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Blog Archiv - Jahr %1
03.08.2023

Künstliche Intelligenz, Deutscher Kulturrat & Copyright

Die deutschen Copyright-Cops sind aber aus einem ganz anderen Grund in heller Aufregung: KI ist das Stichwort. Eine KI kann „alles kreieren“, sagt der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, und barmt etwas holprig: „Wir im Kulturbereich sind einer der Bereiche, die am stärksten von der Künstlichen Intelligenz betroffen sind. (…) Deswegen entsteht da jetzt ein größerer Konkurrenzmarkt“ (ein ganz neuer Gedanke: ein Markt voller Konkurrenz – sollte da der Markt plötzlich nicht mehr alles „regeln“?) und dann zählt er alle Bereiche auf: den „gesamten Design-Bereich, die Musik, den ganzen Text-Bereich, die bildende Kunst“.
Was die Musik angeht, weiß ich nicht so recht. Mitunter denke ich, dass die KI mehr als neunzig Prozent der Musik, die im Formatradio läuft, im Fernsehen oder im Mainstream-Bereich der Streamingdienste, von einer KI mindestens genauso gut bzw. genauso schlecht hergestellt werden könnte…
Generell interessiert mich eher, was eine KI träumen würde. Welche neue Musik zum Beispiel entstehen könnte. Und dabei ist mir das Urheberrecht, siehe oben, zunächst einmal ziemlich egal.
Ganz anders der Deutsche Kulturrat, der sich sofort vehement hinter die Musikindustrie gestellt hat und die Eigentumsrechte verteidigt. Also das, was in der Musikindustrie niedlich „Urheberrecht“ genannt wird und de facto längst ein Verwerterrecht ist, an dem mittlerweile vor allem Private Equity-Konzerne, Offshore-Firmen und Hedgefonds ihren Profit machen.
Aber nochmal der Lobbyist Olaf Zimmermann: „Die KI muss überhaupt erst einmal in ein Korsett hineingebracht werden.“ Aha.

 

03.08.2023

Fachkräftemangel, Mindestlohn, Ausbeutung

Es ist eine Weisheit der Marke Binsen: Im Konzertbereich besteht ein gigantischer Fachkräftemangel.
Und das gilt, Überraschung!, vor allem für die bisher denkbar schlecht bezahlten Arbeiter:innen, all die Stagehands, Roadies, Techs, Security- und Cateringkräfte, Aufbauhelfer:innen, also all die, die für das Gelingen eines Konzerts essentiell sind, die aber nicht im Licht stehen, sondern im Dunkel hinter den Bühnen und die man bisher kaum je wahrgenommen hat. Doch viele dieser Arbeitskräfte haben während der CoronÄra festgestellt, dass sie anderswo besser bezahlt werden, auch während Urlaubszeiten oder an Wochenenden, dass sie dort in aller Regel mehr soziale Sicherheit genießen (die Segnungen einer Festanstellung statt des „Auf Zuruf“-Geschäfts im Konzertgeschäft) und geregelte Arbeitszeiten haben. Die meisten dieser Arbeiter:innen wird nicht mehr in die Konzertwirtschaft zurückkehren, und wer wollte es ihnen verdenken.
Die Reaktion vieler Veranstalter und Dienstleistungs-Firmen lässt tief blicken: Sie wollen ihre freien Mitarbeiter:innen gerne weiterhin schlecht bezahlen. In Gremien der Veranstaltungswirtschaft war in den letzten Monaten immer wieder zu hören: Es muss Ausnahmeregelungen in Sachen Mindestlohn geben – so, als ob Konzerte nur mit Ausbeutung finanzierbar wären. Weite Teile der Branche haben den Schuss noch nicht gehört.
Es wird höchste Zeit, dass die meist soloselbständig tätigen Arbeitskräfte endlich angemessen bezahlt und fair behandelt werden! Allerdings, liebe Fans, das bedeutet auch: Die Ticketpreise müssen erhöht werden! Ich weiß, das ist unpopulär, aber ihr könnt einfach nicht erwarten, dass Konzerttickets für Clubkonzerte unter 30 Euro dafür sorgen, dass die Arbeitskräfte in den Clubs fair bezahlt werden – das funktioniert einfach nicht mehr. Genauso, wie ein Preis von 0,99 Euro für eine Tafel Schokolade nur durch Kinderarbeit und Ausbeutung in den Kakao-Plantagen möglich ist.
Was aber tut die Branche? Statt für Transparenz zu sorgen, statt offenzulegen, wie höhere Personalkosten (und, ja, auch die Inflation vielen anderen Bereichen, von Energie bis Catering) die Ticketpreise beeinflussen und wie eine seriöse Kalkulation funktioniert, kämpfen sie gegen Mindestlohn und soziale Absicherung. Um gleichzeitig bei ihren staatlich heftig subventionierten Musikkonferenzen „Recruiting Days“ oder „Job Festivals“ anzubieten, an denen sich „Unternehmen und Jobsuchende kennenlernen können“. An diesen Musikkonferenzen dürften auch tatsächlich und unbedingt vor allem Menschen teilnehmen, die bereit sind, sich für wenig Geld und zu schlechten Arbeitszeiten als Roadies, Securities oder Aufbauhelfer:innen den Popo abzuarbeiten…

