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Berthold Seliger - Blog abonnieren
Blog Archiv - Jahr 2018
09.03.2018

Brandenburgs Mühlen arbeiten auch langsam, oder: Why is Bebra so dysfunctional?

Anfang Dezember 2017 bekomme ich überraschende Post vom Land Brandenburg, bzw. von dessen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur, nämlich eine „Bescheinigung zur Erlangung der Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 20a UStG zur Vorlage beim Finanzamt“ für das Ensemble Bratsch.
Bratsch allerdings haben sich Ende 2015 aufgelöst.
Kein Wunder, wenn der Berliner Flughafen BER nicht fertig wird, den bekanntlich der Bund, das Land Brandenburg und das Land Berlin zu bauen versuchen – wenn ein einfacher kleiner Bescheid in einer Umsatzsteuergeschichte beim Land Brandenburg schon geschlagene drei Jahre in Anspruch nimmt...

09.03.2018

Berlin hat ein anderes Zeitempfinden, oder: Why is Berlin so dysfunctional?

Wobei meine Privatthese zum Flughafen BER ja etwas mit unterschiedlichem Zeitempfinden zu tun hat. Die wenigen Male, da ich nicht mit dem Fahrrad, sondern mit dem ÖPNV in Berlin herumfahre, stelle ich immer wieder fest, daß die Uhren der offiziellen Berliner Stellen einfach anders gehen. Da steht dann in der U-Bahn-Station auf der Anzeigentafel, daß die U-Bahn in 2 Minuten kommen würde. In der Realität sind es dann meistens 4 oder 5 Minuten.
Man kann den Verantwortlichen keine Vorwürfe machen, ihre Uhren gehen einfach anders. Und wenn sie sagen, daß der BER irgendwann fertig sein werde, dann ist es eben diesem unterschiedlichen Zeitempfinden geschuldet: Ihre fünf Jahre sind für uns Normalsterbliche zehn oder zwölf Jahre...
Das englische Magazin „The Economist“ fragte im Dezember 2017 übrigens unter der Überschrift „Berlin – Poor and sexy“: „Why is Germany’s capital so dysfunctional?“

09.03.2018

Alex Kapranos ist für die Abschaffung des englischen Königshauses

Alex Kapranos („Franz Ferdinand“) im Interview mit der „Berliner Zeitung“ über das Königshaus seiner britischen Heimat und über Monarchien ganz allgemein:

„Ich bin kein Fan der Königlichen Familie. Es ist ein Anachronismus, der uns in die Zeit zurückwirft, in der Diebstahl am Volk begangen wurde. Und das Königshaus ist heute sowieso total irrelevant. Ich finde es sogar richtig peinlich, dass wir eine Königsfamilie haben. Und ich habe das Gefühl, dass Prinz Harry es manchmal auch peinlich findet, Teil davon zu sein. (...)
Das gefällt mir so an ihm und seinem Bruder: Sie stammen aus einer Generation, in der ihnen die Bedeutungslosigkeit des Königshauses sehr bewusst ist. Sie wissen, dass es wohl nur noch ein paar Jahre dauern wird, bis es Veränderungen geben wird. Ich habe die Hoffnung, dass sie den Scheiß mit Würde auflösen werden, wenn es so weit ist. Das hätte längst geschehen müssen.“

Einziger kleiner Denkfehler: daß das Königshaus von oben abgeschafft werden sollte, und nicht von unten...
Aber eines ist klar: Man kann Staaten, die im 21. Jahrhundert immer noch als Monarchie konstituiert sind, wirklich nicht ernstnehmen.

09.03.2018

Fishbach ist langweilig

Was viele Medienleute an der französischen Künstlerin Fishbach finden, bleibt rätselhaft. Eine der üblichen langweiligen Produktionen, in denen ein bißchen französischer Chanson (neuerdings: „Nouvelle Chanson“), Rock, Pop und Elektronik einigermaßen kunstvoll miteinander verbunden werden, um eine glatte und oft kitschige Melange zu erzielen, die im Starbucks-„Café“ oder im Formatradio niemanden stören und schon gar nicht wehtun wird. Beim aktuellen Stand der Produktionstechnik alles andere als ein Kunststück und so überraschend wie die Samstagabend-Sportschau. Etwas für Leute, die auch Federico Albanese für Musik halten. Gähn.

09.03.2018

GEMA-Musikautorenpreis: Frauen machen eben keine gute Musik...

