie hat gegen acht Personen Anklage auf
Basis des Spionage-Gesetzes erlassen. Das sind doppelt so viele entsprechende
Anklagen unter dieser Regierung als unter allen Regierungen zuvor
zusammengenommen.“ –

Angela
Merkel und ihre Minister wollen erst aus der Presse von den Spähprogrammen der
US-Regierung erfahren haben. Doch nach Informationen des SPIEGEL nutzen
deutsche Geheimdienste eines der ergiebigsten NSA-Werkzeuge selbst. –

„Die Strategie der Koalition, sich im Zuge
des NAS-Skandals extra doof zu stellen... (...) Was gilt dort („auf
deutschem Boden“, BS)? Einstweilen
Anarchie. Deutsches Recht gilt auch nicht bei Facebook, denn das wohnt in
Irland. So als wären das ferne Gestade, Neuland oder Taka-Tuka-Land, mit denen
uns kein Abkommen und keine EU verbindet. Und es gilt auch nicht in Wiesbaden,
jedenfalls nicht auf dem schicken neuen Stützpunkt der Amerikaner, denn der gehört
ja denen. Was gilt dort? Was ganz anderes.

Merkel und Friedrich suggerieren den
Bürgern, die sie für Kinder halten, eine fragmentierte und letztlich vormoderne
Welt. In manchen Winkeln unserer großen Welt toben wilde Kerle, gegen die man
nichts tun kann. (...) Nur in Merkels kleiner Republik ist man geborgen.“
(FAZ)

21.07.2013

Günter Anders

„Nicht nur gilt: ‚Die
Welt wird ins Haus geliefert’, sondern auch: ‚Das Haus wird der Welt
ausgeliefert’.“          Günther Anders (1958)

21.07.2013

Democracy

„Die Klientel, für
die Schwarz-Gelb regiert, ist politisiert, organisiert und haut mächtig auf die
Pauke. Man kennt seine Interessen. Unternehmensverbände, neoliberale
Think-Tanks, konservative Meinungseliten (...)

Zwei Drittel bis
drei Viertel der Gesellschaft sind spätestens nach der Finanzkrise für einen
gesetzlichen Mindestlohn, regulierte Banken, höhere Steuern für
Besserverdienende und große Vermögen, mehr Frauen in Führungspositionen, mehr
Geld für Kitas, Schulen und Universitäten. Schon länger lehnen sie Atomenergie
ab und wollen Klimaschutz und gleiche Rechte für Schwule und Lesben. Die
ideologische Hegemonie des Neoliberalismus ist vorbei. Doch eine klare Mehrheit
der linken Mitte in der Gesellschaft führt nicht automatisch zu einer
politischen Mehrheit im Bundestag und Bundesrat.“

Jürgen Trittin im „Spiegel“

Gut gebrüllt. Nun könnte man sich, erstens, die Frage stellen, warum das
so ist, daß in unserer Demokratie die BürgerInnen nicht das bekommen, was sie
wollen. Interessante Frage. Schon Rousseau schlägt sich mit dem Problem der
repräsentativen Demokratie herum und der Frage, warum der „Gemeinwille“ ausgerechnet
in Form einer numerischen Mehrheit erscheinen soll. Und das war im ausgehenden
18.Jahrhundert – während wir aktuell eher von „einer ‚Demokratie’ der Prokuristen des Kapitals“ sprechen sollten,
„die inegalitär und repräsentativ ist“
(Alain Badiou). „Unser System läßt sich
nicht mehr als Demokratie bezeichnen. Es handelt sich längst um eine
Plutokratie. (...) Die Funktion der Masse in einer Demokratie ist die des
Zuschauers, nicht des Partizierenden.“ (Noam Chomsky, „FAZ“).

Und zweitens könnte man Herrn Trittin natürlich fragen, was sein Beitrag
und der seiner Partei war, um der Ideologie des Neoliberalismus im
Regierungshandeln hierzulande Tür und Tor zu öffnen. Wer hat denn Hartz 4
eingeführt? Wer hat die Deregulierung der Banken, das ungehemmte Agieren des
Finanzsektors durch Regierungshandeln ermöglicht? Wer hat Leiharbeit und
Minilöhne gefördert? Wer hat die Besteuerung der Besserverdienenden und der
großen Vermögen so stark gesenkt, wie es Helmut Kohl nie gewagt hätte? Da war
doch was, oder? Es war nun mal die rot-grüne Bundesregierung, die all das
ermöglicht hat, wogegen die rot-grünen WahlkämpferInnen sich jetzt mal mehr,
mal weniger gekonnt in Position bringen.

„Im Übrigen bin
ich skeptisch, was die Einführung eines gesetzlichen flächendeckenden
Mindestlohns angeht. Ich sehe einfach nicht, wie der funktionieren soll.“ (Peter
Steinbrück, Kämpfer für den gesetzlichen Mindestlohn, im Frühjahr 2005)

21.07.2013

Strompreise

Die Strompreise werden 2014 deutlich steigen, wahrscheinlich werden wir
Verbraucher mit einem Aufschlag von etwa zehn Prozent leben müssen.

Allerdings: Der Anstieg der Strompreise ließe sich begrenzen, wenn
Vergünstigungen für die Industrie wegfielen, wenn die Bundesregierung also die
liebgewonnenen Privilegien für die Konzerne streichen würde. Für etwa 1.700
Firmen gibt es laut einer Studie des Öko-Instituts eine höchst umstrittene
Befreiung von der EEG-Umlage, die jedes Jahr neu berechnet wird und mit der die
Stromkunden Erneuerbare Energien fördern. „Die Stromkunden“? Nun ja, Sie als
Verbraucher natürlich, und all die kleinen und mittleren Firmen – nicht aber
die Großverbraucher. Geflügelmäster oder regionale Käsehersteller zum Beispiel.
Und es liegen Befreiungsanträge von 3.000 weiteren Firmen vor, von Aldi, von
Golfplätzen, vom Braunkohle-Bergbau. Deren fehlende Umlagen Sie mitfinanzieren
müssen, so will es die lobby-treue Bundesregierung.

21.07.2013

Isnogood

Der Kandidat Isnogood von der traurigen Gestalt, der so verzweifelt
nicht Kanzler werden will statt der Kanzlerin, im Fragebogen der „FAS“:

„Welche Fragen bei
‚Wer wird Millionär’ finden Sie schwieriger: die ersten oder die letzten vier?“

Steinbrück: „Ich habe die Sendung
noch nie gesehen.“

„Welches
Orchesterinstrument würden Sie gerne spielen?“

Steinbrück: „Klavier oder
Schlagzeug.“

„Haben Sie etwas
von Rainald Goetz gelesen?“

Steinbrück: „Ich weiß gar nicht,
wer das ist.“

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