 

03.08.2023

Land Berlin beutet Praktikant:innen aus!

Was der deutschen Musikindustrie recht und billig ist, ist auch dem Land Berlin vor allem billig:
Wie der „Tagesspiegel“ meldete, waren sage und schreibe 83 Prozent der in den letzten zwei Jahren vom Land Berlin angebotenen Praktikumsplätze unbezahlt.
Die einen nennen es „Gratis-Praktikum“, ich nenne es: Exploitation!

 

03.08.2023

Klasse Satz: Kapitalismus

“Capitalism is the most barbaric of all religions.”
(The Pop Group, 1981 – R.I.P. Mark Stewart!)

 

03.08.2023

Berliner Kultursenator: CDU ist Rammstein!

Zur Causa „Rammstein“ habe ich meine Gedanken in einem Tagesspiegel-Podcast formuliert. Nur eines noch:
Der neue Kultursenator Berlins, Joe Chialo (CDU), hat im Oktober 2022 in einem „Pioneer“-Podcast auf die Frage, welche Band die CDU wäre, geantwortet: „Rammstein!“
Nun gut, die Aussage ist schlecht gealtert, was aber meinte (und wusste?) Herr Chialo von Rammstein? Meint er die Texte von Lindemann und Merz? Meint er die Theatralik von Show und Parteitag? Oder gar…
Rätsel über Rätsel. Die CDU ist Rammstein – muss man auch erstmal drauf kommen…

03.08.2023

Heino, Nutten und Bier holen

Eigentlich würde bei CDU und Musiker ja eher an Heino denken. Also nicht an den echten Heino, sondern an diesen Schlagertypen, der in der Talkshow eines ARD-Senders mal gesagt hat, er verlange bei seinen Konzerten „Nutten, Koks und Erdbeeren“, und hinzufügte, am schwierigsten seien die Erdbeeren zu besorgen gewesen – woraufhin Interviewer und Schlagerheini sich ekelhaft lachend auf die Schenkel schlugen.
Jedenfalls, das „Musikwoche Bild der Woche“ am 30.4.2023 zeigt Heino. Also den unechten Heino.
 

 
Und im Text zum Bild erfahren wir:
„Heino hat sich auf eine Zusammenarbeit mit dem Telamo-Label 221 Music geeignet. Die Doppel-Single ‚Lieder meiner Heimat‘ mit seinen Interpretationen der Party-Schlager ‚Geh mal Bier holen‘ und ‚Zehn nackte Friseusen‘ ist bereits seit dem 28. April auf dem Markt.“ Und ich hatte immer gedacht, „Lieder von Heinos Heimat“ seien Heino-typische reaktionäre Gesänge wie „Schwarzbraun ist die Haselnuss“, „Alte Kameraden“ oder „Unter dem Doppeladler“…

 

03.08.2023

Don Wilson, Terry Riley & ich

Unlängst hat ein gewisser Don Wilson einen meiner Tweets geliked.
Und dieser Tage hat sich Terri Riley entschieden, mir auf Twitter zu folgen.

Mehr kann ich in meiner Social Media-Karriere nun auch nicht mehr erreichen…

 

03.08.2023

Die heutigen Grünen sind wie der Prenzlauer Berg...

Die heutigen Grünen sind wie der Prenzlauer Berg:
In Letzterem wurden seit 1990 fast 90 Prozent der Bevölkerung ausgetauscht, von der einstigen DDR-Boheme ist nichts mehr geblieben, alles gentrifiziert und durch Erben mit (das liebgewonnene Vorurteil will es so: vornehmlich schwäbischen…) wohlhabenden Eltern ersetzt.
Und auch die Grünen haben nichts mehr mit dem Personal und den Wähler:innen der 1980er Jahre zu tun…
Insofern sind die journalistischen Überlegungen, wie die Grünen heute wohl angesichts von Waffenlieferungen in die Ukraine, Erdöl aus Saudi-Arabien oder dem Abriss von Lützerath mit dem „Bruch ihrer Traditionen klarkommen“, lediglich Plattitüden – die aktuellen grünen Entscheider:innen haben mit den grünen Inhalten der 80er Jahre so wenig zu tun wie deren Wähler:innen. It’s that simple. Andere Partei it is.