Eine Verpflichtung zur Gleichberechtigung wäre auf vielen Ebenen der Musikwirtschaft nötig. Unter den 21 Nominierten des „Deutschen Musikautorenpreises“ der GEMA befindet sich genau eine Frau! Woran das wohl liegen mag? Vielleicht daran, daß unter den sieben Juroren keine einzige Frau ist? Die GEMA hat ausschließlich Männer als Juroren berufen.
Zum Thema mangelnder Gleichberechtigung nahm der Jury-Sprecher Simon „Sera Finale“ Müller-Lerch auf unvergleichliche Art und Weise Stellung:
„Für mich hat Musik nichts mit Mann oder Frau zu tun, sie ist gut oder eben nicht, zieht dich mit oder lässt dich links liegen. Es wäre Musik gegenüber nicht fair und aufrichtig, danach zu urteilen, ob ein Mann oder eine Frau sie geschrieben hat.“
Großartig! Es geht eben um Musik an sich, und die Frauen schreiben nach dieser Logik eben einfach keine Musik, die gut genug ist, um den GEMA-Musikautorenpreis zu erhalten.
This is a man’s a man’s a man’s world!

14.02.2018

Valentinstag? Karl-Valentin-Tag! Und Ali Farka Touré!

Valentinstag?
Es kann natürlich nur einen geben: Nämlich den Tag des Gedenkens an den großen Karl Valentin, der am 9. Februar 1948, also vor 70 Jahren, gestorben ist.

Der Dichter Franz Dobler schrieb im Nachwort zu seinem ersten Buch „Falschspieler“ am 9.Februar 1988:
„Am Tag nach seinem Tod leerte jemand den Inhalt seiner Nachttischschublade auf einen Tisch, richtete es so hin, daß alles zu erkennen ist, und machte ein Foto: Eine Schachtel Pantopon, Manschettenknöpfe, ein Taschenmesser, eine Pfeife, ein Merk1948Buch, ein Schild mit einer 14, und, neben anderen Gegenständen, ein Phönix Kanonenschlag.
Ein kleines rotes Feuerzeug, eine Plastikflasche Pingo Türschloßenteiser, eine Schachtel Echte Brasil Fehlfarben, die ich seitdem nie wieder geraucht habe, einige Dosen mit Spielzeugmunition, ein Entenkopf aus Messing, der zu einem Spazierstock gehört, mit dem ich mich nicht auf die Straße traue, und eine fast leere Rolle Traubenzucker liegen auf meinem Schreibtisch ganz oben auf einer Unmenge Zeug …“

Interessant, was sich so in Nachttischschubladen und auf Schreibtischen befindet. Ich muß daran denken, wie auf der documenta in Kassel letztes Jahr in Vitrinen zu sehen war, was vom Leben des afrikanischen Musikers Ali Farka Touré übrig blieb: Neben einigen goldenen Pokalen und mehr oder minder obskuren Orden sowie Ausweisen waren das ein abgegriffenes Portemonnaie, eine Stimmgabel, ein Schuhanzieher, Stempel, ein Plektrum, ein Kamm und eine Pfeife. Und im nächsten Raum hing die Alltags- und Bühnenkleidung des Musikers. Dazu lief in Kassel Ali Farka Touré’s Album Niafunke, und es wäre schön, wenn auch Sie diese Musik auflegen würden, wenn Sie sich diese Fotos ansehen und vielleicht ein wenig über Kunst, Musik, Gesellschaft und Vergänglichkeit nachdenken:

Eines steht fest: Wenn wir statt des von der Konsumindustrie inszenierten „Valentinstags“ am 14.Februar den einzigen wirklichen Karl-Valentin-Tag feiern würden am 9.Februar – oder, eine sogar noch schönere Vorstellung: einen kommerzfreien Ali Farka Touré-Tag zur Feier dieses Gitarristen und vieler anderer, unbekannterer großer afrikanischer Musiker – nun, dann wäre diese Welt womöglich nicht nur eine andere, sondern auch eine bessere.
Man wird ja mal ein wenig träumen dürfen...

09.02.2018

Schnelles "Neuland" für alle? Nein: CDUSPDCSU sorgen für Internet-Prohibition

Wie behäbig und vollkommen jenseits der realen Welt die neue alte Regierung aus CDUSPDCSU agiert, zeigt sich vor allem daran, wie sie mit dem von ihrer Kanzlerin so genannten „Neuland“ umgeht. Die Koalitionäre haben einen Rechtsanspruch auf schnelles Internet in ihre Vereinbarung geschrieben – der allerdings gilt erst in sieben Jahren, ab 2025. Und von einem kostengünstigen schnellen Internet (wie es in den baltischen Staaten, in Skandinavien oder in China seit Jahren selbstverständlich ist) ist natürlich keine Rede – hierzulande werden weiterhin irrsinnig hohe Preise fürs Schneckeninternet verlangt. Hierzulande kostet zum Beispiel ein Megabyte mobiler Datenübertragung rund 5000 Prozent mehr als in Finnland. Das ist unsere Netzrealität: eine deutsche Internet-Prohibition.
Zukunft? Sehenden Auges verspielt.