03.08.2023

Gabalier & Red Bull

Und sonst so? Zum Beispiel dies:
„Musiker Andreas Gabalier bringt Ende April 2023 sein eigenes Magazin auf den Markt, wo er auch als Chefredakteur fungieren wird. Das Medium erscheint im Red Bull Media House und soll mit einer Auflage von 140.000 Stück auf den Markt kommen."
Gabalier und Red Bull Media House – na, das passt doch perfekt. Wie Arsch und Eimer, sozusagen, womit ich natürlich nicht gesagt haben will, dass Herr Gabalier… Na, Sie wissen schon.
Aber 140.000 Auflage, mon dieu!
Was ist gleich wieder die verkaufte Auflage zum Beispiel des Rolling Stone oder des Musikexpress? Da können sie glatt eine Stelle streichen…

 

03.08.2023

Rolling Stone, Musikkexpress, Axel Springer, SXSW Berlin...

Speaking of Stone und ME:
Dieser Tage meldete die “Musikwoche”, dass der Axel Springer-Konzern sich von 80 Prozent seiner Anteile am „Axel Springer Mediahouse Berlin“ (ASM) getrennt habe und diese Anteile an Petra Kalb, der bisherigen Geschäftsführerin der Springer-Tochter, übertragen hat. Dem Axel Springer-Konzern gehören jetzt nur noch 20 Prozent am ASM, also an dem Verlag, in dem „Rolling Stone“, „Musikexpress“ und „Metal Hammer“ erscheinen.
Gründe für diese Entscheidung wurden nicht genannt – also, ich meine echte Gründe, nicht das Papperlapapp, das Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer, abgesondert hat, wonach „die neue Eigenständigkeit des Mediahouse Berlin dem konzernweiten Ansatz zu mehr Unternehmertum“ folge („Musikwoche“). Lag es am Auflagentief, von dem die meisten Musikzeitschriften betroffen sind (und ich sage das ohne Häme, ganz im Gegenteil: wir brauchen guten Musikjournalismus! ist doch klar…)?
Ein „wesentlicher Fokus des unternehmerischen Zukunftskonzepts für das Mediahouse Berlin“ liegt laut „Musikwoche“ zudem „auf der Erschließung neuer Geschäftsfelder im Kreativbereich“, heißt es aus Berlin. Sowas hört sich ja immer dufte an. So soll unter anderem ein 360-Grad-Agentur-Angebot in Berlin für „exklusive, hochkarätige Events" entwickelt werden.
Sie erinnern sich vielleicht: Unlängst habe ich berichtet, wie die US-Firma Penske Media Group (die zu 50 Prozent an der SXSW beteiligt ist) und der Axel Springer Konzern eine „SXSW Berlin“ initiieren wollten, mit CTS Eventim „als Partner mit im Boot“, wie die „taz“ letztes Jahr berichtete. Der Wirtschaftssenator war seinerzeit auch gleich Feuer und Flamme und hatte 14 Millionen Euro Unterstützung in den Haushalt eingesetzt – bis der Plan dann gescheitert ist und die pfiffigen Initiatoren eine brachiale Bauchlandung hinlegten.
Aber jetzt – das ASM als „360-Grad-Agentur“ für „exklusive, hochkarätige Events“?
SXSW Berlin, ick hör dir trapsen…

 

03.08.2023

Rudi Völler mag nicht gendern

Rudi Völler will, dass im Fußball weniger Politik ist. Der Kapitän der DFB-Elf zum Beispiel soll eine Armbinde aus schwarz-rot-gold tragen, was die AfD prompt bejubelt hat.
Auch Rudi Völler:
„Ich werde übrigens auch nicht gendern. Gendern ist nicht mein Ding. Also, ich habe da meine klare Meinung. Ich komme aus der Brüder-Grimm-Stadt. Es ist ja bekannt, dass Wilhelm und Jacob Grimm nicht nur Märchen gesammelt und erzählt, sondern die deutsche Sprache mitgestaltet haben und sogar noch geschliffen. Deshalb kann ich als Hanauer mit voller Überzeugung sagen, dass ich an der alten Schreibweise festhalten werde.“
Denn: „Irgendwann ist es dann auch mal gut.“