09.02.2018

Zensurbehörde Facebook: "Das Bild enthält zu viel Text!"

Standard bei der Zensurbehörde namens Facebook:
„Deine Werbeanzeige wird nicht ausgeliefert.“
Und warum nicht?
„Das Bild deiner Werbeanzeige enthält zu viel Text und deine Werbeanzeige kann deshalb nicht an deine Zielgruppe ausgeliefert werden. Klicke auf einen der nachfolgenden Links, um deine Werbeanzeige zu verwalten und den Text in deinem Werbeanzeigenbild zu verkürzen, um das Problem zu beheben.“
Das „Bild“ der von Facebook abgelehnten Werbeanzeige zeigte das Cover meines Buchs „Klassikkampf“...

Einen Tag später wird das „Facebook Ads Team“ in einer Email noch konkreter: „Deine Werbeanzeige könnte eine viel bessere Leistung erzielen“, flötet es aus der Betreffzeile der Mail, und dann wird Facebook konkret: „Das Bild deiner Werbeanzeige enthält Text, der sich negativ auf die Auslieferung auswirkt. Klicke zum Verwalten deiner Werbeanzeige auf einen der nachfolgenden Links und nimm entsprechende Änderungen vor, um den Text im Werbeanzeigenbild zu reduzieren und so die Leistung zu verbessern.“

Irgendwer sollte den Zensoren der Fressenkladde mal verklickern, daß es zu den Eigenarten von Büchern gehört, daß in ihnen Text enthalten sein kann... und daß es selbst unter den Nutzern (Facebook-Sprech: „Zielgruppe“) der Fressenkladde Zeitgenoss*innen gibt, die nicht nur mit Bildern traktiert werden wollen, sondern auch in der Lage und willens sind, ein paar ganze Sätze zu lesen und zu verstehen.

09.02.2018

Lady Gaga: Eventim ist echt auf zack!

Am Montag, dem 5.2.2018, also ganze zwei Tage, nachdem Lady Gaga den Rest ihrer Europa-Tournee inklusive des Gastspiels in Berlin abgesagt hat, bekomme ich eine Email von „eventim.de Insider“: „Lady Gaga und weitere persönliche Empfehlungen für Sie!“
Die selbsterklärten Insider von Deutschlands Ticket-Monopolisten sind echt auf zack!
Wenn man dann allerdings unter „Highlights in Berlin und Umgebung – Top-Events direkt vor Ihrer Tür“ auf Lady Gaga klickt, erfährt man direkt unter „Bestplatzbuchung“: „abgesagt“! Der Eventim-Konzern wußte also doch irgendwie Bescheid, nur die „Insider“-Abteilung hat noch versucht, ebensolche Geschäfte zu platzieren.

09.02.2018

Kuratieren nur mit Kondom!

Was soll ich sagen – offensichtlich bin ich nicht der einzige Kuratiererei-Gegner hierzulande. Wiglaf Droste jedenfalls schreibt am Ende seines schönen kleinen Texts „Projekt und Konzept“:
„Elender noch als das Tuwort projektieren ist kuratieren. Kann man Angeberhafteres sagen als den Satz: »Ich habe das kuratiert«? Wenn jemand kuratiert, ist es geboten, auf Abstand in jeder Form zu achten. Für den Kuratierenden selbst steht geschrieben: »Kuratieren nur mit Kondom!« Man möchte diesen geschlagenen Schaum ja nicht auch noch abkriegen.“ (jw 3.2.2018)

26.01.2018

Robert Rotifer über Mark E. Smith: "Northern white crap"

Einen hervorragenden, klugen und tiefschürfenden Text über Mark E. Smith ganz ohne die übliche Betroffenheits-Schleimerei und Heiligsprechung hat Robert Rotifer (siehe auch Tourdaten im März und Mai d.J.!) für den Rundfunksender fm4 geschrieben: „Northern white crap“.
So geht Qualitäts-Pop-Journalismus!

Man will da praktisch jeden Satz zitieren, hier nur eine Stelle hineingeworfen, den Rest müßt ihr selbst lesen:
„Das Kennen aller 46 Singles, 32 Studioalben und 13 EPs von The Fall ist in der Tat zu 98,3 Prozent das Distinktionskapital einsamer Männer, und man muss ihnen das nicht übel nehmen (Zwischenthese: Hätten The Fall nie was anders rausgebracht als ihren Lauf von Seven Inches zwischen ’79 und ’80 von „Rowche Rumble“ über „Fiery Jack“ und „How I Wrote Elastic Man“ bis „Totally Wired“, die Welt hätte auch daran noch bis heute zu kiefeln).“

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