03.08.2023

Der deutsche Bob Dylan und Leonard Cohen in einer Person

Wenn Sie einen deutschen Singer/Songwriter oder Popstar auf einem Level mit Leonard Cohen und Bob Dylan sehen würden, an wen würden Sie da denken?
Natürlich, Sie denken an den großen, einzigartigen, sensationellen Heinz Rudolf Kunze, der ja seit jeher vor allem ein Held der versammelten Peinlichkeiten ist.
Kürzlich verglich sich Heinz Rudolf Kunze in einem Interview der „Rheinischen Post“ mit… ach, lesen Sie selbst:
„Die Arbeit, die Bob oder Leonard Cohen in Amerika machen, mache ich hier – wir sind schon vom gleichen Schlag.“

 

09.01.2023

Arte-"Tracks" wird eingestellt! (Update)

Weiter unten können Sie die Exklusiv-Meldung lesen, dass der französisch-deutsche Fernsehkanal Arte das erfolgreiche Popkultur-Magazin "Tracks" in seiner jetzigen Form einstellt.
Dazu ein Update - denn jetzt hat das Medienmagazin "Altpapier" (MDR) über den Fall berichtet, über den es „im deutschsprachigen Raum meiner Wahrnehmung nach bisher nur einen halböffentlichen Hinweis gibt, und zwar im Newsletter des Konzertveranstalters Berthold Seliger".

„Altpapier" berichtet:
„Der Sender selbst betont auf Anfrage, dass davon, dass "Tracks" eingestellt werde, nicht die Rede sein könne. Der Grund: Den Ableger "Tracks East", der nach dem russischen Angriff auf die Ukraine entwickelt wurde und für den "Dialog mit dem Osten" steht bzw. "osteuropäischen JournalistInnen und Kulturschaffenden das Wort überlässt" (Senderdarstellung), gibt es weiterhin. Diese "dringend empfehlenswerte Serie von Reportagen aus Osteuropa" ("Süddeutsce Zeitung" im September) habe für einen "erhebliche(n) Zuwachs an Relevanz" für die Marke "Tracks" gesorgt, sagt Wolfgang Bergmann, der für die Sendung(en) zuständige Arte-Koordinator, im ZDF auf Anfrage. Ausdruck dieser Relevanz dürfte auch eine Nominierung für den diesjährigen Deutschen Fernsehpreis gewesen sein. "Tracks East" hat viel Lob verdient, allerdings mit der "klassischen" Magazinsendung "Tracks" eher wenig gemein.
Mindestens "ein halbes Jahr" werde es "Tracks East" noch geben, sagt Bergmann, und auch danach will man auf ähnliche Weise kurzfristig mit ähnlichen Konzepten auf aktuelle weltpolitische Entwicklungen reagieren, die jetzt noch gar nicht absehbar sind."

In Frankreich ist kurz nach Weihnachten beim Medienkritikportal "Arrêt sur images" ein Artikel zu "Tracks" erschienen. Darin erklärt Gianni Collot, ein Regisseur, der zeitweise für die Sendung arbeitete:

Es ist eine Fernsehsendung, es ist keine Shampooflasche (…) 'Tracks' ist nicht nur ein Name".
Es entstehe, so Collot weiter, ein großes Loch. Kulturell und kreativ (…) Die neuen Künstler von heute, wer wird darüber sprechen? (…) Der kleine Raum, den Kunst und Gegenkultur hatten, ist tot. Und natürlich bietet Arte nichts, um ihn zu ersetzen."

 

09.01.2023

Klasse Satz: Stereolab

Ist natürlich eine LIedzeile, aber gut:
„Solidarity can bring sense in this world – La Resistance!”
(Stereolab, French Disco)

 

09.01.2023

Kulturpass für 18-Jährige: Wie eine gute Idee in der grünen Kontrollgesellschaft torpediert wird

Die Idee stammt aus Frankreich (mit einer Vorgängerin in Italien) und ist nicht völlig schlecht: In Frankreich steht allen jungen Menschen mit ihrem 18. Geburtstag ein Kultur-Guthaben in Höhe von 500 Euro zur Verfügung, über das sie relativ frei verfügen können. Auf reinen Verkaufsplattformen wie Amazon oder bei Streamingdiensten wie Spotify oder Netflix darf njr begrenzt Bonusguthaben ausgegeben werden. Die sogenannte „private Wirtschaft“ trägt, darunter Firmen wie Apple, Facebook oder Google, trägt etwa 80 Prozent der Kosten.
 
Die von der grünen Staatsministerin für Kultur stolz präsentierte Kopie des französischen „pass Culture“ dagegen hat viele Schwächen. Mal abgesehen davon, dass nur 100 Millionen Euro zur Verfügung stehen, im ersten Jahr (ab dem 2. Quartal 2023) aber 750.000 Bürger:innen 18 Jahre alt werden, die den deutschen „Kulturpass“ von jeweils 200 Euro erhalten sollen – wer im Matheunterricht nicht aufgepasst hat, kann seinen Taschenrechner rauskramen und wird feststellen, dass 750.000 mal 200 nicht 100 Millionen, sondern 150 Millionen Euro ergibt – das wäre der Betrag, den die Regierung im Haushalt veranschlagen müsste, wenn sie wirklich alles dafür tun wollte, dass tatsächlich alle 18-Jährigen eines Jahrgangs von den Segnungen des Kulturpasses profitieren.
 
Noch problematischer aber sind die Einschränkungen in dem Konzept, dass von Claudia Roth (Grüne) und Christian Lindner (FDP) präsentiert wurde: Auf keinen Fall sollen die Gelder dort ankommen, wo junge Menschen gemeinhin kulturell aktiv sind, nämlich bei Streaming-Plattformen. Toll, wie gut sich die grüne „Kulturbevormundungsministerin“ (Martin Hufner in der „nmz“) in die digitale Lebensrealität junger Menschen einfühlt! Kultur ist, so wollen es die Kulturnation Deutschland und ihre oberste Vertreterin, nur dann Kultur, wenn sie in regionalen Kultureinrichtungen wie „Kinos, Theatern, Konzerthäusern, Museen, Gedenkstätten, Kulturzentren, Parks und Schlössern oder Clubs“ genossen wird (wie schön, dass sie am Ende ihrer Aufzählung noch die Kurve gekriegt hat, nach all den Theatern und Schlössern…). Soi wie hierzulande bis vor kurzem Literatur nur als Kulturgut galt, wenn sie ordentlich in gedruckten Büchern daherkam statt in digitalen E-Books – die ersteren wurden als Kulturgüter mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7%, die letzteren – weil Goethe oder Thomas Mann digital nun mal kein Kulturgut darstellt – mit 19%.
 
Und alles soll, so will es Frau Roth, unbedingt „bio“, ach nein, Quatsch, nicht bio, sondern „regional“ daherkommen. Die jungen Menschen auf dem Land wird’s freuen – sie bekommen 200 Euro geschenkt, die sie aber nur in Kinos, Theater, Konzerthäusern, Schlössern oder Clubs ausgeben dürfen, die es aber auf dem Land dummerweise häufig gar nicht gibt – während digitaler Musik- oder Filmgenuss, der allüberall abzurufen wäre, verpönt bleibt, da sei grüne Kulturpolitik vor. Pro forma sagt man den jungen Menschen, dass sie frei wählen können, welche Kulturangebote sie mit dem neuen Kulturpass nutzen wollen. In der Praxis sind es aber die Ministerin, Ministerialbeamte und Kulturbürokraten, die in der grünen Kontrollgesellschaft entscheiden, welche Angebote überhaupt zum Kulturpass gehören: Streaming: nein, Vinyl (das ausdrücklich erwähnt wird) oder Kino: ja. Teure Konzertkarten: nein, die Tickets werden mit einer Preisobergrenze versehen (adieu Beyoncé…). Und welche Buchhandlung, welches Multiplexkino, welcher Konzertveranstalter darf denn nun als „regional“ gelten? Wer bekommt letztlich das Claudia Roth-Gängelungs-Siegel „lokale Kulturanbieter“ verliehen?
 
Wie gesagt, die Idee ist grundsätzlich gut. Und man könnte ja auch dafür sorgen, dass die 200 Euro auf verschiedene Kulturformen aufgeteilt werden müssen, damit die jungen Bürger:innen auch die Vielfalt der Kultur kennenlernen können. Etwa, indem sie jeweils sagen wir mindestens 20 Euro für Konzerte, Theater/Opern, Museumsbesuche, Bücher/Comics/Graphic Novels und Filme ausgeben müssen – der Rest steht zur freien Verfügung, und alle Beträge sind ohne irgendwelche Einschränkungen, können also auch für Streaming oder zum Beispiel für die Konzerte bundes- oder weltweit agierender Konzertveranstalter ausgegeben werden. Oder für Musikunterricht…
 
(und dass die Bundesregierung erst eine App konstruieren will, die ihr Kultur-Bevormundungssystem in die digitale Praxis umsetzen soll, macht zusätzlich Sorge: man weiß ja leider nur zu gut, wieviel hierzulande die Programmierung einer brauchbaren App kostet – die „Corona-Warn-App“ hat bislang mehr als 220 Millionen Euro gekostet…)

 

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